NBA-Kolumne Above the Break: Ja Morant und der Sprung zum Superstar - und darüber hinaus?

Ole Frerks
07. Januar 202207:30
Nur Russell Westbrook (l.) erzielte als Guard mal mehr Punkte in der Zone als Ja Morant.getty
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Ja Morant hat in seiner dritten Saison offenbar endgültig den Durchbruch geschafft und sich unter den besten Spielern der NBA festgespielt. Vor allem in einer Hinsicht tritt der Grizzlies-Guard dabei komplett anders auf als viele andere junge Superstars.

Es ist schon unterhaltsam, wie schnell sich die Debatte um Spieler teilweise drehen kann. Ja Morant etwa war zu Saisonbeginn so etwas wie die Offenbarung der Liga, ein Star in der Mache und der frühe MIP-Favorit. Dann verpasste er zwölf Spiele, die Grizzlies gewannen zehn davon - und auf einmal richtete sich der Fokus auf das, was der 22-Jährige noch nicht gut macht.

"Ist Memphis ohne Morant etwa besser?" Natürlich nicht. Die Siegesserie war nicht zuletzt unhaltbar miesen gegnerischen Wurfquoten und diversen Corona-Ausfällen geschuldet, was die Leistungen der Grizzlies nicht schmälern soll. Defensiv waren und sind sie ohne ihn tatsächlich stärker, Memphis erlaubt in dieser Spielzeit 9,2 Punkte mehr, wenn Morant mit auf dem Court steht.

An diesem Ende des Courts hat Morant Stand jetzt große Defizite. Die Hoffnung ist jedoch, dass er diese beheben kann - Memphis war noch in der vergangenen Saison das siebtbeste Defensiv-Team der Liga, auch wenn die Grizz auch damals besser waren, wenn er nicht auf dem Court stand (in seinem Rookie-Jahr war das interessanterweise anders).

Morant sollte es zumindest schaffen, defensiv Mittelmaß zu erreichen - er hat im Gegensatz zu beispielsweise Trae Young allemal die körperlichen Voraussetzungen dafür. Erreicht er diesen Punkt, muss man seinem Teamkollegen Desmond Bane womöglich bald tatsächlich zustimmen.

Ist Ja Morant der beste Point Guard der Liga?

"Die Leute debattieren darüber, ob er ein All-Star sein sollte oder nicht", sagte dieser vor wenigen Tagen, "aber ich denke, wir sollten darüber debattieren, ob er der beste Point Guard der Liga ist." Kurze Debatte: Nein, ist er nicht. Noch nicht. Es erscheint aber nicht mehr unmöglich, dass er früher oder später tatsächlich diesen Status erreichen könnte.

Offensiv hat Morant einen riesigen Sprung gemacht und lässt in seiner aktuellen Verfassung nicht mehr viele Wünsche offen. Er kombiniert die niedrigste Turnover-Rate seiner Karriere mit der (deutlich) besten Scoring-Effizienz und der mit Abstand höchsten Usage-Rate - fast nie kann ein Spieler all diese Faktoren miteinander vereinbaren.

Morant kam 2019 als lächerlich explosiver Athlet mit etlichen Fakes und toller Übersicht in die Liga - doch aktuell ruft er erstmals in seiner Karriere ein komplettes Offensiv-Paket ab, er ist nicht mehr nur in unmittelbarer Korbnähe dauerhaft gefährlich. Der Wurf ist "angekommen" und öffnet der Highlight-Maschine alle Türen und Tore.

Ja Morant: Dramatische Verbesserung als Shooter

Zu Beginn seiner Karriere galt es als beste Strategie gegen Morant, unter den Screen zu gehen, ihm also Platz zu lassen, da sein Wurf nur bedingt respektiert wurde. Er konnte das manchmal, aber nicht immer bestrafen; nach 33,5 Prozent als Rookie sank seine Dreierquote vergangene Saison auf 30,3 Prozent, trotz einiger Ausreißer nach oben.

Morant konnte zwar Eckendreier versenken, die vom Team für ihn herausgespielt wurden, beim Pullup-Jumper jedoch fühlte er sich nicht so sicher; vergangene Saison noch nahm er lediglich 52 davon und versenkte 13 (15 Prozent). Von den Dreiern oberhalb des Knicks traf er generell bloß rund 31 Prozent.

Hier lässt sich aktuell der größte Unterschied feststellen. Morant trifft derzeit 38 Prozent seiner Pullup-Dreier und knapp 40 Prozent allgemein; gezögert wird nicht mehr. Ist der Wurf da, nimmt er ihn.

Ja Morant hat neues Vertrauen in seinen Pullup-Jumper entwickelt.nba.com/stats

Die Stichprobe ist zwar noch immer gering, halten sich diese Quoten jedoch ansatzweise stabil, sind sie ein Game-Changer. Denn sie helfen ihm bei der Art von Abschluss, die er eigentlich bevorzugt. Je weniger gegnerische Verteidiger absinken können, desto mehr Möglichkeiten bieten sich Morant, sie wie bestellt und nicht abgeholt stehen zu lassen. Nicht, dass ihm das vorher sonderlich schwer gefallen wäre.

Ja Morant: Wie der junge Derrick Rose?

Morant ist schon jetzt der beste Attacking Point Guard der Liga. Bei aller Verbesserung des Jumpers erfolgen noch immer fast 80 Prozent seiner Abschlüsse am Ring oder aus der Floater-Range, und auch aus diesen Bereichen trifft er derzeit auf Career-High-Niveau. Er übt mehr Druck auf den Ring aus, als es ein Guard seiner Statur tun können sollte.

Kein Abschluss ist zu kompliziert, kein Berg zu hoch, um nicht zumindest einen Versuch zu starten. "Ich habe vor niemandem Angst. Es ist mir egal, ob du 2,35 m groß bist oder was auch immer. Ich attackiere dich direkt", sagte Morant kürzlich, und man kauft es ihm ab. Beziehungsweise: Man sieht es in jedem Spiel wieder.

Mit seiner Athletik und seiner Körperkontrolle ist Morant beinahe ohne Parallelen. Der junge Derrick Rose wird immer mal wieder genannt und einige Ähnlichkeiten gibt es tatsächlich, allerdings kam Rose nie über 10,3 Punkte in der Zone pro Spiel hinaus.

Morant steht aktuell bei 15 (!) - nur Russell Westbrook hat das als Guard mal geschafft, ebenfalls exakt 15 Zähler in der 19/20er Micro-Ball-Saison bei den Rockets. In der aktuellen Saison stehen lediglich Giannis Antetokounmpo und Nikola Jokic vor ihm - ohne großen Abstand wohlgemerkt.

Was sticht in dieser Tabelle heraus (abgesehen davon, dass viele NBA-Spieler nach wie vor kleiner gelistet werden, als sie sind)?

Tabelle: Die Topscorer in der Zone

RangSpielerPunkte in der ZoneKörpergröße (offiziell)
1Giannis Antetokounmpo15,62,11
2Nikola Jokic15,32,11
3Ja Morant151,90
4Deandre Ayton14,22,11
5Anthony Davis14,12,08
6Jarrett Allen13,52,11
7Domantas Sabonis12,22,11
8Bam Adebayo122,06
8LeBron James122,06
10Jimmy Butler11,42,01

Morant ist dabei nicht einfach nur ein spektakulärer Athlet und "Kraft-Finisher", er verfügt über einen guten Floater, Spielwitz und überragenden Touch bei Layups. Die 65 Prozent, die er aktuell am Ring trifft, erreichte Rose in seiner Karriere nie, Westbrook immerhin einmal (bei geringerem Volumen allerdings; vergangene Saison in Washington).

Es wirkt zwar bisweilen außer Kontrolle, ist es aber selten - im Gegenteil. Morant liest das Spiel und nutzt die eigene Scoring-Power, um auch Teamkollegen in Szene zu setzen. Viele seiner Assists sind so quasi nur ihm möglich, weil er gegnerische Defenses mit Hilfe seiner Athletik so manipuliert, dass sich Freiräume für andere ergeben.

Die Athletik von Ja Morant ermöglicht diesen Pass.nba.com/stats

Ja Morant ist ein teamdienlicher Superstar

Seine Assists sind in der aktuellen Saison etwas zurückgegangen, er sucht häufiger den eigenen Abschluss, trotzdem ist sein Spiel enorm teamdienlich. Morant ist durchaus gewillt, offensiv auch mal in die Ecke zu gehen und andere Spieler, etwa Bane, Plays laufen zu lassen.

Er wartet in solchen Angriffen nicht mit den Händen an der Hüfte an der Mittellinie wie manch anderer (Luka Doncic ...), sondern hilft durch eigene Screens oder als Off-Ball-Cutter. Seine Gravity ist vom Naturell her völlig anders als die von Stephen Curry, aber auch er kann Würfe kreieren, ohne dabei ein einziges Mal den Ball zu berühren.

Da Ja Morant hier nicht einfach stehen bleibt, bekommt Jaren Jackson sehr leichte Punkte.nba.com/stats

Nicht falsch verstehen: Morant hat viel Kontrolle über die Grizzlies-Offense, nutzt die viertmeisten Pick'n'Roll-Plays ligaweit (auch wenn der erstplatzierte Trae Young fast 5 mehr pro Spiel nutzt) und wird bei der Usage-Rate unter den Guards nur von Doncic, Young und Donovan Mitchell übertroffen.

Und doch bezieht er sein Team auf eine Art und Weise mit ein, wie es viele junge Stars sonst nicht können (oder wollen). Schon vor seinem Ausfall bot er etwa Bane den Raum, selbst zu einem MIP-Kandidaten zu reifen. Die Grizzlies wirken auch deshalb wie eins der tiefsten Teams der Liga, weil ihr bester Spieler sich nicht selbst über die anderen stellt.

Memphis Grizzlies: Jetzt schon All-In?

Natürlich aber auch deshalb, weil das Front Office über die vergangenen Jahre viele ziemlich gute Draft-Entscheidungen getroffen hat. Memphis befindet sich in einer beneidenswerten Situation: Drei ihrer vier besten Spieler sind 23 oder jünger (Morant, Bane, Jaren Jackson Jr.) und selbst der vierte im Bunde (Dillon Brooks) ist erst 25.

Mit diesem Kern steuern die Grizzlies Stand jetzt Richtung Heimvorteil und auf über 50 Siege zu, der Puffer auf Rang 5 ist bereits recht üppig. Und sie haben alle Möglichkeiten, um ihr Team noch mit Trades zu ergänzen oder zu verstärken, wenn sie die Chance wittern, sich sogar noch weiter nach oben zu orientieren.

Die vergangenen Wochen zeigen nämlich: Die Zeit, um anzugreifen, kommt vielleicht früher als erwartet. Denn Bane hat in dieser Hinsicht schon recht: Es ist keine Debatte mehr, ob Morant ein All-Star ist. Er ist zu Höherem berufen.