Er war der unumstrittene Eckpfeiler der legendären Celtics-Dynastie und einer der dominantesten Spieler aller Zeiten. Bill Russell revolutionierte nicht nur die Center-Position, sondern setzte auch im Kampf gegen den Rassismus neue Maßstäbe. Während sein Dauerrivale kaum gegensätzlicher hätte sein können, blieb sein Verhältnis zu der Stadt Boston lange Zeit ein schwieriges. Am Sonntag ist die Celtics-Legende im Alter von 88 Jahren verstorben.
Dieser Artikel erschien erstmals im September 2013.
"Ich hoffe, dass die Kinder in Boston eines Tages zu seiner Statue aufsehen und dabei nicht nur den Spieler, sondern vor allem auch den Menschen Bill Russell sehen werden."
Diese warmen Worte richtete kein Geringerer als der 44. Präsident der Vereinigten Staaten, Barack Obama, an den ehemaligen Celtics-Star.
Offizieller Anlass war die Überreichung der "Presidential Medal of Freedom", der höchsten zivilen Auszeichnung in den USA.
Diese sicherlich nicht alltägliche Ehrung und auch Obamas Worte jetzt nach Russells Tod veranschaulichen sehr deutlich, dass Bill Russell alles andere als eine "normale" NBA-Legende ist. Der 1934 in Louisiana geborene William Felton Russell hat die Liga in den sechziger Jahren nicht nur sportlich, sondern vor allem auch politisch geprägt wie kein anderer.
Bill Russell: Elf Titel in 13 Jahren
Auf dem Court wird Russell vor allem wegen seiner unglaublichen Titelserie in Erinnerung bleiben. In seinen dreizehn aktiven Jahren in der Liga, allesamt bei den Celtics, feierte der Center an der Seite anderer großartiger Spieler wie John Havlicek oder Bob Cousy nicht weniger als elf Meisterschaften. Die beiden letzten Titel sogar als Spielertrainer. Eine bis heute unerreichte Bestmarke.
In diesem Siegesrausch ist es nicht weiter verwunderlich, dass gleich neun damalige Celtics-Akteure in der ewigen Top Ten der meisten Titelgewinne auftauchen. Lediglich Robert Horry durchbrach die grüne Phalanx aus den goldenen Sechzigern. Bei allem Respekt vor der historischen Leistung Russells und seiner Teamkollegen sollte jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass die Liga zu dem Zeitpunkt lediglich aus zehn Mannschaften bestand.
gettyCeltics-Legende Auerbach riskiert und gewinnt
Nichtsdestotrotz kann man den Stellenwert von Russell kaum hoch genug einschätzen. Bevor der Absolvent der University of San Francisco 1956 nach Boston kam, hatten die Celtics keine einzige Silberware in ihrem Trophäenschrank. Und dies trotz einiger vielversprechender Akteure sowie dem legendären Trainer Red Auerbach.
Dass die Celtics in Russell frühzeitig ihren zukünftigen Franchise-Player erkannten, zeigt die Art und Weise, wie der 2,08-m-Mann überhaupt nach Beantown gelangte. Eigentlich von den St. Louis Hawks an zweiter Stelle gedraftet, setzte Auerbach alles in Bewegung, um seinen Wunschspieler zu verpflichten. Die Celtics gaben mit Cliff Hagan und Ed Macauley auch alles andere als Kleinholz für den damals 22-Jährigen ab, doch der gewagte Deal sollte sich bereits mit dem ersten Titelgewinn 1957 auszahlen.
Obwohl der Center während seiner Karriere im Schnitt über 15 Punkte auflegte, war sein individuelles Angriffsarsenal zu überschaubar, als dass er Partien in der Offensive nach Belieben dominieren konnte. Hinzu kam, dass er keinen zuverlässigen Jumper im Repertoire hatte und auch von der Freiwurflinie gehörig wackelte.
Bill Russell: Blockmonster und Quarterback
Russell revolutionierte das Spiel vor allem am anderen Ende des Courts. Als Defensivanker der Celtics räumte er unter den Brettern nahezu alles ab, was auf ihn zukam. Zehn Spielzeiten in Folge sicherte sich Russell mehr als 20 Rebounds im Schnitt. Beim Finals-Sweep 1959 gegen die Lakers waren es sogar unglaubliche 30 Abpraller pro Partie.
Auch beim Blocken von Würfen setzte er neue Maßstäbe. Obwohl diese Kategorie statistisch in den Sechzigern noch gar nicht erfasst wurde, berichten Augenzeugen davon, dass Russell regelmäßig zehn bis fünfzehn Wurfversuche pro Partie abwehrte. Und dies nicht etwa auf die spektakuläre Art und Weise, wie man sie heute kennt, indem er die Bälle reihenweise ins Publikum schmetterte.
Russell versuchte stets, das Spiel zu beschleunigen, und war darum bemüht, dass seine Blocks auf direktem Wege zu einem seiner Mitspieler gelangten. Somit war er nicht nur der Fels in der Celtics-Brandung, sondern stellte zudem eine Art Quarterback dar, wenn es darum ging, gedankenschnell die gefürchteten Fast-Breaks der Celtics einzuleiten. Selbst sein Dribbling war für einen Spieler seiner Größe außergewöhnlich.
gettyBill Russell: Ein siegesbesessener Anführer
Neben all seinen Qualitäten auf dem Spielfeld war Russell jedoch vor allem eines: ein geborener Anführer und der wohl beste und beliebteste Teamplayer, den es je in der Geschichte dieser Sportart gegeben hat. "Es gibt zwei Sorten von Superstars. Die eine versucht auf, dem Spielfeld gut auszusehen, selbst dann, wenn das Kollektiv darunter leidet. Der anderen Sorte gelingt es, jeden ihrer Mitspieler deutlich besser zu machen. Russell hat definitiv letzterer Gruppe angehört," beschreibt Don Nelson seinen ehemaligen Teamkameraden.
Russell war der Prototyp eines regelrecht siegesbesessenen Profis und rief stets seine besten Leistungen ab, wenn seine Mannschaft ihn am dringendsten benötigte. Seine makellose 10:0-Bilanz in entscheidenden fünften oder siebten Spielen kommt nicht von ungefähr. Sein übermäßiger Ehrgeiz wurde auch dadurch deutlich, dass er sich vor wichtigen Spielen regelmäßig übergeben musste.
"Wenn sich die Leute an ihn erinnern, denken sie in erster Linie an seine Verteidigung und an seine Reboundstärke. Aber Bill war wesentlich mehr. Er war der Fixpunkt unserer Offensive. Er spielte öfters den richtigen Pass zur richtigen Zeit als jeder andere in unserem Team. Wir hatten keine begnadeten Eins-gegen-Eins-Spieler in unseren Reihen, weshalb seine Passgeberqualitäten umso wichtiger waren. Bill hat uns auf so viele Arten und Weisen besser gemacht," so John Havlicek, der zwischen 1962 und 1969 gemeinsam mit dem zwölfmaligen All-Star im Boston Garden auflief.
Russell über Zeit bei den Celtics: "Schöner als der Himmel"
Trotz der Verlockungen des aufkommenden NBA-Geschäfts verstand Russell die Celtics stets als seine Familie, die es zu beschützen galt. Als sich nach einem der unzähligen Meistertitel zahlreiche Journalisten und Kameraleute in der Celtics-Kabine herumtummelten, schmiss er zu allererst sämtliche Pressevertreter aus der Umkleide, da dieser "magische Moment einzig und alleine der Mannschaft gehören sollte."
Für den Center gab es ohnehin kein schöneres Gefühl, als inmitten seiner langjährigen Teamkollegen Siege zu feiern. "Im Vergleich zu meinen Tagen bei den Celtics hätte selbst der Himmel nicht schöner sein können," schwärmte Russell einmal im Rückblick auf seine Zeit in Boston.
Bill Russell: Der Anti-Chamberlain
Russells unvergleichliche Karriere war jedoch nicht nur von den elf Meistertiteln geprägt. Einen wesentlichen Bestandteil seines noch heute anhaltenden Mythos machte die ausgeprägte Dauerrivalität zu Wilt Chamberlain aus. Insgesamt 142 Mal trafen die beiden dominantesten Center ihrer Ära aufeinander (Bilanz: 88-54 für Russell). Der besondere Reiz ihrer Duelle lag nicht nur darin, dass sie sich des Öfteren in den Playoffs über den Weg liefen, sondern dass beide Spieler kaum unterschiedlicher hätten sein können.
Auf der einen Seite der mannschaftsdienliche, vereinstreue und erfolgsorientierte Russell, der immer dann ablieferte, wenn es von ihm verlangt wurde. Auf der anderen Seite der eher selbstverliebte Lebemann Chamberlain, der zwar vom Talent her Russell deutlich in den Schatten stellte, bei dem andere Spieler und Journalisten aber trotzdem immer irgendwie das Gefühl hatten, als würde er nicht an seine Leistungsgrenze gehen.
Es ist bezeichnend, dass Russell selbst in dem Jahr (1962) die MVP-Trophäe abräumte, als Chamberlain über 50 Punkte im Schnitt auflegte. Die Russell-Chamberlain-Debatte bleibt aber weiterhin eine der am meisten diskutierten in der Geschichte der NBA und verfolgt die Fan-Gemeinde auch noch fünfzig Jahre später. Bill Simmons hat dieser kontroversen Thematik in seinem "Book of Basketball" sogar ein ganzes Kapitel gewidmet.
Bill Russell: Bürgerrechtler und Pionier
Gründe für Russells Legendenstatus sind jedoch auch außerhalb des Courts zu finden. Vor allem im immer stärker aufkommenden Kampf gegen den Rassismus bezog der Center in den sechziger Jahren mehrmals deutlich Position. Als die Celtics 1962 zu einem Show-Match in Kentucky antreten sollten, weigerten sich Russell und seine dunkelhäutigen Teamkollegen aufzulaufen, nachdem ihnen in einem lokalen Restaurant die Bedienung verweigert worden war. Der "Streik" sorgte landesweit für Aufsehen und die Celtics-Spieler um Rädelsführer Russell wurden von den Bürgerrechtlern für ihren Mut gefeiert.
Russell engagierte sich aktiv in der Black-Power-Bewegung und trat regelmäßig an der Seite von Muhammad Ali sowie anderer prominenter Bürgerrechtler auf. Martin Luther King wollte den Celtics-Star 1963 bei dem Marsch auf Washington sogar als Redner gewinnen, doch Russell lehnte mit der Begründung ab, "er habe im Gegensatz zu all den freiwilligen Helfern doch gar nichts zu dieser Veranstaltung beigetragen." Als Russell 1966 in seiner Funktion als Spielertrainer zum ersten dunkelhäutigen Coach der NBA befördert wurde, war seine Pionierrolle endgültig perfekt.
Bill Russell: Schwieriges Verhältnis zu Celtics-Fans
War Russell in vielerlei Hinsicht unantastbar, so war sein Verhältnis zu den Celtics-Fans bis vor einigen Jahren mehr als ausbaufähig. Geprägt von zahlreichen rassistischen Anfeindungen in seinem Leben sah er lange Zeit nur das Schlechte in jedem Menschen. Er war der Ansicht, dass die Gesellschaft ihn im Stich gelassen hatte, und entschied sich deshalb im Gegenzug dafür, der Gemeinde auch nichts zurückzugeben. Russell hatte das Vertrauen in die Menschen derart verloren, dass er selbst Kindern Autogrammwünsche verweigerte.
"Ich spiele für die Celtics, nicht für die Menschen der Stadt Boston. Ich schulde dem Publikum genau das Gleiche, was es mir schuldet: rein gar nichts," lautete sein Credo bezüglich der grün-weißen Anhängerschaft. Als seine Rückennummer 1972 an die Hallendecke des Boston Garden gezogen wurde, blieb er der Veranstaltung ebenso fern, wie der bei seiner Aufnahme in die Hall of Fame im Jahre 1975.
gettyBill Russell: Aussöhnung und Anerkennung im Alter
Im Laufe der Zeit ist er allerdings milder geworden, sodass eine Annäherung mit den Fans endlich möglich war. Unter minutenlang andauernden stehenden Ovationen war ein sichtlich bewegter Russell 1999 Zeuge, als sein Trikot unter das Hallendach des neu errichteten TD Garden gehievt wurde. Dass zudem die Trophäe des Finals-MVP seit 2009 seinen Namen trägt, beweist seinen prominenten Platz in der NBA-Geschichte.
Inzwischen schmückt auch ein großes Russell-Monument die Bostoner City Hall Plaza. Ein lebensgroßer bronzener Russell wird dabei von zehn Sockeln umgeben, auf denen Schlagwörter und Zitate aus seinem Leben zu lesen sind. Elf Kunstwerke für elf Meisterschaften. An solch einem Monument gehen die Kinder aus Boston sicherlich auch nicht einfach vorbei.