It's time for Danish Dynamite

Felix Götz
15. Januar 201612:09
Mikkel Hansen ist der Superstar der Dänengetty
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Die Europameisterschaft in Polen kann beginnen. Dänemark steht vor dem großen Wurf, bei den Franzosen sorgt ein Fluch im linken Rückraum für Ernüchterung. Andernorts gibt es Zoff. Wo landet Deutschland, das zum Auftakt auf Spanien trifft (Sa., ab 18.30 Uhr im LIVETICKER)? Und was hat Russland mit Pinocchio am Hut?

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16. Weißrussland

Ein einziger Treffer weniger in der Quali, und Weißrussland wäre in Polen erst gar nicht dabei gewesen. Klarer Fall: Würde die Mannschaft von Trainer Iouri Chevtsov die Gruppe mit Island, Kroatien und Norwegen überstehen, wäre das eine Überraschung.

Der Kopf der Truppe ist Siarhei Rutenka, der sein Geld mittlerweile in Doha verdient. Was der 34-jährige Rückraumspieler, der in 65 Länderspielen 421 Buden erzielte, noch zu bieten hat, bleibt abzuwarten. Zuletzt zeigte auch er nicht die ganz große Form.

Und sonst so? Internationale Erfahrung bringen Kreisläufer Maxim Babichev (Brest), die beiden Spielmacher Barys Pukhouski (Zaporozhye) und Dzmitry Nikulenkau (Brest) sowie Siarhei Shylovich (Brest) mit. Ein Problem, für das auch bei dieser EM keine Lösung in Sicht ist, haben die Weißrussen zwischen den Pfosten.

15. Montenegro

Nach der EM 2008, der WM 2013 und der EM 2014 ist Montenegro zum vierten Mal bei einem großen Turnier vertreten. Die Südosteuropäer dürften mit Weißrussland der krasseste Außenseiter sein.

Das Team von Coach Ljubomir Obradovic kommt vor allem über den Kampfgeist, wobei auch eine gewisse Qualität im Kader vorhanden ist. Immerhin sind einige Spieler in großen Ligen wie Deutschland oder Frankreich aktiv.

Die beiden Lübbecker Vuk Lazovic und Vuko Borozan gehören ebenso zum Aufgebot wie Balingens Radivoje Ristanovic und Wetzlars Vladan Lipovina. Außerdem sind Spielmacher Vasko Sevaljevic (Toulouse) und PSG-Rechtsaußen Fehrudin Melic interessante Akteure.

14. Serbien

Der desaströse, lustlose Auftritt beim Supercup in Deutschland ließ tief blicken. Serbien ist ein teilweise zerstrittener Haufen, dem es auch noch an Qualität fehlt. Ein gutes Abschneiden bei der EM scheint nahezu unmöglich.

Kiels Marko Vujin wurde nicht nominiert (was selbstverständlich keine sportlichen Gründe haben kann), Veszprems Momir Ilic hat sich mit Trainer Dejan Peric verkracht und ist nun offiziell aufgrund einer Verletzung nicht dabei.

Drei Namen machen Hoffnung. Torhüter Darko Stanic, der mittlerweile in Katar spielt, und die beiden Rückraum-Asse Zarko Sesum (Göppingen) und Petar Nenadic (Berlin).

13. Mazedonien

Same procedure as every year! Einmal mehr setzt eine ganze Nation seine Hoffnungen auf einen Mann: Volksheld Kiril "Kiro" Lazarov. Es ist das alte Lied. Schafft es eine Mannschaft, den rechten Rückraumspieler vom FC Barcelona mit einer kurzen Deckung auszuschalten, ist Mazedonien verloren.

Das Ziel ist es, mit einem überragenden Lazarov, einer guten Abwehr und einer starken Torhüterleistung von Löwen-Keeper Borko Ristovski in die Hauptrunde einzuziehen.

Ganz unmöglich scheint das nicht. Denn immerhin stimmt bei den Serben so gut wie nichts - und die sind in der selben Gruppe.

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12. Russland

Der Gewinn der Bronzemedaille bei den Spielen in Athen liegt mittlerweile fast zwölf Jahre zurück. Seither hat Russland bei keinem großen Turnier mehr eine Topplatzierung erreicht. In Katar gab es das totale Debakel: Aus in der Vorrunde, Höchststrafe President's Cup.

Nach der Wüsten-Pleite übernahmen Dmitrii Torgovanov und Lew Woronin als Duo das Amt des Nationaltrainers. Ersterer war 13 Jahre in der HBL aktiv und erhielt aufgrund seines hölzernen Bewegungsablaufs den Spitznamen "Pino" (Pinocchio), Woronin spielte zehn Jahre in Friesenheim.

Aber zurück in die Gegenwart. Die ganz großen Stars sucht man im russischen Kader vergeblich. Gute und erfahrene Leute sind aber Kapitän Timur Dibirov, Sergey Gorbok (beide Vardar Skopje), Pawel Atman (Meshkov Brest) oder Mikhail Chipurin (Ivry).

11. Norwegen

In der EM-Quali ließ Norwegen mit einem Sieg gegen Kroatien aufhorchen, trotzdem backt Coach Christian Berge kleinere Brötchen. Das Ziel lautet, irgendwie den Sprung in die Hauptrunde zu schaffen. Realismus, der den Norwegern gut tut, schließlich waren sie für die WM 2015 erst gar nicht qualifiziert. Wie Deutschland eigentlich auch nicht...

Jedenfalls setzen die Skandinavier auf viele junge Spieler, mit denen irgendwann in der Zukunft der Sprung in die Weltspitze gelingen soll. Besonders interessant ist dabei Sander Sagosen. 20 Jahre alt, Spielmacher, in Dänemark bei Aalborg unter Vertrag und längst im Visier einiger Bundesliga-Klubs.

Gleichzeitig sind mit Kreisläufer-Legende Bjarte Myrhol, Kiels Rückraumspieler Erlend Mamelund und Torhüter Ole Erevik drei erfahrene Kräfte dabei, die eine gewisse Konstanz ins Spiel der Norweger bringen müssen.

10. Ungarn

Die Ungarn gehen das selbsternannte Unternehmen Olympia-Quali im Prinzip mit zwei Stars an. Auf der Trainer-Bank sitzt kein geringerer als Talant Dujshebaev, auf dem Feld hängt fast alles vom rechten Rückraumspieler Laszlo Nagy ab.

Ein weiteres Pfund der Magyaren ist Roland Mikler. Der Torhüter aus Veszprem gehört sicherlich zu den besten Keepern der Welt. In der Abwehr soll Timuzsin Schuch den Laden zusammenhalten.

Ansonsten hat sich Dujshebaev für einige junge Spieler von kleineren Vereinen entschieden, die nicht wirklich bekannt sind. Man darf dem Trainerfuchs zutrauen, dass der eine oder andere Jungspund überraschen wird.

9. Slowenien

Klar: Slowenien könnte in der starken Gruppe C den letzten Platz belegen und damit weit hinten landen. An guten Tagen ist die Truppe von Coach Veselin Vujovic aber durchaus dazu in der Lage, Schweden und Deutschland zu besiegen. Dagur Sigurdsson sieht den WM-Halbfinalisten von 2013 mit Deutschland gar auf Augenhöhe.

Klarer Taktgeber im Spiel der Slowenen, die insgesamt eine gute Mischung aus jungen und erfahrenen Akteuren haben, ist Mitte-Mann Uros Zorman. Der 36-Jährige, der in Polen bei Kielce unter Vertrag steht, erzielte in etwas mehr als 200 Länderspielen 500 Tore und setzte noch viel häufiger seine Mitspieler in Szene.

Bitter: In der Vorbereitung verletzte sich Torhüter Klemen Ferlin am Knie und musste absagen. Für ihn muss Urban Lesjak in die Bresche springen.

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8. Island

In "Projekt Gold", dem Film über die WM 2007, erzählt Heiner Brand, er habe "isländische Kampfschweine" gesehen. Das gilt auch in Polen wieder: Die Jungs von der Insel werden alles geben und es mit ihrem Teamgeist vielen Gegnern extrem schwer machen.

Die Gruppe ist machbar. Weißrussland und Norwegen schlagen - warum nicht? Und schon wäre Island mit Punkten auf dem Konto in der Hauptrunde.

Richten sollen es vor allem Spielmacher Aron Palmarsson (Veszprem) und Linksaußen Gudjon Valur Sigurdsson, der im Sommer von Barcelona zu den Löwen wechseln und Uwe Gensheimer ersetzen wird.

7. Schweden

Eine kompakte Abwehr und überragende Torhüter: Das ist für gewöhnlich das Rezept für ein erfolgreiches Turnier. Die Schweden haben von beiden Zutaten etwas zu bieten. Jesper Nielsen und Tobias Karlsson packen im Zentrum für gewöhnlich gehörig zu, zwischen den Pfosten steht mit Mattias Andersson (Flensburg) und Mikael Appelgren (Löwen) ein Super-Duo zur Verfügung.

Das Problem der beiden Nationaltrainer Staffan Olsson und Ola Lindgren: Im Rückraum stehen nach den Rücktritten von Kim Ekdahl du Rietz und Kim Andersson sowie der Verletzung von Jim Gottfridsson kaum noch erfahrene Kräfte zur Auswahl, was sich in der Vorbereitung bei der 22:32-Pleite gegen Spanien bemerkbar machte. "Im Positionsangriff wird es für uns schwierig werden", glaubt Lindgren.

So wird die Taktik der Skandinavier einfach sein. Mit einer starken Abwehr Ballgewinne erzwingen, dann zügig umschalten und über die schnellen Außenspieler Niclas Ekberg, Fredrik Petersen, Mattias Zachrisson oder Jonas Källman abschließen. Ein Auge sollte man auf den 19-jährigen Lukas Nilsson haben, der im linken Rückraum als Jahrhundert-Talent gefeiert wird.

6. Deutschland

Eines vorneweg: Die fünf Teams an der Spitze sollten in einer eigenen Liga spielen, dahinter kommt ein Pool von drei bis vier Mannschaften, die alle auf einem ähnlichen Niveau agieren. Warum nicht ein bisschen Optimismus verbreiten und die Jungs von Dagur Sigurdsson auf Rang sechs setzen?

Über die verletzungsbedingten Ausfälle von Leistungsträgern wie Uwe Gensheimer, Patrick Groetzki, Patrick Wiencek und Paul Drux wurde genug erzählt. Trotzdem hat Deutschland eine Truppe beisammen, die das Potenzial für Überraschungen hat. "Jeder einzelne Spieler bekommt nun mehr Verantwortung und es wird interessant sein zu sehen, wie schnell das klappt", sagte Teammanager Oliver Roggisch im SPOX-Interview.

In der Vorbereitung hinterließ beispielsweise Christian Dissinger mit seinen brachialen Würfen aus dem Rückraum einen guten Eindruck. Mit Steffen Weinhold steht ohnehin ein Mann von Weltklasseformat zur Verfügung. Das größte Problem gibt es auf Gensheimers eigentlicher Position, wo mit Rune Dahmke nur ein etatmäßiger Linksaußen im Kader steht.

DHB-Kadercheck: Jung, fähig - und erfolgreich?

5. Kroatien

Bei den vergangenen sechs Europameisterschaften waren die Kroaten immer unter den besten Vier, mit Rang sechs bei der WM 2015 lieferten sie allerdings das schlechteste Ergebnis bei einem großen Turnier seit 13 Jahren ab. Die Folge: Slavko Goluza trat unter dem Druck der Öffentlichkeit als Nationalcoach zurück, sein bisheriger Assistent Zeljko Babic übernahm.

Seither spielt der zweimalige Olympiasieger eine altbekannte Stärke wieder aus. Anstatt behäbig die Angriffe nach vorne zu tragen, geht es schnell über die flinken Außen Manuel Strlek und Ivan Cupic. Natürlich ist der große Star im Team aber Kiels Domagoj Duvnjak, der die Fäden in der Hand hält.

Mit Luka Stepancic (Kreuzbandriss) hat Babic einen ganz bitteren Ausfall zu verkraften. Trotzdem ist klar: Spielen sich die Kroaten in einen Lauf, ist auch mehr als Platz fünf möglich. Mit Island, Weißrussland und Norwegen hat Kroatien eine machbare Gruppe erwischt.

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4. Polen

Die Arena in Krakau wird beben, und die polnische Mannschaft sollte erfahren genug sein, um die riesige Euphorie der Landsleute nicht zur Belastung werden zu lassen, sondern in positive Energie umzuwandeln. Wichtig ist ein guter Start, die Gruppe A bietet mit Frankreich, Mazedonien und Serbien gute Voraussetzungen, um mit Punkten in die Hauptrunde einzuziehen.

Gut, dass die Polen mit Michael Biegler einen Trainer haben, der sich von äußeren Einflüssen so gut wie nie verrückt machen lässt. Beagle wird für seine Arbeit spätestens seit dem Einzug ins WM-Halbfinale 2015 geschätzt. Auch wenn er kein Sympathieträger ist. "Nicht alle mögen ihn. Aber man muss ihn respektieren, diesen grimmigen Deutschen", sagte ein polnischer Sportjournalist.

Polen vor Heim-EM: Traum in Weiß und Rot

Auf der Platte vertraut Polen größtenteils auf altbekannte Gesichter. Für Spieler wie Slawomir Szmal, Grzegorz Tkaczyk, Karol Bielecki, Krzysztof Lijewski sowie Bartosz und Michal Jurecki wird es wohl das letzte große Turnier mit der Nationalmannschaft. Mal sehen, ob es mit dem krönenden Abschluss hinhaut.

3. Spanien

Seit 2011 standen sie bei allen großen Turnieren außer Olympia in London mindestens im Halbfinale, in der Vorbereitung schossen sie Polen mit 26:12 aus der Halle, die Mannschaft harmoniert charakterlich und ist seit Jahren eingespielt: Wer Deutschlands Auftaktgegner Spanien nicht auf dem Zettel hat, dem ist nicht zu helfen.

Einmal mehr ist das Prunkstück der Truppe von Coach Manuel Cadenas die Abwehr. Gedeon Guardiola (RN Löwen) und Viran Morros (FC Barcelona), die den Mittelblock bilden, sollen so manchem Gegenspieler schon nachts in Albträumen erschienen sein. Dahinter steht mit Arpad Sterbik und Gonzalo Perez de Vargas ein herausragendes Torhüter-Gespann.

Doch auch im Angriff haben die Iberer mit Joan Canellas oder Raul Entrerrios echte Rückraum-Waffen. Über Kreis-Monster Julen Aguinagalde muss man ohnehin nicht viel sagen. Es ist nicht auszuschließen, dass der Weltmeister von 2013 im zwölften Anlauf endlich zum ersten Mal Europameister wird.

2. Frankreich

Bei sämtlichen Wettanbietern gilt Frankreich als der absolute Topfavorit auf den EM-Triumph. Doch so sicher ist ein überragendes Abschneiden des amtierenden Welt- und Europameisters sowie des Olympiasiegers von 2012 diesmal aber nicht. Im linken Rückraum drückt der Schuh nämlich gewaltig.

Nachdem Trainer Claude Onesta schon seit längerer Zeit auf Mathieu Grebille, William Accambray (beide Kreuzbandriss) und Baptiste Bonnefond (Ermüdungsbruch im Fuß) verzichten muss, ereilte ihn auf dieser Position eine weitere Hiobsbotschaft. Jerome Fernandez, Kapitän und Rekordtorschütze, muss aufgrund von Adduktorenproblemen passen. Doch damit nicht genug: Auch Timothey N'Guessan verletzte sich kürzlich noch.

Onesta bleibt nichts anderes übrig, als Nikola Karabatic und Daniel Narcisse auch mal halblinks ran zu lassen. "Ich bin nicht sehr optimistisch, was die französische Mannschaft angeht. Wir haben einige verletzungsbedingte Ausfälle und Aussagen wie die von Onesta, der sagte: 'Das Ergebnis bei der EM ist nicht wichtig', ergeben keine guten Voraussetzungen", sagte der frühere französische Nationalspieler Francois Houlet der Handballwoche.

Onesta schielt offenbar schon auf Olympia in Rio. Klar ist aber auch: Frankreich hat trotz allem genügend Potenzial, um am Ende dann doch wieder ganz oben stehen zu können.

1. Dänemark

It's time for Danish Dynamite! Die Dänen haben alles, um sich den dritten EM-Sieg nach 2008 und 2012 zu sichern. Seit der frühere Löwen-Coach Gudmundur Gudmundsson im Sommer 2014 das Amt des Nationaltrainers von Ulrik Wilbek übernommen hat, kassierten die Nordeuropäer nur zwei Niederlagen. Eine davon ausgerechnet im Viertelfinale der letztjährigen WM gegen Spanien.

Nun erwartet ganz Dänemark ein besseres Ergebnis. Das Halbfinale ist die Mindestanforderung, alles andere wäre eine große Enttäuschung. Wie immer setzen die Dänen dabei in erster Linie auf ihren Superstar Mikkel Hansen. Der linke Rückraumspieler von PSG ist nicht nur eine Tormaschine, sondern kann auch seine Mitspieler in Szene setzen. In Katar war der 28-Jährige mit 49 Assists bester WM-Vorlagengeber.

Neben Hansen nimmt Rasmus Lauge eine ganz wichtige Rolle ein. In Flensburg zeigt der Spielmacher schon die ganze Saison, wie gut er drauf ist. Auf den Außen (Anders Eggert, Hans Lindberg, Lasse Svan) ist Dänemark ohnehin traditionell stark besetzt, im Tor steht mit Niklas Landin einer der besten Keeper überhaupt. Einziger Wermutstropfen ist der bittere Ausfall von Kreisläufer und Abwehrkante Rene Toft Hansen (Kreuzbandriss).

Alles zur EM 2016