NBA-Kolumne Above the Break: Die Probleme der Lakers beginnen und enden nicht mit Russell Westbrook

Ole Frerks
07. Dezember 202108:49
LeBron James begibt sich bei den Los Angeles Lakers in eine neue Phase seiner Karriere.getty
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Die Los Angeles Lakers sind enttäuschend in die neue Spielzeit gestartet, auch wenn es momentan immerhin für eine ausgeglichene Bilanz reicht. Die Probleme des Teams gehen dabei weit über den komplizierten Fit von Russell Westbrook hinaus - größere Fragezeichen stehen momentan eigentlich hinter den anderen beiden Superstars.

So hatten sich die Lakers ihren Saisonstart definitiv nicht vorgestellt. Es klafft derzeit eine riesige Lücke zwischen Anspruch und Realität, den Playoff-Platz (6) mit einer 12-12-Bilanz hat man einer in der Breite erschreckend schwachen Western Conference und einem der bisher leichtesten Spielpläne zu verdanken. Mit Top-Teams wie Phoenix oder Golden State würde die Lakers momentan dennoch wohl niemand ernsthaft vergleichen.

Der Poster-Boy für die Probleme ist Russell Westbrook - nicht aus Zufall. Dabei sind dessen Leistungen nach einem schwachen Start mittlerweile absolut in Ordnung; mit 20 Punkten, 9 Assists und 8 Rebounds im Schnitt über die letzten 15 Spiele gibt Russ seinem neuen Team ziemlich genau das, was zu erwarten war, seine effektive Wurfquote von 49,6 Prozent in diesem Zeitraum wäre über eine ganze Saison sogar ein Career-High.

Westbrooks Spiel passt nicht ideal zu seinem neuen Team und hat seine Macken; er bietet kein Spacing, ist kein effektiver Off-Ball-Spieler, neigt zu schlechten Entscheidungen und verteidigt nicht mit dem größten Interesse - das war aber alles absehbar. Man kann es ihm nur bedingt übel nehmen, dass er sich für seine 14. NBA-Saison nicht auf einmal komplett neu erfunden hat.

Höchstens kann man den Lakers übel nehmen, dass sie offenbar darauf gehofft haben, als sie Haus und Hof für ihn tradeten. Dennoch: Westbrook taugt derzeit nicht als Sündenbock Nummer eins in LaLa-Land. Von der Big 3 ist er eigentlich nicht einmal derjenige, der momentan die größten Sorgen bereitet.

Russell Westbrook ist derzeit nicht das größte Problem der Los Angeles Lakers.getty

Die Lakers sind weg vom Titel-Rezept

Es ist erst knapp 14 Monate her, dass die Lakers mit einer recht simplen Gleichung ihre 17. Meisterschaft einfuhren: Sie hatten zwei der besten zehn Spieler der Liga in ihren Reihen, darunter den vermutlich besten, und dazu einen Supporting Cast, der vor allem exzellent verteidigte.

Das Shooting und die Offensive allgemein waren nicht überragend, aber es reichte, nicht zuletzt deshalb, weil einer der beiden Superstars in der Orlando-Bubble selbst weit über Karriere-Niveau für das Shooting sorgte (siehe unten). Seither gab es zwei Offseasons und die Lakers haben sich erstaunlich weit vom damaligen Grundgerüst entfernt.

Der Umbau gipfelte im Trade für Westbrook, bei dem die Lakers zwei der wenigen noch verbliebenen Spieler des Meister-Kaders (und noch mehr) nach Washington für einen weiteren Star abgaben. Alex Caruso wurde auch nicht gehalten, als Folge sind Anthony Davis und LeBron James neben Talen Horton-Tucker die einzigen Spieler, die seit dem Titelgewinn 2020 ununterbrochen Purple-and-Gold trugen.

Der neue Supporting Cast muss sich noch finden, mehrere der geholten Spieler konnten bisher noch gar nicht oder nur eingeschränkt spielen. Aber auch die beiden Superstars sind nicht mehr die Spieler, die sie in der ersten gemeinsamen Saison waren.

Anthony Davis: Der Jump-Shot ist weg

Davis ist auch in dieser Spielzeit einer der besseren Verteidiger der NBA, auch wenn er das Fehlen von Point-of-Attack-Defense bei den Lakers nicht kaschieren kann; L.A. belegt in der Kategorie Defense als Team über die Saison Platz 20, interessanterweise verteidigen die Lakers in Davis' Minuten sogar minimal schlechter.

Ein möglicher Grund: Es gibt Spiele oder zumindest Phasen von Spielen, in denen Davis defensiv extrem dominant auftritt, er tut dies aber nicht so konstant, wie die Lakers es gerne sehen würden beziehungsweise wie sie es bräuchten. Selbst in den Minuten, die Davis auf der Fünf verbringt und die die Lakers in den vergangenen beiden Saisons immer dominierten, erlauben sie laut Cleaning the Glass derzeit 112,8 Punkte. Das ist schlecht.

Schlechter ist indes die Offense. Davis bleibt zwar ein absolutes Monster am Ring (75 Prozent Trefferquote!), dafür trifft er nur 35,2 Prozent seiner Jump-Shots und lausige 18,8 Prozent von der Dreierlinie. Dabei ist sein Wurf insbesondere in Lineups mit Westbrook so wichtig, weil dieser eben (genau wie LeBron oder Horton-Tucker) am effektivsten ist, wenn er Platz für seinen Drive hat.

Anthony Davis: Vergleiche mit Tim Duncan nicht gut gealtert

Komplett schockierend ist es allerdings nicht, dass Davis' Würfe außerhalb der Zone nicht sonderlich gut fallen. Blickt man auf seine Karriere, ist der Ausreißer nicht die aktuelle Saison, sondern die 2020er Bubble: Im abgeschotteten Bubble-Umfeld traf Davis überragend aus der Mitteldistanz (49 Prozent) und von draußen (38 Prozent), nie kam er sonst auch nur in die Nähe dieser Werte.

Die Shooting-Zahlen von Anthony Davis

SaisonTeamFG% lange ZweierFG% DreierFG% Jump-Shots
16/17Pelicans423041
17/18Pelicans343539
18/19Pelicans363438
19/20Lakers333437
19/20 - Playoffs (Bubble)Lakers493848
20/21Lakers362737
21/22Lakers431935

Davis ist in dieser Spielzeit deutlich besser als in der verletzungsgeplagten Vorsaison, er wirkt jedoch nicht unbedingt bereit dafür, die team-interne Fackel von LeBron zu übernehmen. Er hat seine Glanzleistungen, taucht gefühlt jedoch trotzdem häufiger ab als jeder andere Superstar der Liga und hat ganze Spiele, in denen er zu vergessen scheint, dass er mit seinem Körper und seinen Skills in jeder Sekunde ein Mismatch darstellen kann.

Die Jubelarien einiger Lakers-Fans, die nach der Bubble proklamierten, er sei besser als Tim Duncan in seiner Prime, waren damals schon überzogen, mittlerweile wirken sie lächerlich. Davis hat in nun knapp zehn NBA-Jahren noch nicht bewiesen, dass er die Nummer eins eines richtig guten Teams sein kann. Dabei bräuchten die Lakers womöglich eine.

Es fühlt sich zwar noch immer fast vermessen an, aber derzeit drängt sich die Frage auf, ob LeBron ein Team in Jahr 19 noch tragen kann. Der King zeigt Alterserscheinungen, nicht nur in Bezug auf die kleineren und größeren Verletzungen, die seine Zeit in Los Angeles bisher prägen. Das zeigt sich vor allem an seinem Profil als Scorer.

Der bald 37-Jährige ist mehr denn je zum Jump-Shooter geworden: LeBron nimmt die wenigsten Abschlüsse seiner Karriere am Ring (35 Prozent) und gleichzeitig die meisten Dreier seiner Karriere (8,4 pro Spiel). Es ist kein Zufall, dass viele seiner bisher besten Spiele solche waren, in denen er von draußen heiß lief, etwa bei seinen Season-High 39 Punkten gegen Indiana (5/12 Dreier).

Die optimistische Sichtweise aus Lakers-Sicht dürfte in etwa so aussehen: LeBron spart Energie, außerdem versucht er, die Spacing-Probleme neben Westbrook und Davis (und oft auch noch einem klassischen Brettcenter) auf eigene Faust zu beheben. Die pessimistische Sichtweise: Kommt LeBron schlichtweg nicht mehr an seinen Gegenspielern vorbei?

LeBron James wird zum Jump-Shooter

Es gibt zumindest mehr Indizien dafür als in der Vergangenheit, dass die Explosivität langsam schwindet, was nach über 50.000 Karriere-Minuten allein in der Regular Season natürlich auch niemanden verwundern sollte. Seine Effizienz am Ring ist zwar nach wie vor hoch, dennoch wirkt er auch als Finisher oft nicht so explosiv, wie man ihn kennt.

Hinzu kommt, dass LeBron sich am Ende von Spielen oft fast nur auf den Distanzwurf verlässt - möglicherweise spielt dabei auch Müdigkeit eine Rolle, schließlich reißt er derzeit 36,9 Minuten im Schnitt ab und damit mehr als in jeder Saison seit 2016/17. Die vielen Overtimes gegen schwache Teams tragen dazu bei, die erhoffte Entlastung gibt es selten.

Als Folge der neuen Wurfdiät zieht James weniger Freiwürfe als je zuvor in seiner Karriere, er übt schlichtweg nicht den seit Jahrzehnten gewohnten Druck auf die gegnerische Defense aus. Genau wie Davis und Westbrook generiert er aus Isolation Plays derzeit keine 0,8 Punkte pro Play und bestätigt damit einen absteigenden Trend.

LeBron James in Isolation Plays

SaisonIsolationen pro SpielPunkte pro IsolationHäufigkeit Shooting Foul
16/175,10,9711,9%
17/186,40,968,6%
18/194,70,9714%
19/204,50,911,3%
20/214,40,848,1%
21/2240,787,8%

Fragt sich: Sehen wir diese Version von LeBron, weil er sich schont, weil er angeschlagen war und ist oder weil er sich noch an sein neues Team und vor allem Westbrook gewöhnen muss - oder ist LeBron von jetzt an permanent ein anderer Spieler? Sollte es so sein, dürfte sich seine Rolle im Team noch weiter verändern.

Wird LeBron James nun zum Center?

Selbst ohne Explosivität bleibt James ein exzellenter Spieler. Er gehört zu den besten Passern der Liga, er kann noch immer überdurchschnittlich effizient scoren, in Sachen Kraft macht ihm ohnehin kaum jemand etwas vor. Eine seiner Trumpfkarten war jedoch stets, dass er dabei auch noch schneller war als jeder seiner Gegenspieler.

Momentan ist er das permanent nur auf der Center-Position, auf der ihn Frank Vogel häufiger einsetzt als je zuvor: In den Minuten mit James und Carmelo Anthony als designierten "Big Men" haben die Lakers eine überragende Punktedifferenz von +16,5, insbesondere die Offensive explodiert regelmäßig in diesen Phasen.

In einem Team mit Davis als einzigem U30-Star kann es allerdings nicht die Lösung sein, LeBron zu viel auf der körperlich anstrengendsten Position des Sports spielen zu lassen - und diese Lineups sind defensiv ohnehin ziemlich angreifbar.

Ausgerechnet LeBrons alter Kumpel Tyronn Lue demonstrierte das am Wochenende, als er seine Bankspieler Eric Bledsoe und Isaiah Hartenstein viermal nacheinander LeBron im Pick'n'Roll attackieren ließ und jedes Mal Erfolg damit hatte. LeBron, Matchup-Hunting - da war doch was?

Lakers: Manche Probleme kann kein neuer Coach lösen

Die Lakers stehen nun an einem komischen Punkt. Ihre Offseason-Strategie muss erneut hinterfragt werden, neben dem Westbrook-Trade bezieht sich das ganz besonders auch auf die schreckliche Entscheidung, Alex Caruso ohne Not nach Chicago ziehen zu lassen. Es bleibt nur noch wenig Spielraum, irgendetwas zu verändern. Deswegen wird schon länger gemunkelt, dass es Vogel erwischen könnte.

Nur: Wie viel könnte ein neuer Coach hier bewirken? Liegt es am Coach, dass alle Flügelverteidiger des Meister-Teams weg sind? Liegt es am Coach, dass der Kader so aussieht, wie er jetzt aussieht? Liegt es am Coach, dass momentan keine perfekte Lösung dafür vorliegt? Sicherlich nicht.

Denn das war seit Jahren ja die Rechnung bei den Lakers: Selbst wenn es sonst nicht ideal aussah, hatte man den vielleicht besten Problemlöser in der Geschichte des Sports sowie einen weiteren Top-10-Spieler in seinen Reihen und damit im Zweifel fast immer mehr Talent als das Team auf der Gegenseite.

Prime-LeBron könnte vermutlich auch bei diesem Kader die meisten Probleme lösen. Gibt es Prime-LeBron jedoch nicht mehr und verharrt Davis weiter zwischen Superstar und Mitläufer, dann geht diese Rechnung nicht mehr auf. In dem Fall haben die Lakers weitaus größere Probleme als den Fit von Russell Westbrook.