Robert Harting kann bei der Leichtathletik-WM in Moskau zum dritten Mal in Folge Diskus-Weltmeister werden. Die Saison lief für den Olympiasieger aber diesmal nicht reibungslos. Harting spricht im SPOX-Interview über hilfreiche Niederlagen, seine Forderungen im Anti-Doping-Kampf und die Konkurrenten um WM-Gold.
SPOX: Herr Harting, unmittelbar vor der Leichtathletik-WM macht eine Studie über staatlich verordnetes Doping in Deutschland seit den 50ern Schlagzeilen. Zudem fehlen in Moskau große Teile der Sprintelite nach positiven Tests. Wie würden Sie sich den Anti-Doping-Kampf wünschen?
Robert Harting: In erster Linie muss man eine Fünf-Jahres-Sperre einführen. Der Grund: Zwei Jahre kann man locker überbrücken, wenn man zuvor ein Jahr aufgrund des Dopings gut verdient hat. Man kann auch locker den Körper zwei Jahre in seiner Fähigkeit halten, selbst ohne Wettkämpfe. Fünf Jahre kann man das nicht. Und um die Doper zu finden, muss ein Anti-Doping-Fonds gebildet werden, gespeist aus hohen Geldstrafen.
SPOX: Ihre Form war in dieser Saison recht früh da, bereits Anfang Juni in Hengelo warfen Sie mit 69,91 Metern Bestleistung. Zu früh?
Harting: Nein, das war keine Form. Aber die Leistung stimmte. Form heißt ja, dass die maximale Leistungsfähigkeit da ist, alles automatisiert abgerufen wird. Und das war nicht der Fall. Bis zur Deutschen Meisterschaft war alles noch sehr geführt, sehr durchdacht...
SPOX: ... und im Trainingslager in Kienbaum folgte jetzt der WM-Feinschliff?
Harting: Das war jedenfalls der Plan. Ich habe die Zeit genutzt, das Denken in Automatisierung umzubauen. Aber wissen werden wir es erst in Moskau.
SPOX: Bei den letzten Wettkämpfen Anfang Juli lief es mit dem "Doppelsieg" beim Diamond-League-Meeting in Paris und bei der Deutschen Meisterschaft in Ulm aber richtig gut.
Harting: Ja, das war schon cool. Ich habe mich zwar gewundert, dass der Pole (Anm. der Redaktion: Piotr Malachowski) nicht dabei war. Wäre interessant gewesen, was dann herausgekommen wäre. Wichtig war in Paris, wo die Leichtathletik weiterhin einen sehr hohen Stellenwert hat, dass die Titelträger da sind. Deshalb hat man mich angerufen und da sehe ich kein Problem darin, 20 Stunden vor der Deutschen Meisterschaft im Stade de France zu werfen, zumal das immer eine klasse Veranstaltung ist.
SPOX: Das Überraschende aber war ja, dass Sie nach einer langen Autofahrt morgens in Ulm ankommen und noch einmal weiter werfen. Wie geht das denn?
Harting: Das habe ich auch nicht erwartet. Aber das Wetter war so gut, die Leute waren laut, das pusht dich. Es war eine Meisterschaft, es ging um Titel, um Prestige. Das motiviert ja alles.
SPOX: Hilft es zu wissen, dass Martin Wierig am Start ist, der Sie in dieser Saison schon geschlagen hat?
Harting: Natürlich. Er will mich ein weiteres Mal schlagen, ich es verhindern. Das ist treibend für uns beide.
SPOX: Eine Niederlage haben wir angesprochen, Malachowski sorgte im Juni für die erste nach Ihrer langen Siegesserie von 35 Erfolgen. Alle haben erwartet, Sie würden sich derbe ärgern, dass Sie den Alekna-Rekord von 37 Siegen am Stück nicht geknackt haben. Stattdessen wirkten Sie erleichtert.
Harting: Das stimmt. Ich hätte von diesem Rekord keine Rechnung besser bezahlen können. Das ist kein nachhaltiger Wert, nur eine Statistiksituation. Natürlich war die auch total toll, niemand hätte für möglich gehalten, dass die noch einmal zu verbessern wäre. Aber ich war wirklich froh, dass es vorbei war.
SPOX: Warum?
Harting: Während des letzten Jahres nach London, und auch schon vor London, habe ich festgestellt, dass das Gleichgewicht aus Geist und Körper, in meinem Fall aus Technik und körperlicher Leistungsfähigkeit, nicht mehr harmonisch war. Im Diskuswerfen muss aber beides ineinandergreifen. Gerade in den letzten Wettkämpfen nach Olympia habe ich nur noch rudimentäre Technikteile gezeigt. Nichts lief mehr schön ab.
SPOX: Und jetzt ist das wieder anders?
Harting: Dieses Jahr habe ich auch nur die Technik aus dem letzten Jahr wieder aufgebaut. Ich habe nichts Neues gemacht, weil ich ja weiß, dass es mit dieser Technik relativ weit gehen konnte und auch funktionierte...
SPOX: ...Sie wurden damit Olympiasieger...
Harting: ...Eben. Ich wusste aber, dass meine körperliche Leistungsfähigkeit damit nicht mehr unmittelbar harmonisiert. Es war nicht das Optimum. Und nach den Niederlagen konnte ich alles endlich mal wieder neu justieren. Das heißt: Andere Technikwege, neue Basics einbringen, dass die Technik wieder besser wird, wo sie schlechter geworden ist.
SPOX: Die beiden Niederlagen ermöglichten Ihnen also eine Zäsur im Training, die Sie sich vorher nicht so recht gegönnt haben, weil es immer weiter gehen sollte?
Harting: Richtig, man lässt es einfach. Never change a running system. Ich hatte aber immer im Hinterkopf, dass ich daran arbeiten muss. So habe ich die ganze Zeit auf das Go gewartet, damit ich das mal tun kann.
SPOX: Sportlich Richtung WM in Moskau gesehen waren die beiden Niederlagen also immens wichtig.
Harting: Ja, das war schon gut. (lacht)
SPOX: Jetzt heißt es natürlich, der Harting ist zweimal Weltmeister, Olympiasieger und Europameister, jetzt holt er das dritte WM-Gold in Folge. Sind Sie der Favorit?
Harting: Klar bin ich irgendwie der Favorit. Aber meine Saison war ja, wenn man das Paris-Ulm-Wochenende mal rausnimmt, sehr durchwürfelt. Das gilt auch für die Weltspitze. Es wird jedenfalls kein Selbstläufer. Gerade Piotr Malachowski, Ehsan Hadadi und mit Martin auch die Konkurrenz im eigenen Land, sind einfach geil drauf zu gewinnen. Ich bin es auch wieder. Es gibt keinen klaren Favoriten.
SPOX: Malachowski hat immerhin diese 71,84 Meter in Hengelo rausgehauen. Genießen Sie es, zur Abwechslung mal der Jäger zu sein?
Harting: Zu Jagen ist sowieso mehr mein Ding. Bei diesem Vorneweg musst du nach allen Richtungen absichern. Der Vorteil des Jägers ist: Er hat immer eine Orientierung.
SPOX: Auch Malachowski war alles andere als konstant, er ließ seiner Weltjahresbestweite gleich den Nuller folgen. Kann das auch in der Weltklasse immer mal wieder passieren?
Harting: Eigentlich ist das ausgeschlossen, das habe ich auch nicht verstanden.
SPOX: Jetzt rückt mit Ihrem Bruder Christoph ein zweiter Harting ins Rampenlicht. Wie ist das für Sie, gegen Ihren Bruder Christoph anzutreten?
Harting: Es geht nicht darum, wer besser ist, sondern darum, ob wir das zusammen machen können. Ob wir zwei aus der Familie in der Weltspitze platzieren können, das ist unser Fun-Faktor dabei. Eine Art Familienmission.
SPOX: Nach Platz drei bei der Deutschen Meisterschaft nimmt der DLV Ihren Bruder mit zur WM, obwohl er die Norm um einen Meter und einen Zentimeter verpasst hat. Die richtige Entscheidung?
Harting: Absolut. Die Norm war mit 66 Metern abnormal hoch dieses Jahr. Und so etwas müssen einfach der Trainer und der Athlet entscheiden.
SPOX: Was ändert es für Sie, dass er in Moskau dabei ist?
Harting: Einfacher wird es für mich nicht, er kann mir ja nicht helfen. Aber es ist immer besser, einen Ansprechpartner mehr zu haben. Und für die Familienmission ist es eh super.
Seite 2: Trikot zerfetzen? "Ja, super, total geil!"
SPOX: Wie kriegen Sie den Spagat hin zwischen Training, Studium, Wettkampf, Charity und allen anderen Verpflichtungen?
Harting: Tja, ich mache es einfach, entscheide mich aber bewusst für oder gegen etwas. Ich habe irgendwann mal akzeptiert, dass mein Leben stressig ist. Und seitdem geht es mir besser.
SPOX: Klingt nach einem guten Tipp. Sie haben einmal erzählt, dass Sie sich nach Olympia bei all den Medienterminen irgendwann nicht mehr wohlgefühlt haben. Inwiefern?
Harting: Das war irgendwann einfach langweilig. Am Anfang hatte ich noch 30 Sätze, um die Situation in London zu erklären, aber irgendwann waren es nur noch vier. Es wurde immer mehr verkürzt. Das hat mich genervt und keinen Sinn mehr für mich gemacht. Ich musste zur Normalität zurückkehren und zum Leistungssport.
SPOX: Stellten Sie sich die Sinnfrage?
Harting: Nein, es war eher eine Phase von Begreifen und Neuordnen. Ich musste erst mal begreifen, dass ich Olympiasieger bin. Bei mir war das erst im März der Fall. Ich dachte mir dann: Na toll, jetzt bin ich es, jetzt ist es vorbei. Aber das stimmte nicht: Etwas war kategorisch zu Ende, aber noch lange nicht vorbei. Es geht weiter, man kann es noch einmal, wieder und anders machen.
SPOX: Erst dann konnten Sie neu starten?
Harting: Ja, erst dann konnte ich mir wieder Subziele aufbauen, die man Stück für Stück errreicht und sich daran hochzieht zum großen Ziel. So läuft das, reine Psychologie.
SPOX: Dann war es nie ein Problem, Motivation für die neue Saison zu erlangen?
Harting: Doch, das war ein großes Problem. Aber nicht das Ob, sondern das Wie. Wenn du dir jahrelang verboten hast, auch nur ans Ausruhen zu denken, immer nur den Olympiasieg im Kopf hast, ein Gedanke, der dich in jedem Tief antreibt, dann ist der Neustart ein Problem.
SPOX: Können Sie da jetzt schon an Rio 2016 denken?
Harting: Nö. Das ist zu weit weg, aber ich will auf jeden Fall dabei sein.
SPOX: Noch weiter weg ist vielleicht das Karriereende, dennoch bauen Sie sich mit dem Studium ein zweites Standbein auf. Gibt es schon eine Idee, wo es hingehen soll?
Harting: Nein, mich interessieren ziemlich viele Sachen, die im Studium vorkommen. Aber es wird wahrscheinlich irgendetwas Kreativ-Strategisches sein.
SPOX: Ihr Markenzeichen, nach Erfolgen das Trikot zu zerfetzen, das haben Sie sich lange zugelegt, bevor Sie sich studientechnisch mit Werbung und Kommunikation beschäftigt haben. Sie sind häufig dafür kritisiert worden, haben Sie das jemals bereut?
Harting: Nein, dazu gab es aber eine lustige Geschichte. Als ich damit anfing, hat mein alter Ausrüster immer geschimpft, ich solle damit aufhören. "Verbietet dem das", hieß es da. Mein neuer Ausrüster aber tönte plötzlich: "Ja, super, total geil!" Das zeigt, dass die Leute diesen Akt der Befreiung einfach verstanden haben.
SPOX: Kreative Ideen haben Sie auch für Ihren Sport: Sie kritisieren das Nichtformat der Leichtathletik und schlagen stattdessen einen medienwirksameren Zehnkampf vor. Wie soll das funktionieren?
Harting: Für die Zuschauer und damit für mehr TV-Präsenz müsste bei den Meetings ein Wiedererkennungswert geboten werden. Daher die Idee, zehn ständig gleiche Disziplinen plus eine Einladungsdisziplin festzulegen. Es ist nur eine Idee, die kann diskutiert und abgelehnt werden, aber da muss etwas passieren.
SPOX: Wen wünschen Sie sich in dieser Angelegenheit als Ansprechpartner?
Harting: Es wäre wichtig, dass es Leute sind, vielleicht von einer Filmschule, die einen neuen Blick auf die Sache werfen. Neue Bilder finden, neu Schnitte und Präsentationsmöglichkeiten finden. Eigentlich müssten das junge Leute machen. Erfahrene und trotzdem noch junge Leute.
SPOX: Das heißt, auf die Verbände hoffen Sie nicht wirklich.
Harting: Nein, das bringt nichts. Wenn man 50 Jahre Leichtathletik erlebt hat, kann dabei logischerweise keine neue Perspektive herauskommen. Das soll gar kein Vorwurf sein, aber so jemand steckt in diesen Mustern drin.
SPOX: Apropos Funktionäre, haben Sie inzwischen mal mit Dr. Thomas Bach über Ihre unterschiedlichen Vorstellungen von einem Fördermodell sprechen können?
Harting: Nein. Er kandidiert für das Amt des IOC-Präsidenten, hat damit im Prinzip sein Ziel erreicht. Im Grunde genommen kann er nichts mehr für Deutschland tun. Ein großes Problem bei Olympia ist der Gigantismus, den will er bekämpfen, da bin ich gespannt.
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