NBA - Draft-Bust, Kickboxer und Obstbauer: Wie Darko Milicic seinen Albtraum NBA hinter sich ließ

Philipp Jakob
20. Juni 202010:09
Darko Milicic wurde 2003 an zweiter Position gedraftet und gilt als einer der größten Busts aller Zeiten.imago images / Matthias B. Krause
Werbung
Werbung

Darko Milicic kam 2003 als Nr.2-Pick zwischen LeBron James und Carmelo Anthony in die NBA. Doch statt als potenzieller Hall-of-Famer gilt der Center als eine der größten Enttäuschungen der Draft-Historie. Nach den dunklen Jahren in der Association versuchte sich der Serbe als Kickboxer und leistete sich Trink-Eskapaden, bevor er endlich sein Glück fand.

Über etwas mehr als 50 Hektar Land erstrecken sich in der Nähe der serbischen Stadt Novi Sad die Obstplantagen. Das sind über 70 Fußballfelder, auf denen in der knapp 300.000-Einwohner-Stadt an der Donau Äpfel angepflanzt werden, die später unter anderem nach Dubai, Russland oder Afrika exportiert werden. Oder aber grob gerechnet 1.250 Basketball-Courts.

Letzterer Vergleich zur Veranschaulichung der Größe des Areals scheint passender, mit Fußball hatte Darko Milicic nie sonderlich viel am Hut. Mit Basketball dagegen schon, auch wenn das orangefarbene Leder für die wohl dunkelsten Jahre im Leben des heute 35-Jährigen verantwortlich ist.

"Ich habe das Gefühl, dass der alte Darko gestorben ist", sagte der lebhafte Darko in einem ESPN-Feature 2017 über seine Karriere. "Wenn ich an mich selbst denke, als ich gespielt habe, habe ich das Gefühl, dass ich an jemanden denke, der tot ist."

Darko Milicic hat sich ein neues Leben aufgebaut. In seiner Heimat in Serbien, weit entfernt von dem NBA-Trubel, mit 50 Hektar Apfelbäumen. Mit seiner neuen Leidenschaft, die den Albtraum NBA vergessen machen soll.

Darko Milicic: Der größte Draft-Bust aller Zeiten?

Nichtsdestotrotz wird der Serbe Zeit seines Lebens mit den Namen LeBron James, Carmelo Anthony, Chris Bosh und Dwyane Wade in Verbindung gebracht werden. Alle fünf gehören der Draft-Klasse von 2003 an, die als eine der besten aller Zeiten gilt. Vier von diesen Spielern haben in den nachfolgenden Jahrzehnten Hall-Of-Fame-Karrieren in der besten Basketballliga der Welt aufs Parkett gezaubert. Milicic nicht. Der muss sich bis heute den Spott der anderen gefallen lassen.

Über knapp zehn Jahre in der Association legt der Center überschaubare 6 Punkte und 4,2 Rebounds im Schnitt auf, mit 0,04 Win Shares pro 48 Minuten (Ligadurchschnitt 0,1) belegt er in dieser Kategorie den 37. Platz unter allen 47 Spielern des Jahrgangs, die mindestens ein NBA-Spiel absolviert haben.

Kurzum: Die Basketball-Karriere des Darko Milicic ist nicht von Erfolg geprägt, stattdessen eilt ihm der unrühmliche Ruf als einer der größten Draft-Busts aller Zeiten voraus. Die Detroit Pistons entscheiden sich 2003 an Position 2 für Milicic. Er geht also direkt nach LeBron über die Ladentheke - und damit vor Melo, Bosh und Wade.

Darko Milicic wurde 2003 an zweiter Position gedraftet und gilt als einer der größten Busts aller Zeiten.imago images / Matthias B. Krause

Milicic vorm Draft: "Bestes Workout, das ich je gesehen habe"

Zwar gibt es schon damals die ein oder andere kritische Stimme aufgrund dieser Entscheidung, gleichzeitig genießt Milicic bei vielen Scouts ein enorm hohes Ansehen. Mehrere Verantwortliche betonen im Vorfeld des Drafts gegenüber Marc Stein (damals ESPN), Darko sei der klare Nr.2-Pick nach James.

Draft-Guru Chad Ford nennt den 2,13-Meter-Mann aus Europa ein "Unikat" - im positiven Sinne -, der ehemalige Pistons-Scout Will Robinson geht in ESPN The Magazine sogar noch ein ganzes Stückchen weiter: "Darko erinnert mich an einen jungen Wilt Chamberlain. Wilt hat von allem ein bisschen was gemacht und ich habe keinen Big Man mit so vielen Fähigkeiten gesehen seit Wilt."

Die Pistons haben 2003 bereits ein talentiertes Team um Chauncey Billups, Rip Hamilton und Ben Wallace beisammen, das in den Playoffs erst in den Conference Finals gegen die New Jersey Nets scheitert. Während dieser Serie absolviert Darko einige Workouts in New York - in der gleichen Halle, in der auch die Pistons trainieren.

Wie sich Ford später erinnert, begeistert Milicic den damaligen Pistons-Teampräsidenten Joe Dumars sowie Coaches und Spieler bei einem spontanen Vorspielen mit "dem besten Workout, das ich je gesehen habe". Post-Moves, gutes Ballhandling, ein brauchbarer Wurf, schnelle Füße: Detroit kann einen weiteren Big Man gebrauchen, Milicic scheint dafür der perfekte Mann, auch wenn das Scouting eines Europäers in der Pre-Youtube-Ära von einigen Hindernissen geprägt ist.

Darko Milicic: Basketball-Leidenschaft? Fehlanzeige

Erst sechs Tage vor dem Draft am 26. Juni 2003 feiert Milicic seinen 18. Geburtstag, gerade einmal vier Jahre zuvor startet seine basketballerische Laufbahn in der Jugend von KK Hemofarm. Eine leidenschaftliche Liebesbeziehung zum orangefarbenen Leder hat der junge Serbe nie. Aber er ist groß.

"Mein Vater hat mir Basketball beigebracht, denn wir hatten viele Leute in unserem Dorf, die gesagt haben: 'Du bist groß, warum versuchst du es nicht?'", erinnert sich Darko später. "Ich war nicht derjenige, der darum gebeten hat, Basketball zu spielen."

Milicic ist aber nicht nur groß, sondern hat auch Talent. Spätestens als die ersten Scouts aus Nordamerika auf ihn aufmerksam werden, sieht er in dem Sport einen Ausweg aus der finanziell und politisch schwierigen Lage in seiner Heimat, die von den Jugaslawienkriegen schwer erschüttert ist.

Sein Vater kämpft als Soldat im Krieg, einmal wird er sogar im TV für tot erklärt. Wenige Minuten später wird die Meldung widerrufen, die Milicics sehen live vor dem Fernseher zu. Milorad Milicic überlebt aber wirklich, kommt zurück nach Hause und trainiert mit seinem Sohn, bevor der 2003 den Schritt in die USA wagt.

Pistons holen Championship - Darko schmort auf der Bank

In der Motor City findet der Serbe jedoch eine für ihn äußerst ungünstige Situation vor. Das Team vom neuen Head Coach Larry Brown kämpft um die Championship - den zweiten Pick haben sie nur dank eines Trades von Otis Thorpe 1997 zu den Vancouver Grizzlies in der Hinderhand -, es ist kein Platz, um einem jungen Talent Raum für Fehler und zur Entwicklung einzugestehen.

In seiner Rookie Saison steht Milicic so in nur 34 Spielen im Schnitt 4,7 Minuten auf dem Parkett. Einsatzzeiten fallen nur ab, wenn das Spiel längst entschieden ist, was Darko den Spitznamen "The Human Victory Cigar" einbringt.

Während sich LeBron, Melo, Wade und Co. in Teams austoben dürfen, die sich mitten im Rebuild befinden, bekommt der Nr.2-Pick kaum eine Chance, sich zu beweisen. Stattdessen sieht Milicic aus der ersten Reihe beim sensationellen Championship-Run der Pistons 2004 zu - bis auf ganze 3 Minuten und 56 Sekunden, in denen der Center in den Finals gegen die Lakers selbst auf dem Parkett steht.

Darko Milicic: Frustrierende Jahre in der NBA

Auch in seinem zweiten Jahr in der NBA ändert sich für Milicic sportlich nicht viel. Dafür nimmt die Frustration abseits des Courts zu. Regelmäßig kommt er nach Spielen oder Trainingseinheiten nach Hause und schlägt vor lauter Wut Löcher in die Wände. Er trinkt, kommt einige Male angeschwipst zum Training. Sein NBA-Abenteuer läuft alles andere als geplant, also rebelliert er.

"Ich könnte jetzt sagen, dass ich nie eine richtige Chance bekommen hätte, aber das wäre einfach ein Vorwand", zeigt sich Darko Jahre später in einem Interview mit b92.net einsichtig. "Es ist die Aufgabe eines jungen Spielers, sich zu beweisen, hart zu arbeiten und auf seine Chance zu warten. Meine Herangehensweise war eine komplett andere. Als Nr.2-Pick aus Europa dachte ich, Gott hätte mich geschickt."

Nach nur zweieinhalb Jahren erklären die Pistons das Darko-Experiment für beendet und verschiffen den Big Man nach Orlando. Doch weder bei den Magic, noch bei den Grizzlies, Knicks, Timberwolves oder Celtics kann Milicic Fuß fassen und sein Glück finden. Selbst mit der Nationalmannschaft macht er mehr mit Schimpftiraden gegen die Referees als mit seinen sportlichen Leistungen auf sich aufmerksam.

Am 17. November 2012, nur wenige Wochen nach dem Saisonstart und einem knapp fünfminütigen Auftritt im Celtics-Trikot, überrascht Milicic wenige Stunden vor einer Partie gegen die Raptors schließlich seinen Head Coach Doc Rivers und seine Teamkollegen mit seinem Karriereende.

"Sollte etwas schiefgehen, habt ihr auf der Center-Position Jason Collins und Fab Melo", sagt Darko damals zu Rivers. "Ich habe gepackt und gehe nach Hause."

In der NBA-Karriere von Darko Milicic lief es selten nach Plan.getty

Deutliche Warnung an die Wolves: "Tradet nicht für mich"

Die Entscheidung kommt für den Serben allerdings nicht aus dem Nichts. Schon in Orlando hat er sich mit dem Gedanken, in seine Heimat zurückzukehren, beschäftigt. Stattdessen legen die Grizzlies 2007 einen Dreijahresvertrag über 21 Millionen Dollar auf den Tisch, in der Hoffnung, das ewige Talent doch noch in die rechte Bahn lenken zu können.

Zwei unglückliche Jahre später tradet Memphis ihn weiter nach New York, kurz vor der Trade Deadline 2010 schicken die ihn im Tausch für Brian Cardinal weiter nach Minnesota. Dabei hat Milicic Wolves-GM David Kahn noch eindringlich vor einem Trade gewarnt: "Ich will nicht mehr in der NBA spielen. Ich werde euer Team ruinieren. Tradet nicht für mich."

Kahn tut es doch, im darauffolgenden Sommer unterschreibt Darko sogar einen 20 Millionen Dollar schweren Vierjahresvertrag in Minnesota. Doch auch hier: Die Hoffnungen der Franchise, doch noch ein bisschen was aus dem ehemaligen Nr.2-Pick herauskitzeln zu können, sind unbegründet.

Über seine Karriere in der NBA sahnt Milicic insgesamt etwas mehr als 52 Millionen Dollar an Gehalt ab. Er legt sich einige Luxusautos zu, doch Glück kann er sich damit in den USA nicht kaufen. "Ich war verloren", so Darko. "Ich habe wirklich angefangen, Basketball zu hassen. Ich wollte einfach zurückkommen und ein anderes Leben führen."

Die Karrierestatistiken von Darko Milicic

TeamSaisonsG / MINPunkteReboundsAssistsFG%
Pistons396 / 5,81,61,20,233,9
Magic2110 / 23,17,95,11,146,9
Grizzlies2131 / 20,66,45,30,746,5
Knicks18 / 8,92,02,30,547,1
Wolves3122 / 22,77,74,81,347,2
Celtics11 / 5,00100
Gesamt10468 / 18,56,04,20,946,0

Darko Milicic: Kickboxer und Obstbauer

Es dauert jedoch auch in seiner Heimat eine Weile, bis Milicic endlich ankommt. Er versucht sich als 136-Kilo-Kickboxer, verliert in seinem ersten Kampf in der zweiten Runde und verlässt anschließend auch auf Drängen seiner Familie den Ring für immer.

Im April 2015 macht ein Video im Internet die Runde, wie Milicic auf einer Party oberkörperfrei vor einer grölenden Menge ein Bier ext (ohne Hände wohlgemerkt) und anschließend eine zweite Flasche seinen beiden Tattoos von Tschetnik-Generälen auf seinem Bauch "einflößt". Politisch unterstützt er serbische Nationalisten, auch machen Gedankenspiele über ein Basketball-Comeback in seinem Kopf die Runde.

Mit seinen Obstplantagen scheint Milicic nun aber endlich seinen Frieden gefunden zu haben. "Ich war einfach richtig glücklich", beschreibt er gegenüber ESPN seine ersten Erfahrungen als Obstbauer. "Weißt du, wir haben unsere eigenen Äpfel gepflückt. Unsere eigenen Äpfel!"

Darko Milicic: Das NBA-Kapitel ist abgeschlossen

2019 zeigt sich Darko doch noch einmal auf einem Basketball-Court, in der vierten serbischen Liga. Zwei Punkte sammelt er in seinem ersten Spiel, bevor er mit einer Schulterverletzung raus muss. Vor allem mit der NBA hat er aber offenbar abgeschlossen.

Das Geschehen in der Association verfolgt er so gut wie gar nicht mehr, seinen Championship-Ring von 2004 hat er verkauft. Nicht etwa aus Geldsorgen, den Erlös spendete er einer Wohltätigkeitsorganisation.

Das Obst-Business laufe gut, so Milicic 2017. Er plane, das 50 Hektar große Areal noch weiter zu vergrößern - und Kirschen anzubauen, deren Markt noch rentabler sei. "Ich will diese Kirschen anbauen", so der ehemalige Nr.2-Pick des NBA-Draft 2003 fest entschlossen. "Ich denke, es ist Zeit."