Das deutsche Reit-Drama um die Moderne Fünfkämpferin Annika Schleu und ihre inzwischen von den Olympischen Spielen ausgeschlossene Bundestrainerin Kim Raisner war das Reizthema der vergangenen Tage. SPOX hat eine ausgewiesene Expertin nach ihrer Einschätzung gefragt.
Eine Reiterin, die auf ein offensichtlich verstörtes Pferd einschlägt, und eine Trainerin, die zu dieser vermeintlichen Tierquälerei laut und vernehmlich auch noch animiert. Das war für viele Beobachter die Wahrnehmung einer Szene, die in Deutschland für einen kollektiven Schrei der Entrüstung sorgte.
Kommentar: Einer Reiterin und Bundestrainerin unwürdig
SPOX fragte nach bei der "Pferdeflüsterin" Tamara Hofer (28), die gemeinsam mit ihrem Ehemann in München und Umgebung mit "Problempferden" arbeitet, aber auch Menschen dabei hilft, etwaige Ängste im Umgang mit Pferden zu überwinden.
Die ausgebildete Pferdewirtin und Jockette, wie sich Reiter nach 50 Siegen in Galopprennen nennen dürfen, hat fast überall auf der Welt mit Pferden gearbeitet und sah sich selbst auch schon mit dem Vorwurf der Tierquälerei konfrontiert.
Frau Hofer, wie haben Sie das Geschehen um Annika Schleu, die Bundestrainerin Kim Raisner und das Pferd Saint Boy erlebt und wahrgenommen?
Tamara Hofer: Es war schon erschreckend. Meine erste Reaktion war: Das geht gar nicht, ein Unding. Man hätte der Szene sofort ein Ende machen müssen, denn es war klar ersichtlich, dass sich das Pferd wehrt und überhaupt nicht will. Dann muss man abbrechen.
Hatte Annika Schleu, die Reiterin, eine Chance?
Hofer: Mit dem Druck, den sie hatte, eigentlich nicht. Allerdings muss man auch sagen, dass das Pferd in dieser Verfassung gar nicht für den Wettkampf hätte zugelassen werden dürfen. Ich denke, dass sich alle Reiterinnen gleich verhalten hätten. Meiner Meinung nach müssten die Wettkampfrichter solch ein Pferd rausnehmen und durch ein anderes ersetzen, zum Wohle des Tieres, aber auch im Sinne der sportlichen Fairness gegenüber der Athletin.
Wie beurteilen Sie das Verhalten der Bundestrainerin Kim Raisner?
Hofer: Ich kann die Frustration nachvollziehen. Du trainierst dein Leben lang auf diese mögliche Goldmedaille hin und bekommst dann ein Pferd, das nicht springen will. Sie und ihre Reiterin haben versucht, irgendwie das Beste aus den Möglichkeiten herauszuholen. Ich kann auch nachvollziehen, dass die Reiterin geweint hat, das hätte ich wahrscheinlich auch. Die Trainerin hätte auch abbrechen können oder sollen, doch kein Sportler gibt freiwillig auf.
Auch nicht zum Wohle des Pferdes? Oder anders gefragt: Würden Sie von Tierquälerei sprechen?
Hofer: Nein, auch wenn ich den Umgang in diesem Fall mit dem Pferd nicht gut fand. Es war nicht schön anzusehen und definitiv ein Negativbeispiel, aber keine Tierquälerei - und schon gar nicht vorsätzliche.
imago imagesHofer: "Man muss andere Dinge tun, um ein Pferd zu traumatisieren"
Sie sehen also keine Gefahr, dass Saint Boy von dem Vorfall ein Trauma davongetragen haben könnte?
Hofer: Ich hatte mit zahlreichen traumatisierten Tieren schon zu tun. Ich will es so sagen: Man muss andere Dinge tun, um ein Pferd zu traumatisieren. Oder eine Szene wie diese tagtäglich wiederholen. Man hat dieses Pferd vor eine Aufgabe gestellt, die es beherrscht und in der es sich schon bewiesen hat. Nur diesmal wollte es nicht. Ich gehe davon aus, dass das Pferd anschließend in seine Box gebracht wurde und dort schon ein bisschen später wieder seelenruhig gefressen hat.
Was hatte das Pferd denn?
Hofer: Ich gehe davon aus, dass ihm irgendwas gefehlt hat, was man mit dem Blick von außen nicht feststellen konnte. Kein Vorwurf an das tierärztliche Personal vor Ort. Es kann auch sein, dass das Tier einfach einen schlechten Tag hatte und partout nicht wollte. Kopfschmerzen vielleicht.
Kopfschmerzen?
Hofer: Das sagt man manchmal so, um es für Pferdelaien verständlich zu machen. Wenn wir Kopfschmerzen haben, sieht man von außen keinen Schmerz, aber wir sind vielleicht nicht in der besten Verfassung.
Im Modernen Fünfkampf werden die Pferde den Reitern ja zugelost. Ist dieser Modus überhaupt haltbar?
Hofer: Den finde ich sogar gut. Jedes gesunde, vernünftige Pferd lässt sich von jedem guten Reiter reiten.
Hofer: "Diese Pferde lieben ihren Job"
Ein fremder Reiter ist kein zusätzlicher Stress für die Tiere?
Hofer: Überhaupt nicht. Es gibt natürlich Pferde, die nur mit "ihrer" Reiterin springen. So ein Pferd dürfte natürlich niemals für so einen Wettbewerb zugelassen werden.
Sie sind selbst mit Pferden auf Reisen gewesen. Wie stecken die Tiere das Ihrer Ansicht nach weg?
Hofer: Das ist tatsächlich von Pferd zu Pferd sehr unterschiedlich. Es gibt sicher Tiere, die nicht gerne reisen und es einfach nicht vertragen. Das kann sich in Koliken, Fieber oder Nahrungsverweigerung äußern. Und dann gibt es Pferde, die fröhlich aus dem Transporter steigen und es zu genießen scheinen. Es ist die Aufgabe der Verantwortlichen, gewissenhaft zu beurteilen, was ich welchem Tier zumuten kann.
Der Reitsport ist immer wieder im Visier von Tierschützern. Soweit Sie das beurteilen können und mögen: Wie geht es Dressurpferden, Rennpferden oder Springpferden?
Hofer: Jedes Pferd, egal ob wir das Pony vom Bauernhof oder das Hochleistungspferd im Spitzensport betrachten, arbeitet gerne. Wichtig ist jedoch, zu differenzieren und zu erarbeiten, welches Pferd sich für welche Art der Beschäftigung eignet. Auch Tiere etwa, die körperliche Handicaps haben, wollen beschäftigt werden und freuen sich über leichte Aufgaben. Rennpferde haben Freude daran, schnell zu laufen. Springpferde haben Freude am Springen. Die Tiere im Spitzensport könnten die Leistungen gar nicht erbringen ohne die Freude daran. Ich würde soweit gehen zu sagen: Diese Pferde lieben ihren Job.
Das heißt, Pauschalverurteilungen sind aus Ihrer Sicht unangemessen?
Hofer: Ja, aber es gibt natürlich schwarze Schafe, die die Tiere quälen, um die Leistung um jeden Preis zu steigern. Diese gehören bestraft und aussortiert wie in jedem anderen Sport auch. Ich kann vor allem für den Rennsport sprechen: Unsere Pferde wurden alle in Watte gepackt. Als Reiter hast du Ärger bekommen, wenn dein Tier den kleinsten Kratzer hatte, weil du offensichtlich nicht gut genug aufgepasst hast.