"Ich will nicht lügen, ich höre PUR"

Felix Götz
13. Oktober 201518:08
Michael Roth ist seit 2010 Trainer in Melsungengetty
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13:3 Punkte, Platz zwei: Trainer Michael "Schorle" Roth sorgt mit der MT Melsungen in der laufenden Saison für Furore. Im Interview mit SPOX spricht der 44-malige Nationalspieler über das Ziel Champions League und seine Vorlieben beim Apres-Ski. Der 53-Jährige berichtet außerdem von seinem Kampf gegen den Krebs und fordert die Einführung von Playoffs in der HBL.

SPOX: Herr Roth, Ihr Bruder Uli ist Manager der Popgruppe PUR. Trifft das auch Ihren Musikgeschmack, oder was hören Sie so?

Michael Roth: Ich will nicht lügen, ich habe PUR gehört - und zwar schon ein paar Mal. (lacht) Am liebsten höre ich beim Apres-Ski in der Ski-Hütte den PUR Party-Hitmix. Generell habe ich aber einen sehr breit gefächerten Musikgeschmack.

SPOX: Sie genießen das Leben. Während Ihrer Karriere galten Sie als genialer Spieler, dem es ein wenig an Ernsthaftigkeit gefehlt hat. War das so?

Roth: Da muss ich mich grade mal räuspern. (lacht)

SPOX: Also scheint was dran zu sein.

Roth: Das war einfach eine andere Zeit. Und natürlich hatten wir eine, ich nenne es mal, lockere Art. Nichtsdestotrotz arbeiteten wir hart für den Erfolg. Ich hatte eben schon immer auch andere Interessen als nur Handball. Das ist heute als Trainer nicht anders. Aber das ist für einen Trainer nicht unbedingt ein Nachteil. Über meinen Freund Martin Schwalb wurde früher ein ähnliches Urteil gefällt. Und er wurde als Coach Meister, Pokalsieger und Champions-League-Sieger.

SPOX: Andreas Thiel sagte vor einiger Zeit im SPOX-Interview, dass früher schon mal das eine oder andere Bierchen getrunken wurde. Es sei einfach generell lockerer zugegangen.

Roth: Wir lebten damals eben ein bisschen anders als heute. Aber wie gesagt: Die Zeit war eine andere, auch der Handball war anders. Vom Spiel her, vom Training her. Wenn ich das heutige Training mit dem damaligen vergleichen würde, müsste ich zu dem Schluss kommen, dass wir alles verkehrt gemacht haben. Aber zum damaligen Zeitpunkt war es richtig. So hat sich eben alles verändert.

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SPOX: Eine große Veränderung, ein einschneidendes Erlebnis, mussten Sie persönlich vor einigen Jahren verkraften. Sie und Ihr Bruder bekamen 2010 quasi zeitgleich die Diagnose Prostatakrebs. Inwiefern hat Sie diese Zeit geprägt?

Roth: Natürlich hat mich der Krebs verändert. Man kommt mit den Begriffen Tod und Chemotherapie in Verbindung, das reißt einen schlagartig aus der eben angesprochenen Lockerheit heraus. Und auch nach der Operation gibt es Veränderungen, was die Lebensqualität angeht. Trotzdem sind mein Bruder und ich damals positive Typen geblieben. Wir nahmen die Diagnose an und machten das Beste daraus. Heute sind wir froh, aus der Nummer herausgekommen zu sein. Wir gelten als gesund.

SPOX: Trotzdem ist die Krankheit auch heute noch ein großes Thema für Sie.

Roth: Stimmt. Wir machten es uns zur Aufgabe, andere über diese Krankheit zu informieren. Wir schrieben das Buch "Unser Leben - unsere Krankheit: Vom richtigen Umgang mit dem Prostatakrebs". Wir sind viel unterwegs, beispielsweise in Selbsthilfegruppen. Durch die Zeit mit dem Krebs entstand für uns eine neue Lebensaufgabe.

SPOX: Warum war es Ihnen so wichtig, den Schritt in die Öffentlichkeit zu gehen und die Menschen zu informieren?

Roth: Wir stellten damals fest, dass es ein Tabuthema ist. Wenn Sie zehn Männer fragen, was die Prostata ist, dann wissen das neun davon gar nicht. Frauen gehen regelmäßig zum Frauenarzt, Männer scheiden nach den üblichen Untersuchungen als Kind eigentlich aus diesen Vorsorgemaßnahmen aus. Wir wollten vor allem auch jüngere Männer aufklären.

SPOX: Sie sind heute wie gesagt gesund und widmen sich mit voller Power Ihrem Job als Trainer. Es läuft gut, sechs Siege, ein Remis und eine Niederlage stehen für Melsungen zu Buche. Wie fällt Ihr Zwischenfazit aus?

Roth: Wenn man auf die Tabelle schaut, kann man nur positiv gestimmt sein. Und das sind wir auch. Wir haben einmal beim Sieg in Flensburg überrascht, und einmal bei der Niederlage gegen Gummersbach enttäuscht. Wir müssen noch ein bisschen konstanter werden.

Der Kader der MT Melsungen

SPOX: Das Ziel ist die Qualifikation für den EHF-Pokal. Ist angesichts der mäßigen Performance einiger großer Klubs wie Flensburg oder Kiel im Idealfall sogar noch mehr möglich?

Roth: Die Saison ist noch lang, die Tabellensituation sollte man deshalb nicht überbewerten. Wenn man da oben mit dabei ist, so wie wir jetzt, dann steigt aber natürlich die mediale Aufmerksamkeit. Das tut uns gut, weil wir in dieser Hinsicht sonst gegenüber Kiel oder Flensburg meistens außen vor bleiben. Trotzdem haben wir ganz klare Ziele. Unser Saisonstart kommt nämlich nicht ganz so überraschend, wie viele tun. Wir wollen Fünfter werden und damit die sichere Qualifikation für den EHF-Cup schaffen. Wir wollen nicht auf dem sechsten Platz stagnieren, obwohl der sechste Rang für unseren Etat schon ein gutes Ergebnis ist.

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SPOX: Sie haben die positive Entwicklung Melsungens angesprochen, die nach einem gesunden Prozess aussieht.

Roth: Vor fünf Jahren spielten wir noch gegen den Abstieg. Seither haben wir uns eigentlich kontinuierlich verbessert, das stimmt. Wir sind zuletzt zwei Mal hintereinander Sechster geworden, schafften im EHF-Pokal den Sprung ins Viertelfinale. Wir standen zwei Mal in den vergangenen drei Jahren im Pokal-Final-Four in Hamburg. Wir haben also nachgewiesen, dass wir auf hohem Niveau Handball spielen können.

SPOX: Was ist der Schlüssel für den konstanten Fortschritt?

Roth: Vor allem viel Arbeit. Wir veränderten in den vergangenen Jahren viel in die richtige Richtung, trafen gute Entscheidungen. Es wurden die richtigen Spieler verpflichtet, wir setzen möglichst auf allen Positionen im Verein auf Kontinuität. Mit Axel Geerken haben wir einen Topmanager, außerdem arbeitet mit Axel Renner im Klub ein hauptamtlicher Sportkoordinator im Jugendbereich. Wir spielen in der A-Jugend-Bundesliga. Das passt einfach alles zusammen.

SPOX: Kontinuität ist ein gutes Stichwort. Ihr Vertrag läuft bis 2020 und damit wirklich außergewöhnlich lange. Gibt es nicht die Ambition, irgendwann einen der ganz großen Vereine zu trainieren?

Roth: Wie gesagt: Wir haben eine sehr gute Basis hier, gute Strukturen, die Arbeit macht wirklich großen Spaß. Der Verein ist von meiner Arbeit überzeugt. Warum sonst hätte ich bis 2020 verlängern sollen? Die Frage stellt sich also nicht. Wir wollen hier bis 2020 möglichst den nächsten Schritt machen und irgendwann auch mal in der Champions League spielen. Wenn auch ein gezielter Angriff auf die ganz großen Teams etwas vermessen wäre: Die MT entwickelt sich immer mehr zur Marke.

SPOX: Ein Großangriff auf die ganz Großen in Europa fällt mittlerweile selbst Kiel schwer. In Paris, Barcelona und Veszprem wird immer mehr Geld in die Hand genommen. Müssen sich die deutschen Klubs in Zukunft in der Champions League weiter hinten anstellen?

Roth: Die deutschen Klubs müssen sich dem Wettbewerb mit ihren finanziellen Mitteln stellen. Bei PSG, wo Scheichmillionen einfach so fließen, sieht es anders aus. Aber die besten Spieler zu kaufen bedeutet noch lange nicht, dass das auch zu Erfolg führt. Für die HBL-Klubs geht es darum, das vorhandene Geld gut einzusetzen. Jeder deutsche Klub ist gut beraten, in diesen Sphären nicht mitzubieten. So etwas wie PSG kann nämlich eine kurzfristige Modeerscheinung sein. Wenn die Scheichs keine Lust mehr haben, bricht alles zusammen. Nach wie vor ist es aber so, dass sich Mannschaften wie Kiel, Flensburg oder die Rhein-Neckar Löwen nicht verstecken müssen. Ein wesentlicher Nachteil für deutsche Teams ist im internationalen Wettbewerb aber die große Belastung in der HBL. Hier musst du in jedem Spiel alles abrufen, in Ungarn, Frankreich oder Spanien ist das sicher nicht der Fall.

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SPOX: Sie können also die Forderung nachvollziehen, die HBL auf 16 Teams zu verkleinern? Alfred Gislason und Stefan Kretzschmar haben diesen Vorschlag kürzlich wieder geäußert.

Roth: Man redet ja seit Jahren von der höheren Belastung in Deutschland. Wenn man etwas verändern möchte, gibt es nur die Möglichkeit, die Liga zu verkleinern. Ich bin auch für eine Verkleinerung der Liga, würde dafür aber gerne andere Spiele sehen.

SPOX: Welche denn?

Roth: Ich bin ein absoluter Verfechter von Playoffs. Man muss sich da mal an anderen Sportarten orientieren. Basketball, Eishockey, Volleyball - überall gibt es Playoffs. Nur im Handball nicht. Dabei sind Playoffs einfach attraktiv. Ich bin für eine Verkleinerung der Liga auf 16 Teams, die ersten Acht kommen in die Playoffs, in denen dann jede Runde Best-of-Three gespielt wird. 1990 gab es das schon mal, das war super interessant. Dadurch hätten auch Mannschaften wie Göppingen oder eben Melsungen die Chance, mal zu überraschen. Aber nicht nur für die Klubs wären Playoffs toll. Man würde gleichzeitig das Interesse der Zuschauer und der Medien erhöhen. Playoffs würden dem Handball einfach gut tun.

SPOX: Gut tut dem Handball zweifellos auch die MT, die sich auffällig stark im sozialen Bereich einbringt, zuletzt auch beim Thema Flüchtlinge. Woher kommt dieser Antrieb im Verein?

Roth: Ich finde es normal, dass man beim Thema Flüchtlinge Hilfe leistet. Das ist doch kaum der Rede wert. Unser Verein engagiert sich ja - wie Sie schon sagten - nicht erst seit der Flüchtlingsthematik in sozialen und karitativen Bereichen. Die MT versteht sich als Mitglied der Gesellschaft und übernimmt deshalb auf unterschiedlichsten Feldern Verantwortung.

SPOX: Wo zum Beispiel noch?

Roth: Die Jugendarbeit wurde hier früher eher stiefmütterlich behandelt, da haben wir verstärkt den Fokus drauf gelegt und klare Verbesserungen erwirkt. Das ist für mich ebenfalls ein sozialer Auftrag, den ein HBL-Klub dringend annehmen muss. Gerade im Sport ist eine gute Jugendarbeit unabdingbar, finde ich. Und wir betreuen hier in der Region mittlerweile 300 Jugendliche.

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