Bei den Six Nations war Martin Castrogiovanni in den letzten 15 Jahren eine feste Größe. Im Dezember 2016 gab er seinen Rücktritt bekannt, nun wird das Turnier am Samstag (um 15.25 Uhr live auf DAZN) zum ersten Mal seit langem ohne ihn starten. Die Rugby-Ikone darf auf eine tolle Karriere voller Partys in Vegas, Restaurantgründungen und Schimpftiraden zurückblicken.
17. Dezember 2016: Martin Castrogiovanni aka Castro erklärt seinen Rücktritt vom professionellen Rugby. Mehr als 250 Mal lief der Argentinier für Teams in Italien, England und Frankreich auf, darunter die Leicester Tigers und RC Toulonnais. Insgesamt spielte er 119 Mal für die italienische Nationalmannschaft. Dabei wäre er um ein Haar gar kein Bündnis mit dem Ei eingegangen.
Nur seiner Sturheit ist es zu verdanken, dass er den Kontaktsport anfing. Als Jugendlicher spielte der 35-Jährige auf Wunsch seiner Mutter lediglich Basketball, aber eines Tages war das Maß voll - er wollte Rugby spielen.
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"Meine Mutter mochte Rugby gar nicht. Ich habe versucht zu spielen, aber sie ließ mich nicht", erklärt der 1,88 Meter große Prop: "Aber am Ende eines ganz bestimmten Basketballspiels, beschloss ich, es zu meinem Letzten zu machen. Also habe ich mich vor den Schiedsrichter gestellt, er schaute mich an und ich schubste ihn. Er fiel hin. Das war sozusagen eine Ausrede, um mit dem Basketball aufzuhören und Rugby anzufangen."
Aufbruch zu neuen Ufern
Castrogiovanni begann seine Karriere bei seinem Heimatverein in Parana, doch brach bereits 2001 zum RC Calvisano nach Italien, der Heimat seiner Großeltern, auf. Dort konnte der damals 20-Jährige schnell Fuß fassen und in fünf Jahren mit dem Team den italienischen Cup und die Meisterschaft gewinnen.
Als die Leicester Tigers anfragten, brauchte Castro nicht lange, um eine Entscheidung zu fällen. Gegenüber World Rugby erklärte der Argentinier: "Es war unglaublich, dass ein Team wie Leicester mich bat, ihnen beizutreten. Und auch wenn der Wechsel von einer italienischen zu einer englischen Mannschaft nie leicht ist, habe ich es nie bereut."
In der Aviva Premiership schwang sich Castrogiovanni schnell zu einem der Top-Spieler in Europa und zum absoluten Fanliebling in England auf. Früher war er auf Wunsch sogar bei Kindergeburtstagen anwesend.
Die letzten vier Jahre seiner Karriere verbracht er in Frankreich: zwischen 2013 und 2015 mit dem RC Toulonnaise und anschließend noch ein Jahr bei Racing 92. Die beiden Heineken-Cup-Siege mit RC Toulonnaise waren dann die Krönung seiner Karriere.
Höhepunkte, Zukunftsplanung und Calzone
Seine sportlichen Highlights erlebte der Forward in seiner Zeit mit Leicester: Vier Premiership-Titel, siebenmalige Final-Teilnahme und eine Auszeichnung zum Premiership-Spieler des Jahres war die Bilanz aus sieben Jahren in England - obendrauf kommen noch zwei Restaurantgründungen.
Anders als viele Leistungssportler, nutze Castrogiovanni eine Verletzungspause von sieben Monaten, um sich für die Zukunft und das Leben nach dem Rugby vorzubereiten. "Ich habe verstanden, dass Rugby nicht das Einzige im Leben ist. Meine Karriere wird irgendwann aufhören, aber ich werde mein Leben weiter leben", erzählte er. Warum also nicht in der Gastronomie Fuß fassen?
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Sein Restaurant namens 'Timo' eröffnete er in Leicester. Dort bietet er Gerichte wie die Calzone alla Matt Smith oder Gnocchi alla Richard Blaze - benannt nach damaligen Mannschaftskameraden. Ein Beispiel dafür, dass Castrogiovanni viel Wert auf Teamzusammenhalt legt. Zumindest meistens.
Mit Ibra zlatanieren in Vegas
Als er im vergangenen Jahr am Tag des Halbfinales des Champions Cups nach Las Vegas flog, um mit Fußballgott Zlatan Ibrahimovic Party zu machen, dachte er bestimmt nicht an seine Mannschaft. Er hatte sich sogar abgemeldet. Er teilte dem Verein mit, er müsse nach Argentinien, eine Familienangelegenheit klären.
Die Franzosen reagierten daraufhin mit einer Sperre von vier Spielen. Der Vorfall spiegelt den Charakter Castrogiovannis wider. Denn obwohl er bei seinen Mannschaftskameraden stets beliebt war und Wert auf Teamgeist legte, schreckte er nie davor zurück, er selbst zu sein - und nimmt dabei nie ein Blatt vor den Mund.
Die Schimpftirade des haarigen, fetten Italieners
Als der Argentinier bereits bei Toulon spielte, startete er nach einer Niederlage gegen seinen ehemaligen Klub Leicester eine spektakuläre Verbalattacke Richtung Richard Cockerill, der von April 2009 bis zum 2. Januar 2017 Trainer der Tigers war.
Dieser Schimpftirade bedarf es keiner Übersetzung: "I thought f****** Leicester were f****** amateur. He was saying that people go for the money but he has a lot of f****** squad players who get paid as well. I paid my own f****** money to leave this club. I don't need the money to play rugby. I love this game and I used to love this club", antwortete der 35-Jährige auf Cockerills Vorwurf, er habe Leicester wegen des Geldes in Richtung Frankreichs verlassen.
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Anscheinend sah er damals keine Zukunft in England, wie Castro in Rage erzählte: "You have a good f****** tighthead prop playing for England and a hairy, fat Italian. The thing is that they made it look like I went for the money but I paid £100,000 from my pocket to leave this club because I want to play rugby. That's it."
Doch mit seinem Rundumschlag war es das noch nicht. Der Italiener, dessen Erscheinung ein wenig an einen zotteligen Wombat erinnert, bezeichnete Cockerill noch als weibliches Genital, warf ihm vor ein Feigling zu sein und dass er nie wieder mit seinem ehemaligen Trainer sprechen wolle.
Für solche Aussagen war Martin Castrogiovanni bekannt und von manchen auch gefürchtet.
"DAS war Rugby"
So kritisierte er beispielsweise die Entwicklung im Rugby im Interview der Daily Mail aus 2015. "Was wir früher am Fußball hassten, passiert jetzt genauso im Rugby."
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Der Sport scheint sich immer mehr von seinen Traditionen wegzubewegen - zum Unmut des temperamentvollen Argentino-Italieners. "In Rugby-Kreisen war das mal das Wichtigste. Wir würden uns auf dem Platz fertig machen, vielleicht sogar kämpfen, aber nach dem Spiel würden wir immer ein Bier trinken, uns gegenseitig die Hand schütteln und das wars. DAS war Rugby, aber aber so ist es nun mal nicht mehr", grantelte er.
Ob die Aussagen zutreffen oder nicht sei dahin gestellt, die Ehrlichkeit Castros ist erfrischend und eines der Merkmale, warum er in Italien und Leicester eine Legende ist. Es gibt keinen Pressesprecher oder Agenten, der ihm einen Riegel vorschiebt oder einen Filter aufzwingt. Ein Relikt aus vergangenen Zeiten.
Kapitän der Familie
Einen großen Beitrag zur Legende Castrogiovannis haben ohne Zweifel seine 119 Auftritte im Trikot der italienischen Nationalmannschaft geleistet. 2003 nahm der damals 21-Jährige erstmals für Italien an den Six Nations Teil, dank Verletzungen mehrerer Routiniers rückte Castrito in die Mannschaft nach.
Von Anfang an hinterließ er einen Eindruck bei Zuschauern und Mitspielern. Kein anderer Spieler sang so leidenschaftlich und stolz "Il Canto degli Italiani". Ähnlich wie auf Klubebene, setzte er sich schnell durch und trug fortan die Nummer 3 auf dem Rücken.
2016 beendete er schließlich seine Karriere in der italienischen Nationalmannschaft. Sein stolzester Moment ereignete sich nach Castros Angaben vier Jahre zuvor, als er die Kapitäns-Binde der Nationalmannschaft von Sergio Parisse übernahm, der gegen Wales gesperrt war.
"In diesem Trikot Kapitän der Mannschaft zu sein, ist eine Ehre. Ich bin sehr stolz, Teil dieser Familie zu sein."