"Mich hat Handball gar nicht fasziniert"

Florian Regelmann
27. Oktober 201416:21
Legendär! Pascal Hens und Bertrand Gille bei der legendären Meisterfeier des HSV 2011 imago
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Pascal Hens ist eine der großen Persönlichkeiten im deutschen Handball. Im SPOX-Interview erinnert sich der Rückraum-Star an die größten und bittersten Momente seiner Karriere: der Beschiss von Schweden, der Triumph bei der Heim-WM, das verflixte Olympia. Außerdem spricht der 34-Jährige über die aktuellen DHB-Probleme und den Fast-Untergang seines HSV. Auch Thema: Michael Jordan.

SPOX: Pascal, Sie sind jetzt 34 Jahre alt und waren in Ihrer Generation eine der prägenden Figuren des deutschen Handballs. Sie haben bis auf Olympia-Gold auch alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Gar nicht so schlecht für jemanden, der keinen Bock auf Handball hatte, oder?

Pascal Hens: (lacht) Mich hat ganz am Anfang wirklich gar nichts am Handball fasziniert, das stimmt. Selbst als ich in Wiesbaden und Wallau gespielt habe, da war ich immerhin schon 18 Jahre alt, hatte ich vorher noch nie ein Bundesliga-Spiel gesehen. Das hat mich alles nicht so interessiert. Ich bin auch nur zum Handball gekommen, weil ich bei der Einschulung in eine Klasse kam, in der mehrere Kinder Handball spielten und mich dann mitschleppten. Dann hat es mir aber doch Spaß gemacht und während alle anderen irgendwann weggebrochen sind, habe ich immer weitergemacht und der Handball ist doch meine Sportart geworden. Ich weiß noch, wie Martin Schwalb bei meinen Eltern auf dem Sofa saß, um mich in die 2. Mannschaft von Wallau zu holen. Und plötzlich ging alles ganz schnell. Jan-Olaf Immel verletzte sich, so dass ich ins kalte Wasser geschmissen wurde. Ich bin reingekommen und habe in der zweiten Halbzeit gleich fünf Tore geworfen. Dumm nur, dass uns die Punkte aberkannt wurden, weil ich nicht spielberechtigt war. Das war mein Einstieg ins Handballgeschäft.

SPOX: Wenn man Bilder von Ihnen von damals sieht, sieht man sofort, wie Ihr Spitzname Pommes entstanden ist.

Hens: Absolut. Den bekam ich ja nicht, weil ich so viel Pommes esse, sondern weil ich so unglaublich dünne Ärmchen hatte. Ich bin 2,03 Meter groß und wog damals 86 Kilogramm, jetzt wiege ich 103 Kilogramm. Ich war echt ein Schlacks damals.

SPOX: Ein Schlacks, der natürlich durch die fehlenden körperlichen Voraussetzungen jetzt auch nicht der beste Abwehrspieler der Welt war.

Hens: Wir können ehrlich sprechen: Ich war eine Gurke in der Abwehr. (lacht) Und es ist bis heute nicht gerade meine Stärke geworden. Das Thema Abwehr ist irgendwie während meiner ganzen Karriere an mir vorbei gegangen. Entweder habe ich zwischen Angriff und Abwehr gewechselt, oder ich konnte dann wenigstens auf Außen decken, um die zweite Wellte mitzugehen. Ich trauere dem schon ein bisschen hinterher, weil mir die Abwehrqualität einfach zum kompletten Spieler gefehlt hat.

SPOX: Dennoch haben Sie eine große Karriere hingelegt, gerade auch in der Nationalmannschaft. Erinnern Sie sich an Ihr erstes Länderspiel?

Hens: Ja, das war 2001 in Rostock gegen Norwegen. Ich erinnere mich auch noch an unsere babyblauen Trainingsanzüge, sehr schick. (lacht) Ich hatte es damals relativ leicht. Als Rückraumspieler hast du erstmal nichts zu verlieren und kannst mit Dampf reingehen, weil du naturgemäß das Recht hast, zu schießen. Und wenn es dem Trainer nicht passt, kann er dich ja wieder rausnehmen. Ich bin in eine Generation reingekommen, mit der ich ständig um Titel mitspielen durfte, das war eine Riesenzeit für mich.

SPOX: 2002 hätte es bei der EM fast für den ersten Titel gereicht, wenn da nicht im denkwürdigen Finale gegen Gastgeber Schweden die mazedonischen Schiris gewesen wären...

Hens: Wir wurden beschissen, was soll man anderes sagen. Flo Kehrmann macht das entscheidende Tor und die geben das Ding nicht, es war unfassbar und so ärgerlich. Zum Glück haben wir zwei Jahre später in Slowenien dann den Titel geholt, in unserem dritten großen Finale in Folge, das mussten wir einfach gewinnen - dadurch konnten wir 2002 dann auch endgültig abhaken. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie ich mich ärgern würde, wenn wir nach Schweden nie wieder die Chance auf Gold bekommen hätten.

SPOX: Es ging immer weiter mit den großen Endspielen, das Handball-Turnier bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen war komplett irre und für Sie vor allem extrem bitter.

Hens: So wie bei mir irgendwie jede Olympischen Spiele bitter waren. Im letzten Vorrundenspiel gegen Ungarn machte es knack - Bandscheibenvorfall! Das war brutal. Ich weiß noch, wie ich nicht mal mehr in der Lage war, mich annähernd gescheit zu bewegen. Da ging gar nichts. Bis es dann einmal bei einer Behandlung einen Riesenschlag gab, der wie eine Befreiung war. Danach konnte ich zumindest wieder normal durchs Olympische Dorf laufen, aber an spielen war nicht zu denken. Ich musste die ganzen Dramen von der Tribüne anschauen, dieses völlig wahnsinnige Viertelfinale mit den zwei Verlängerungen und dem Siebenmeterschießen gegen Spanien und dann auch das Finale gegen Kroatien, das wir leider verloren. Da zuschauen zu müssen, hat sehr wehgetan.

SPOX: Den größten Glücksmoment gab es dafür dann drei Jahre später mit dem Titel bei der Heim-WM. Was schießt Ihnen in den Kopf, wenn Sie daran denken?

Hens: Ich habe jetzt schon Ewigkeiten keine Bilder mehr gesehen, aber trotzdem ist das alles noch unglaublich präsent. Ich sehe jetzt schon wieder die Szenen vor meinem geistigen Auge, wie wir aus unserem kleinen Hotel kamen und mit dem Bus zum Finale gefahren sind. Überall standen Fans, die uns gegrüßt haben. Wir sind an Heißluftballons vorbeigefahren, das war so heiß, du dachtest, du verbrennst im Bus. Und dann natürlich die Stimmung in der Halle - Wahnsinn. Wir sind vor 20.000 Fans im eigenen Land Weltmeister geworden, das war einzigartig und das Größte, was man erleben kann. Wir haben auch ein bisschen von der Heim-WM der Fußballer 2006 profitiert. In Deutschland hatten alle noch ihre Fähnchen im Keller, die haben sie für uns alle nochmal rausgeholt und ans Auto gemacht. Plötzlich hat jeder im Land Handball geschaut, irre.

SPOX: Dazu kam die besondere Dramaturgie.

Hens: Das war auch so eine Geschichte. Irgendwann haben wir uns ja dazu entschieden, a la Sommermärchen auch einen Handball-Film drehen zu lassen. Wenn man sich dann anschaut, wie die WM gelaufen ist, hätte man meinen können: Die haben zuerst das Drehbuch gemacht und nach diesem Drehbuch wurde dann die WM gespielt. Was wir alles für Storys hatten, ob es die Verletzung von Henning Fritz war, die Niederlage gegen die Polen in der Vorrunde, die Revanche im Finale, davor die Verlängerung gegen Frankreich, da hat ja nichts gefehlt.

SPOX: Apropos Film: Wer hat denn jetzt die Pizza bestellt?

Hens: (lacht) Kein Kommentar.

SPOX: Leider ging es danach für Sie im DHB-Team nicht sonderlich gut weiter. Olympia 2008 wurde wieder zu einer Enttäuschung.

Hens: Es sollte irgendwie nicht sein. 2008 musste ich nach einer Schienbeinkopfverletzung auch sofort wieder zurückfliegen, um mich operieren zu lassen. Bei Olympia war bei mir echt der Wurm drin. Dennoch bin ich froh, dass ich dabei sein durfte. 2008 hatten wir die Chance, bei der Eröffnungsfeier auch mit einzulaufen, so etwas vergisst man nicht. Ich bin ja, wie Ihr wisst, ein großer NBA-Fan, da standen dann plötzlich die Superstars, die du nur aus dem Fernsehen kennst, direkt neben Dir. Das war schon richtig geil.

SPOX: Die WM 2009 ist hauptsächlich für Heiner Brands Ausrasten in Richtung Referees bekannt. Handball und die Schiris ist allgemein ein schwieriges Thema, es gibt wohl kaum eine Sportart, in der Entscheidungen teilweise so schwer nachzuvollziehen sind. Nervt das nicht brutal?

Hens: Das hört sich jetzt bestimmt komisch an, aber ich glaube mittlerweile echt an den Spruch, dass sich das alles im Lauf der Zeit ausgleicht. 2002 wurde gegen uns gepfiffen, aber wenn wir ehrlich sind, wurde 2007 im Halbfinale gegen die Franzosen auch für uns gepfiffen, das hätte auch anders ausgehen können. Die Schiris haben es auch nicht leicht, ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass man eigentlich in jedem Spiel Entscheidungen als die ungerechtesten auf der Welt empfindet, das ist ganz normal. Und wenn ich dann nach dem Spiel zu einem gegnerischen Spieler gehe und sage, dass die Schiris ja klar gegen uns gepfiffen hätten, dann höre ich oft: 'Ne, der hat gegen uns gepfiffen.' Und du denkst Dir so: 'Hä? Sag mal geht's noch?!' (lacht)

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Seite 2: Hens über DHB-Probleme, HSV-Fast-Untergang und Idol MJ

SPOX: Aufgrund der verpatzten WM 2011 hat es auch nicht mehr mit einem Abschluss Ihrer DHB-Karriere bei Olympia 2012 geklappt, wie enttäuschend war für Sie die letzte DHB-Zeit?

Hens: Schon sehr enttäuschend. Ich bin als Kapitän der Truppe zur WM angereist und hatte eine gute Vorbereitung absolviert. Dann habe ich im ersten Spiel drei Bälle verballert und war quasi raus. Da habe ich leider auch keine Rückendeckung mehr gespürt, das war schade. Dass danach Schluss sein würde in der Nationalmannschaft, war für mich klar. Nach vielen Verletzungen hatte mir mein Körper das Zeichen gegeben, dass es an der Zeit ist, ein bisschen kürzer zu treten und dafür noch ein, zwei Jahre länger im Verein spielen zu können. Die freien Wochen im Januar, wenn man den Körper komplett runterfahren kann, tun extrem gut.

SPOX: Wenn man bösartig ist, könnte man sagen: Die deutschen Nationalspieler haben ja eh mittlerweile oft frei, wenn große Turniere anstehen. Außer sie bekommen eine Wildcard geschenkt. Wie sehen Sie die Negativ-Entwicklung des DHB-Teams?

Hens: Wir dürfen nicht alles so schwarz sehen, bei der WM in Spanien hat das Team zum Beispiel ja durchaus angedeutet, was es zu leisten imstande ist. Natürlich waren die verpassten Qualifikationen bitter, aber wir müssen einfach sehen, dass wir viele junge Spieler haben, die noch nach ihrer Konstanz suchen. Potenzial ist auf jeden Fall vorhanden. Es kommen gute Jungs nach, das zeigt auch wieder der Erfolg der Junioren bei der EM. Ich habe ein gutes Gefühl, dass in den nächsten Jahren wieder mehr Erfolge kommen werden, ein Umbruch dauert einfach seine Zeit. Nehmen wir die Schweden: Die waren jahrelang unantastbar und sind dann völlig verschwunden, warum soll in Deutschland ein Umbruch schneller gehen? Jetzt gibt es mit Dagur Sigurdsson einen neuen Bundestrainer, der neue Impulse setzen wird und der in Berlin bewiesen hat, mit jungen Spielern sehr gut arbeiten zu können. Wir sollten ihm jetzt alle Vertrauen schenken und ihm die nötige Zeit geben, die er braucht.

SPOX: Vermissen Sie nicht auch ein bisschen die Typen, wie es Sie oder ein Stefan Kretzschmar waren?

Hens: Der Punkt ist: Entweder bist du ein Typ oder nicht. Man kann nicht sagen, wir brauchen jetzt Typen und versuchen aus Jungs, bei denen es nicht dem Naturell entspricht, irgendwas zu machen, was sie nicht sind. Wir haben durchaus ganz eigene Typen, wenn ich an Silvio Heinevetter denke. Klar, es gibt keinen Paradiesvogel wie Kretzsche mit 700 Tattoos, aber wie gesagt, das kann man nicht erzwingen. Wichtig ist, dass die Jungs gut Handball spielen. Wenn sie das machen, werden sie auch plötzlich als Typen wahrgenommen, das hat man jetzt auch beim WM-Titel der Fußballer gesehen.

SPOX: Kommen wir zum HSV, elf Jahre sind Sie jetzt schon in Hamburg. Elf Jahre, in denen Sie eine Menge erlebt haben, positiv und negativ.

Hens: Das stimmt, es ist viel passiert. Als ich damals nach Hamburg kam, waren die Gille-Brüder schon da, Toto Jansen auch, wir wollten zusammen etwas aufbauen und hatten alle Bock auf dieses geile Projekt. Es lief aber auch immer wieder holprig, 2005 wäre es ja fast schon einmal vorbei gewesen. Zum Glück haben wir es geschafft, das Projekt am Leben zu halten und konnten so große Erfolge feiern, nachdem wir lange darauf hingearbeitet hatten. Der Europapokal-Triumph 2007, die DHB-Pokal-Siege 2006 und 2010, dann endlich die erste ersehnte Meisterschaft 2011 und dann auch noch der Champions-League-Titel 2013, mit dem kaum jemand gerechnet hatte. Wir hatten ordentlich Grund zu feiern und haben das auch genossen. Ich habe die Entscheidung, nach Hamburg zu gehen, nie bereut.

SPOX: Allerdings hat der HSV bekanntermaßen jetzt wieder eine extrem turbulente Phase durchgemacht bzw. steckt noch in ihr drin - wie sehr hat Sie das alles mitgenommen?

Hens: Es ist mir alles sehr an die Nieren gegangen. Es war ein sehr schwieriger Sommer, die Ungewissheit, wie und ob es weitergeht, hat mich sehr belastet. Ich habe im Urlaub auch ununterbrochen telefoniert, weil ich schauen wollte, was ich vielleicht machen kann, um zu helfen. Am Ende haben wir es irgendwie geschafft, dass es weitergeht. Der Verein wurde erstmal gerettet, aber vom Tisch ist die ganze Sache deshalb noch nicht. Es kann nur ein erster Schritt gewesen sein. Ich weiß auch, dass viele die Situation kritisch und skeptisch sehen, die Handball-Welt vielleicht sogar ein bisschen böse auf den HSV ist, aber wir als Mannschaft können ja nichts dazu. Wir können jetzt nur versuchen, uns wieder ein Standing zu erarbeiten und die überragenden Handball-Fans, die es in Hamburg gibt, an Bord zu holen. Die ganze Stadt muss hinter dem Verein stehen, sonst werden wir es nicht schaffen. Zumal wir jetzt in der Saison sehen, was vorher schon klar war. Wir haben aktuell kein Team mehr für ganz oben, wir müssen erstmal kleinere Brötchen backen.

SPOX: Wie lange steht Pascal Hens denn überhaupt noch auf der Platte?

Hens: Schauen wir mal, ich bin jetzt 34 Jahre alt und habe noch ein Jahr Vertrag. Momentan läuft es gesundheitlich gut, abgesehen von den Wehwehchen, die eben im Alter so kommen. (lacht) Ich weiß es aktuell wirklich noch nicht, wie lange ich noch mache, solange ich der Mannschaft aber noch helfen kann, würde ich gerne weitermachen. Ich habe auch noch keinen Plan, was danach kommt. Trainer ist nicht so meine Sache, aber dass ich dem Handball und insbesondere dem HSV gerne irgendwie verbunden bleiben würde, ist klar.

SPOX: Letzte Frage: Sie haben es vorhin schon erwähnt, dass Sie ein Mega-NBA-Fan sind. Ist Michael Jordan für Sie immer noch Ihr großes Sport-Idol?

Hens: Michael Jordan wird für mich immer die Nummer eins bleiben. Auch wenn ich sagen muss, dass es schon überragend ist, was LeBron James in den letzten Jahren geleistet hat und Dirk Nowitzki ist für mich auch nach wie vor einer der ganz Großen. Ich finde es stark, dass er jetzt auf ein wenig Geld verzichtet hat, damit die Mavs sich wieder ein besseres Team zusammenstellen konnten. Wie gut Dallas dann wirklich sein wird, muss man sehen, der Titel geht ja jetzt eh nur noch über Cleveland. (lacht) Es ist schon faszinierend, wie sich LeBron da jetzt wieder sein Team zusammengestellt hat. Irgendwann möchte ich mir nochmal NBA-Playoffs, am besten die Finals, live anschauen. Bis jetzt war das vom Zeitpunkt her immer schwierig, zumal der Familienurlaub jetzt auch nicht immer nach Amerika geht. Aber das wäre auf jeden Fall noch ein Traum von mir.

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