NBA rast auf Katastrophe zu

Haruka Gruber
16. November 201116:16
Entschlossener Blick: Die Spieler um Derek Fisher (r.) ziehen gegen die NBA vor GerichtGetty
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Es ist eine tragische Story über verletzte Eitelkeiten und Multi-Millionäre, die sich als Märtyrer gerieren. NBA-Commissioner David Stern spricht nach dem Scheitern der Verhandlungen zwischen den Klubbossen und der Spielergewerkschaft von einem "nuklearen Winter". Profitiert Europa?

Frage 1: Was ist der aktuelle Stand?

Hätte die Angelegenheit nicht einen solch ernsten Hintergrund, die Fehlermeldung ist fast schon amüsant: Seit dem Scheitern der Verhandlungen mit den NBA-Klubbossen kann die offizielle Website der Spielergewerkschaft nicht mehr aufgerufen werden.

"Error 404: Basketball Not Found. Wir bitten um Geduld, wir arbeiten an einer Lösung. Wir entschuldigen uns für die Unannehmlichkeiten", heißt es nur, ohne einen Hinweis darauf, dass die Spielergewerkschaft formal nicht mehr existiert.

Der Sachstand: Die NBA-Klubbosse setzten im Arbeitsstreit der Spielergewerkschaft ein Ultimatum. Das letzte Angebot beinhaltete unter anderem eine Aufteilung der Einnahmen von 50:50, zuletzt standen den Spielern noch 57 Prozent zu. Im Falle einer Zustimmung der Spieler hätte eine um 10 auf 72 Partien reduzierte Regular Season beginnend am 15. Dezember gerettet werden können.

Stattdessen lehnte die Spielergewerkschaft ab und entschloss sich ihrerseits zu einer Offensive: Sie löste sich selbst auf, um als neu gegründete Handelsgesellschaft an einem ordentlichen Gericht gegen die NBA klagen zu können. Die Argumentation: Die bereits viereinhalb Monate währende Aussperrung der Spieler sei illegal, weil die NBA gegen das Kartellrecht verstoßen würde.

Diesen Schritt kommentierte NBA-Commissioner David Stern ungewohnt drastisch. "Die Spieler steuern volle Kraft auf die Selbstzerstörung zu. Das ist eine Tragödie", sagte Stern. Seine Allegorie aus dem Kalten Krieg ist ein Zeugnis der Feindseligkeit: Die NBA erwarte "einen nuklearen Winter".

Dabei ist die von den NBA-Klubbossen vorgeschlagene 50:50-Verteilung der Einnahmen von jährlich rund 4 Milliarden Dollar nur eines der vielen Streitthemen. Die Spieler waren angeblich sogar bereit, sich von ihrer letzten Forderung nach 52 Prozent der Einnahmen zu distanzieren - auch wenn jeder Prozentpunkt 40 Millionen Dollar kostet.

Der Kompromiss auf die 50:50-Ratio hätte demnach bedeutet, dass die Spieler im Vergleich zum ursprünglichen 57:43-Ratio auf 280 Millionen Dollar zugunsten der Klubbosse verzichten.

Dass wäre für die Spielergewerkschaft wohl zu verschmerzen gewesen. Dennoch brach sie die Verhandlungen ab, weil es ihr nach eigenen Angaben um das "System" an sich ging. Denn das Angebot der Klubbosse beinhaltete neben der Verteilung der Einnahmen auch eine Abschaffung oder Umformulierung unzähliger weiterer Punkte: Gibt es einen Hard Salary Cap? Was passiert mit der Mid-Level-Exception oder der Larry-Bird-Exception?

Bei all diesen Themen drängten die Klubbosse darauf, dass die Möglichkeiten eines Free Agents massiv eingeschränkt werden - was die Spielergewerkschaft entschieden ablehnte.

Frage 2: Wie könnte es weitergehen?

Frage 3: Warum stehen die Spieler am Pranger?

Frage 4: Welche Folgen hat ein Saisonausfall?

Frage 5: Wird Europa von NBA-Spielern überschwemmt?

Frage 2: Wie könnte es weitergehen?

Zunächst gab die NBA als Reaktion auf die Auflösung der Spielergewerkschaft bekannt, dass vorerst alle Partien bis zum 15. Dezember definitiv abgesagt werden. Die Spieler wiederum reichten am Dienstag wie erwartet die ersten Klagen gegen die NBA ein.

In Kalifornien waren Carmelo Anthony, Kevin Durant, Chauncey Billups, Kawhi Leonard und Leon Powe die Antragsteller, in Minnesota klagten Caron Butler, Ben Gordon, Anthony Tolliver und Derrick Williams. Die Antragsteller sollen die gesamte Palette unter den Profis repräsentieren: Spieler mit Vertrag, Spieler ohne Vertrag und Rookies.

Kommentar: Dirk Nowitzki ist einer der großen Verlierer

Die weitere Entwicklung ist kaum abzusehen: Denkbar ist, dass die Spieler trotz des Gangs zum Gericht mit der NBA verhandeln und bei einer Einigung doch die Klage zurückziehen. "Die Besitzer und die Spieler können noch immer einen Deal erzielen. Es ist weiterhin sehr gut möglich", sagt "ESPN"-Journalist Ric Bucher.

Andererseits stehen sich die Fronten derart unversöhnlich gegenüber, dass die meisten Beobachter von einem Ausfall der gesamten Saison ausgehen. Alleine schon wegen der zeitraubenden Gerichtsverfahren sei dies "sehr wahrscheinlich", sagt Billy Hunter, vormaliger Direktor der Spielergewerkschaft und neuer Boss der Spieler-Handelsgesellschaft.

Frage 1: Was ist der aktuelle Stand?

Frage 3: Warum stehen die Spieler am Pranger?

Frage 4: Welche Folgen hat ein Saisonausfall?

Frage 5: Wird Europa von NBA-Spielern überschwemmt?

Frage 3: Warum stehen die Spieler am Pranger?

Die Wahrnehmung der amerikanischen Öffentlichkeit oder zumindest der Journalisten verschob sich in den vergangenen Wochen merklich. Anfangs wurde den knauserigen, anmaßenden und teils inkompetenten Klubbossen die größere Schuld an der Misere zugeschrieben, nun jedoch geraten die Spieler zunehmend in die Defensive.

Sam Amick von der "Sports Illustrated" gehört mit seiner Meinung zu den Ausnahmen: "Die Besitzer tragen die meiste Verantwortung. Sie haben sich dazu entschieden, die Spieler von der Straße zu rammen, während die Spieler immer wieder entgegenkamen."

Doch die Spieler sind mittlerweile alles andere als entgegenkommend - und scheinen bei aller Verärgerung über das Verhalten der Besitzer das rechte Maß verloren zu haben.

Ein Indiz: Etan Thomas, einer der Aktivsten im Lockout und sonst bekannt für politische Weitsicht und eine gewisse Erdverbundenheit, schrieb bei "ESPN" einen Aufsatz darüber, wie unfair doch die Besitzer seien und dass diese sich aufführen würden wie die Kapitalisten an der Wall Street. Die Spieler hingegen seien Teil der unter der Wirtschaftskrise leidenden Arbeitnehmer.

"Die Leute kämpfen gegen das Big Business", schreibt Thomas und führt mit Pathos weiter aus: "Es gibt drei Klassen: die Oberschicht, die Mittelschicht, die Unterschicht. Die Besitzer versuchen nun, die Mittelschicht loszuwerden." Zur Einordnung: Kein Sportler verdient so viel wie ein NBA-Profi, dessen Durchschnittsgehalt bei über 5 Millionen Dollar liegt.

Sich als Leidende zu stilisieren, sorgte genauso für Unverständnis wie die Tatsache, dass die Spielerschaft trotz gegenteiliger Behauptungen tiefe Gräben durchziehen.

Angefangen hatte es mit einer Bewegung einer Gruppe von Spielern und Agenten, die frühzeitig eine Auflösung der Spielergewerkschaft forderten. Angeblich unterstützten mehr als 200 der rund 450 Profis dieses Ansinnen, dem die Gewerkschaftsführung anfangs jedoch skeptisch gegenüberstand.

Die Uneinigkeit unter den Spielern kulminierte am Montag: Statt alle Spieler zu befragen, entschied sich die Gewerkschaft dazu, das ultimative 50:50-Angebot der Klubbosse nur im kleinen Kreis zu besprechen und abzulehnen. Dieser Schritt sei laut Gewerkschafts-Präsident Derek Fisher legitimiert gewesen, weil sich die involvierten 30 Spieler-Repräsentanten der Klubs einstimmig dafür entschieden hätten.

Dies sorgte jedoch für Verdruss unter den zahlreichen Spielern, die sich nicht richtig vertreten fühlen. Lakers' Steve Blake erklärte explizit, dass er dem 50:50-Angebot zugestimmt hätte, Houstons Kevin Martin erklärte: "Wenn man weiß, dass die Besitzer sich nicht mehr bewegen, muss man den bestmöglichen Deal eingehen."

Ähnlich kritische Worte waren von einem Dutzend weiterer Profis zu lesen - was zunehmend Zweifel weckt, ob die Spieler in dieser verfahrenen Situation handlungsfähig sind.

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Frage 4: Welche Folgen hat ein Saisonausfall?

Frage 5: Wird Europa von NBA-Spielern überschwemmt?

Frage 4: Welche Folgen hat ein Saisonausfall?

Genaue Daten liegen nicht vor, welche Folgen die NBA zu befürchten hat. Und das aus einem einfachen Grund: Es kam noch nie vor, dass eine komplette Saison ausgesetzt wurde.

Die Erkenntnis aus dem auf 50 Regular-Season-Spiele reduzierten Jahr 1998/99 deuten jedoch an, dass die Konsequenzen katastrophal sein könnten - finanziell wie auch für das Image.

Die leidige Diskussion über Prozentpunkte eines Milliardenkuchens, während die restliche Nation darbt, verärgert genauso die Massen wie der Umstand, dass wegen des Lockouts hunderte NBA-Angestellte ihren Job verloren haben oder sich einen Zweit- oder Drittjob suchen müssen.

Wie schwierig es ist, verlorene Loyalität zurückzugewinnen, zeigte 1998/99, als sich die TV-Quoten erst nach drei, vier Jahren erholten.

Die "Sports Illustrated": "Angesichts der Wirtschaftskrise und der pessimistischen Stimmung im Land könnte sich der Saisonausfall als schlimmer erweisen als der Schiedsrichter-Skandal um Tim Donaghy, der Massen-Brawl 2004 in Detroit und der Lockout 1998/99 zusammen."

Frage 1: Was ist der aktuelle Stand?

Frage 2: Wie könnte es weitergehen?

Frage 3: Warum stehen die Spieler am Pranger?

Frage 5: Wird Europa von NBA-Spielern überschwemmt?

Frage 5: Wird Europa von NBA-Spielern überschwemmt?

Bayern-Coach Dirk Bauermann sagte bei SPOX: "Ich gehe davon aus, dass in Europa der Teufel los ist, wenn die gesamte NBA-Saison abgesagt wird. Einige warten nur darauf, den Wahnsinn zu starten."

Der Wahnsinn hat noch nicht eingesetzt, aber die Vorboten der Hysterie sind bereits zu vernehmen. Seit Montag intensivieren die Berater die Kontaktaufnahme mit China und vor allem Europa. So sprach die Agentur "Octagon" bereits mit einigen europäischen Vereinen über einen möglichen Wechsel ihrer Klienten Stephen Curry, Rudy Gay und Wesley Matthews.

Wesentlich weiter ist bereits Aaron Goodwin, der für Kevin Durant mitten in den Verhandlungen steckt, um ihn womöglich für zwei Spiele in Bayreuth unterzubringen.

Bayreuth-Boss im SPOX-Interview: So soll es mit Kevin Durant laufen

Pau Gasol erklärte jüngst, dass er im Fall der Fälle gemeinsam mit Bruder Marc zu seinem Heimatverein zurückkehrt: "Ohne eine Saison werden alle wichtigen NBA-Profis in eine andere Liga gehen. Wir würden es lieben, für den FC Barcelona zu spielen." Spekulationen gibt es auch um den Brasilianer Thiago Splitter (u.a. Unicaja Malaga, Real Madrid).

Perfekt hingegen sind zwei Rückkehrer: Der Israeli Omri Casspi unterschrieb bei Maccabi Tel Aviv, Andres Nocioni geht in seine argentinische Heimat zu Penarol.

Konkurrieren wird Europa vor allem mit China. Von wenigen Ausnahmen abgesehen (Kenyon Martin, J.R. Smith, Wilson Chandler) sträubten sich die meisten Spieler trotz möglicher Jahressalärs von über 3 Millionen Dollar, weil die chinesische Liga eine Ausstiegsklausel für die NBA verboten hat.

Je wahrscheinlicher das Wegfallen der gesamten Saison erscheint, desto verlockender wirkt jedoch ein Wechsel nach Fernost. Neueste Namen: Jamal Crawford (Xinjiang Flying Tigers ist interessiert) und Enes Kanter. Der türkische Nummer-3-Pick: "Ich habe mit meinem Berater noch nicht gesprochen. Aber ich muss die Optionen abwägen. Ich hungere nach Basketball."

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