NBA-Kolumne Above the Break - Brennende Fragen zur zweiten Saisonhälfte: Kann man die Lakers schon abschreiben?

Ole Frerks
12. Januar 202209:49
Jalen Brunson hat sich offenbar einen dauerhaften Platz in der Starting Five der Mavericks verdient.getty
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Um die 40 Spiele haben die Teams nun absolviert - die erste Saisonhälfte ist vorbei, knapp ein Monat fehlt noch bis zur Trade Deadline. Allzu viel Klarheit herrscht in der Saison 2021/22 aber noch nicht. Wir blicken auf die wichtigsten Fragen zur zweiten "Halbzeit".

Crasht Joel Embiid noch das MVP-Rennen?

Aktuell wird an vielen Stellen von einem Vier-Mann-MVP-Rennen gesprochen, bisweilen geht es auch nur um zwei Kandidaten (Kevin Durant und Stephen Curry). Dabei gibt es mit Joel Embiid einen anderen Spieler, der gute Argumente auf seiner Seite hat, auf einer Pro-Minute-Basis der wertvollste Spieler der Liga zu sein.

Die Sixers belegen zwar nur den fünften Platz im Osten (23-16), die Bilanz mit Embiid ist jedoch deutlich besser (20-8). Dem Net-Rating zufolge ist Philly in Embiids Minuten ein 60-Siege-Team, das Problem ist wieder einmal die Verfügbarkeit - ähnlich wie in der vergangenen Saison, als ihm 31 verpasste Spiele eine Chance auf den MVP nahmen.

Natürlich kann das auch in dieser Saison noch einmal passieren, aktuell sind die Sixers mit Embiid jedoch auf einem guten Weg. Nur die Grizzlies haben derzeit eine längere Siegesserie als Philly (7), und Embiid ist dabei unheimlich dominant: Sieben Spiele in Folge hat er die 30 Punkte geknackt, im Schnitt kommt er auf 33 und 10 Rebounds während des Sixers-Laufs.

Embiid wirkt in totaler Kontrolle, sein Playmaking ist besser denn je - nie verteilte er mehr Assists (4,3 im Schnitt) und verlor dabei seltener den Ball (2,9). Auch die Dreierquote ist besser als jemals zuvor in seiner Karriere (38,9 Prozent). Nur aus dem Zweierbereich sind die Quoten zurückgegangen, weil er im Gegensatz zur Vorsaison derzeit keine Durant-artige Effizienz bei langen Zweiern an den Tag legt (40 statt 47 Prozent aus der Midrange).

Sei's drum: Embiid bleibt eine der dominanten Figuren der Liga. Die neuen Regeln haben ihn nicht eingeschränkt, nur Giannis Antetokounmpo zieht geringfügig mehr Freiwürfe als er. Ähnlich wie Giannis spielt er legitime DPOY-Defense, nach dem "Ausfall" von Ben Simmons muss Embiid hier noch mehr Last schultern als ohnehin schon.

Wenn wir schon dabei sind - vermutlich brauchen die Sixers eine Lösung in der Causa Simmons, um hinsichtlich der Playoffs wirklich eine Rolle spielen zu können. Gefährlich sind sie jedoch immer, solange sie Embiid in dieser Form haben. "Nacht für Nacht tut mir das gegnerische Team wirklich leid", sagte Matisse Thybulle nach Embiids jüngster Gala.

Dessen überragende Spielzeit sollte nicht unter den Tisch fallen. So stark, so komplett war der Center noch nie.

Ist Pascal Siakam zurück?

Falls die Raptors von einem Spieler beim All-Star Game in Cleveland vertreten werden, wird das Fred VanVleet sein - richtigerweise. Der Guard spielt eine herausragende Saison und ist im Konstrukt der Kanadier unersetzlich (+16,1 On/Off-Differenz!). Der beste Spieler des Teams ist er (bald) aber wohl nicht mehr.

Wenn es so weitergeht wie zuletzt, wird das wieder Siakam sein. Der zweite Kameruner in der NBA hat eine enttäuschende Vorsaison mitsamt einer Operation an der Schulter hinter sich, die ihn die ersten Wochen der laufenden Spielzeit kostete. Er hatte kein Training Camp und brauchte einige Tage, um seinen Rhythmus wiederzufinden.

Das ist mittlerweile passiert. Siakam hat sich bisher in jedem Saisonmonat gesteigert, sieht mittlerweile wieder wie der Spieler aus, der 2019/20 ins All-NBA Second Team gewählt wurde. Über seine letzten 15 Spiele kommt Siakam auf 23, 9 und 5 bei steigender Effizienz; den Jumpshot trifft er sogar über die Saison besser als in 19/20 (39 statt 35 Prozent).

Zudem ist er aufgrund seiner Vielseitigkeit offensiv wie defensiv unheimlich wertvoll. Siakam verbringt erstmals in seiner Karriere fast 50 Prozent seiner Spielzeit auf der Center-Position, weil Toronto fast immer auf klassische Bigs verzichtet. Stattdessen setzt Raptors-Coach Nick Nurse auf vier langarmige, athletische und "austauschbare" 2 bis 2,10-Meter-Flügel und den Hydranten VanVleet.

In der Folge ist Toronto defensiv unheimlich switchable und offensiv ein Matchup-Albtraum, ohne einen klassischen elitären Creator zu haben. Siakam personifiziert das: Er verteidigt dank seiner Mobilität oft Guards, wildert in Passwegen (nur Minnesota forciert mehr Ballverluste) und nutzt offensiv dann seine Größenvorteile, vor allem in Transition.

Die Siakam-auf-der-Fünf-Lineups sind defensiv nicht ohne Probleme - eine 31-prozentige gegnerische Offensiv-Rebound-Rate ist heftig - aber bisher gibt die Experimentierfreude Nurse wieder einmal recht. Toronto hat nach einem eher mauen Start elf der vergangenen 16 Spiele gewonnen. Siakams Renaissance ist dabei (mit-)entscheidend.

Können die Bulls in der jetzigen Form Contender sein?

Die beste Bilanz im Osten, die drittbeste Offensive, defensiv aktuell auch auf Platz neun - Chicago erfüllt viele Kriterien eines Contenders, ist trotz etlichen Verlusten stabil geblieben und hat in der gesamten Saison noch nie drei Spiele am Stück verloren. Dazu ist DeMar DeRozan der neue König der Crunchtime.

Ohne Witz: 29 "Clutch"-Minuten hat DeRozan in der Saison bisher absolviert, in dieser Zeit 32 Punkte gemacht (10/18 Zweier, 2/2 Dreier, 6/7 Freiwürfe), dazu 6 Assists ohne Turnover verteilt. Offensiv kann man in der Crunchtime kaum besser spielen, seine beiden dramatischen Gamewinner in Folge sind dabei natürlich die Kirsche auf der Torte.

Und dennoch - ein paar Restzweifel bestehen an den Bulls, insbesondere defensiv. So überragend Alex Caruso und Lonzo Ball verteidigen (beide sind All-Defensive-Kaliber), kann einer von ihnen die Antwort sein, wenn es in den Playoffs gegen Kevin Durant oder Giannis Antetokounmpo geht? Die besten Verteidiger des Teams sind für solche Aufgaben entweder zu klein oder offensiv zu eingeschränkt, um entsprechende Minuten auf dem Court zu stehen.

Dazu gibt es da noch das Thema Nikola Vucevic. Der Center spielt wohl seine beste Defensivsaison, hat seine Rolle im Konzept von Billy Donovan gefunden und "funktioniert": In Voochs Minuten erlauben die Bulls 108,4 Punkte pro 100 Ballbesitze, das ist sehr achtbar. Die Frage ist nur, ob es haltbar ist, wenn sich der gegnerische Druck erhöht.

Vucevic ist in Sachen Mobilität eingeschränkt. Es ist damit zu rechnen, dass sich Teams dies weitaus mehr zunutze machen werden, wenn sie sich ein paar Tage auf dieses Duell vorbereiten, wie es in den Playoffs der Fall wäre. Ebenso wie auf die Tatsache, dass Vooch die Bulls schematisch ein Stück weit einschränkt, da er zumeist in der Drop Coverage spielen "muss".

Mit Ausnahme des Centers sind die Bulls sehr klein im Frontcourt. Patrick Williams hätte hier Abhilfe schaffen können (und sollen), dummerweise hat sich der hochtalentierte Zweitjahresprofi früh verletzt und verpasst die restliche Saison. Dieser Spielertyp fehlt den Bulls jetzt noch. Werden sie also dahingehend zur Trade Deadline aktiv?

Es gibt einen naheliegenden Kandidaten, Jerami Grant aus Detroit - um den stark umworbenen Swingman zu bekommen, müsste man sich voraussichtlich jedoch von Williams trennen. Sollten die Bulls dazu bereit sein, würde das viel darüber verraten, wie die Franchise selbst ihren überragenden Saisonstart einordnet.

Ist Brunson neben Luka die Antwort für Dallas?

Die Mavericks sind zweifelsohne enttäuschend in die Saison gestartet, gerade offensiv. Platz 15 beim Offensiv-Rating ist für ein Team mit Luka Doncic enttäuschend, das noch vor zwei Jahren die beste Offense der NBA-Geschichte aufgestellt hatte. Der Slowene selbst hatte daran seinen Anteil, erschien außer Form in Dallas und plagte sich vielleicht auch deshalb schon länger mit Knöchelproblemen herum.

Es gibt jedoch auch Gründe zur Hoffnung. Das Defensiv-Rating reicht zum ersten Mal seit 2011/12 (!) zu einer Top-10-Platzierung, Tendenz steigend; über die letzten beiden Wochen stellten die Mavericks sogar die beste Defense der Liga. Und auch offensiv zeigte der Pfeil nach oben.

Ein Grund dafür ist der neue Starting Backcourt. Nachdem Jalen Brunson in Doncic' Abwesenheit teilweise überragende Leistungen zeigte und nachdem seit Monaten (Jahren?) moniert wird, dass es an Playmaking neben Luka fehlt, hat Jason Kidd nun entschieden, seine beiden besten (einzigen?) Ballhandler nebeneinander starten zu lassen.

Die aktuelle Stichprobe ist noch gering, allerdings haben Doncic und Brunson über die vergangenen Jahre offensiv schon sehr gut miteinander harmoniert. 19/20 betrug ihr gemeinsames Offensiv-Rating 115 (laut Cleaning the Glass), vergangene Saison sogar beinahe 120 Punkte, was besser wäre als die beste Offensive aller Zeiten.

Doncic profitiert davon, nicht alle Würfe für sich und andere selbst kreieren zu müssen. Gleichzeitig ist Brunson durch seine klugen Bewegungen und Cuts auch Off-Ball wertvoll und kann mehr Bewegung in die zuletzt teilweise langsame Offensive bringen. Im Gegensatz zu vielen Mavs wartet er nicht primär auf Catch-and-Shoot-Möglichkeiten, sondern attackiert zu eifrige Closeouts gerne mit dem Drive und übt dadurch eine andere Art von Druck auf die Defense aus.

Defensiv sind die Lineups mit Doncic und Brunson derweil weniger eindrucksvoll, wobei das logischerweise auch mit der restlichen Besetzung zusammenhängt. Die Eindrücke von beiden bestätigen jedoch, was schon länger logisch erschien: Doncic kann Playmaking- und Ballhandling-Entlastung gut gebrauchen. Idealerweise wäre diese Entlastung vermutlich etwas größer und defensivstärker als Brunson, aber der Ansatz ist zumindest richtig.

Dallas belegt trotz einer nicht berauschenden ersten Saisonhälfte und vielen Ausfällen Platz fünf im Westen. Die Saison ist noch lang, mit der einen oder anderen cleveren Ergänzung könnte dieses Team die Distanz zu den Top-Teams im Westen zumindest verkürzen.

Wie wirkt sich Klays Rückkehr auf Wiggins aus?

Apropos Top-Teams! Gemeinsam mit den Suns (und mit Abstrichen Utah) haben sich die Warriors klar vom Rest im Westen abgesetzt, auch wenn die Offensive über die vergangenen Wochen ziemlich abgerauscht ist (die Quoten von Stephen Curry ebenfalls). Dabei konnte Klay Thompson erst in dieser Woche debütieren, was die ganze Welt darauf hoffen lässt, dass irgendwann vielleicht doch irgendwie alles in Ordnung kommen wird.

Die Frage wird nun sein, wie sich die Rückkehr des Splash Brothers auf das restliche Team auswirkt. Bei Jordan Poole gibt es interessanterweise wenig Bedenken, obwohl Klay dessen Rolle in der Starting Five einnimmt. Poole übernahm bisher schon oft die Führung der Lineups ohne Curry, das wird er nun weiter tun, nur eben von der Bank kommend.

Spannender ist die Auswirkung auf Andrew Wiggins, der sich in Golden State als zweite Option etabliert hat und von TNT-Experte Stan Van Gundy während der Klay-Rückkehr zum würdigen All-Star erklärt wurde. Ob er einer wird, ist zwar unklar (nach meiner Ansicht gibt es bessere Kandidaten), tatsächlich spielt Wiggins jedoch ein sehr gutes Jahr als Two-Way-Spieler.

Offensiv springt vor allem die mit Abstand beste Dreierquote seiner Karriere ins Auge (42,1 Prozent), auch sein True Shooting war nie besser (58,6 Prozent), obwohl Wiggins ein überraschend mieser Freiwurfschütze bleibt (70,5 Prozent?). Seine Wurfauswahl ist deutlich besser, er spielt mit mehr Verstand und er ist wesentlich konstanter als in den Timberwolves-Jahren, was sich auch auf seine Defense bezieht.

Wiggins übernahm auch beim Klay-Comeback gegen Cleveland die Rolle, die Thompson früher stets innehatte: Er verteidigte den besten Wing des Gegners, in diesem Fall Point Guard Darius Garland. Schon die gesamte Saison über wird der Kanadier auf alle möglichen verschiedenen Matchups angesetzt und erfüllt seine Rolle zumeist gut. Er ist nicht der Hauptgrund (Draymond!), aber einer dafür, warum Golden State die beste Defense der Liga stellt.

Wiggins ist eine Versicherung für Klay, bei dem sich erst mit der Zeit zeigen wird, ob er an das All-Defensive-Niveau früherer Tage noch einmal herankommen kann. Wiggins muss das allerdings auch wollen. Die körperlichen Voraussetzungen, um ein Top-Verteidiger zu sein, hatte er schon seine ganze Karriere über, er war es nur bis zu dieser Saison noch nie.

Kann sich "Maple Jordan" seine Motivation und sein vor dieser Saison notorisch wechselhaftes Engagement beibehalten, wenn er offensiv von der zweiten eher zur dritten Option wird und seine Rolle sich etwas verringert? Das wird eine der entscheidenden Herausforderungen für die Warriors in der restlichen Spielzeit und ein kleiner Balanceakt.

Golden State kann dabei auf seine Infrastruktur und die vorhandene Leadership bauen. Das Risiko, welches die Warriors beim Trade für Wiggins eingingen, hat sich längst doppelt und dreifach ausgezahlt, er ist vom Albatross-Vertrag zum wertvollen Spieler geworden. Nun wird sich zeigen, wie nachhaltig seine Transformation wirklich ist.

Ist es zu früh, um die Lakers abzuschreiben?

Glas halb voll: LeBron James spielt in letzter Zeit absurd guten Basketball, hat sich als (nomineller) Center mal wieder ein Stück weit neu erfunden und entwickelt eine zunehmend starke Chemie mit Malik Monk, der sich sehr gesteigert hat. Über die vergangenen beiden Wochen stellen die Lakers die drittbeste Offense der Liga und das fünftbeste Net-Rating.

Glas halb leer: Die Siege werden in erster Linie gegen miese Teams geholt. Von den West-Teams haben nur die Rockets und Thunder weniger Siege gegen Teams mit positiver Bilanz (6). Eine 5-1-Bilanz bei Spielen mit Verlängerung schönt die Bilanz des Champions von 2020, der sich auch mit miesen Gegnern oft sehr schwer tut.

Was machen wir nun daraus? Es ist fraglos gut zu sehen, dass James auch mit 37 Jahren noch so aufdrehen kann; er ist der zweitbeste Scorer der Liga, über seine vergangenen 20 Partien legt der derzeit viertälteste NBA-Spieler 31 Punkte, 9 Rebounds und 7 Assists bei bärenstarken Quoten auf. Er scort auf einem Level, wie man es über die vergangenen Jahre nur aus den Playoffs kannte - 2009/10 war sein Schnitt zum letzten Mal höher!

Es ist gleichzeitig bedenklich, dass diese Leistungen von James schon jetzt nötig sind und nicht einmal dazu führen, dass die Lakers ein gutes Team sind. Sie sind okay, mehr nicht, die Spitze der Western Conference ist nach wie vor meilenweit entfernt, und LeBron reißt dabei nach VanVleet und den beiden Nets-Stars die meisten Minuten ligaweit ab.

All das spricht nicht für eine gute Kaderkonstruktion, ungeachtet der zahlreichen Ausfälle. Nun steht immerhin Kendrick Nunn vor der Rückkehr und auch Anthony Davis sollte in den nächsten Wochen wieder zur Verfügung stehen, beim Big Man wird darauf zu hoffen sein, dass er seinen enttäuschenden Saisonstart vergessen machen kann.

Reicht das dann? Das muss zumindest die Hoffnung sein. Lakers-Fans fabulieren auf Twitter zwar schon seit Wochen, wie sie alle möglichen Stars per Trade nach Hollywood holen können, es gibt da nur das kleine Problem, dass es für die wenigen verfügbaren guten Spieler (etwa Grant) viele Interessenten geben wird - und diese fast alle bessere Angebote machen können als die Lakers. Talen Horton-Tucker und der Vertrag von Russell Westbrook sind als Paket, nun, geht so.

Vielleicht spielt das alles keine Rolle, wenn neben LeBron auch Davis wieder in den 2020er Bubble-Modus schaltet. Momentan sieht es eher danach aus, als würde eine weitere historische James-Saison (in diesem Alter die drittbeste True-Shooting-Saison seiner Karriere? Ernsthaft?) mehr oder weniger im Sande verlaufen.