Die Brooklyn Nets stehen eigentlich vor einer unmöglichen Aufgabe. Mit Kyrie Irving als Vollzeitkraft ist diesem Team jedoch fast alles zuzutrauen. Eine Zahl verdeutlicht das ganz besonders.
Nun hat es also doch noch rechtzeitig geklappt. New York hat sein Impfmandat aufgehoben, rechtzeitig für den Playoff-Push seiner Teams (offiziell sind es zwei, die Knicks werden es aber nicht mehr schaffen). Bereits am Sonntag durfte Kyrie Irving erstmals in dieser Saison ein Heimspiel absolvieren, alle Welt war glücklich.
"Heute war meine Anwesenheit dort draußen größer als das Basketball-Spiel", freute sich der 30-Jährige, der zudem noch einmal klarstellte, worum es ihm mit seiner Weigerung sich zu impfen stets gegangen sei: Freiheit. "Ich stehe für die Freiheit, Entscheidungen für sich selbst zu treffen, ohne dass irgendjemand einem sagt, was man zu tun hat."
Es wird zu seinen Aussagen im Zuge des Spiels gegen die Hornets, das Brooklyn übrigens verlor und das die Nets zwischenzeitlich auf Platz neun im Osten zurückwarf, sicherlich etliche Meinungen und Diskussionen geben, wir sparen uns das an dieser Stelle. Es gibt ja auch noch die anderen Fragen, die sportlichen.
Als da wären: Was bedeutet Kyries Rückkehr für die Nets? Kann Brooklyn nun die gesamte Eastern Conference hinter sich lassen wie Andre Drummond die Heat, als der Big Man in Transition seinen inneren Wide Receiver für sich entdeckte? Es spricht schon für die Klasse der Nets in zumindest einer Hinsicht, dass das nicht völlig unmöglich erscheint.
Brooklyn Nets: Eine Zahl lässt immer noch träumen
Die bisherige Spielzeit der Nets ist mit Achterbahnfahrt nicht hinreichend beschrieben, vielmehr war es eine Fahrt, bei der der Passagier zwischenzeitlich aussteigen und das Gefährt noch reparieren musste. Das Chaos um Kyrie, das (ein Stück weit damit verbundene) Chaos um James Harden, die Verletzung von Kevin Durant, und und und ...
Kontinuität gab es keine, was Platz neun im Osten widerspiegelt. Auch das Net-Rating von +0,5 über die gesamte Spielzeit zeichnet das Bild eines mittelmäßigen Teams, nicht das eines Contenders. Ein solcher will Brooklyn jedoch sein, und dabei können sich die Nets in erster Linie auf eine Zahl stützen. 129,4.
So viele Punkte erzielen die Nets in dieser Spielzeit auf 100 Ballbesitze gerechnet, inmitten aller Probleme und Mittelmäßigkeit, wenn Irving und Durant den Court teilen. Das ist der Bestwert aller Lineups in dieser Saison, und mehr noch, das wäre das beste Offensiv-Rating in der Geschichte der Liga, mit sehr großem Abstand. Das ist ... gefährlich.
Kyrie spielt den vielleicht besten Basketball seiner Laufbahn
Natürlich ist es auch ein Wert, den man einordnen muss. Die Stichprobe ist aus den genannten Gründen gering. Cleaning the Glass notiert in dieser Spielzeit nur 530 Possessions der beiden Superstars ohne James Harden, in der vergangenen Saison waren es immerhin 1.205, in denen die Offensive ähnlich dominant aussah.
2020/21 verzeichneten die KD/Kyrie-ohne-Harden-Lineups ein Net-Rating von +8,9, aktuell stehen die beiden Amigos bei +9,2. Und auch wenn Durant natürlich der Chef auf dem Court ist, ist Irving dabei mitnichten ein Mitläufer. Es geriet angesichts aller Debatten um ihn fast in Vergessenheit, aber rein sportlich betrachtet befindet sich Kyrie in der besten Phase seiner Karriere, wenn er denn spielt.
Die vergangene Saison war die wohl beste seiner Karriere, ähnlich effizient war er zuvor nur in seiner ersten Saison in Boston, 2017/18. Und eben in dieser Spielzeit. Irving trifft den Dreier sogar noch etwas besser als im vergangenen Jahr und steht nun zum zweiten Mal in Serie kurz davor, eine Statistik-Kombination zu erreichen, die nahezu einzigartig ist.
Kyrie Irving: Zahlen wie nur Michael Jordan und Kawhi Leonard
Via Statistik-Guru Kirk Goldsberry von ESPN: Irving steht erneut bei einer True Shooting Percentage von mindestens 60 Prozent, einer Usage-Rate von mindestens 30 Prozent und einer Turnover-Rate von unter 10 Prozent (aktuell: 30,1 Prozent Usage, 60 Prozent True Shooting, 9 Prozent Turnover). Das schafften vor ihm nur Michael Jordan (3x) und Kawhi Leonard (2x).
Die aktuelle Spielzeit sollte dabei aufgrund der wenigen Einsätze natürlich nicht voll gewichtet werden, aber die Kombination verdeutlicht seinen Wert. Einfach gesagt: Kyrie punktet sehr viel und sehr effizient und er verliert dabei fast nie den Ball, was doppelt bemerkenswert ist, weil er sich 65 Prozent seiner Abschlüsse selbst erarbeitet. Und das ist alles nicht ganz neu, also nicht nur dadurch zu erklären, dass er ohne Heimspiele ungewöhnlich viele Pausen einlegen durfte und stets frisch war.
Durch sein atemberaubendes Ballhandling kommt er seit jeher an jeden Ort auf dem Court, beherrscht jeden noch so schwierigen Abschluss. Aber eben nicht nur das: Irving gehört zu den besten Pull-Up-Schützen der Liga (51,3 Prozent eFG), aber auch Catch-and-Shoot beherrscht quasi niemand besser (70,7 Prozent). Tatsächlich steht in dieser Spielzeit nur Anfernee Simons bei vergleichbarem Volumen knapp vor ihm.
Zwei ISO-Götter sind besser als einer
Irving kann selbst der Creator sein, aber auch von dem profitieren, was ein anderer Superstar kreiert, was ihn etwa von Harden unterscheidet, der "fangen und werfen" aus irgendeinem Grund nicht direkt nacheinander durchführen möchte. Das macht Irving, auch wenn er nicht der bessere Spieler ist, zu einem besseren Fit neben Durant, der ohnehin alles beherrscht und ebenso mit als auch ohne Ball in der Hand stets Gefahr ausstrahlt.
Offensiv lässt Kyrie auch mit Blick auf die Playoffs kaum Wünsche offen als sekundärer Superstar, auch die Tatsache, dass er in dieser Saison anteilig mit Abstand die wenigsten Abschlüsse am Ring seiner Karriere nimmt (nur 16 Prozent), schadet seiner Effizienz dabei bisher nicht (muss aber weiter beobachtet werden).
Mit KD (1,08) und Irving (1,01) haben die Nets zwei Spieler, die pro Isolation-Play mindestens 1 Punkt verzeichnen - das haben bei geringerem Volumen sonst nur die Dallas Mavericks (Spencer Dinwiddie SZN!) und das ist Gold wert, wenn die Playoffs anstehen. Viele Teams wären dankbar für wenigstens einen! Die Nets hatten sogar mal drei, aber ... das steht auf einem anderen Blatt.
NBA: Die besten Isolation-Scorer der Saison (mind. 3 pro Spiel)
Rang | Spieler | Punkte pro Isolation | Isolationen pro Spiel |
1 | Spencer Dinwiddie (in DAL) | 1,19 | 3,4 |
2 | James Harden (in PHI) | 1,18 | 7,5 |
3 | DeMar DeRozan | 1,14 | 4,3 |
4 | Luka Doncic | 1,08 | 6,1 |
5 | Kevin Durant | 1,08 | 5,3 |
6 | James Harden (in BKN) | 1,06 | 7,6 |
7 | Shai Gilgeous-Alexander | 1,03 | 6,8 |
8 | LeBron James | 1,03 | 4,1 |
9 | Damian Lillard | 1,01 | 4,4 |
10 | Kyrie Irving | 1,01 | 5,7 |
11 | Ja Morant | 1,00 | 3,1 |
Brooklyn Nets: Und wer hält den Laden dicht?
Defensiv wiederum zeichnet sich ein anderes Bild, eins, das zweifeln lässt. Theoretisch haben die Nets zwar noch einen der besten Defensivspieler der Liga in der Hinterhand, zum jetzigen Zeitpunkt wäre es aber schon eine Überraschung, sollte Ben Simmons bis zu den Playoffs noch zurückkehren. Angesichts seiner Situation ist es vermutlich auch gar nicht so fair, zu erwarten, dass er die zahlreichen Probleme in der Verteidigung einfach löst.
Vielleicht kann Simmons das irgendwann, für den Moment ist es so: Viele der besten Spieler der Nets sind kleine, offensivlastige Guards: Goran Dragic und Patty Mills sind nicht mehr die jüngsten, Seth Curry wurde bisher in jeder Playoff-Serie vom Gegner als Schwachstelle ausgemacht. Point of Attack-Defense ist eine große Schwachstelle und dürfte dies vorerst auch bleiben.
Positiv ist immerhin, dass sich Bruce Brown zurück in die Rotation gespielt hat und auf dem Flügel Druck ausüben kann, und dass Drummond sich als Rollenspieler gut eingefügt hat. Durant kann defensiv ein Game-Changer sein, in seinen Minuten erlauben die Nets respektable 111,7 Punkte (4,4 weniger als ohne ihn), in der Postseason wird sich Head Coach Steve Nash (erneut) nicht scheuen, den Slim Reaper mehr als 40 Minuten auf dem Court zu lassen.
Kyrie Irving: Ein "Angstgegner" bleibt ...
Auch Irving kann bisweilen einen Gang hoch schalten, wie er neulich beim Duell gegen Harden und die 76ers zeigte - das wird sein Team in der Postseason häufiger brauchen. Klar ist aber natürlich auch, dass die Nets gar nicht den Anspruch haben können, defensiv ein Topteam zu sein. Sie müssen okay sein, den Rest erledigt die Offense.
129,4, das ist die Zahl, an die man sich klammern kann. Das gefährlichste Scoring-Duo der Liga, flankiert von Shooting und Rim-Running - das allein reicht für den Moment, um vielen Teams Angst einzujagen. Momentan ist nicht einmal die Playoff-Teilnahme gesichert, aber es ging bei diesen Nets auch noch nie nur um die Realität, sondern um so viel mehr.
Dazu gehört auch: Es gibt aktuell noch eine Halle, in der Irving nicht spielen darf. Es ist zwar nicht wahrscheinlich, aber auch nicht unmöglich, dass Brooklyn im Play-In genau in dieser Halle, bei den Toronto Raptors, gastieren muss. Die Achterbahnfahrt ist noch lange nicht vorbei.
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