Am 25. September 2001 gab Michael Jordan sein letztes Comeback und heuerte als Spieler bei den Washington Wizards an. Diese Jahre werden seither gerne mal vergessen - dabei waren sie bei weitem nicht so schlecht, wie sie gemacht werden.
Dieser Artikel erschien erstmals am 25. September 2019. Alle Geschichten zu den Legenden der NBA findet Ihr in unserem Archiv.
Man kann sich kein besseres Ende für eine Sportler-Karriere vorstellen als das Ende, das Michael Jordan im Juni 1998 erlebte. Spiel 6 der Finals, auswärts in Utah, der beste Mitspieler Scottie Pippen schwer angeschlagen, das Team in Not - ein letztes Mal musste MJ das Superman-Kostüm anlegen und den sechsten Titel seiner Karriere eintüten.
Und das tat er. Die letzten Szenen von Spiel 6 liefen wie folgt ab: Korbleger Jordan, Steal Jordan (aus dem "Hinterhalt" gegen Karl Malone), Jumper Jordan (nach einem Offensiv-Foul gegen Bryon Russell - na gut). Die Führung, die gehaltene Pose, die Punkte 44 und 45, die Meisterschaft, das perfekte Ende für den größten Basketballer aller Zeiten.
Bis er es selbst ruinierte.
Michael Jordan: Das Kribbeln ging nicht weg
Drei Jahre lang hielt Jordan die Füße still, wurde zum Anteilseigner und Manager bei den Washington Wizards. Doch das Kribbeln, das Wetteifern, der "Herrschaftsanspruch" - nichts davon ging weg. Also kehrte MJ im Sommer 2001, nun im Alter von 38 Jahren, doch noch einmal zurück. Seine Titel und Anteile an den Wizards gab er ab, dafür trug er von nun an wieder die Nr. 23.
Jordans zwei Jahre in Washington werden seither gern mal vergessen, wenn es um sein Erbe geht - weil sie eben nicht ganz zu seinem Heldenmythos passten. Die Wizards verpassten in beiden Jahren die Playoffs, Jordans Quoten waren vor allem in der ersten Saison nicht gut (41,6 Prozent aus dem Feld, 18,9 Prozent Dreier), die dominante Figur der Liga war er nicht mehr.
MJ war ein Mensch, nicht mehr Superman. Dennoch ist es völlig falsch, den zweijährigen Gastauftritt etwa mit der letzten Saison von Hakeem Olajuwon bei den Raptors oder der von Patrick Ewing bei den Orlando Magic gleichzusetzen. Jordan war auch in Washington keineswegs ein Mitläufer oder ein Spieler, der nur noch von seinem Namen lebte und eigentlich keinen Beitrag mehr leistete.
Die im Nachhinein verzerrte Wahrnehmung rührt auch daher, dass Jordan zum ersten Mal (vom Baseball abgesehen) einen Kampf annahm, den er nicht gewinnen konnte.
gettyMichael Jordan und der Kampf gegen sich selbst
Es war nicht nur das Alter, mit dem MJ kämpfte, die schwindende Athletik, die zunehmenden Knieprobleme. Es waren auch nicht nur die gebrochenen Rippen, die ihm Ron Artest (natürlich!) bei einem sommerlichen Trainingsspiel verpasste, oder der operierte Zeigefinger an der rechten Hand, den er sich selbst mit einem Zigarrencutter (natürlich!!!) verletzt hatte.
Es war vor allem auch das Duell gegen den eigenen Ruf, den eigenen Mythos. Jordan hatte über ein Jahrzehnt die gesamte Liga in Angst und Schrecken versetzt, ungeahnte Höhen erreicht. Eine Generation von Superstars und -teams blieb ohne Titel, weil MJ im Weg war. Am Ende war er immer der bessere, der stärkere Spieler, die Definition eines Alphatiers.
Diesen Status konnte er im gestiegenen Alter nicht mehr zurückerlangen. Eine neue Generation von Spielern hatte sich etabliert, die zwar als Jordan-Fans aufwuchsen, sich nun aber erst recht gegen das alte Idol beweisen wollten. Ein starkes Team hatte er dazu ebenfalls nicht mehr um sich herum, im Gegenteil. Was zum Teil natürlich auch selbst verschuldet war.
Die Statistiken von Michael Jordan bei den Wizards
Saison | Spiele | Minuten | Punkte | Rebounds | Assists | FG% |
01/02 | 60 | 34,9 | 22,9 | 5,7 | 5,2 | 41,6 |
02/03 | 82 | 37,0 | 20,0 | 6,1 | 3,8 | 44,5 |
Michael Jordan als Mentor von Kobe Bryant bei den Lakers?
Im Jahr vor Jordans Comeback hatten die Wizards ganze 19 Siege geholt. Bevor Jordan allerdings selbst wieder zum Spieler wurde, draftete er mit dem Nr.1-Pick noch einen gewissen Kwame Brown, einen der größten Draft-Busts der NBA-Geschichte. Der Manager Jordan machte dem Spieler Jordan das Leben schwer, mehr als einmal.
Zumal es auch andere Möglichkeiten gab. Die Lakers mit seinem früheren Head Coach Phil Jackson hatten damals Interesse an MJ, der als Mentor für Shaquille O'Neal und Kobe Bryant hätte fungieren können (wie abgefahren wäre das?). Zwei weitere Titel wären für Jordan auf diesem Weg sicherlich machbar gewesen.
Doch Jordan wählte einen anderen Weg. In Washington hießen seine Mitspieler unter anderem Brown, Larry Hughes, Rip Hamilton, Jerry Stackhouse, auch der alte Widersacher Russell und Dreamteam-Kollege Christian Laettner gaben sich die Ehre. Top-Teams waren das nicht, in beiden MJ-Jahren holten die Wizards exakt 37 Siege, bevor dieser selbst wieder genug hatte.
Gemessen daran waren diese Jahre also ein Misserfolg. Und dennoch ...
Michael Jordan: Immer noch All-Star
Jordan mag kein Superstar mehr gewesen sein. Ein All-Star war er dennoch, und das nicht aus Mitleid oder "Respekt für das Lebenswerk", sondern weil er es rechtfertigte. Noch in der Saison 02/03 legte MJ als dann 40-Jähriger 20 Punkte, 6,1 Rebounds und 3,8 Assists im Schnitt auf. Im Dezember 2001 erzielte er in aufeinanderfolgenden Spielen 51 und 45 Punkte.
Bevor die Knieprobleme sich meldeten, wurde Jordan 01/02 gar von der New York Times als MVP-Kandidat gehandelt, lediglich er und Bryant lieferten zu diesem Zeitpunkt im Schnitt mindestens 25 Punkte, 5 Rebounds und 5 Assists. In seiner letzten Saison knackte er noch dreimal die 40-Punkte-Marke, darunter ein 43-Punkte-Spiel inklusive Gamewinner mit 40 Jahren gegen die Nets. Fun Fact: Mit seinen 37 Minuten pro Spiel als 40-Jähriger hätte er die Liga in der Saison 2018/19 ANGEFÜHRT!
Es gab die Explosionen, genau wie einige unvergessliche Highlights. Wie etwa sein beidhändiger Block gegen Ron Mercer, der es vorher gewagt hatte, Trash-Talk in Richtung Jordans abzulassen, inklusive Ansage: "Don't talk no more shit!" Oder natürlich seinen Beinahe-Gamewinner beim All-Star Game 2003 über Shawn Marion, das vom Osten in der Verlängerung dann noch verloren wurde.
Nicht das perfekte Ende wie 1998
In solchen Momenten war der "alte Jordan" und nicht der alte Jordan zu sehen. Es weckte die falsche Erwartung, dass dies von nun an wieder in jedem Spiel der Fall sein würde, doch dies war nicht mehr möglich. Das war das Dilemma: Jordan war mit 39 Jahren besser als jeder 39-Jährige vor oder nach ihm, aber er entsprach an den meisten Tagen nicht mehr dem Bild von MJ, dem Herren der Lüfte. Dieser MJ musste für seine Punkte richtig arbeiten, während der junge Jordan einfach nicht zu stoppen war.
Auch das Ende war somit nicht mehr mit dem von 1998 zu vergleichen. Im April 2003 waren die Wizards bereits raus aus dem Playoff-Rennen, als sie am letzten Saisonspieltag in Philly gastierten. Das Spiel war früh verloren, MJ ging also schon im dritten Viertel auf die Bank und plante nicht mehr, noch einmal zurückzukehren.
Das Publikum hatte jedoch andere Pläne und rief solange seinen Namen, bis Jordan den Wunsch gewährte und aufstand. Zwei Freiwürfe waren seine letzten Punkte in der NBA, diesmal nicht zu einem weiteren Titel, sondern zum 85:103 aus Sicht seines Teams. 1:44 Minuten vor Schluss wurde Jordan dann wieder ausgewechselt, Tyronn Lue kam für ihn auf den Court, die Arena erhob sich.
Michael Jordan: Die Legende lebt weiter
Es war vielleicht nicht das perfekte Ende für MJ, es war jedoch das Ende, das sich dieser selbst ausgesucht hat. Und es sollte nicht als Schande gelten, dass er im Zwielicht seiner Karriere "nur noch" All-Star war.
Die Tatsache, dass man von einem Mann mittleren Alters noch immer erwartete, Superman höchstpersönlich zu sein, spricht irgendwo ja schließlich auch für dessen Ausnahmestatus.