Mercedes-AMG-Customer-Racing-Leiter Stefan Wendl im Interview: "Der Unterschied zur Realität ist fast nichtig"

Andreas Reiner
11. Juni 202015:59
Stefan Wendl ist Leiter der Abteilung für Kundensport bei Mercedes-AMG.Daimler
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Stefan Wendl leitet die Abteilung für Customer Racing bei Mercedes AMG. Dabei ist er für die weltweite Vertretung von Kundensupport bei Mercedes zuständig. Im Interview mit SPOX spricht er über die Auswirkungen der Coronakrise auf den Motorsport sowie die Unterschiede zwischen Werks- und Kundensport.

SPOX zeigt das sechste Rennen der Digitalen Nürburgring Langstrecken-Serie powered by VCO am Samstag ab 13 Uhr im LIVESTREAM FOR FREE.

Auch erklärt Wendl den Zweck von Sim-Racing, wie der Digitalen Nürburgring Langstrecken-Serie powered by VCO, in der heutigen Zeit.

Wie herausfordernd sind die aktuellen Zeiten für den Leiter von Mercedes-AMG Customer Racing, Stefan Wendl?

Stefan Wendl: Es ist eine sehr große Umstellung. Alle Prozesse mussten geändert werden, die wichtigen sozialen Kontakte mit dem Team wurden zwangsweise reduziert, und trotzdem müssen wir versuchen, mit den ganzen Hürden das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Eines der größten Probleme ist die Unsicherheit in der kurz- und mittelfristigen Planbarkeit.

Wie hart wurde der Kundensport durch die Corona-Krise getroffen?

Wendl: Das lässt sich noch schwer abschätzen. Ich bin positiv überrascht, dass viel Optimismus unter Kunden, Teamchefs und Fahrern vorherrscht. Wir wiederum versuchen, unsere Kunden in dieser Situation maximal zu unterstützen.

Wie groß sind Ihre Zukunftssorgen?

Wendl: Ich habe grundsätzlich keine großen Sorgen, wenn ich an unser Produkt, den Sport und die Show denke und was wir damit erreichen können. Eine Sorge beschäftigt mich jedoch schon, und zwar die Hindernisse mit Reisebeschränkungen, die es unmöglich machen, den Sport so international wie sonst üblich auszuüben.

Wie muss man sich Ihre Rolle im Detail vorstellen?

Wendl: Im Endeffekt ist sie vergleichbar mit der Rolle eines Motorsportchefs. Ich leite in Affalterbach ein kleines Team, das Mercedes-AMG Customer Racing weltweit vertritt. Zusammen mit unserem Entwicklungspartner HWA haben wir den Mercedes-AMG GT3 und GT4 auf die Räder gestellt. Zudem haben wir eine Support-Struktur entwickelt, durch die wir weltweit den Ersatzteilservice und Ingenieurssupport bei wichtigen Veranstaltungen garantieren. Ein Großteil meiner Arbeit soll aber auch Synergien schaffen, an der Spitze eines Netzwerks, um Teamchefs miteinander zu verbinden.

Was ist das Ziel?

Wendl: Wir wollen möglichst nah am Kunden sein, effiziente und effektive Lösungen herbeiführen. Nicht mit dem Anspruch eines Werksprogramms, aber trotzdem mit dem Ziel des sportlichen Erfolgs. Im Kundensport ist der beste Kompromiss aus Mitteleinsatz und sportlichem Ergebnis nötig. Dazu zählen natürlich Gesamtsiege, die nicht nur wichtig für die Teams, sondern auch für uns als Marke sind. Aber auch die Einzelerfolge, zum Beispiel die eines Gentleman-Driver, der in der AMG Driving Academy gemerkt hat, dass er nicht ganz untalentiert ist und sich das Hobby leisten kann, einsteigt und es unter der Führung eines Teams schafft, Siege einzufahren.

Was sind die Unterschiede zwischen Werks- und Kundensport?

Wendl: Werkssport ist der gezielte Einsatz seiner zur Verfügung stehenden Mittel, um den maximalen sportlichen Erfolg als Zielvorgabe umzusetzen - wie in der DTM zum Beispiel. Im Kundensport sind die Mittel wesentlich geringer. Der Kundensport bietet die Möglichkeit, mit effizientem Mitteleinsatz die sportlichen Erfolge und die Markenpräsenz im Motorsport weltweit zu erhöhen. Das wäre mit einem Werksprogramm finanziell gar nicht realisierbar und auch nicht angemessen. Das heißt, wir vertrauen auch auf die professionelle Zusammenarbeit mit den Kunden.

Wie funktioniert die Verbindung von Herstellern und Kunden?

Wendl: Generell werden alle Teams gleichbehandelt, es herrscht komplette Transparenz. Sie haben die gleiche Ausgangsbasis und bekommen die gleiche Unterstützung. Und natürlich arbeiten wir im Hintergrund weiter, um die Autos konkurrenzfähig zu halten.

Wie viel muss man investieren, um das Paket zu erhalten?

Wendl: Der GT3 fängt bei 399.000 Euro an, der GT4 liegt bei 209.000 Euro. Darin enthalten ist das einsatzfähige Auto, aber auch eine Technikschulung für Ingenieure und Mechaniker der jeweiligen Teams ...

Wenn ich als Kunde den Wagen vor die Wand setze, ist das dann aber mein Problem?

Wendl: Das ist das Risiko, das zum Motorsport gehört. Man kann das Auto versichern, aber da wird mit einer hohen Selbstbeteiligung gearbeitet. Wichtig sind ein gutes Coaching und dass man es langsam angehen lässt. Man darf es am Anfang nicht übertreiben.

Warum setzen Sie auf GT-Autos?

Wendl: Weil der Mercedes-AMG GT eine hervorragende Basis für den Motorsport ist. Die GT3- und GT4-Rennautos zeichnen sich durch eine hervorragende Fahrbarkeit, durch ein breites Anwendungsspektrum, einen sehr guten Reifenverschleiß und eine hohe Zuverlässigkeit aus.

Mehr als 390 Rennfahrzeuge wurden an Kundenteams verkauft. In über 120 Serien errangen diese Teams 418 Gesamtsiege, 788 Klassensiege und 171 Titel. Was ist denn das Erfolgsgeheimnis?

Wendl: Die erreichten Erfolge basieren auf einem performanten zuverlässigen Fahrzeug, einem weltweit verfügbaren Support-System für Ersatzteile und Ingenieursservice, siegeshungrigen Fahrern und Teams, sowie einem hoch motivierten Team bei Mercedes-AMG und unserem Entwicklungspartner HWA.

Wie wichtig war DTM-Legende Bernd Schneider in den Anfangsjahren für den Mercedes-Kundensport?

Wendl: Natürlich haben wir von ihm und auch Thomas Jäger als Testfahrer-Duo enorm profitiert. Sie haben den SLS mit ihrer Erfahrung zu einem sehr erfolgreichen GT3-Rennwagen entwickelt. Testfahrer sind generell enorm wichtig, und vor allem die älteren Testfahrer bringen extrem viel Erfahrung mit und haben den Blick für Details, die für den Kunden wichtig sein könnte. Doch auch die Kunden werden bei der Entwicklung mit involviert, um frühzeitig ein Feedback zu bekommen.

Gibt es Fahrer, die Sie in der Zeit überrascht haben?

Wendl: Ja, das kommt bei den Kunden öfter vor. Ohne Namen zu nennen, sind immer wieder Fahrer dabei, die erst im fortgeschrittenen Alter in den Motorsport eingestiegen sind und dann sehr nah an unsere Profis heranreichen. Wo ich mich frage: "Ist da ein Profi verloren gegangen?"

Der Kundensport kann aber auch eine Karriere-Sprungbrett sein ...

Wendl: Wir sehen uns auch als Junior-Programm. Wir bieten die Plattform für Gentlemen, die den Sport selbständig finanzieren. Es gibt aber auch einen Anteil an aufstrebenden, jungen Fahrern. Sie sind meistens zwischen 18 und 22 Jahre alt, kommen aus dem Kart- oder Formelsport, wo sie mit ihren Partnern und Sponsoren an Grenzen geraten sind und nun im Kundensportbereich noch einmal durchstarten und sich empfehlen wollen.

Ihre aktuellen Fahrer überbrücken die Coronakrise mit Sim-Racing. Fahren Sie selbst auch?

Wendl: Leider nicht, weil mir die Hardware noch fehlt. Ich würde es aber gerne mal probieren, denn ich bin sehr fasziniert davon, wie realitätsnah Sim-Racing ist. Wie präzise die Teams vorgehen müssen, um das Auto auf den Punkt zu bringen, um erfolgreich zu sein.

Wie wichtig ist das Sim-Racing für Mercedes-AMG Customer Racing?

Wendl: Ich würde es in drei Kategorien einteilen. Privat ist es eine willkommene Abwechslung, um Rennaction zu sehen, Sektorendaten, Zweikämpfe. Grafisch bieten die Plattformen so viel, dass der Unterschied zur Realität fast nichtig ist. Zweitens: Für den AMG-Kundensport haben wir noch keine Abteilung, die sich explizit mit Sim-Racing beschäftigt. Aber für viele Kundensport-Teams und -Fahrer ist es die Chance auf Abwechslung und dazu, fit zu bleiben, Skills zu trainieren und sich zu fokussieren. Für uns als Marke nutzen wir Sim-Racing, um den Fans Content zu bieten.

Stefan Wendl ist für den Kundensport bei Mercedes-AMG verantwortlich.Daimler

Sie sind ja erfolgsverwöhnt: Wie viel Ehrgeiz haben Sie beim Sim-Racing? Oder ist das nur pure Unterhaltung?

Wendl: Das ist purer Ehrgeiz. Ich kann gar nicht so viel umsetzen, wie ich möchte. Ich begleite die Entwicklungen, bin täglich mit mindestens einem Fahrer in Kontakt, oder auch mit den Teams, um sie zu pushen. Wir verhandeln auch mit Partnern, die das Thema unterstützen wollen. Klar ist: Sobald man mit einem Mercedes-AMG im Sim-Racing antritt, präsentiert man auch die Marke. Deswegen ist es ein großes Anliegen von uns, dass wir auch in der virtuellen Welt und in Serien wie der Digitalen Langstrecken-Serie DLNS erfolgreich sind. Wir als AMG Customer Racing organisieren zum Beispiel für die in der DNLS involvierten Fahrer und Teams Trainingssessions, um stetig besser zu werden. Es ist ein auch von mir anfangs unterschätzter Anteil an intensiver und koordinierter Arbeit nötig, um das Auto im Detail für Zehntelsekunden zu verbessern.

Ist Ihr Aufwand denn ähnlich groß wie in der Realität?

Wendl: Der Aufwand verschiebt sich. Die Fahrzeuge sind natürlich nicht zu 100 Prozent original und entsprechen auch nicht ganz dem originalen Fahrverhalten. Die Setups, die man sich erarbeiten muss, sind deshalb andere als im realen Leben. Heißt: Die Fahrbarkeit spielt im Sim-Racing eine geringere Rolle, weil es einzig und alleine darum geht, so schnell wie möglich um die Nordschleife zu kommen. Im Sim-Racing ist die Verletzungsgefahr bei Unfällen natürlich nicht wirklich gegeben. Man kann stundenlang andauernd zwei Runden am Maximum fahren, bis man einschlägt und das Setup im Griff hat. In der Realität ist das natürlich nicht möglich. Da wird sehr viel in die Vorbereitung gesteckt, um Strategien auszuarbeiten, die in der geringen Testzeit, die man zur Verfügung hat, schnell Anwendung finden. Deswegen verschiebt sich die Arbeit koordinativ: Wie teile ich meine Arbeit auf, um gezielt zu Ergebnissen zu kommen? Relativ identisch zur Realität ist die grundsätzliche Arbeit, wie man das Auto schneller bekommt.

Wo sehen Sie in dem Bereich Sim-Racing noch Potenzial?

Wendl: Zum einen im sportlichen Reglement. Dabei geht es um den Respekt voreinander, wie Fahrer mit dem Thema Seriosität umgehen. Dass zum Beispiel Überholmanöver nicht mit der Brechstange durchgeführt werden. Zum anderen möchte ich mich zusammen mit den anderen Herstellern noch intensiver damit beschäftigen, die Fahrzeug-Modelle noch realistischer zu entwickeln. Sie sind auf einem hervorragenden Niveau, aber da geht immer noch etwas.

Was können Sie für das reale Leben mitnehmen?

Wendl: Dass es ein ernst zu nehmender Sport ist. So sehr, dass im Moment diskutiert wird, wie wir eine Lücke im Kundensport-Zeitplan finden können, damit man sicherstellen kann, dass wir die Mercedes-AMG-Produkte vernünftig darstellen können.

Der Fall Daniel Abt zeigt, dass das Thema auch nach hinten losgehen kann. Hat Sie das überrascht?

Wendl: Dass so etwas irgendwann mal passiert, war nicht so überraschend. Die Branche muss sich mit der Frage, wie man die Identifizierung der Fahrer gewährleisten kann, beschäftigen.

Wie sehen Sie Sim-Racing grundsätzlich: eher als Spaß oder als Ernst? Oder etwas dazwischen?

Wendl: Jeder, der sich in einem Sport betätigt und misst, möchte ihn mit integren und fairen sportlichen Mitteln und nach einem bestehenden Reglement ausüben. Ob es nun ein Hobby-oder ein Profisportler ist. Es gibt Grundsätze, an die man sich halten sollte, damit man einen fairen sportlichen Wettkampf ermöglichen kann.