"Hartenstein? Der Sprung käme zu früh"

Ole Frerks
05. April 201714:17
Fran Fraschilla gilt als einer der großen Nachwuchs-Experten in den USASPOX
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Fran Fraschilla (ESPN) gilt als einer der größten US-Experten für die NCAA, den Draft und internationalen Basketball. SPOX sprach mit dem früheren Coach über den Draft, die Konkurrenz zwischen Europa und der NCAA und Luka Doncic. Und: Seine Meinung zu den deutschen Talenten Isaiah Hartenstein und Kostja Mushidi, die am Hoop Summit teilnehmen werden (Sa., 4 Uhr live auf DAZN).

SPOX: Mr. Fraschilla, wir hatten im Dezember bereits über den Draft 2017 gesprochen, nun würde ich gerne mit Ihnen über den europäischen Basketball reden. Vor einiger Zeit schrieben Sie bei Twitter, dass Deutschland eine "neue Brutstätte" des europäischen Basketballs sei - können Sie dies ein wenig ausführen?

Fran Fraschilla: Nun, ich beschäftige mich zwar hauptberuflich mit College-Basketball, allerdings bezeichne ich mich auch als Junkie des internationalen Basketballs und habe über meine zahlreichen Coaching-Camps viele Kontakte in Europa geknüpft. Daher bekomme ich - direkt und auch indirekt - mit, wie rapide die deutsche BBL wächst. Mehr als in anderen Ländern gleicht die Stimmung in einigen deutschen Hallen denen in der NBA, auch wenn sie natürlich kleiner sind. Zudem gibt es jede Menge vielversprechende Talente, die entweder bereits den Sprung gemacht haben oder kurz davor stehen. Das zeigt mir, dass der deutsche Basketball auch insgesamt im Wachstum begriffen ist.

SPOX: In Europa sind vor allem Länder wie Spanien oder die Balkan-Staaten für ihre Basketball-Begeisterung berühmt. Was macht Deutschland Ihrer Meinung nach richtig, um die Lücke zu diesen Hochburgen zu verkleinern?

Fraschilla: Ich kenne mich nicht zu sehr mit der spezifischen systemischen Talentförderung aus, ich kann jedoch bewerten, wie ich beispielsweise die neue Generation um Isaiah Hartenstein, Richard Freudenberg und Co. bei diversen Camps und Turnieren wahrnehme. Und dabei fällt mir klar auf, wie gut und gründlich die Spieler bereits in jungen Jahren ausgebildet sind. Dort wird also wirklich gut gearbeitet. Und diesen Eindruck bestätigen mir auch meine Freunde, die mehr Zeit in Europa verbringen als ich. Ich bin im Endeffekt ja doch zu 99 Prozent meiner Zeit in den USA. (lacht)

SPOX: Danach wollte ich gerade fragen: Sie gelten in den USA ja als einer der College-Experten schlechthin, wie schafft man es da überhaupt, sich auch noch mit den diversen Ligen in Übersee zu befassen?

Fraschilla: Das ist eine gute Frage - Leidenschaft und Neugier spielen auf jeden Fall große Rollen. (lacht) Ich habe in meiner Laufbahn viel von verschiedenen Coaches gelernt, nicht nur hier, sondern eben auch bei diversen Stationen in Übersee, als ich hospitiert oder mich einfach nur unterhalten habe, um neue Perspektiven auf das Spiel zu gewinnen. Zudem habe ich über Jahre viele Coaching Clinics in Europa besucht und mich dabei in das internationale Spiel verliebt. Als ich dann 2004 den Job wechselte und vom Coach zum TV-Experten wurde, erhielt ich gleichzeitig die Einladung, beim Reebok Eurocamp in Italien zu coachen, was ich im Anschluss neun Jahre am Stück getan habe. Dadurch habe ich etliche der europäischen Spieler, die jetzt in der NBA oder der Euroleague erfolgreich sind, sehr früh kennengelernt.

SPOX: Sind Sie auch jetzt noch in der Lage, während der NCAA-Saison beispielsweise auch Euroleague-Spiele zu sehen?

Fraschilla: Es ist nicht immer einfach, das muss ich zugeben. Während der College-Saison ist alles andere für mich ein Hobby, allerdings übe ich das gerne aus. Ich habe schon vor Jahren verstanden, dass längst nicht nur bei uns guter Basketball gespielt wird. Daher bleibe ich auch in meiner Freizeit "dran" - und wenn die College-Saison rum ist, kann ich mich natürlich noch viel intensiver mit den internationalen Ligen und Talenten befassen, um auch auf den Draft optimal vorbereitet zu sein.

SPOX: Müssen Sie manchmal grinsen, wenn beispielsweise während Olympischen Spielen einer Ihrer amerikanischen Kollegen verwirrt ist, dass jemand wie Milos Teodosic mit den NBA-Stars mehr als nur mithalten kann?

Fraschilla (lacht): Ja, das kommt schon mal vor. Allerdings sehe ich mich dann auch in der Pflicht, denjenigen darauf hinzuweisen, dass Basketball eben nicht nur NBA und NCAA ist. Ich muss aber auch sagen, dass ich heutzutage deutlich weniger "lehren" muss als noch vor einigen Jahren, denn der europäische Basketball kommt schon auch immer mehr bei uns an. Zum Start der laufenden NBA-Saison etwa standen deutlich mehr als 100 "Ausländer" in den Kadern - das spricht für sich. Der Respekt ist deutlich gewachsen, das merkt man auch am College, wo ebenfalls mehr Spieler aus Übersee aktiv sind als jemals zuvor.

SPOX:Ich habe vor einer Weile mit Bayern-Manager Marko Pesic über dieses Thema gesprochen - er ist der Meinung, dass es für ein junges europäisches Top-Talent eigentlich keinen Grund mehr gibt, ans College zu wechseln. Ich gehe davon aus, dass Sie das anders sehen?

Fraschilla: Nun, ich respektiere seine Meinung, allerdings denke ich, dass es zu dieser Frage keine absolute Antwort gibt. Es gibt Erfolgsfälle in Europa, es gibt aber auch Erfolgsfälle am College, weil das bei jedem Spieler von der Situation abhängt. Wir haben Talente gesehen, die in Europa blieben und dort bei absoluten Top-Teams Bankwärmer waren, was ihrer Entwicklung nicht geholfen hat. In der Türkei beispielsweise kommt mit Furkan Korkmaz von Anadolu Efes eins der größten Talente Europas seit Jahren kaum in die Rotation - das ist nicht optimal. Natürlich gibt es aber auch am College riesige Unterschiede, was die Situationen und auch Coaches angeht. Dafür ist auch Moritz Wagner, über den wir ja bereits gesprochen hatten, ein gutes Beispiel. Wer kann sagen, dass er genau diese Entwicklung wie in Michigan auch bei einem anderen Team hingelegt hätte? Für mich ist da jede Situation, jede Personalie einzigartig zu bewerten.

SPOX: Der aktuelle Rookie-Jahrgang liefert dafür ja auch durchaus Erfolgsbeispiele - wie zum Beispiel Jakob Pöltl.

Fraschilla: Richtig. Pöltl hat sich in seiner letzten Saison in Utah unglaublich gut entwickelt und ist sogar zum Lottery-Pick geworden, was vorher niemand gedacht hätte. Und auch ein Domantas Sabonis ging ja an 11. Stelle weg, was direkt auf seine gute Ausbildung in zwei Jahren bei Gonzaga zurückzuführen war. Für jeden Kristaps Porzingis, der sich in der spanischen ACB zum Lottery-Pick entwickelt, gibt es eben auch jemanden wie Sabonis. Und: Für NBA-Teams spielt eben auch die Bühne eine Rolle. Häufig ist beispielsweise das NCAA-Tournament stärker im Blickfeld als die europäischen Ligen. Den Marketing-Aspekt dabei dürfen wir auch nicht vergessen. Wer hier in den USA ständig im TV zu sehen ist, wird schon viel früher ein Name, den die Leute kennen. Ich würde also nicht zustimmen, dass grundsätzlich nichts für einen Wechsel ans College spricht.

SPOX: Dann kommen wir doch noch mal auf die aktuelle deutsche Generation zu sprechen. Welche Spieler sind Ihnen bisher besonders aufgefallen? Hartenstein hatten Sie ja bereits erwähnt...

Fraschilla: Ja, insbesondere er und auch Kostja Mushidi sind mir jetzt seit einigen Jahren bekannt. Hartenstein habe ich im Februar 2016 bei Basketball without Borders zuletzt persönlich gesehen und er ist wirklich ein sehr großes Talent, zweifelsohne mit NBA-Potenzial. Er ist noch sehr jung, aber man kann bereits seine Stärken sehen: Er ist lang und beherrscht viele Facetten des Spiels, vor allem hat er einen sehr guten Wurf. Wie viele andere hat er allerdings auch das Problem, dass er bei einem der Top-Teams in Europa (Zalgiris Kaunas, d. Red.) nur selten auf dem höchsten Level, also der Euroleague, eingesetzt wird. Man muss bei ihm Geduld haben. Ich bin dennoch der Meinung, dass er eines Tages auf jeden Fall eine NBA-Perspektive hat. Und die Umstellung wird ihm leichter fallen als vielen anderen Europäern, weil er einen großen Teil seiner Kindheit in den USA verbracht hat und sein Vater ja auch hier gespielt hat.

SPOX: In diversen Mock-Drafts taucht Hartenstein ja bereits in den Top 20 auf, unter anderem auch bei ESPN. Sie scheinen aber nicht zu denken, dass er im Sommer den Sprung wagen sollte?

Fraschilla: Ja, meiner Meinung nach käme das zu früh. Zuerst: Man sollte nicht jeden Mock-Draft ernst nehmen, weil nicht immer professionelle Scouts dahinterstecken. Teilweise natürlich schon und ich habe großen Respekt für die Arbeit, die darein investiert wird. Aber sie sind längst nicht immer zutreffend. Ich nutze die Mock-Drafts nur als grobe Orientierung, wenn ich Spieler bewerte. Der Draft ist in den letzten Jahren zudem immer unvorhersehbarer geworden, Potenzial wird viel höher eingeschätzt als das, was der Spieler tatsächlich leistet. Das macht es nicht gerade einfacher, einen Mock-Draft aufzustellen. Von daher: Es ist in Ordnung, Hartenstein so hoch einzuschätzen. Gleiches gilt für Mushidi, der auf einigen Boards ja auch in der zweiten Runde auftaucht. Aber keiner von ihnen wäre jetzt schon so weit, dass er einem NBA-Team helfen könnte. Sie sind noch sehr weit weg. Wenn Hartenstein beispielsweise in der Lottery gedraftet wird, was durchaus sein kann, dann würde ich hoffen, dass sein Team einen wirklich durchdachten Plan für seine Entwicklung hat. Den hatten die Suns, die letztes Jahr Dragan Bender an 4. Stelle drafteten, zum Beispiel nicht.

SPOX: Bevor er sich verletzte, spielte Bender in Phoenix viele Minuten auf der falschen Position, weil die Suns ebenfalls in der Lottery Marquese Chriss holten. Beide sind Power Forwards, Bender wurde aber zumeist auf der Drei eingesetzt. Die Logik hat sich mir auch nicht wirklich erschlossen.

Fraschilla: Richtig. In so einem Fall wäre es besser gewesen, ihn zu draften, aber noch ein Jahr in Europa spielen zu lassen. Ich will es mal so ausdrücken: Bei Porzingis wusste ich zwar nicht, dass er so schnell so gut sein würde, aber ich war zuversichtlich, dass er sich in der NBA durchsetzen könnte - einfach weil er das bereits in der ACB, der zweitbesten Liga der Welt, geschafft hatte. Bender dagegen tat sich in seiner letzten Saison bei Maccabi unheimlich schwer damit, überhaupt auf den Court zu kommen. Da kann es niemanden überraschen, dass er auch in der NBA Schwierigkeiten hat. Deswegen ist meine erste Frage bei so jungen Talenten, die hoch gedraftet werden, immer die gleiche: "Wie genau will das Team den Spieler auf und neben dem Court entwickeln?" Dazu gehören zum Beispiel folgende Fragen: Bringt man ihn gleich rüber? Findet man dann auch Minuten für ihn und kann damit leben, wenn er Fehler macht? Oder lässt man ihn lieber noch ein oder zwei Jahre in Übersee bei einem guten Team an seinen Stärken und Schwächen arbeiten? Über solche Themen muss beim GM und beim Coach Klarheit herrschen, bevor man sich eines dieser Talente schnappt. Und ich hoffe einfach, dass Isaiah in einer solchen Situation landet, denn dann kann ein wirklich guter NBA-Spieler aus ihm werden. Nur eben noch nicht in der nächsten Saison.

SPOX: Dann kommen wir noch einmal zu einem anderen Spieler, den Sie in dieser Saison einige Male sehen konnten: Richard Freudenberg. Wie bewerten Sie sein Talent und - vielleicht noch wichtiger - seine Situation in St. John's?

Fraschilla: Es war schon eine schwere Saison für ihn. Ich habe das Spiel gesehen, als er seinen ersten Dreier getroffen hat, davor hatte er allerdings elf Fahrkarten am Stück geschossen. Er hatte im weiteren Saisonverlauf nicht wahnsinnig viel Spielzeit, trotzdem halten wir hier weiter große Stücke auf ihn - seine Situation ist nicht groß anders als die von Mo Wagner im Jahr davor, und wir wissen ja, wie er sich in Jahr zwei gesteigert hat, nachdem er sich mehr an den Basketball hier gewöhnt hatte. Ich glaube, dass auch Freudenberg sich deutlich steigern wird, wenn er sich mehr an die Geschwindigkeit und Athletik hier angepasst hat.

SPOX: Gibt es noch andere deutsche Spieler, die Sie derzeit im Auge haben?

Fraschilla: Ich bin sehr gespannt, wie sich Makai Mason von seiner Verletzung erholt. Er kam in seiner zweiten Saison ja wirklich etwas aus dem Nichts, Yale ist schließlich nicht gerade als Basketball-Hochburg bekannt, und spielte dann auf einmal für Deutschland. Anscheinend wird er die kommende Saison wieder bestreiten können und dann winkt auch ihm eine professionelle Karriere, wenn er wieder zu seiner Form findet, vermutlich in Europa. Gavin Schilling in Michigan State ist für mich ebenfalls ein interessanter Mann, genau wie Oscar da Silva, der kommende Saison in Stanford spielen wird, einem College mit einem sehr guten Basketball-Programm. Die Deutschen haben wirklich einen guten Talente-Pool für die kommenden Jahre und ich glaube auch, dass der Nationalmannschaft gute Zeiten winken.

SPOX: A propos gute Zeiten: Gibt es in seinem Jahrgang irgendeinen Spieler, der mehr Talent mitbringt als Luka Doncic?

Fraschilla: Nein, meiner Meinung nach auch nicht in den USA, jedenfalls bis jetzt noch nicht. Doncic ist unglaublich. Seinen Namen kennt man ja jetzt schon seit einigen Jahren, obwohl er erst 18 Jahre alt ist. Er ist jetzt schon der beste Spieler, der in diesem Alter jemals in der ACB gespielt hat, und jedes Spiel ist ein Highlight. Es ist eine unglaubliche Freude, ihm beim Spielen zuzusehen. Natürlich gibt es aber auch bei ihm Fragezeichen.

SPOX: Die da wären?

Fraschilla: Wir wissen ja noch nicht, wie sich sein Körper entwickeln wird und was für eine Art von NBA-Spieler er sein wird. Es ist ja noch nicht einmal geklärt, welche Position er übernehmen wird. Spielt er mit 2,01 Meter wirklich Point Guard - und wird er in der Lage sein, die Top-Athleten wie Russell Westbrook, Damian Lillard und Co. zu verteidigen? Das alles muss sich noch klären. Aber was sich festhalten lässt: Er ist vielleicht das aufregendste Talent aus Europa, das ich jemals gesehen habe. Ich freue mich extrem darauf, seinen Weg weiter zu verfolgen.

SPOX: Für sein Alter spielt er bereits unheimlich abgezockt und beherrscht das Spiel in fast allen Facetten. Gibt es irgendjemanden, an den er Sie erinnert?

Fraschilla: Das ist eine gute Frage. Mir fällt nicht wirklich ein guter Vergleich ein. Ein Kollege von mir meinte neulich, dass er ihn an Jiri Welsch erinnert, was für seine NBA-Perspektive vielleicht kein gutes Zeichen ist. (lacht) Aber nicht vergessen: Auch Welsch galt ja einst als revolutionäres Talent, deswegen sollte das auch keine Beleidigung für Doncic sein. Ich glaube, dass aus ihm auf jeden Fall ein ganz Großer werden kann, wenn sich seine Physis entsprechend entwickelt. Er hat ein Gefühl für das Spiel, das man niemandem beibringen kann.

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