Kevin Durant ist von seiner schweren Verletzung nicht nur zurückgekehrt, der Superstar spielt aktuell in vielerlei Hinsicht den besten Basketball seiner Karriere. Dabei müssen die Brooklyn Nets ihn im Lauf der Saison womöglich ein wenig schützen.
Über viele Jahre war die Debatte um den besten Spieler der Welt nicht wirklich eine. LeBron James hatte diesen Status in den Augen der meisten Beobachter sehr lange inne, bis Kevin Durant ihn 2019 endlich abzulösen schien und sich dann prompt schwer verletzte. Es gab da noch Kawhi Leonard, ein Jahr später holte sich LeBron jedoch den Finals-MVP und auch diesen Gürtel zurück. Konsens gab es jedoch nicht mehr wie zu früheren Zeiten.
So ähnlich ist es auch jetzt - es ist eine Debatte mit einigen Kandidaten. Es gibt Argumente für Giannis Antetokounmpo, den Finals-MVP und besten Regular-Season-Spieler der letzten drei Jahre. Es gibt den amtierenden MVP Nikola Jokic, der besser spielt (und verteidigt!) als im Vorjahr. Es gibt Stephen Curry, natürlich auch immer noch LeBron.
Die meisten Stimmen allerdings würde derzeit voraussichtlich Kevin Durant erhalten, nicht zuletzt die von Giannis. Nun kann sich KD logischerweise nichts davon kaufen und hat vermutlich andere Sorgen und Ziele - dass er jedoch überhaupt Teil dieser Debatte ist, ist für sich genommen schon ein Wunder. Die Warriors, gegen die Brooklyn in der kommenden Nacht antreten wird (heute Nacht um 1.30 Uhr live auf DAZN), können ein Lied davon singen.
Kevin Durant kämpft gegen die Geschichte
Knapp zweieinhalb Jahre ist es mittlerweile her, dass sich Durant in seinem letzten Spiel für die Warriors in den Finals die Achillessehne riss. Sein Stellenwert war groß genug, dass ihm die Nets dennoch sofort einen Maximalvertrag vorlegten - 29 andere Teams hätten das auch getan -, die Hoffnung war da, dass er zumindest offensiv wieder der Alte werden könnte.
Eine sichere Sache war das jedoch nicht. Der Achillessehnenriss galt als letzte fast unbezwingbare Verletzung für Basketballer, die nicht zuletzt Kobe Bryant seine letzten sportlich relevanten Jahre in der Liga gekostet hatte. Durant verpasste ein Jahr, kehrte vergangene Saison jedoch prompt als Superstar zurück.
In der Regular Season wurde er noch dosiert eingesetzt, absolvierte nur knapp die Hälfte aller Spiele und ließ es gerade defensiv etwas ruhiger angehen. In den Playoffs hingegen war dann nichts mehr dosiert - in der epischen Schlacht gegen die Bucks, womöglich den vorgezogenen Finals, nahm er hinten raus gar keine Pausen mehr und bezwang den späteren Meister fast im Quasi-Alleingang.
Letzte Zweifel wurden endgültig beseitigt: Einer der besten Spieler in der Geschichte des Sports war zurück auf der Höhe seiner Schaffenskraft. Und jetzt ist er scheinbar noch ein Stück höher geklettert. Es klingt bei einem zweimaligen Finals-MVP und viermaligen Scoring-Champion fast vermessen, aber: In gewisser Hinsicht spielt Durant bis dato tatsächlich den besten Basketball seiner illustren Karriere.
Kevin Durant ist effizienter denn je
Zum Saisonstart wurde bereits häufig thematisiert, dass die neuen Regeln bei Freiwürfen einige Scorer beeinträchtigen, allgemein ist das Offensiv-Rating ligaweit gesunken, auch wenn der Trend zuletzt wieder etwas mehr nach oben zeigte. Etliche Offensiv-Stars bewegen sich dennoch nach wie vor ein Stück weit unter dem gewohnten Niveau.
Durant nicht - im Gegenteil. KD führt Stand jetzt die Liga beim Scoring an, und er tut dies mit einer Effizienz, die bei jedem Videospiel als unrealistisch gelten müsste. 68,2 Prozent True Shooting bedeuten einen Karrierebestwert und dieser Wert wirkt noch alberner, wenn man ihn historisch und in den Kontext einordnet.
Beim True Shooting schneiden üblicherweise Center oder Shooting-Spezialisten am besten ab, da die Freiwurf- und Dreierquoten gewichtet mit einbezogen werden; den Flügelspieler-Rekord stellte 2014/15 Kyle Korver mit 69,9 Prozent auf. Was Flügelspieler angeht, die über 25 Punkte pro Spiel markieren, ist die bisherige Nummer eins Stephen Curry aus dem Jahr 2017/18 (67,5 Prozent) - Durant wäre Stand jetzt also drüber. Mit ganz anderen Abschlüssen.
Die besten True-Shooting-Saisons von Nicht-Centern
Rang | Spieler | Saison | True Shooting | Punkte |
1 | Kyle Korver | 2014/15 | 69,87% | 12,1 |
2 | Dave Twardzik | 1976/77 | 68,92% | 10,3 |
3 | Tim Legler | 1995/96 | 68,84% | 9,4 |
4 | Nicolas Batum | 2021/22 | 68,62% | 10,4 |
5 | Seth Curry | 2021/22 | 68,56% | 16,2 |
6 | Duncan Robinson | 2019/20 | 68,39% | 13,5 |
7 | Kevin Durant | 2021/22 | 68,18% | 29,6 |
8 | Cedric Maxwell | 1979/80 | 67,92% | 16,9 |
9 | Cedric Maxwell | 1978/79 | 67,58% | 19 |
10 | Stephen Curry | 2017/18 | 67,51% | 26,4 |
Brooklyn Nets: Mehr Last für KD als gewünscht
Ohne Curry in irgendeiner Form kleinreden zu wollen: Er stellte diesen Rekord an der Seite von Durant auf, in einer eingespielten und bestens geölten Offensiv-Maschine. Mehr als der Hälfte seiner damaligen Field Goals ging ein Assist voraus, ein Großteil seiner Punkte entstand aus dem Fluss der Offense (dass er diesen Fluss entscheidend verantwortet beziehungsweise verantwortete, ist unbestritten!). Bei Durant ist das ... anders.
KD hat in Brooklyn nominell zwar ein Superteam versammelt - auf dem Parkett zeigt sich das nur eben noch nicht regelmäßig. Kyrie Irving wartet weiter darauf, dass New York sein Impfmandat aufhebt, bis dahin ist er keine Verstärkung. James Harden kam gemächlich in die Saison, auch wenn seine Formkurve zuletzt dramatisch angestiegen ist.
Und auch der Supporting Cast ist beileibe noch nicht perfekt eingespielt. Das ist nicht weiter schlimm, Mitleid ist bei dieser Truppe ohnehin nicht angesagt, viele Probleme werden sich mit der Zeit geben und selbst mit diesen Problemen steht Brooklyn schon an der Spitze der Eastern Conference. Es lastet eben einfach nur enorm viel auf den Schultern Durants.
Gerade in den Minuten, die Harden nicht auf dem Court verbringt, ist KD oft nahezu komplett für die Shotcreation verantwortlich, für sich selbst und andere.
Kevin Durant punktet immer und von überall
51 Prozent seiner Field Goals kreiert Durant laut Cleaning the Glass derzeit selbst, so viele waren es zuletzt 2013/14 in OKC, als Russell Westbrook lange verletzt war und Durant zum bisher einzigen Mal MVP wurde. Selbst bei den Dreiern kreiert er fast die Hälfte selbst, das ist mit Abstand ein Höchstwert in seiner Karriere.
Es schadet seiner Effizienz nicht im Geringsten - kein Abschluss wirkt zu schwer für Durant. Er ist einer der tödlichsten Isolation-Scorer, aber auch als Pick'n'Roll-Ballhandler weit vorne dabei. Er holt momentan mehr aus seinen Post-Up-Plays raus als Joel Embiid. Er ist einer der besten Spot-Up-Schützen der NBA, effizient nach Hand-Offs und nach Cuts, auch wenn er diese nicht allzu oft nutzt.
Tabelle: Kevin Durants Effizienz nach verschiedenen Play-Types
Play | Play/Spiel | Punkte/Play | Perzentil |
Isolation | 4,9 | 1,12 | 80,5 |
Pick&Roll-Ballhandler | 4 | 1,15 | 92,9 |
Post-Up | 3 | 1,14 | 86,4 |
Spot-Up | 3,4 | 1,44 | 96,5 |
Hand-Off | 1,9 | 1,11 | 72,4 |
Cut | 0,9 | 1,46 | 81,7 |
Seine Play-Type-Werte bei nba.com/stats sprengen jede Skala, er ist schlichtweg in fast allem gut bis überragend. Das gilt auch für seine Shooting-Zonen. Er trifft derzeit 78 Prozent am Ring (!), 69 Prozent seiner langen Zweier (!!!) und 42 Prozent von der Dreierlinie. Es ist einfach nur unfair, wie gut und variabel Durant als Scorer in der NBA auftritt, zumal die Nets manche Asse (wie das Harden-Durant-Pick'n'Roll) auch noch in der Hinterhand haben und bisher kaum einsetzen.
Der Mann hat keine Lücken; sein Ballhandling und Beweglichkeit sind für einen Spieler seiner Größe einzigartig, es gibt quasi keinen schlechten Wurf für ihn und er kann zu jedem Ort auf dem Court navigieren. Gegnerische Defenses können ihn unter Druck setzen, können versuchen, ihn zu drängen - und sie müssen trotzdem damit leben, dass er, selbst wenn sie ihren Job perfekt machen, einen Wurf kreieren wird, den er mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit oder mehr versenken wird. Es ist zum Verzweifeln.
P.J. Tucker beschrieb neulich im "Old Man and the Three"-Podcast von J.J. Redick die Mentalität, die man gegen Durant in der Defensive haben müsse: "Oh man, das war unglaublich. Den Wurf hast du getroffen. Jetzt mach es nochmal. Jetzt mach es nochmal. Denn ich werde nicht aufhören." Aber Durant eben auch nicht.
nba.com/statsKevin Durant legt auch bei der Assist-Rate ein Career-High auf
Nun ist das alles nur bedingt neu - und trotzdem kann es nicht zu viel gewürdigt werden. Wie Durant seine Punkte erzielt, ist einzigartig. Und er belässt es nicht beim Scoring, im Gegenteil. Steht Durant auf dem Court, verantwortet er 27 Prozent der Assists seines Teams, so viele waren es zuvor nie. Auch defensiv ist er einer der Hauptgründe für die gute Defense seines Teams, die direkt hinter den hochgelobten Heat auf Platz 9 rangiert.
Die Nets sind von der Konstruktion her eigentlich darauf ausgelegt, nicht allzu viel Last auf die Schultern einzelner Spieler zu laden, dafür versammelte man drei Stars beziehungsweise dazu fanden sich diese Stars zusammen. Nun geht diese Rechnung wie schon in der Postseason nicht auf, gerade KD, aber auch Harden sind sehr extrem gefordert, in den Minuten ohne beide Stars sind die Nets kaum konkurrenzfähig (-30,9).
Es ist paradox, denn für die Nets ist das nicht ideal - Head Coach Steve Nash gab bereits zu, dass er Durant nicht zu viel zumuten darf und ihn womöglich vor zu vielen Minuten schützen muss. Durchspielen darf er in den Playoffs, vorher eigentlich nicht. Für den geneigten Zuschauer hingegen ist es ideal: Aktuell ist jede Facette von Durant gefordert, es ist eben nicht mehr dieses Umfeld wie in Golden State, als vieles so leicht für ihn wirkte.
Einen Kampf hat Durant längst gewonnen
Es fällt heute leichter, die Leistungen Durants wertzuschätzen. Er ist 33, hat einen Achillessehnenriss hinter sich, und ist trotzdem besser denn je. Läuft es weiter wie bisher, wartet am Ende der Saison womöglich ein MVP-Rennen zwischen Curry und Durant; die Debatte kann nur anstrengend werden, wie Rob Perez es bei Twitter schon anmerkte.
Es ist letzten Endes unerheblich: Den Kampf gegen die Geschichte seiner Verletzung hat Durant bereits gewonnen. Den Kampf gegen NBA-Defenses gewinnt er nach wie vor fast jeden Abend. Er hat Scoring durchgespielt, wandelt weiter in Sphären, denen nur ganz wenige Spieler nah kommen können.
Wenn er so weiter macht, war die oft so desaströse Verletzung einfach nur ein Knick in seiner Karriere, nicht mehr. Einer der besten Spieler der NBA-Historie ist noch lange nicht fertig.