"Barcelona wird Meister - mit 60:0 Punkten"

Florian Schimak
11. Juli 201311:40
Jung-Nationalspieler Christian Dissinger wechselte erst im Juni von Schaffhausen nach Madridimago
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Die Nachricht von Atletico Madrids Ruin kam nicht überraschend, schlug aber trotzdem ein wie eine Bombe. Der spanische Spitzenklub zieht sich aus dem Handball-Geschäft zurück. SPOX beleuchtet die sechs wichtigsten Fragen zu den Folgen des Erdbebens.

1. Wie konnte es überhaupt so weit kommen?

"Das Fehlen von Sponsoren und der Mangel an logistischer Unterstützung von öffentlichen Institutionen, gepaart mit der Unfähigkeit seitens der Führungskräfte des Vereins, nach den bisherigen Verlusten weitere Gelder in den Club zu stecken, haben ein Überleben des Vereins unmöglich gemacht", heißt es in der von Club-Präsident Domingo Diaz de Mera Lozano unterzeichneten Erklärung.

Erst im Jahr 2011 hatte man den Handball wieder nach Madrid gebracht, da das Spitzenteam von Ciudad Real - ebenfalls aus finanziellen Gründen - in die spanische Hauptstadt umzog und fortan unter dem Namen MB Atletico de Madrid auflief. So wurde nicht nur die lange Handball-Tradition in der Metropole fortgesetzt, sondern auch vermeintlich professionelle Strukturen und eine schlagkräftige Mannschaft geschaffen.

Die Wirtschaftskrise in Spanien aber setzte dem Verein ordentlich zu, die finanzielle Potenz war nach nur einem Jahr nicht mehr vorhanden. So gingen Spieler wie Kiril Lazarov (FC Barcelona) von Bord. Der Etat wurde gesenkt, Nachwuchshoffnungen wie Christian Dissinger oder Alexander Duschebajew verpflichtet. Doch das Loch, das die fehlenden Sponsorengelder hinterließen, konnten in den letzten Wochen nicht gestopft werden.

Dabei reiste selbst Trainer Talant Duschebajew um die halbe Welt, um Gelder zu generieren. "Ich war weiß Gott wo. Wenn ich ehrlich bin, will ich es gar nicht genau sagen. Schließlich hat sowieso nichts geklappt", äußerte sich Duschebajew enttäuscht. "Dass es dem Verein wirtschaftlich nicht gut geht, wussten wir alle schon seit langer Zeit. Wir waren uns auch bewusst, dass irgendwann dieser Tag kommen könnte. Dennoch haben wir immer gehofft, irgendwie noch aus dem Loch herauszukommen", sagte der ehemalige Welthandballer bei "Sport1".

Insgesamt fehlen 1,7 Millionen Euro, um das Team weiter erhalten zu können. Neben dem Trainer waren auch einige Spieler zu teils erheblichen Gehaltseinbußen bereit - doch all das half nichts. 900.000 Euro Steuerschulden soll der Fiskus einfordern, berichten spanische Medien.

Hinzu kommen dem Vernehmen nach offene Gehälter sowie ausstehende Beträge bei den Sozialversicherungen und anderen Gläubigern - ein Großteil davon angeblich noch aus der Zeit vor dem Umzug von Ciudad nach Madrid. Die Behörden sollen einem weiteren Aufschub der Steuerschulden widersprochen haben. Ein Schritt, der das Schicksal des Vereins nun endgültig besiegelt hat.

Ähnlich wie beim HSV Hamburg ist Atletico Madrid unabhängig vom gleichnamigen Fußballverein und so kamen in Spanien erste Vorwürfe zutage, dass der Fiskus bei den ebenfalls verschuldeten Fußballvereinen öfter mal ein Auge zudrücken würde.

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2. Was wird aus den ganzen Stars?

Christian Dissinger - Der derzeit noch verletzte Nationalspieler zeigte sich im Gespräch mit SPOX noch merklich geschockt: "Ich habe noch keine Ahnung was ich machen werde. Ich warte erst mal die nächsten Tage ab und schaue dann, wie es weitergeht. Derzeit steht meine Reha im Vordergrund. Zwar haben sich einige Bundesligisten gemeldet, aber ich kann noch gar nichts sagen." Dissinger war erst im Sommer von den Kadetten Schaffhausen nach Spanien gewechselt und steht nun ohne Verein da. Der 21-jährige Rückraumspieler laboriert noch an den Folgen eines Kreuzbandrisses und wird wohl erst im Januar wieder auf die Platte zurückkehren.

Ivano Balic - Dem zweimaligen WM-MVP wird nachgesagt, vor einem Engagement in Berlin zu stehen. Füchse-Manager Bob Hanning dementierte zwar ein Interesse, aber das Gerücht hält sich hartnäckig.

Xavier Barachet - Der Linkshänder wird mit dem THW Kiel in Verbindung gebracht. Das würde insofern Sinn ergeben, wenn Christian Zeitz seinen forcierten Abschied in Richtung Ungarn zu MKB Vezsprem durchbringen könnte.

Alexander Duschebajew - Auch der Trainer-Sohn steht auf der Liste des deutschen Meisters. Der 20-Jährige könnte in Kiel auch im Rückraum eingesetzt werden und dort wertvolle Erfahrungen sammeln.

Julen Aguinagalde - Der spanische Kreisläufer hat bisher angeblich noch keine Offerte aus der Bundesliga vorliegen. In der Asobal bietet sich nur Barcelona an. Wahrscheinlicher aber ist der Weg ins Ausland.

Joan Canellas - Beim Rückraumspieler wird es nun interessant, da er bereits für die Saison 2014/15 einen Vertrag beim HSV unterschrieben hat. Nun könnte der Deal früher vollzogen werden. Im Gegenzug könnte dafür Damogoi Duvnjak schon jetzt zu Rekordmeister Kiel wechseln. "Wir werden uns damit auseinandersetzen und stehen hier auch in engem Kontakt zu Joan Canellas", sagte HSV-Geschäftsführer Christoph Wendt.

Jakov Gojun - Sein Wechsel zu Paris Saint-Germain stand fest, dennoch ist er traurig über die Entwicklung seines Ex-Vereins. "Ich persönlich habe ein hervorragendes Jahr in Madrid verbracht und werde Atletico mein Leben lang in Erinnerung behalten. Das Spiel gegen Barcelona vor 15.000 Zuschauern werde ich nie vergessen. Es war schön, mit Balic und Lazarov zu spielen", blickt Gojun wehmütig zurück.

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3. Was macht Star-Coach Talant Duschebajew?

Zunächst einmal wurde der ehemalige Bundesligaspieler (Minden und Nettelstedt), wie alle anderen Aktiven auch, freigestellt. "Ich will mir jetzt keine allzu großen Sorgen machen, sondern ein paar Tage gemeinsam mit meiner Familie überlegen. Man muss das in aller Ruhe abwägen, wie es nach so einer Katastrophe weitergeht. Ich muss genau wissen, was ich will und was das Beste für mich ist. Einige Angebote habe ich ja schon bekommen", sagte der 44-Jährige.

Ob auch welche aus der Bundesliga dabei seien, wollte er nicht verraten. Jedenfalls reize ihn die Liga, aber er wolle auch nicht vorschnell handeln. Dennoch sei die Champions League sein Ziel.

Problem an der Geschichte: Der Star-Coach hat natürlich gewisse Vorstellungen und will nicht wieder ein ähnliches Fiasko wie in Madrid erleben. Größtenteils blieben oder kamen interessante Akteure nur seinetwegen nach Madrid - seine Strahlkraft ist für viele Vereine aus Europa interessant.

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4. Wer rückt in der Champions-League nach?

Hierfür gibt es viele Möglichkeiten. Allerdings sei es "aus Sicht der EHF zu früh, über Auswirkungen zu spekulieren. Der erste Schritt ist, Klarheit über die Situation bei Madrid zu bekommen", erklärte Markus Glaser, Wettbewerbsmanager der Europäischen Handball-Föderation EHF, der Nachrichtenagentur "dpa".

Dennoch gibt es einige Spekulationen. THW-Manager Klaus Elwardt bringt etwa Montpellier AHB möglichen CL-Nachrücker ins Gespräch. Der französische Pokalsieger, der sich die Dienste von Torwart-Gott Thierry Omeyer gesichert hatte, tritt zumindest beim Wildcard-Turnier an. Montpellier wäre ein ähnliches Zugpferd wie Atletico und somit ein geeigneter Ersatz.

Der EHF könnte dann zwei Tickets beim Wildcard-Turnier vergeben. Das dritte würde zwischen dem HSV und den Füchsen Berlin ausgespielt werden. Allerdings ist auch hier denkbar, dass der HSV als amtierender Titelverteidiger automatisch nachrückt und die Berliner die Wild Card kampflos erhalten.

Variante drei wäre, dass man sich an der Setzliste orientiert. Damit würde Drott Halmstadt in der nächsten Saison direkt in der Champions League starten, ohne ein Playoff-Spiel bestreiten zu müssen.

Theoretisch könnte auch der Drittplatzierte der spanischen Liga Asobal nachrücken. In diesem Fall würde Naturhouse La Rioja im nächsten Jahr an der CL teilnehmen. Dann aber hätte die EHF wieder ein Setzlistenproblem. Alles nicht so einfach.

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5. Welche Folgen hat das für die spanische Liga?

Erhebliche. Durch den Rückzug von Atletico Madrid wird in der Asobal wohl gähnende Langeweile herrschen. Der FC Barcelona hat seit Jahren die Vormachtstellung in der spanischen Liga. Einzig Atletico, respektive Ciudad Real, konnte den Katalanen ansatzweise folgen.

Selbst in Barcelona zeigte man sich daher vom Rückzug des einzig ernsthaften Konkurrenten geschockt. "Man verliert ein stark wettbewerbsfähiges Team, das für uns immer eine Referenz war, auch wenn wir Rivalen waren. Das ist für den Sport im Allgemeinen keine gute Nachricht", sagte Barca-Trainer Xavi Pascual.

"Barcelona wird die Liga absolut dominieren und Meister werden, davon ist auszugehen. Wahrscheinlich mit 60:0 Punkten", so Dissinger gegenüber SPOX. "Alle andere Teams haben ebenfalls finanzielle Probleme, daher wird keiner mit Barcelona mithalten können."

Bereits in dieser Saison wurden die Katalanen mit deutlichem Vorsprung Meister. Neun Punkte lagen am Ende zwischen Barca und Madrid. Außerdem bot die Partie - ähnlich wie im Fußball - immer wieder brisante Duelle. Diese wird es in Zukunft nicht mehr geben.

"Zweifelsohne ist heute ein sehr trauriger Tag für den spanischen und weltweiten Handball. Es geht ein großes Team, ein großer Verein mit einer großen Geschichte. Das sind ganz schlechte Nachrichten für den spanischen Sport. Die Situation, die durch den Rückzug von Atletico Madrid entstanden ist, sollte uns nachdenklich stimmen", sagte der schockierte Asobal-Boss Eduard Coll.

Der spanische Handball verliert also sein zweites Aushängeschild. Nach Barcelona herrscht sportlich ein fast so großes Loch, wie das im Atletico-Finanzhaushalt. Die Attraktivität wird leiden - im Fußball würde man von schottischen Verhältnissen sprechen.

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6. Was passiert nun in der HBL?

So traurig die Geschichte mit Atletico ist: Die HBL wird am Ende davon profitieren. Schon seit längerer Zeit gilt die Bundesliga als stärkste Liga der Welt. Mit dem Ende in Madrid verliert Spanien weiter viel von seinem (ehemaligen) Zauber.

"Es war absehbar, ist aber sehr bitter. Die Situation in Spanien ist wirklich ernst. Der Sport verliert eine große Marke und einen Traditionsverein", zeigte sich Frank Bohmann, HBL-Geschäftsführer der "dpa" betroffen. "Jetzt gibt es praktisch nur noch einen Verein: Barcelona. Die spanische Liga löst sich mittlerweile in Wohlgefallen auf", sagte Elwardt. Auch Wendt bedaure sehr, dass "solch ein klangvoller Name nun von der Handball-Karte verschwinde."

Der HBL wird allerdings zu Gute kommen, dass nun einige Spieler nach Deutschland wechseln werden. Somit müssen die Klubs ihre Transferaktivitäten überdenken. Ähnlich wie vor einem Jahr, als AG Kopenhagen Insolvenz anmeldete und viele interessante Spieler kurzfristig auf dem Markt waren.

Dissinger geht davon aus, dass mindestens drei oder vier Spieler in der Bundesliga landen werden, "aber auch nach Ost-Europa wird es einige Spieler ziehen. Ich denke da beispielsweise an Skopje oder Veszprem."

Die ganze Sache wird jedoch ein Problem in der HBL nach sich ziehen: Die Nachwuchsförderung. Dadurch, dass die Bundesliga in Europa noch unangefochtener an der Spitze stehen wird und somit weitere ausländische Top-Spieler lockt, gibt es für den deutschen Nachwuchs kaum Chancen auf Einsatzzeiten - worunter am Ende der DHB leiden wird. Eine Ausländerbeschränkung in der HBL wurde kurz nach der verpassten EM-Qualifikation abgelehnt.

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