"Sport geht den Bach runter"

Jan Höfling
26. Juli 201616:00
Birgit Fischer ist die erfolgreichste deutsche Olympionikin aller Zeitengetty
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Birgit Fischer ist die erfolgreichste deutsche Olympionikin. Mit acht Gold- und vier Silbermedaillen ist sie zudem die sechsterfolgreichste Teilnehmerin an Sommerspielen aller Zeiten. Vor der Olympiade in Rio de Janeiro spricht die Brandenburgerin über Doping, Generalverdacht, die Chancen der deutschen Kanuten, unnötige Panikmache, den Mythos des Olympischen Dorfes und ein noch immer vorhandenes Kribbeln.

SPOX: Frau Fischer, im Vorfeld der Olympischen Spiele in Rio de Janeiro erschütterte der Ausschluss der russischen Leichtathleten die Sportszene. Weitere Ausschlüsse sind möglich, die einzelnen Verbände müssen entscheiden. Sollten weitere Konsequenzen die logische Folge sein?

Birgit Fischer: Ich habe die Entwicklungen im Radio mitbekommen, mich aber ehrlich gesagt bislang nicht genauer informiert. Ohne deshalb jetzt auf die russischen Sportlerinnen und Sportler einzugehen, steht für mich fest, dass Doping im Sport nichts zu suchen hat. Deshalb müssen Vergehen immer entsprechend geahndet werden. In welcher Form oder Härte dies geschieht, müssen aber allein die Gerichte und die Verbände entscheiden.

SPOX: Ist ein solcher Generalverdacht trotz der Beweise nicht problematisch? Systematisches Doping wird es nicht nur in Russland geben, nicht jeder muss zudem ein Teil davon gewesen sein.

Fischer: Das Thema ist ja nicht wirklich neu und es zieht sich im Endeffekt durch alle Sportarten. Der gesamte Sport wird gerne unter Generalverdacht gestellt. Wenn man die Berichterstattung verfolgt, dann fällt auf, dass viele Siegleistungen praktisch nur mit Doping zu erbringen sein sollen. Diese ganze Entwicklung ist einfach nur traurig. Deshalb habe ich das Gefühl, dass der gesamte Sport durch die andauernden Anschuldigungen, die von den Medien auch nur zu gerne noch gefördert werden, da sich daraus immer eine gute Schlagzeile machen lässt, den Bach herunter geht.

SPOX: Sie verpassten die Olympia 1984 aufgrund des Olympia-Boykotts. Unschuldige Athleten aus Russland erleben nun das gleiche Schicksal. Fühlten Sie sich betrogen?

Fischer: Wissen Sie, so etwas wird es immer wieder geben - auch im gesamten Leben, also abseits des Sports. Wenn man zu Unrecht zu Hause bleiben muss, beziehungsweise Entscheidungen nicht beeinflussen kann, dann ist das aber natürlich im ersten Moment schon sehr hart. Man geht daran aber nicht zu Grunde. Der Sport ist an sich die schönste Nebensache der Welt, einige betreiben ihn allerdings auch ziemlich ernsthaft. (lacht) Es lässt sich deshalb nicht vermeiden, dass man immer wieder in Situationen kommt, die mit Sport leider nichts oder eher wenig zu tun haben.

SPOX: Sie können mit 49 Medaillen (35 Gold, 10 Silber, 4 Bronze) bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften auf eine beispiellose Karriere zurückblicken, sind die erfolgreichste deutsche Olympionikin und Kanutin. Nebenbei gelingt das wohl eher weniger.

Fischer: Das stimmt, ist aber gar nicht so kompliziert zu erklären.Ich habe bereits als kleines Kind mit dem Sport angefangen und hatte eine sehr solide Ausbildung in meinen ersten Jahren. Es wurde sehr umfangreich trainiert, vor allem was die Sportarten betrifft. Ich bin damals nicht nur gepaddelt, sondern hatte das Glück, viele Dinge ausprobieren zu dürfen. Die Betreuung war durch gute Trainer und ein entsprechendes Umfeld auch ein wichtiger Faktor. Außerdem habe ich in den ersten Jahren sehr viel über mich selbst gelernt. Ich habe verstanden, wie mein Körper auf diverse Dinge reagiert.

SPOX: Ein besonderes Geheimnis haben Sie also nicht?

Fischer: Letztendlich hatte ich vor allem eines: Spaß. Das hat sich bis heute nicht geändert, deshalb habe ich schließlich das Paddeln zu meinem Beruf gemacht. Spaß ist eine sehr große Sache, wenn man erfolgreich sein und einen Sport sehr lange betreiben will.

SPOX: Liegt der Kanu-Sport nicht auch in Ihrer Familie zumindest etwas in den Genen?

Fischer: Ich denke, dass die Gene schon eine Rolle spielen. Meine Nichte ist ja auch Olympiasiegerin, mein Bruder ist Weltmeister - das alles im Kanu-Rennsport. Die Großeltern und Eltern sind gepaddelt. Es ist sicherlich ein Familiensport. Die Familie ist wichtig, das darf man niemals vergessen. Vor allem in jüngeren Jahren ist die Unterstützung eine Grundlage. Das Kind zum Training fahren, an der Regattastrecke stehen und alles, was sonst noch dazugehört. Das ist nicht immer leicht. Wenn aber alles stimmt, kann man in der Familie Leistungen weitertragen.

SPOX: Hatten Sie vor oder während eines Wettkampfs Rituale zur Leistungssteigerung?

Fischer: Nein. (lacht) Ich habe das im Gegenteil eher vermieden. Ich wollte mich nie auf Rituale oder so etwas wie Maskottchen verlassen, die dann eventuell zu Hause vergessen werden.Das alles bringt im Endeffekt überhaupt nichts. Die Strecken, die wir auf der Welt angesteuert haben, ließen es mitunter auch gar nicht zu. Es waren eigentlich immer andere Bedingungen und man musste deshalb vor Ort schauen und sich anpassen.

SPOX: Sie schienen eine wahre Meisterin der Anpassung zu sein.

Fischer: Die Fähigkeit, sich schnell anpassen zu können, ist essentiell. Ich denke da nur an die Olympischen Spiele in Sydney im Jahr 2000. Dort herrschte reichlich Sturm, womit einige Sportler überhaupt nicht zurechtkamen. Statt sich jedoch anzupassen, haben sie sich dann noch in den Glauben, dass sie nicht zurechtkommen werden, hineingesteigert - und es so noch schlimmer gemacht. Der Schlüssel ist, an sich zu glauben und nicht an etwas anderes.

SPOX: Nicht jeder bringt den Glauben an den großen Wurf mit. Das Motto "Dabei sein ist alles" hört man im Zuge der Spiele jedenfalls immer wieder.

Fischer: Jeder hat eine andere Einstellung zum Sport. Bei mir war es so, dass ich immer, wenn ich an der Startlinie stand, auch gewinnen wollte. Egal, ob es nur ein kleiner Wettkampf war oder die Olympischen Spiele. Das war mein Anspruch an mich selbst. Ich habe zudem viele Medaillen im Team gewonnen und war es deshalb auch meinen Teammitgliedern schuldig, eine entsprechende Einstellung an den Tag zu legen. Man muss einfach gewinnen wollen. Das Training ist die eine Sache, der Wettkampf eine ganz andere. Wenn man dann nicht an sich glaubt, kann die Leistung nicht stimmen. Die Olympia-Touristen, wie sie gerne bezeichnet werden, wird es allerdings immer geben. Ich habe mich da nie dazu gezählt, ich kann auch so reisen oder Urlaub machen.

SPOX: Gewinnen wollen in Rio auch die deutschen Athleten. Was ist im Kanu-Sport drin?

Fischer: In denke, dass in Rio zwei bis drei Goldmedaillen durchaus möglich sein sollten, wenn jeder an sich glaubt. Dennoch muss man über die Jahre beobachten, dass die Masse an Paddlern nicht mehr da ist - und an Leistungsträgern erst recht nicht. Wir fahren dieses Jahr mit einem kleinen Kanu-Team nach Rio. Das ist ein Zeichen dafür, wie schwierig es inzwischen ist, Nachwuchstalente zu finden und in der Spitze mitzufahren.

SPOX: Sorgen Aspekte wie das Zika-Virus, halbfertige Sportstätten, die Unzufriedenheit der Brasilianer oder auch die fragliche Sicherheitslage dafür, dass in diesem Jahr die mentale Komponente noch wichtiger ist?

Fischer: Ich habe viele Olympische Spiele erlebt und kann nur sagen, dass es im Vorfeld jedes Mal die schlimmsten Geschichten gab. Sportstätten waren nicht fertig, es wurden Probleme heraufbeschworen. Im Endeffekt darf man sich davon überhaupt nicht verrückt machen lassen. Eigentlich braucht es nur eine Unterkunft und eine Wettkampfstätte, die in Ordnung sind. Solange das halbwegs fair ist, ist alles gut. Der Rest muss dann einfach ausgeblendet werden.

SPOX: Sie haben allein bei Olympischen Spielen 8 Gold- und 4 Silbermedaillen gewonnen, die Unterkünfte und Wettkampfstätten scheinen also sehr gut gepasst zu haben. Ist Ihnen etwas besonders im Gedächtnis geblieben?

Fischer: Würde ich eine meiner Medaillen besonders bewerten, wäre das im Grunde so, als ob ich eines meiner Kinder bevorzugen würde. Eigentlich sind mir alle gleich lieb. Klar gibt es Medaillen und Wettkämpfe, an die man sich besonders erinnert. Zum Beispiel meine letzte in Athen oder auch die erste in Moskau. Ich war damals 18 Jahre alt, wollte eigentlich erst anfangen und dann so etwas. Insgesamt gab es viele gute und schlechte Jahre. Auch ich hatte Niederlagen. Jede Medaille hat auch immer eine kleine Geschichte. Manche sind weniger, andere richtig gut. Missen möchte ich keine.

SPOX: Das Olympische Dorf ist ein Thema für sich. Sie waren gleich bei sechs Spielen dabei, haben jede Menge Erfahrung. Was ist dran am Mythos?

Fischer: Das Olympische Dorf ist in der Tat etwas ganz Spezielles. (lacht) Es ist nicht eines wie das andere. Eine große Rolle spielen aber vor allem Vorlieben. Es gibt Menschen, die fühlen sich in einem Einfamilienhaus am wohlsten, andere in einem Neubaublock. Ich habe mich beispielsweise in Barcelona am wohlsten gefühlt. Das Dorf war damals direkt am Meer, es waren sehr leichte Spiele. Das Wetter war gut, die Security nicht so präsent. Der Wettkampf hat natürlich ebenfalls gepasst. Aber auch das Dorf in Seoul 1988 war sehr gut. Atlanta hat mir im Gegenzug eher weniger gefallen, dort haben wir in einer umgebauten Garage gewohnt. Man muss aber immer bedenken, dass das Olympische Dorf, sobald die Sportler weitergezogen sind, auch einen Nutzen haben sollte. Das ist natürlich schwierig für die Personen, die ein solches Dorf überhaupt erst konzipieren.

SPOX: Erinnerungen sind eine Sache. Aber wird es Ihnen nicht in den Fingern kribbeln, wenn es in Rio losgeht?

Fischer: Wenn ich jetzt Rennen sehe oder an einer Regattastrecke stehe, dann kribbelt es natürlich. Das kann ich nicht anders sagen. Dennoch habe ich es inzwischen geschafft, dass ich meinen Kopf über den Bauch stellen kann. Irgendwann ist man auch einfach zu alt, wobei man das auch nur sagen kann, wenn man es wirklich bis zum letzten Quäntchen probiert hat. Ich bin aber immer noch gut unterwegs, habe durch meine Schule die Chance zu paddeln. Ich kann in einem Rennboot sitzen, wenn ich die Lust darauf verspüre. Das macht mir Spaß. Und ich bin nach wie vor was das Technische angeht sehr gut dabei. Die Kraft hat nachgelassen, da bin ich etwas in die Jahre gekommen und habe auch ein bisschen mehr auf den Hüften. (lacht) Das Kribbeln wird aber wohl nie ganz verschwinden.

SPOX: Sie hatten bereits während Ihrer Karriere ein sportwissenschaftliches Studium absolviert, bekamen zwei Kinder und haben sich vor mehr als zehn Jahren mit Ihrer eigenen Paddelschule selbstständig gemacht. Wie gelingt es alles unter einen Hut zu bekommen?

Fischer: Es ist auch heute noch so, dass ich am liebsten alles gleichzeitig machen würde. (lacht) Das war auch früher schon so. Ich wollte nie etwas missen, wollte früh Kinder haben, was auch geklappt hat. Zudem stand für mich immer fest, dass ich studieren will. Was ich dann auch zweimal mit Abschluss getan habe. Man bekommt es unter einen Hut, aber nur wenn man es wirklich will - und wenn das Umfeld stimmt. Mein Eltern und meine Geschwister haben mir immer geholfen.

SPOX: Muss der Fokus nicht auf dem Sport liegen?

Fischer: Nicht unbedingt. Letztendlich muss man sich auf das Wichtigste im richtigen Moment konzentrieren. Bei den Kindern habe ich mich vom Sport erholt, beim Sport vom Studium und beim Studium von allem anderen. Meiner Meinung nach kann man generell als Sportler mehr machen. Ich glaube, dass es einem Sportler, der nur Sport macht, nicht wirklich gut gehen kann. Das ist einfach zu wenig. Ein Ausgleich ist sehr viel wert. Wenn ich dann höre, dass jemand acht Stunden am Tag trainiert, dann kann ich das gar nicht glauben. Egal in welcher Sportart, dann läuft irgendetwas falsch. Pausen sind wichtig. Ich hatte nach meinen Auszeiten wieder deutlich mehr Bock - und Luft.

SPOX: Vor Ihrem sportwissenschaftlichen Studium haben Sie ein Jahr lang Rechtswissenschaften studiert. War Ihnen das zu trocken?

Fischer: Ich hatte nach dem Abitur mit Rechtswissenschaften angefangen, da ich Kriminalistik studieren wollte und es eine Grundlage war. Allerdings musste ich nach einem Jahr feststellen, dass das mit meinem Sport und den damit verbundenen Reisen überhaupt nicht zusammengepasst hat. Zudem habe ich schnell gemerkt, dass es mich nicht erfüllt. Das war ebenfalls ausschlaggebend. Wenn ich sehe, dass es nicht klappt, dann muss ich nicht mit dem Kopf durch die Wand. Ich habe irgendwie immer von dieser Flexibilität profitiert und es hilft auch, wenn man nicht auf Teufel komm raus etwas erzwingen will. Man sollte dem Herzen folgen.

SPOX: Sie engagieren sich in sozialen Projekten. Handelt es sich dabei auch um eine Herzensangelegenheit?

Fischer: Ich denke, dass jeder Mensch etwas Soziales machen kann und es auch sollte. Und wenn es nur darin besteht, die Brötchen für die alte Nachbarin, die etwa gehbehindert ist, mitzubringen. Wer sich mehr leisten kann und vielleicht auch die Mittel hat, kann größere Projekte angehen. Mir liegen vor allem Kinder und die Natur am Herzen. Deshalb versuche ich mich nach meinen Möglichkeiten zu engagieren. Was ich kann, das tue ich. Das ist wichtig für meine eigene Zufriedenheit, es macht einen selbst glücklicher. Der eine kann bisschen mehr tun, der andere ein bisschen weniger. Aber jeder kann etwas tun.