Die klügsten Menschen der Welt an einem Tisch mit Dirk Nowitzki: Mit einem ungewöhnlichen Dinner setzt Mentor Holger Geschwindner neue Reize. Was dahintersteckt. Und was Nowitzki vom Hook Shot abhält. Das Interview mit Geschwindner über ungewöhnliche Laudatoren, seine Wurzeln und eine Farm in Mississippi.
GettySPOX: Während der NBA Europe Live Tour bekam Dirk Nowitzki in Berlin den AmCham Germany Transatlantic Partnership Award verliehen. Eine umständlich formulierte, aber zugleich prestigereiche Auszeichnung, die Nowitzkis Verdienste um die transatlantische Beziehung zwischen den USA und Deutschland sowie sein karitatives Engagement würdigen soll. Als Laudator suchte sich Nowitzki zur Verblüffung aller einen Molekularbiologen namens Eric N. Olson aus. Wie kommt das?
Holger Geschwindner: Das war so: Letztes Jahr hatte Dirk sieben Tage nach dem Gewinn der Meisterschaft seinen 33. Geburtstag. Wir wollten die Feier nicht ganz ausfallen lassen, obwohl nach den ganzen Feiereien die meisten Spieler schon die Stadt verlassen hatten. J.J. Barea war zum Beispiel schon in Puerto Rico. Es gab also nicht mehr viele, daher kam mir die Idee: "Dinner for 41". Das sollte das Motto sein. Wir laden genau 41 Leute ein - und ausnahmsweise sollte das nicht so amerikanisch verlaufen. Die Amerikaner sind es ja gewohnt, dass bei Partys immer ein Büffet aufgestellt wird und sich jeder sein Essen selbst holt. Stattdessen wollten wir es europäisch: Wir stellten einen langen Tisch auf, bestellten ein klassisches Fünfgänge-Menü und besorgten uns Wein von 1978, Dirks Geburtsjahr.
ImagoSPOX: Und was hat Olson, einer der meistzitierten Wissenschaftler der Welt und die Instanz in der Herzmedizin, damit zu tun?
Geschwindner: Geplant war es also, ein bisschen Zirkus zu veranstalten und lokale Sportgrößen wie Mike Modano an den Tisch zu bringen. Dazu kam jedoch eine weitere Idee: Ich bin kein Freund davon, dass sich die Gesellschaft weiter divergiert und die Sportler nur unter sich bleiben. Daher machte ich mich schlau und bekam heraus, dass es fünf Nobelpreisträger aus Dallas gibt. Wir fragten vorsichtig an - und es kamen tatsächlich zwei Nobelpreisträger und Olson der Einladung nach.
SPOX: Wie ging es weiter?
Geschwindner: Wir saßen alle am Tisch und niemand wusste, wer sein Sitznachbar ist. Deswegen stellte Dallas' Pressesprecher Scott Tomlin die Runde einmal vor: Das ist Sportler XY, das ist Nobelpreisträger XY, und so weiter und so fort. Sie hätten mal sehen müssen, wie die Sporthelden geschaut haben! Völlig verdutzt. Es entwickelte sich dennoch eine tolle Party und alle hatten ihren Spaß. Die Wissenschaftler fanden es toll, nicht immer nur übers Fach reden zu müssen, und dass sie ganz normal integriert wurden. Für die Sportler war es ebenfalls eine super Erfahrung. Daher kamen wir auf die Idee, einen der Wissenschaftler als Dirks Laudatoren vorzuschlagen. Normalerweise hält bei solchen Anlässen ein Medienhäuptling die Ansprache. Bei uns war es eben etwas anderes. Daher gaben wir den Organisatoren drei Namen, zwei davon die angesprochenen Nobelpreisträger.
SPOX: Wie heißen sie?
Geschwindner: Alfred Gilman und Johann Deisenhofer, beides Biochemiker. Sie sind aber schon etwas älter, daher war es schwierig, einen Termin zu finden. Dazu die Reisestrapazen. Bei Olson passte es hingegen. Und ich finde, er hat es super gemacht und eine tolle Verbindung zwischen seinem Fach, der Herz-Forschung, und Dirk hergestellt. Die Rede kam sehr gut an.
Olsons denkwürdige Rede zum Nachlesen
SPOX: Sie beide eint die Leidenschaft für Musik. Olson ist weltweit angesehener Wissenschaftler und zugleich als Gitarren- und Harmonikaspieler Mitglied einer Rockband. Wie vertraut sind Sie sich?
Geschwindner: Nicht wirklich vertraut. Bei der Geburtstagsfeier hatte ich ihn erstmals kennengelernt und bei der Award-Verleihung konnten wir uns nur kurz unterhalten. Wir haben allerdings verabredet, dass wir uns zusammensetzen, wenn ich wieder in Dallas bin. Wir möchten die riesige Kluft zwischen Top-Wissenschaftlern und Top-Sportlern reduzieren. Und dann schauen wir mal, ob sich daraus mehr entwickelt. Das wäre schön.
SPOX: Musik ist das bestimmende Motiv in Nowitzkis Umfeld. Auch Coach Rick Carlisle ist ein talentierter Klavierspieler, der bei seinem ersten Besuch in Deutschland 2008 gleich mal mit befreundeten Musikern von Ihnen eine Jam Session abhielt. War das von Ihnen damals ein Test, um Carlisles Tauglichkeit zu prüfen?
Geschwindner: Überhaupt nicht, es kam zufällig zur Sprache, dass er zwar wie wir alle kein Berufsmusiker ist, aber sehr ordentlich Klavier spielt. Daher arrangierten wir am letzten Abend seines Aufenthalts die kleine Jam-Session. Wir mieteten uns einen Raum in einem Hotel, ließen ein Klavier reinrollen und es wurde mit der Truppe musiziert, die seit Jahren an meinen Basketball-Camps teilnimmt: Wolfgang Haffner, Christian von Kaphengst, Till Brönner. Es wurde ein sehr netter Abend.
SPOX: Dass Star-Musiker Brönner bei den AmCham-Gala zu Nowitzkis Ehren mit einigen Jazz-Liedern auftrat, war kein Zufall?
Geschwindner: Schon bevor Till so richtig bekannt wurde, kam er immer zu unseren Camps und musizierte mit uns. Unser Grundprinzip lautete seit Anfang an: Bball ist Jazz. Für mich ist der Basketball-Platz kein Sportplatz im herkömmlichen Sinne wie ein Fußball-Platz. Ein Basketball-Platz ist eine um ein paar Quadratmeter vergrößerte Bühne. Wenn man will, kann man mit zehn Schritten von einem zum anderen Ende des Spielfelds kommen. Daher sollte Basketball mit einer gewissen Finesse gespielt werden. Es soll mehr getanzt als gerammelt werden.
SPOX: Entstand so Nowitzkis Flamingo Shot? Improvisiert? Aus dem Flow heraus?
Geschwindner: Wenn es heißen soll, dass es zufällig entstanden ist, dann: nein. Der Flamingo Shot ist das Resultat, wenn man straight forward denkt.
SPOX: Straight forward?
Geschwindner: Die Natur arbeitet mit Minimalaufwand. Der größtmögliche Ertrag bei kleinstmöglichem Einsatz. Dirks Technik basiert im Prinzip darauf: mit dem minimalsten Aufwand das Bestmögliche erreichen. Im speziellen Fall heißt es: mit dem minimalsten Aufwand einen offenen Schuss bekommen. Daher der Monsterfadeaway. Man muss ihn gar nicht großartig trainieren, wenn man die Grundtechniken beherrscht. Der Gegenspieler steht direkt vor einem, man macht einen Schritt nach hinten und wirft einen Korb. Eine perfekte Lösung. Inzwischen macht ihn unter anderem ein Kobe Bryant nach, weil die Amerikaner verstanden haben, dass es eine extrem einfache Waffe ist, die nicht zu verteidigen ist.
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SPOX: Einer der größten Basketballer aller Zeiten schaut sich etwas von Nowitzki ab. Hätten Sie das je gedacht?
Geschwindner: Anfangs wurde drüben sogar gesagt: Den Schuss kann man nicht verteidigen, weil der so hässlich ist. Das ist natürlich überhaupt kein Argument. Es wird zu sehr vergessen, dass im Basketball die dritte Dimension zur Verfügung steht. Ich finde, dass ein Spieler zur Not von der Mittellinie den Hook Shot auspacken soll - solange er den Wurf beherrscht. Das ist der entscheidende Punkt.
SPOX: Was ist mit Nowitzki und dem Hook Shot? Kann er mit 34 Jahren den Wurf erlernen?
Geschwindner: Er muss ihn nicht erlernen, er kann ihn schon! Die Frage lautet: Wann nutzt er den Hook Shot? Das darf man aber nicht mich fragen. Der Dirk trifft den Hook Shot im Training zu 80 Prozent - mit links und rechts. Nur es bringt nichts, ein Trainingsweltmeister in bestimmten Techniken zu sein, wenn man sie im Spiel nicht anwendet.
SPOX: Was hält Nowitzki vom Hook Shot ab?
Geschwindner: Der Hook Shot ist grundsätzlich eine extrem gute Waffe. Er folgt wie der Fadeaway dem Prinzip des minimalsten Aufwands, weil nur der Körper zwischen Ball und Verteidiger gebracht werden muss. Doch was bringt der Hook Shot, wenn das Vertrauen nicht da ist, um ihn in kritischen Situationen anzuwenden? Solange das Vertrauen fehlt, wird ein Handwerker nie ein Werkzeug auspacken.
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SPOX: Wäre der Hook Shot das nächste Nowitzki-Upgrade?
Geschwindner: Es hat sich bewährt, dass wir uns das Ziel gesetzt haben, sich von Jahr zu Jahr zu verbessern. Glücklicherweise bis zur Meisterschaft. Dennoch darf es nicht sein, jetzt abzuwarten. Man muss sich ständig weiterentwickeln. Wenn man im Schuhgeschäft nicht Pleite gehen will, muss man neue Modelle ins Schaufenster stellen. Der Hook Shot könnte ein neues Modell sein. Schauen wir mal, ob das Vertrauen in die neuen Werkzeuge groß genug ist, dass er sie auspackt. Wir sind guter Hoffnung.
SPOX: In Ihrer Biografie über Nowitzki, die Ende Oktober auf den Markt kommt, zeichnen Sie aus Ihrer Sicht die Entwicklung Ihres Schützlings nach. Hatten Sie eigentlich selbst als Jugendlicher, der später die deutsche Nationalmannschaft als Kapitän anführen sollte, einen Mentor?
Geschwindner: Wir hatten einige gute Trainer, aber die wichtigsten Personen waren die bei mir um die Ecke stationierten amerikanischen Soldaten. Wir Schulbuben fanden immer einen, der für uns bei der Einlasskontrolle zur Kaserne unterschrieben und uns mit in die Halle genommen hat, um uns zu zeigen, wie Basketball geht.
SPOX: Was hätte ein 16-, 17-jähriger Geschwindner gesagt, wenn ein Privattrainer zu ihm gekommen wäre und etwas davon erzählt hätte, das er Sie in die NBA bringt und zum weltbesten Basketballer ausbildet?
Geschwindner: Keine Ahnung. Uns ging es damals nur darum, in die Kaserne zu dürfen und die Sportart aufzusaugen. Weitergehende Überlegungen lagen für uns nicht innerhalb des Horizonts, daher konnte die NBA nie das Ziel für einen sein. Zumal die Liga damals noch am Anfang stand und nicht so ein Zirkus war wie heute. Damals konnte man mit Glück auf 16-mm-Filmen Ausschnitte von der NBA die damaligen Größen sehen. Damit hatte es sich.
SPOX: Es wird immer darüber gesprochen, wie sich Nowitzki im Laufe der Zeit vom fränkischen Nachwuchsspieler zum Weltstar entwickelt hat. Aber wie hat sich Nowitzkis Mentor seit Ende der 90er Jahre entwickelt? Haben Sie sich entwickelt?
Geschwindner: Natürlich. Die Zeit, als es in die Weltspitze ging, war spannend und eine große Herausforderung, weil man so viel abdecken musste. Es gibt ja keine Bücher darüber, wie jemand in die Weltspitze kommt, daher mussten wir uns ohne Unterstützung alles selbst stricken. Ich musste wieder lernen zu lernen.
SPOX: Lernen zu lernen?
Geschwindner: Wenn man einen Beruf beherrscht, führt man das Zeug aus und lernt vielleicht ein bisschen dazu. Bei uns kamen plötzlich tausend neue Sachen.
SPOX: Was war besonders schwierig? Das Durcharbeiten des NBA-Mantelvertrags, um bei Vertragsverhandlungen nicht übertölpelt zu werden?
Geschwindner: Wir besuchten beide die Volksschule, der Mantelvertrag war noch der leichtere Teil. Schwieriger war es, sich bei allen Details einzufinden. Also nicht nur die faktisch bestehenden Regelungen, sondern auch die Denke zu verstehen, wie man sich in der NBA zu verhalten hat. Uns blieb ja nichts anderes übrig. Wir haben alles gegeben, was wir nie gekonnt haben. (lacht)
SPOX: Sie sind nicht nur Nowitzkis Mentor. Sie arbeiten für Wirtschaftsunternehmen als Troubleshooter. Als einer, der Probleme erkennt, sie analysiert und sie löst. Sind Sie bei Nowitzki genauso vorgegangen wie bei einem Wirtschaftsunternehmen?
Geschwindner: Wenn man es so sehen will, hat es sich mit Dirk so ergeben, dass er eben das nächste Projekt für mich war. Es ist ja mein Beruf: Ich habe Systemanalytiker gelernt und Mathe und Physik studiert. Später kam noch Philosophie dazu.
SPOX: Bekam Ihr Institut für angewandten Unfug mit Nowitzkis Erfolgen zunehmend mehr Aufträge?
Geschwindner: Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. In Deutschland gibt es die Marotte, dass alle glauben, nur eine Sache richtig gut können zu können. Ich trenne deswegen beide Bereiche so sauber wie möglich. Ein Balldribbler zu sein und gleichzeitig einen Beruf auszuüben, ist für viele unvorstellbar. Deswegen passte es nicht zu den Konventionen, als ich mit Dirk etwas Neues angefangen hatte. Es wurde gesagt, es wäre Unfug. Daher lautete meine Antwort: "Okay, ich will nicht widersprechen, gründen wir doch gleich das Institut für angewandten Unfug."
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SPOX: Erzählen Sie etwas von Ihrer Tätigkeit in der Wirtschaft. Sie kümmerten sich um eine Bettfederfabrik und planten den Bau einer Seilbahn mit. Die spannendste Geschichte handelt von einer maroden Farm in Columbo, Mississippi. Sie sollen einen Businessplan entwickelt und 80 Arbeiter unter sich gehabt haben, mit denen Sie Straßen bauten und Wälder rodeten. Wenige Monate später warf die Farm Profite ab.
Geschwindner: Das sind alte Storys, die erfunden sind. Fakt war: Ich stand als Spieler zwei Jahre bei Saturn Köln unter Vertrag. Daher kannte ich Herrn Waffenschmidt, den Klub-Besitzer, und seine Frau. Sie besaßen in Mississippi eine Farm, und weil ich im Prinzip Projektabwickler war, wurde ich von ihnen gefragt, ob ich dort aufräumen könnte. Ich fuhr also runter, organsierte ein bisschen herum und half Frau Waffenschmidt dabei, die Kontrolle wieder zu gewinnen. Das war die ganze Story.
SPOX: Gibt es ein Prinzip, wie Sie an Probleme herangehen?
Geschwindner: Nein, es gibt kein Prinzip. Außer: Das Prinzip, das ein Problem hervorgerufen hat, kann das Problem nicht lösen. Daher sollte man immer eine andere Perspektive einnehmen und genau anschauen, wie die alten Funktionsweisen sind. Mit der Zeit bekommt man darin Übung.
SPOX: Wie sieht Ihr Tagesablauf aus? Wie viel Prozent der Arbeitszeit sind für Nowitzki, wie viel Prozent für andere Projekte eingeplant?
Geschwindner: So denke ich nicht. Bei mir gehört alles zusammen, ich trenne nicht zwischen Leben, Arbeiten und Urlaub. Bei Dirk ist es so: Er legt seit ein paar Jahren so eine Selbstdisziplin an den Tag, dass es für mich nicht viel zu tun gibt. Wenn entsprechend woanders ein Problem auftaucht, trete ich mit allem an, was ich zur Verfügung habe. Ganz oder gar nicht.
SPOX: Können Sie sich vorstellen, nach Nowitzkis nahendem Rücktritt ein neues Talent ausfindig zu machen und diesen zu fördern?
Geschwindner: Ich bin nie Spielern hinterhergerannt, das ist nicht mein Ding, das will ich nicht. Dirk und ich rannten ineinander und machten zusammen alle Hochs und Tiefs mit bis zur Meisterschaft. Wir werden den Weg weitergehen. Dirk hat noch 40 Jahre vor sich, daher müssen wir mal gucken, ob ich helfen kann, ob Hilfe überhaupt erwünscht ist.
SPOX: Sie werden im Dezember 67 Jahre alt. Wie sieht Ihre weitere Lebensplanung aus?
Geschwindner: Eigentlich bin ich Rentner. Allerdings besitze ich nicht das Talent, rumzusitzen und irgendwelche Dinge zu tun, um nichts zu tun. Wie es weitergeht, hängt von den physischen Möglichkeiten ab. Toi, toi, toi, noch kann ich mit den Kindern Basketball spielen und Spaß haben. Es kann trotzdem sein, dass sich das irgendwann ändert. Die physische Uhr tickt. Der Franz würde sagen: Schau'n mer mal.
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