"Die Explosion kam verzögert"

Christoph Köckeis
11. Juni 201318:01
Johannes Bitter gewann mit den Hamburgern in diesem Jahr die Champions Leaguegetty
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Er krümmte sich auf dem Boden, hielt sich schmerzverzerrt das Knie. Im März 2012 erlitt Johannes Bitter im Achtelfinale der Champions League den Totalschaden: Kreuzbandriss - dazu Innenband sowie Meniskus verletzt. 434 Tage danach hatte er den Handball-Olymp erklommen. Mit dem Triumph in der Königsklasse krönte der 30-Jährige sein Comeback. Bei SPOX spricht der Torhüter des HSV Hamburg über Vergleiche mit den Rekord-Bayern, mentale Tiefschläge, sein surreales Sportler-Leben und DHB-Begehrlichkeiten.

SPOX: Herr Bitter, am Montag bereiteten 10.000 Anhänger dem HSV Hamburg einen gebührenden Empfang auf dem Rathausmarkt. Wie lange ging es danach?

Johannes Bitter: Nicht so lange. Wir haben die Tage zuvor ordentlich gefeiert, das war ein gemächlicher Abschluss. Familien und Mitarbeiter des Klubs durften nicht fehlen. Bei strahlendem Sonnenschein den großen Triumph zu zelebrieren - phänomenal. Es gibt nichts Schöneres, als den Pokal auf dem Balkon zu präsentieren.

SPOX: Champions-League-Sieger 2013 - können Sie es mittlerweile realisieren?

Bitter: (lacht) Langsam kommt all das näher. Wobei ich doch verdutzt reagierte, als ich zu Hause die Tasche auspackte und Utensilien in der Hand hatte, die mich daran erinnern. Da reibt man sich verwundert die Augen.

SPOX: Der HSV Hamburg konnte sich in der Spitze etablieren. Da drängt sich nun die Frage auf: Wer ist die Nummer eins Europas?

Bitter: Wir hatten ein exorbitantes Wochenende, spielten im Halbfinale gegen Kiel und später gegen den FC Barcelona sehr guten Handball. Aktuell sind wir die Nummer eins. Jedes Jahr streiten sich sechs bis acht Mannschaften um diesen Status, da entscheidet oftmals die Tagesform. Oder das Quäntchen Glück und Wille mehr. In Köln war es bei uns, in zwei Wochen könnte das Final Four komplett anders verlaufen. Wir tragen den Titel und werden alles tun, um diesen nächstes Jahr zu verteidigen.

SPOX: Verraten Sie uns bitte das Erfolgsrezept dahinter?

Bitter: Gute Spieler sowie Trainer, ein organisiertes Umfeld - so die Grundvoraussetzung. Dann muss die Mannschaft harmonieren, der Zusammenhalt stimmen und man als Einheit imstande sein, Differenzen positiv zu lösen. Das ist uns gelungen. Die Situation Anfang der Saison darf man nicht unterschätzen. Wir hatten zahlreiche Verletzte und waren ob der Ergebnisse verunsichert. Da war nicht unbedingt zu erwarten, dass wir die Saison erfolgreich beenden. Ohne Pech sind wir mit dem Kader langfristig bestens aufgestellt.

SPOX: Wie oft wurden seither Parallelen zwischen Bayern München und dem HSV gezogen?

Bitter: Natürlich das eine oder andere Mal. Uns mit Bayern auf eine Stufe zu stellen, käme uns nicht in den Sinn. Wie sie seit Jahren den Fußball prägen, mit welcher Souveränität sie das Triple eroberten, kann man nicht vergleichen. Vielmehr zeigen die Champions-League-Titel die Bedeutung des Sports in Deutschland.

SPOX: Das Finale war an Dramatik kaum zu überbieten: Letztlich wies man den FC Barcelona in die Schranken. Welchen Stellenwert hat dieser Klub?

Bitter: Nahezu den gleichen wie im Fußball. Barca ist unglaublich erfolgreich, hat in allen Abteilungen lange Zeit gewonnen, was es zu gewinnen gab. Sie dominierten im Handball einst die Champions League, sind der erfolgreichste Verein der Welt. Leider hatte ich bislang noch keine Möglichkeit, mir die Wiederholung in Ruhe zu Gemüte zu führen. In so emotionalen Spielen verdrängt man Aktionen, kann sich danach nicht mehr erinnern. Das Einzige, was ich zu sehen bekam, sind die üblichen Jubel-Szenen.

SPOX: In der Verlängerung kann ein Fehler der letzte sein: Wie sehr belastet dies das Nervenkostüm?

Bitter: Damit darf man sich nicht beschäftigen. So wie der Verlauf war, wir uns präsentierten, habe ich nie Gedanken an eine mögliche Niederlage gehegt. Ich hatte ständig das Gefühl, alle Trümpfe in der Hand zu haben. Egal was geschah, wir lieferten die richtige Antwort.

SPOX: Verdeutlichen Sie doch bitte den Moment, als der Pfiff ertönte und die Last endlich abfiel...

Bitter: Es dauert, bis man kapiert, dass endgültig Schluss ist. Man überlegt: Kommt da noch etwas? Müssen wir uns noch mal konzentrieren? Die erste Explosion kam verzögert. Mir fällt es schwer, zu beschreiben, was da durch den Kopf geht. Leute laufen über das Spielfeld und wissen nicht wohin. Man liegt sich in den Armen. Ein sehr heftiger Glücksausbruch.

Teil 2: Bitter über die CL-Feier und eine Rückkehr ins DHB-Team

SPOX: Und heftig war wohl auch die Fete danach...

Bitter: Wir haben in Köln mit allen Fans, die uns in die Lanxess Arena begleiteten und geblieben sind, ausgelassen gefeiert. Einige Busse wurden sogar von den Autobahnen zurückbeordert. Nach einem harten Wochenende waren wir sehr müde, total am Ende. Trotzdem hatten wir eine intensive Zeit.

SPOX: Abermals überragend: Hans Lindberg. Der Rechtsaußen wirkte mal wieder, als sei er nicht zu stoppen. Was zeichnet ihn aus?

Bitter: Wenn man Torschützenkönig in Königsklasse und Bundesliga wird, zeugt das von unheimlicher Qualität und hoher Effektivität. Auf diesem Niveau bekommt man wenige Würfe. Wir legen das Spiel darauf aus, dass er Chancen vorfindet. Er geht seinen Weg, ohne rechts und links zu blicken.

SPOX: Sie bahnten sich nach dem Kreuzbandriss vergangenes Jahr ebenfalls Ihren Weg zurück: Inwiefern war der Erfolg eine Bestätigung?

Bitter: Bestätigung hole ich mir nicht durch Titel. Es war die Krönung für die Mannschaft. Für mich war wichtiger, meinen Teil beizutragen, nicht heute 20 und morgen nur drei Bälle zu halten. Nach der Pause konnte ich meine Leistung abrufen. Dennoch wäre es gelogen zu sagen, ich freue mich nicht, im Finale wichtige Paraden zu liefern.

SPOX: Zumal Sie im Sommer schon das Karriereende in Betracht zogen. Was trieb Sie letztlich an, neu durchzustarten?

Bitter: Ich wollte nicht aufhören. Jedoch waren wir zu dem Zeitpunkt ratlos, in welche Richtung wir mit dem Knie arbeiten sollten. Zwangsläufig musste ich mir die Frage stellen: Was passiert, wenn die Genesung nicht positiv voranschreitet? Wie gehe ich damit um? Ich habe weitergeackert, neuen Mut geschöpft. Wir schlugen die unterschiedlichsten Wege ein, bis wir jenen fanden, der das Knie schonte und mich halbwegs schmerzfrei werden ließ.

SPOX: Wie schwierig ist es, sich einzugestehen, dass womöglich der Rücktritt droht?

Bitter: Die Gedanken daran haben mir geholfen, zu relativieren und zu hinterfragen. Wir als Profis leben nicht die Realität. Wir dürfen einen geilen Beruf ausüben. Im Endeffekt bleibt es nur Sport. Das Leben nach der Karriere ist viel länger. Ich habe Familie und Freunde, für die ich nicht der Torhüter bin, sondern der Privatmensch. Ihnen ist vollkommen egal, ob ich Handball spiele.

SPOX: Sieht man derzeit, gestärkt durch dieses Wellenbad der Gefühle, den besten Johannes Bitter aller Zeiten?

Bitter: Das sollten andere bewerten. Ich bin jedenfalls sehr zufrieden mit meinem derzeitigen Spiel. Trainer Martin Schwalb bringt mir eine Menge Vertrauen entgegen. Was mich wirklich beruhigt, ist die Konstanz. Wenn schließlich ein paar herausragende Momente dabei sind, umso schöner.

SPOX: Die starken Auftritte wecken Begehrlichkeiten im DHB-Team: Sie haben 2011 bei SPOX ein Comeback nicht ausgeschlossen. Wann ist die Zeit dafür gekommen?

Bitter: Daran hat sich in den vergangenen Monaten nichts geändert. Kürzlich wurde ich zum dritten Mal Vater, freue mich auf die folgenden Wochen. Die Nationalmannschaft bleibt eine Herzensangelegenheit. In meinem Leben, mit dem was ich vorhabe, hat es nicht die allerhöchste Priorität. Ich möchte meine Freizeit einteilen, meinem Knie Ruhepausen gönnen. Man wird sehen, was die Zukunft bringt.

Das CL-Final-Four 2013 im Überblick