Der Schweizer Superstar Cesaro ist der erfolgreichste deutschsprachige Star in der Geschichte der WWE. Cesaro, bürgerlich Claudio Castagnoli, steht seit zehn Jahren bei der WWE im Ring und trifft am Wochenende bei WrestleMania 37 in Tampa Bay in seinem größten Singles-Match seiner Karriere auf Seth Rollins. Im Interview mit SPOX erzählt Cesaro von seinem langen Weg zum WWE-Superstar. Ein Weg, der einmal an Heiligabend in einer Essener Gothic-Disco begann.
Der 40-Jährige erklärt außerdem, warum früher jeder Morgen mit der Teletext-Seite 570 auf CNN begann, wie er Legende Bret Hart um Erlaubnis fragte und was der verrückteste Trip seines Lebens gewesen ist.
Bevor Sie zum Wrestling gekommen sind, war Basketball eine große Leidenschaft in Ihrem Leben. Wie hat sich diese Leidenschaft in der Jugend geäußert?
Cesaro: Vor allem schon mal dadurch, dass ich wirklich an jedem Morgen erstmal auf CNN in den Teletext geschaut und die NBA-Ergebnisse und Spielberichte gecheckt habe. Seite 570! Das waren noch die guten alten Teletext-Zeiten, das kennt die Jugend von heute gar nicht mehr. (lacht) Aber so war das damals. So habe ich mich informiert und nebenbei Englisch gelernt. Das waren große Zeiten in den 90ern, ich bin natürlich auch nachts aufgestanden und habe mir im DSF die Finals reingezogen. Und meine Freunde und ich haben selbst viel gezockt auf Freiplätzen. Auch im Winter haben wir immer den Schnee weggeschippt, um Basketball spielen zu können. Drei gegen Drei, Zwei gegen Zwei - Hauptsache es gab einen Korb, das war eine coole Zeit.
Und Sie waren auch nicht so schlecht.
Cesaro: Gut, ich habe es in der Schweiz in die Regionalauswahl geschafft, aber ich weiß nicht genau, was das genau bedeutet. Die Schweiz ist ja nun nicht so ein großes Basketballland. Aber ich hatte Spaß und selbst heute nehme ich immer sofort ein paar Würfe, wenn ich sehe, dass Backstage irgendwo in der Halle ein Korb hängt.
Basketball war eine Leidenschaft, aber es war auch die Zeit, als Wrestling in Deutschland oder eben auch in der Schweiz Thema wurde. Mit den ganzen alten Helden wie dem Undertaker, Shawn Michaels, Hulk Hogan, Bret Hart, Ric Flair und Co. Wie haben Sie das damals erlebt?
Cesaro: Ich kann mich sehr gut an diese Zeit erinnern. Das war ja die erste große Wrestling-Welle, die zu uns über den Teich geschwappt ist. Das gehörte einfach dazu damals, bei RTLII Wrestling zu schauen. Das war cool. Ich habe die Steiner Brothers geliebt, Bret und Owen Hart waren meine Helden. Ich habe nichts verpasst und mir die Highlights auch aufgenommen - mit unserem riesengroßen Videorecorder. (lacht) Es hat mich in den Bann gezogen. Es war und ist bis heute diese Mischung aus Sport und Unterhaltung, die für mich die Faszination ausmacht. Wrestling anzuschauen ist wie einem Zauberer zuzuschauen. Du weißt natürlich, dass es Unterhaltung ist und er da irgendwelche Tricks macht, aber auf der anderen Seite siehst du auch ein unglaubliches Talent. Für mich ist das die perfekte Symbiose. Das macht den Reiz aus.
WWECesaro über sein Wrestling-Debüt an Heiligabend
Jetzt ist die Schweiz nicht zwingend der Ort, aus dem reihenweise Wrestling-Stars entstehen. Wie ist Ihr Weg dann überhaupt losgegangen?
Cesaro: Alles fing damit an, dass ich eines Tages in einem Online-Forum eine Werbeanzeige gesehen habe für ein Wrestling-Training. Auch wenn das Internet unfassbar langsam war, konnte ich die Seite zum Glück öffnen und habe die Anzeige gesehen. Ich dachte mir: Hey, da gehst du einfach mal hin, warum denn nicht? Also bin ich zum Training mit Sigi the Swisstank und habe mich auf diesen dünnen, blauen Turnmatten ein bisschen rumgeworfen. Sigi war damals der einzige Schweizer, der schon in den USA Erfahrung gesammelt hatte. Ich habe dann mit ihm weiter trainiert, aber richtig los ging es erst, als plötzlich die Möglichkeit entstand, an einem Event teilzunehmen. Es gab nur ein großes Problem.
Und das war?
Cesaro: Das Event fand am 24. Dezember statt. Dreimal dürfen Sie raten, wie es die Familie fand, dass ich an Heiligabend nicht bei der Familie sein, sondern meinen ersten Wrestling-Kampf machen wollte. Aber sie haben es verstanden und so bin ich nach Essen gefahren zu meinem Debüt. Es ist witzig, weil viele Leute immer denken, dass Erfolg über Nacht kommt. Sie sehen nur das Rampenlicht, in dem die WWE-Superstars stehen, aber sie sehen natürlich nicht, wie ich in Essen plötzlich in einer Gothic-Disco stand.
Wie kann man sich diesen Abend vorstellen?
Cesaro: Das Event fand im Roxy statt, das war eben eine bekannte Gothic-Disco in Essen. Alles war ganz dunkel, das wäre alleine schon deshalb besonders gewesen. Aber der ganze Tag war verrückt. Wir haben zu zweit stundenlang den Ring aufgebaut. Dann hatte ich mein Match und danach musste ich auch noch als Ringsprecher und Ringrichter einspringen, weil unser Mann dafür 41 Grad Fieber bekommen hat. Es war ein unglaublicher Abend. Wenn 20 oder 30 Leute da waren, dann waren vielleicht zehn fürs Wrestling da, der Rest wollte einfach Musik hören.
Wie ging Ihr Weg nach dem Debüt in Essen weiter?
Cesaro: Ich habe unter der Woche meinen normalen Beruf als Kaufmann ausgeübt und bin am Wochenende zu Wrestling-Veranstaltungen getingelt. Wir sind zu viert in einem kleinen vollbepackten VW Golf durch die Lande gezogen, oder ich bin mit dem Zug gefahren und Sonntagnacht ohne viel Schlaf zurückgekommen, um Montagfrüh wieder im Büro zu sein und am Montagabend wieder im Fitnessstudio zu trainieren. Wenn man das so hört, klingt es nach einer anstrengenden Zeit, aber wenn man etwas macht, was man liebt, empfindet man es nicht so. Die Zeit war geil.
Eine entscheidende Weggabelung in Ihrer Karriere nahmen Sie 2004. Was passierte damals?
Cesaro: 2004 habe ich die Green Card gewonnen, das hat alles verändert. Ich hatte plötzlich die Chance, in die USA zu ziehen und dort meinen Wrestling-Traum zu leben. Ich muss zugeben, dass ich für nichts anderes meinen Super-Job aufgegeben hätte. Genau zu dem Zeitpunkt, als ich die Green Card bekam, stand bei uns in der Firma das Performance Review an. Ich sollte befördert werden. Aber ich habe zu meinem Chef und meinen Kollegen gesagt: Danke, aber ich kündige und werde Wrestler in den USA. Die haben vielleicht komisch geguckt, kann ich ihnen sagen. (lacht) Aber das war eben mein großer Traum. Also bin ich ausgewandert.
Das war 2004. Ihr WWE-Debüt gaben Sie aber erst 2011. Sie mussten sich erst hocharbeiten. Wie hart und steinig war dieser Weg?
Cesaro: Natürlich war er auf gewisse Weise hart und steinig. Ich habe mir damals einen Mini-Van angeschafft, weil ich dachte, dass wir da doch wunderbar sieben Leute reinkriegen, dann können wir auch den Sprit aufteilen und ich spare ein bisschen Geld. Wir sind damals mehrmals pro Monat von Philadelphia nach Chicago gefahren, das sind zwölf oder 13 Stunden, einfacher Weg. Der Van hat das dreimal mitgemacht, danach war er kaputt. Es war nicht alles fantastisch, aber dennoch habe ich ja meinen American Dream gelebt und das total genossen. Ich hatte nicht viel Geld, aber ich habe die Welt gesehen. Wir waren in Mexiko, Japan oder Australien unterwegs. Es hat sich angefühlt wie eine Band, die erstmal von Kneipe zu Kneipe touren muss, bis sie es irgendwann in die großen Stadien schafft. Das ist für mich auch der richtige Weg. Du musst lernen, auch vor fünf Leuten eine tolle Show abzuliefern.
WWECesaro: "Ich habe Bret Hart um Erlaubnis gefragt"
Also gab es keine Momente, an denen Sie dachten, dass die Kollegen vielleicht doch zurecht so komisch geschaut haben?
Cesaro: Doch, auf jeden Fall gab es diese Momente. Sehr viele sogar. Wenn du morgens um 5 Uhr irgendwo im Nirgendwo am Straßenrand stehst, weil du mal wieder einen Platten hast und auf einen Freund wartest, der dich abholt. Mit genau 10 Dollar in der Tasche. Natürlich denkst du dann: Was mache ich hier eigentlich? Was mache ich mit meinem Leben? Ich hatte doch einen tollen Job. Aber diese Momente dauerten nie lange, weil es insgesamt nicht schlecht für mich lief. Ich hatte mir Anfang drei Jahre gegeben, nach denen ich Bilanz ziehen wollte, wie die Lage ist und ob ich es packe, Wrestling als Beruf auszuüben. Und die Bilanz war positiv, also habe ich weitergemacht und stehe heute da, wo ich stehe.
Und jetzt sind es schon zehn Jahre, die Sie in der WWE sind. Müssen Sie sich manchmal kneifen, wie gut es insgesamt gelaufen ist?
Cesaro: Auf jeden Fall. Gerade, wenn ich an diesen Abend in Essen denke. Viele denken vielleicht, dass dieser Abend inzwischen weit weg ist für mich, aber das stimmt nicht. Ich weiß genau, wo ich herkomme und habe meine Wurzeln nicht vergessen. Ich habe immer noch die gleichen Kumpels wie damals und wir sprechen oft darüber, wie es angefangen hat und wo ich jetzt bin. Mir haben viele Menschen auf diesem Weg geholfen, das weiß ich sehr zu schätzen. Ich hoffe auch, dass ich guten Gewissens sagen kann, dass ich mich nicht verändert habe. Bodenständigkeit ist mir extrem wichtig.
Wie war es denn für Sie, als Sie es immer weiter nach oben geschafft haben und plötzlich die Helden von früher persönlich kennenlernten oder sogar mit ihnen im Ring standen?
Cesaro: Es gibt viele Momente, die ich nie vergessen werde, aber der erste, der mir sofort in den Kopf schießt, ist WrestleMania 33 in Orlando. Sheamus und ich standen im Ring, als die Hardy Boys ihr Comeback gefeiert haben. Das war surreal. Plötzlich ertönt die Musik der Hardy Boys und ich ertappe mich bei dem Gedanken: Hey, diese Jungs habe ich früher vor dem TV angehimmelt und jetzt stehe ich hier im Ring, sie feiern ihr Comeback, die ganze Arena steht Kopf. Da hatte ich wirklich Gänsehaut am ganzen Körper. Als ich den Undertaker zum ersten Mal getroffen habe, war es natürlich speziell. Oder als ich Bret Hart persönlich um Erlaubnis gefragt habe, ob ich den Sharpshooter machen darf. Für alle Wrestling-Nerds da draußen: Ich mache den Sharpshooter wie ihn Owen gemacht hat, aber mir war es trotzdem wichtig, dass Bret Hart damit einverstanden ist. Also bin ich wie ein kleiner Junge zu ihm und habe gefragt, ob es okay ist. Als ich dann seinen Segen bekam, hat mir das viel bedeutet.
Wir waren vorhin schon kurz beim Thema Reisen. Aktuell sieht die Welt wegen der Corona-Pandemie anders aus, aber normalerweise sind Sie praktisch das ganze Jahr auf der ganzen Welt unterwegs.
Cesaro: Die Welt bereisen zu können, ist wirklich einer der großen Vorzüge des Jobs. Ich habe alle Kontinente gesehen. In der Antarktis habe ich noch nicht gewrestlet, aber sonst überall. Für mich war und ist es auch sehr wichtig, es zu vermeiden, in einer Stadt außer dem Flughafen, dem Hotel und der Arena nichts zu sehen. Das geht gar nicht. Wenn ich irgendwo lande, checke ich im Hotel ein, gehe ins Fitnessstudio und danach geht es aber sofort in die Stadt. Ich suche mir dann immer einen kleinen Coffee Shop und trinke dort einen Kaffee. Ich würde nie in eine der großen Ketten gehen, das gibt mir nichts. Aber diese kleinen Kaffeeläden sind meistens so gelegen, dass dort nicht der große Konsum ist. Und sie sagen sehr viel über die Kultur und die Menschen der jeweiligen Stadt aus.
Und Sie sollen ja ein totaler Kaffee-Freak sein.
Cesaro: Absolut. Das hat schon weit vor meiner WWE-Zeit begonnen. Ich habe damals eine sehr strikte Diät gemacht und der Kaffee war sozusagen mein Dessert. So hat die Kaffee-Leidenschaft angefangen. Auch wenn ich mit Seth Rollins durch die USA gefahren bin, haben wir uns immer gleich einen Coffee Shop gesucht, wenn wir angekommen sind. Ich liebe es, in diesen kleinen Läden zu sitzen, einen guten Kaffee zu trinken und mich mit den Einheimischen zu unterhalten. Das Schöne ist, dass es überall auf der Welt gleich ist. Ob ich in Saudi-Arabien bin, in Südafrika oder zuhause in der Schweiz - in diesen Coffee Shops sitzen Menschen aus der ganzen Welt, genießen einen Kaffee und reden über das Leben. Da spielt es keine Rolle, wer du bist oder wo du herkommst. Das liebe ich.
Was war denn der verrückteste Trip in all den Jahren?
Cesaro: Der verrückteste Trip, den ich bis jetzt in meinem Leben erlebt habe, ging so: Wir waren am Montag für RAW in Kansas City, schön in der Mitte der USA. Dann sind wir nach London geflogen und hatten dort am Dienstag eine Show. Weiter ging es nach Manila. Dann nach Shanghai. Und dann wieder zurück in die USA für RAW. Wir sind in ein paar Tagen um die Welt gereist. Ich saß bei dem Trip mehr Stunden im Flugzeug, als dass ich meine Füße irgendwo an Land hatte - das war schon krass.
Cesaro: Federer? "Für mich wäre das mein Grand-Slam-Titel"
Wie viel Kontakt haben Sie denn noch in die Heimat?
Cesaro: Ich lese jeden Morgen die Luzerner Zeitung und trinke dabei meinen Kaffee, ich checke die Ergebnisse vom FC Luzern - ich weiß schon, was abgeht. (lacht) Als ich ausgewandert bin, war es ja noch schwieriger, da konnte ich von der Schweiz gerade mal die Spiele von der Nationalmannschaft bei der WM oder EM sehen. Aber heutzutage kannst du ja überall auf dem Handy alles verfolgen. Aktuell wäre die Zeit da, um mal in die Heimat zu reisen, aber es geht wegen der Pandemie nicht. Aber ich halte auf jeden Fall die Verbindung und freue mich auch schon auf den nächsten Besuch.
Vielleicht können Sie ja eines Tages als WWE Champion in die Heimat zurückkehren. Sie haben in der letzten Zeit einen kleinen Push bekommen und Momentum aufgebaut. Bei WrestleMania haben Sie ein großes Match gegen Seth Rollins. Kann man sagen, dass der Traum von einem großen Titel mehr denn je lebt?
Cesaro: Vor genau sieben Jahren habe ich bei WrestleMania 30 die Andre the Giant Memorial Battle Royal gewonnen. Auch unglaublich, dass das schon wieder sieben Jahre her ist. Bei WrestleMania 37 muss ich jetzt erstmal Seth Rollins im Kreise schwingen, darauf freue ich mich, aber dann ist es natürlich mein großes Ziel, eines Tages WWE Champion zu sein. Ich will einen großen Titel gewinnen. Für mich, aber auch für alle, die in all den Jahren immer an mich geglaubt und mich unterstützt haben. Es gerade auch als Europäer zu schaffen, würde mich stolz machen. Ich glaube zwar nicht, dass ich dann in der Schweiz mit den 20 Grand-Slam-Titeln von Roger Federer mithalten kann, aber für mich wäre das mein Grand-Slam-Titel.
Federer ist in einem ähnlichen Alter wie Sie. Wie haben Sie auf seine Karriere geschaut über die Jahre?
Cesaro: Roger hat mich auf meinem Weg sicher inspiriert. Was kann einem an diesem Sportler nicht imponieren? Wenn ich an Roger denke, denke ich an seine Menschlichkeit, seine Bescheidenheit, daran, wie sehr er seinen Sport liebt und wie viel er für seinen Sport getan hat, mit welcher Professionalität und Hingabe er ihn bis heute betreibt, wie mental stark er ist - er hat ganz sicher für uns alle einen Maßstab gesetzt und er ist der perfekte Botschafter für die Schweiz. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie ich in der Schweiz in Restaurants seine großen Wimbledon-Triumphe verfolgt habe. Wie ich vor dem Fernseher auf und ab gelaufen bin vor lauter Nervosität, ich habe es fast nicht ausgehalten.