Handball - Christian Schwarzer im Interview: "Für mich ist es die WM der Bauchschmerzen"

Felix Götz
21. Januar 202108:36
Christian Schwarzer (l.) ist 2007 mit Deutschland Weltmeister geworden.imago images/Ulmer
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Vor dem ersten WM-Hauptrundenspiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Spanien (20.30 Uhr im LIVETICKER) hat SPOX Christian "Blacky" Schwarzer zum Interview gebeten. Der Weltmeister von 2007 sprach dabei über seine persönlichen Probleme mit dem Turnier in Ägypten in Zeiten von Corona, Exoten wie "El Gigante" und die Schwächen von Torhüter Andreas Wolff.

Außerdem äußerte sich der 51-Jährige zur bisherigen Arbeit von Bundestrainer Alfred Gislason und dessen Umgang mit Kapitän Uwe Gensheimer. "Blacky" verriet obendrein, wie er das mögliche Verpassen des Viertelfinales bewerten würde.

Herr Schwarzer, durch die Aufstockung der WM von 24 auf 32 Mannschaften gibt es einige Kuriositäten. Das bekannteste Beispiel ist der kongolesische Kreisläufer Gauthier "El Gigante" Mvumbi. Finden Sie solche Beispiele amüsant oder einer Weltmeisterschaft unwürdig?

Christian Schwarzer: Ob groß oder klein, dick oder dünn - jeder, der an der Handball-WM teilnimmt, hat es verdient, mit Respekt behandelt zu werden. Aussagen wie die von Bob Hanning, der sich als DHB-Offizieller über manche Spieler Uruguays mehr oder weniger lustig gemacht hat, haben da nichts zu suchen. Mvumbi ist doch ein gutes Beispiel dafür, dass es überhaupt keine Rolle spielt, wie jemand aussieht. Entscheidend ist die Leistung. Der Junge macht am Kreis teilweise richtig gute Sachen, ist einmal sogar als Player of the Match ausgezeichnet worden. Ich freue mich darüber und finde, dass solche Geschichten eine positive Öffentlichkeitswirksamkeit für unsere Sportart produzieren.

Über den sportlichen Wert kann man sich dennoch streiten, wenn man etwa die Leistungsstärke Uruguays als Beispiel nimmt.

Schwarzer: Wenn wir unsere Sportart globalisieren wollen, ist es eine gute Sache, mit 32 Mannschaften zu spielen. Dann müssen wir eben auch Teams in Kauf nehmen, die sportlich etwas abfallen. Dennoch sieht man, dass sich im Welthandball einiges getan hat, auch die sogenannten Exoten spielen mitunter richtig guten Handball. Ich denke beispielsweise an Japan oder Angola. Richtig ist: Wenn Uruguay seine beiden Spiele mit 14:43 und 18:44 verliert und wegen des Aussteigens von Kap Verde trotzdem in der Hauptrunde steht, ist das natürlich fragwürdig. Da sind wir aber eher bei der Frage, ob es in diesen Zeiten grundsätzlich sinnvoll ist, eine WM auszutragen.

Gauthier getty

Schwarzer: "Das wäre für unseren Sport der Super-GAU"

Welche Antwort haben Sie auf diese Frage?

Schwarzer: Für mich ist und bleibt es die WM der Bauchschmerzen, bei der schon genug passiert ist. Zwei Mannschaften haben kurzfristig abgesagt, zwei Spiele mussten ausfallen - das ist doch keine Art und Weise für eine Weltmeisterschaft. Hinzu kommen die Bedingungen vor Ort, die am Anfang offenbar auch nicht so gut waren, wie das die DHB-Offiziellen vorausgesagt hatten. Trotzdem bin ich nach wie vor hin- und hergerissen, was meine abschließende Meinung zu diesem Turnier betrifft.

Inwiefern?

Schwarzer: Einerseits hoffe ich immer noch, dass wir dank der positiven Aspekte der WM - es gibt gute Spiele und gute Typen zu sehen - nicht noch mehr Jugendliche für unsere Sportart verlieren, wie das aufgrund des vergangenen Jahres ohnehin schon der Fall ist. Andererseits muss ich, auch wenn es sich hart und drastisch anhört, ganz klar festhalten: Im Endeffekt kämpfen derzeit weltweit Menschen um ihr Leben. Mit diesem Wissen ist es schwierig, eine WM auszutragen. Den eindeutigen Fahrplan, bei dem man das Gefühl hat, so machen wir es jetzt und so soll es auch sein, gibt es für mich nicht. Wir können nur hoffen, dass bei der WM keine außergewöhnlichen Dinge mehr passieren und alle heil und gesund aus der Nummer rauskommen. Und dass es keine Nachwirkungen für die HBL haben wird. Wenn die Bundesliga aufgrund der WM-Folgen nicht zu Ende gespielt werden könnte, wäre das für unseren Sport der Super-GAU.

Hätten Sie persönlich die WM unter diesen Umständen gespielt?

Schwarzer: Wenn ich jung und in meiner Anfangsphase in der Nationalmannschaft gewesen wäre, hätte ich sehr wahrscheinlich gespielt. Im zweiten Teil meiner Kariere, als ich bereits Familienvater war, hätte ich wohl abgesagt. Man muss die privaten Umstände jedes einzelnen Spielers in so einer Situation sehen. Jede Diskussion oder Bewertung darüber ist überflüssig.

Es ist schwierig, einen akzeptablen Übergang hinzubekommen. Trotzdem wollen wir natürlich auch noch über die deutsche Mannschaft sprechen. Hat die Niederlage gegen Ungarn gezeigt, dass die Ausfälle von Hendrik Pekeler, Patrick Wiencek und Finn Lemke in der Abwehr schlichtweg nicht zu kompensieren sind?

Schwarzer: Die Vorbereitungszeit war dermaßen knapp, dass sich Alfred Gislason und die Mannschaft immer noch in der Testphase befinden. Wenn die Abwehrformation mit Johannes Golla und Sebastian Firnhaber gegen Spitzenmannschaften aktuell auf einem ähnlichen Niveau wie mit Pekeler und Wiencek, die seit gefühlt fünf Jahren in der Nationalmannschaft und im Verein zusammenspielen, funktionieren würde, wäre das eine riesige Überraschung. Das ist in der Kürze der Zeit nicht möglich. Dafür haben sie sogar noch einen guten Job gemacht. Auf der anderen Seite stand aber mit Bence Banhidi ein Weltklassekreisläufer, der einen Sahnetag erwischt hat und aus dem Rückraum noch dazu genial bedient wurde. Das muss man einfach auch mal anerkennen.

Luft nach oben gibt es eindeutig auch im Tor. Die Statistiken von Andreas Wolff (2 Paraden, 13 Prozent abgewehrte Würfe) und Jogi Bitter (4 Paraden, 21 Prozent) waren gegen Ungarn alles andere als berauschend.

Schwarzer: Leider war unsere Torhüterleistung für ein Spiel auf diesem Niveau nicht ausreichend, obwohl Ungarns Torhüter Roland Mikler mit 27 Prozent auch nicht berauschend gehalten hat. Bei Teams auf Augenhöhe machen genau diese ein, zwei gehaltenen Bälle den Unterschied. Bei Wolff habe ich manchmal den Eindruck, dass er sich selbst zu sehr unter Druck setzt und denkt, er müsste die Nation retten. Wenn man das macht und nicht mit der nötigen Lockerheit ins Spiel geht, kann es vorkommen, dass man nicht seine beste Leistung abrufen kann. Rückblickend könnte man auch sagen, dass es ein Fehler war, ihn gegen Uruguay aussetzen zu lassen. Da die Partie gegen Kap Verde ausgefallen ist, war er somit noch gar nicht drin im Turnier. Allerdings konnte das logischerweise keiner erahnen.

Auf Linksaußen setzte Gislason seinen Kapitän Uwe Gensheimer auf die Bank und ließ Marcel Schiller von Beginn an ran. Hat Sie das überrascht?

Schwarzer: Meine erste Reaktion meinem Sohn gegenüber war: "Ups, der Kapitän im entscheidenden Spiel nicht auf der Platte!" Natürlich hat auch mich das überrascht. Andererseits hat ein Trainer immer ein Bauchgefühl, dazu Trainingseindrücke, womöglich spielten auch Gensheimers vergebene Chancen gegen Uruguay eine kleine Rolle. Letztlich hat Marcel Schiller mit seiner Leistung gezeigt, dass Gislason die richtige Entscheidung getroffen hat.

Christian Schwarzer wurde mit Deutschland Welt- und Europameister.imago images/Jan Huebner

Schwarzer: "Was Gislason macht, hat Hand und Fuß"

Welchen Eindruck haben Sie bislang generell von Gislasons Arbeit?

Schwarzer: Alles was Gislason bisher macht, hat Hand und Fuß. Er hat der Mannschaft in kürzester Zeit eine Struktur gegeben, in der sie sich gut zurechtzufinden scheint. Sein Vorteil ist, dass er als Spieler und in fast 30 Jahren als Trainer alles erlebt hat. Er kann sich ganz genau in die Lage seiner Spieler hineinversetzen.

Trotz allem steht das DHB-Team nun vor der Herausforderung, Spanien schlagen zu müssen, um noch eine Chance auf den Einzug ins Viertelfinale zu haben. Trauen Sie das der Mannschaft zu?

Schwarzer: Was ich bisher von den Spaniern gesehen habe, war nicht so überragend. Deshalb habe ich nicht den Eindruck, dass es unmöglich wäre, sie zu schlagen. Aber Vorsicht: Spanien spielt eigentlich seit Jahren unspektakulär seinen Stiefel runter und am Ende gewinnen sie dank ihrer unglaublichen Erfahrung mit einem Tor. Das ist bei großen Turnieren ihr ganz großes Plus. Dennoch ist für die deutsche Mannschaft nach wie vor alles möglich.

Bei einer Niederlage gegen Spanien wäre die WM im Prinzip gelaufen. Wäre das Verpassen des Viertelfinales angesichts der insgesamt immens komplizierten Umstände denn so dramatisch?

Schwarzer: Es wäre nicht schön, aber auch nicht megaschlimm. Aus dieser WM könnte Gislason trotzdem ganz wichtige Schlüsse für die Zukunft ziehen. Der Pool von Spielern, aus denen er auswählen kann, hat sich noch einmal ziemlich erweitert. Das könnte für den Bundestrainer in Zukunft zum Luxusproblem werden.

Handball-WM: Spielplan der Hauptrundengruppe I

DatumUhrzeitTeam 1Team 2Ergebnis
Do., 21. Januar15.30 UhrUruguayPolen
Do., 21. Januar18 UhrUngarnBrasilien
Do., 21. Januar20.30 UhrSpanienDeutschland
Sa., 23. Januar15.30 UhrUruguaySpanien
Sa., 23. Januar18 UhrPolenUngarn
Sa., 23. Januar20.30 UhrDeutschlandBrasilien
Mo., 25. Januar15.30 UhrBrasilienUruguay
Mo., 25. Januar18 UhrSpanienUngarn
Mo., 25. Januar20.30 UhrPolenDeutschland