Nur der Slowene hat genervt

Florian Regelmann
15. Januar 201118:18
Bundestrainer Heiner Brand zog sich auf der Bank den Unmut eines Offiziellen zuGetty
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Nach dem souveränen 30:25-Auftaktsieg gegen Ägypten kann die WM in Schweden für Deutschland so richtig losgehen. Linksaußen Uwe Gensheimer ist der gefeierte Mann des Spiels, aber vor allem die Leistung der Abwehr gibt Anlass zur Hoffnung. Einzig mit dem slowenischen Offiziellen Leon Kalin dürfte es so schnell keine dicke Freundschaft geben.

Heiner Brand ist ungefähr so weit davon entfernt, als unverschämter Mensch eingeschätzt zu werden, wie die Erde vom Mond. Oder weiter. Dennoch gab es beim Auftaktspiel zwischen Deutschland und Ägypten in Lund einen Menschen, der mit Brand erhebliche Probleme hatte. Gestatten, Leon Kalin.

Der slowenische Offizielle am Schiedsrichtertisch spielte sich am Rande des deutschen Sieges als großer Wichtigtuer auf. Was war passiert? Der Bundestrainer hatte sich doch tatsächlich erdreistet, in der ersten Halbzeit die grüne Timeout-Karte nicht ordnungsgemäß auf den Tisch zu legen, sondern sie einem leichten Luftzug auszusetzen.

Bodenlose Frechheit, dachte sich der empörte Kalin. Er fackelte nicht lange und ging sofort zur Maßregelung über. Es war nicht die einzige Situation, in der die deutsche Bank mit Kalin in Konflikt geriet.

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Roggisch und Bitter fassungslos

Wiederholt bekam sie den Zorn des Offiziellen zu spüren, da die Deutschen sich seiner Meinung nach nicht ordnungsgemäß verhielten. Das Delikt: Von der Bank aufspringen. Und das auch noch in Gruppen. Wirklich schlimm. Oliver Roggisch, der das Treiben auf der Bank hautnah mitbekam, war die Fassungslosigkeit über Kalin deutlich ins Gesicht geschrieben.

Auch Johannes Bitter fand nach dem Spiel gegenüber SPOX klare Worte: "Es scheint eine neue Anweisung zu geben, dass immer nur einer stehen darf. Ich weiß ja nicht, wer sich da Gedanken über den Handball-Sport gemacht hat, aber wer etwas verbessern will, darf sicher nicht die Emotionen aus dem Spiel nehmen. Man muss sich schon noch über ein Tor freuen und die Leute anfeuern dürfen."

Brand: "Ich stand vor einer Zwei-Minuten-Strafe"

Es scheint in der Sport-Welt aktuell im Trend zu liegen, seltsame Regeln auf Kosten des Spiels durchdrücken zu wollen. Die NBA hat sich mit der Verschärfung der Regelung für technische Fouls schon bitterböse Eigentore eingebrockt. So kassierten die Minnesota Timberwolves kürzlich im Spiel gegen die San Antonio Spurs innerhalb von zehn Sekunden fünf technische Fouls. Für einen Menschen mit gesundem Menschenverstand nicht nachzuvollziehen.

"Ich stand kurz vor der Zwei-Minuten-Strafe", sagte Brand im Anschluss an die Partie und hatte dabei ein Schmunzeln auf den Lippen. Das konnte er auch haben, denn aufgrund der überzeugenden Vorstellung seines Teams war Herr Kalin nur ein kleiner Störfaktor, dem nicht zu viel Beachtung geschenkt werden muss.

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"Das Handgelenk" mit perfekter Ausbeute

Wenn jemandem Beachtung geschenkt werden muss, dann Uwe Gensheimer. Der Linksaußen der Rhein-Neckar Löwen war ohne Frage der Mann des Abends in Lund - und wer Gensheimer in dieser Saison verfolgt hat, den kann seine famose Leistung auch nicht im Geringsten überraschen.

"Wir sind durch unsere gute Abwehr zu Gegenstößen gekommen, die hat er alle rein geschossen. Dann haben wir ein paar Mal die Außen frei gespielt, die hat er dann auch alle rein geschossen. Und ein, zwei Mal ist er selbst durch gegangen, die hat er auch rein geschossen", sagte Pascal Hens im Gespräch mit SPOX über seinen Teamkollegen, der wegen seines genialen Wurfrepertoires und seiner Zaubertore den Spitznamen "Das Handgelenk" trägt. Und Hens hatte Recht mit dem, was er sagte.

Gensheimers Statistik hätte perfekter nicht aussehen können. 9 Würfe genommen, 9 Mal getroffen. Fünfmal davon im Gegenstoß, wo der 24-Jährige mit seiner Schnelligkeit besonders unwiderstehlich daherkommt. Aufgrund der Weltklasse, die Gensheimer verkörpert, kann man auch zu keinem anderen Schluss kommen, als dass es richtig war, Torsten Jansen zuhause zu lassen.

Die Verdienste des Hamburgers sind und bleiben unbestritten, aber die Linksaußen-Position gehört jetzt Gensheimer. Und für die Backup-Rolle mit wenig Spielzeit ist Dominik Klein die deutlich bessere Wahl als Jansen.

Abwehrleistung sorgt für Szenenapplaus

Hinzu kommt, dass Gensheimer auch in der Abwehr enorme Fortschritte macht. Gegen Ägypten machte er seine Sache als offensiver Mann auf der Halbposition top - er zeichnete sogar für einen von sieben Blocks der DHB-Auswahl verantwortlich. Auch wenn Brand diesen Block nach eigener Aussage nicht gesehen hat, war er sehr erfreut über Gensheimers Abwehr-Leistung.

Überhaupt war es die starke Abwehrarbeit, die den Grundstein zum deutschen Sieg legte. Die Deckung war aggressiv, ließ die ägyptischen Shooter kaum atmen und sorgte mitunter für Szenenapplaus auf der deutschen Bank. Das Prunkstück: Der Top-Mittelblock um Sebastian Preiß und Michael Haaß.

Oliver Roggisch als etatmäßiger Abwehrchef musste sich mit einer Cheerleader-Rolle begnügen, weil Brand einfach keinen Grund zum Wechseln hatte. "Weil wir gewinnen wollten. Die Mannschaft hat funktioniert", begründete der Bundestrainer lapidar, warum er kaum Ersatzleute aufs Feld brachte.

Gute Starts von Hens und Glandorf

Hätte er Problemkinder gehabt, er hätte sicher reagiert. Aber er hatte sie nicht. Vor allem der Rückraum ließ aufhorchen. Die Angriffe wurden viel disziplinierter durchgespielt als noch bei der EM in Österreich. Es ist immer das gleiche Bild: Ist die Mannschaft bereit, für ihre Torchancen hart zu arbeiten, bekommt sie diese auch. Zwei potenzielle Sorgenkinder taten sich in der Offensive neben Gensheimer besonders hervor. Pascal Hens und Holger Glandorf.

Bei beiden gab es vor dem Turnier leichte Zweifel, ob sie die geforderte Leaderrolle würden übernehmen können, aber die ersten Anzeichen sind alle positiv. Hens stieg teilweise wie zu seinen besten Zeiten zu Würfen hoch. Und bei Glandorf war von seiner Knieverletzung überhaupt nichts mehr zu sehen. Eminent wichtig für Brand, dass gerade diese beiden einen guten Turnierstart erwischt und Selbstvertrauen getankt haben.

Über die Torhüter-Position braucht man in Handball-Deutschland nicht zu sprechen. Silvio Heinevetter lieferte keine überragende Vorstellung ab, einmal lag er sichtlich unzufrieden mit sich selbst gegen den Pfosten gelehnt am eigenen Tor, aber dann kommt eben Bitter ins Spiel und glänzt mit einigen starken Paraden.

Brand hatte Bedenken

Es war bis auf eine schwächere Schlussphase, die sicher auch dem Kräfteverschleiß geschuldet war und in der man einen noch höheren Sieg verschenkte, ein sehr gelungener WM-Start der DHB-Auswahl.

Man darf nicht vergessen: Der Druck war groß. Eine Niederlage gegen Ägypten wäre der sportliche GAU gewesen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit gleich bedeutend mit dem Vorrunden-Aus. Brand gab selbst zu, dass er großen Respekt vor den Ägyptern und so seine Bedenken hatte.

Nach Bahrain geht die Post ab

Nun ist diese nicht leichte Pflichtaufgabe gut gemeistert worden, aber das Team weiß selbst, dass Ägypten nicht der Maßstab war und sein darf. Genauso wenig wie das Bahrain-Spiel, das man am Sonntag in Kristianstad einfach nur gewinnen und hinter sich bringen muss. Danach geht gegen Spanien, Frankreich und Tunesien die Post ab.

Ob Deutschland dann ein wirklich großes Spiel gewinnen kann, bleibt weiter die große Frage, aber das Auftreten zum Auftakt hat zumindest Lust auf mehr gemacht. Und das ist für den Start schon ziemlich viel.

Deutschland - Ägypten in der Analyse: Gelungener WM-Auftakt für DHB-Team