Der Höhenflug der Golden State Warriors hält weiterhin an - und niemand steht für den Erfolg in Oakland mehr als Stephen Curry. Der MVP spricht über Vorbild Dirk Nowitzki, eine neue Ära, seinen Perfektionismus und den sagenumwobenen Lakers-Rekord.
Frage: Im Basketball galt mal der Grundsatz, dass man für den größtmöglichen Erfolg dominante Lowpost-Spieler braucht. Sie und die Warriors brechen diese Regel jedoch. Ist es eins Ihrer Ziele, die NBA zu verändern? Wofür steht die neue Ära?
Stephen Curry: Vieles hat einfach mit dem Stil zu tun, den wir spielen. Er ist sehr Perimeter-orientiert. Viele Leute verwenden den Begriff "Small-Ball" für die Aufstellungen, die wir oft auf dem Feld haben. Das wurde in der Vergangenheit auch gemacht, aber unsere Effizienz und natürlich auch unsere Bilanz zeigen, dass es ein sehr starkes Lineup und eine effektive Spielweise ist. Da haben sich einige echt umgeguckt. Wir setzen auf unsere Skills, unsere Athletik, unser Shooting und eben verschiedene Aufstellungen. Und der Dreier ist definitiv weiter verbreitet als jemals zuvor. Am Ende des Tages musst du die Würfe aber natürlich immer noch treffen.
Frage: Die Warriors stehen jetzt bei 19-0 und haben einen neuen Startrekord aufgestellt. Über Interimscoach Luke Walton, der die Mannschaft aufgrund der Rückenprobleme von Steve Kerr betreut, wird dabei aber kaum gesprochen. Wie groß ist sein Anteil am Startrekord?
Stephen Currys Saisonstart in Zahlen: Die Herrschaft des Feuers
Curry: Sehr groß. Wir haben auf dem Feld eine gute Chemie und versuchen, unser Spiel aus dem letzten Jahr auf den nächsten Level zu heben. Und daran hat jeder Anteil - vom Coaching Staff bis hin zum 15. Mann im Kader. Jeder hat die Augen auf das Ziel gerichtet und ist fokussiert. Das System, das Coach Kerr vergangene Saison implementiert hat, sorgt dafür, dass wir eine starke Defense und Offense haben. Die Message bleibt also die gleiche: Geht raus, spielt jeden Abend hart und setzt den von uns etablierten Style um - dann passieren gute Dinge. Und 19-0 ist ein guter Beleg dafür. (lacht)
Frage: Wird bei Ihnen bereits über den Rekord der Lakers von 33 Siegen in Serie gesprochen? Ist es hilfreich, sich auf dem Weg zur Titelverteidigung immer wieder solche Herausforderungen zu setzen?
Curry: Es ist wichtig, messbare Ziele zu haben, auf die man hinarbeiten kann. Offensichtlich sind wir aber auch gut darin, im Moment zu leben. Als wir elf oder zwölf Siege hatten, sprach niemand über den Startrekord, weil man nicht zu weit in die Zukunft schauen und sich nicht zu weit vom Jetzt entfernen sollte. Die besten Teams sind die, die sich auf jedes einzelne Spiel fokussieren können. Aber ja, wir reden über die 33. Ich spreche wahrscheinlich sogar am meisten darüber, weil ich die Historie kenne. Wir hatten zwei 16-Siege-Serien in den letzten zwei Jahren und allein das sind schon große Leistungen. Es wäre daher auch keine Enttäuschung, wenn wir den Rekord nicht knacken. Es gibt so viele gute Teams in dieser Liga, dass wir uns nur darum kümmern, unser Niveau zu halten. Aber wenn wir näher kommen und irgendwann 29 oder 30 Siege auf dem Konto haben sollten, dann unterhalten wir uns nochmal.
Frage: Sie haben sich im Vergleich zum letzten Jahr auch individuell stark verbessert. Harrison Barnes sagte kürzlich, dass er davon ausgeht, dass Sie sowohl MVP als auch Most Improved Player werden sollten. Was sagen Sie dazu?
Stephen Curry im SPOX-Interview: "Du brauchst den Killerinstinkt"
Curry: Das ist doch mal ein Ziel! Ich habe keine Ahnung, wie die Statistiken am Jahresende aussehen werden, aber ich fühle, dass ich ein besserer Spieler bin, vor allem effizienter. Als Team sind wir definitiv besser als vergangene Saison und das versuchen wir über die noch ausstehenden Spiele unter Beweis zu stellen. Die MVP-Auszeichnung zu erhalten und die Meisterschaft zu gewinnen, war ein Traum, aber mein Feuer wurde dadurch nur noch mehr angefacht. Ich kenne den Weg. Man sollte sich einfach auf den Moment konzentrieren und das haben wir bisher vorbildlich geschafft.
Frage: Hat der neue Warriors-Berater Steve Nash etwas damit zu tun, dass ihre Feldwurfquote gestiegen ist?
Curry: Ein bisschen, ja. Er war zwischendurch eine Woche bei uns und hat uns auf einige Dinge hingewiesen. Ich warte schon darauf, dass wir ein paar mehr Spiele absolviert haben und wir noch mehr Aufnahmen haben, damit ich mir sie mit ihm gemeinsam anschauen kann. Ich möchte erfahren, wie er das Spiel sieht und welche Entscheidungen er in bestimmten Situationen getroffen hätte. Dadurch hätte ich eine weitere Perspektive, wenn ich auf dem Court stehe. Wir haben uns schon ein paar Mal zusammengesetzt und er hat mir erklärt, wie man das Pick-and-Roll noch besser spielen, seine Mitspieler besser finden und noch noch kreativer seine eigenen Würfe finden kann. Wir sind noch am Anfang unserer - ich denke, man kann es so nennen - Spieler-Coach-Beziehung. Er wird definitiv wertvoll für uns sein, wenn die Saison weiter voranschreitet.
Frage: Ist der Druck auf dem Court als amtierender MVP für Sie noch größer geworden?
Curry: Es gibt Druck und du stehst im Rampenlicht, das ist klar. Die Saison hat bisher gezeigt, dass alle Teams gerade gegen uns ihr Bestes geben. Sie wollen ihre Halle gegen die Warriors verteidigen oder uns in der Oracle Arena schlagen. Es ist für sie eine große Sache und wenn wir nicht unsere beste Leistung abrufen, zeigt sich das ziemlich schnell. Das ist gut und schlecht zugleich. Es fordert von uns, dass wir jede Nacht bereit sind. Wir können nicht einfach hingehen und erwarten, dass wir gewinnen, nur weil wir die Warriors sind. Wir müssen etwas dafür tun. Aber ja, wir alle spüren mehr Druck und stehen mehr im Rampenlicht, da wir nun mal die Champions sind.
Frage: Ihr Name fällt zuerst, wenn es um die Warriors geht. Danach folgt meist Klay Thompson. Aber können Sie uns sagen, wie sehr Draymond Green dem Team hilft und welche Rolle er in der Mannschaft einnimmt?
Curry: Er ist so vielseitig. Egal, ob Defense, Rebounding, Playmaking oder jeden aus dem Team einzubinden - Draymond kann alles. Darüber hinaus ist er die Stimme der Mannschaft. Ich versuche, als Leader mit gutem Beispiel voranzugehen und jeden Abend meine Leistung zu bringen. Ich rede auch ein bisschen, aber Draymond ist der Seele des Teams und wir leben von seiner Energie. Er ist unglaublich wertvoll. Seit er in der Liga ist, hat er jedes Jahr sein Spiel verbessert. Jetzt geht es darum, das konstant jede Nacht aufs Parkett zu bringen. Das tut er - und es macht Spaß, ihm dabei zuzusehen.
Frage:Andrew Bogut rennt momentan herum wie ein Teenager, nachdem er im Sommer abgenommen hat. Können Sie sagen, woran er in der Offseason gearbeitet hat? Es scheint so, als hätte er nach so vielen Jahren in der NBA sein Spiel verändert, um sich besser ans Team anzupassen...
Curry: Er ist wirklich fokussiert für jemanden mit so einer Verletzungsgeschichte. Dass er gesund ist und sich gut fühlt, hilft uns. Er macht uns besser, wenn er fit ist. Und ja, es sieht wirklich manchmal so aus, als würde er anderen Big Men Knoten in die Beine rennen. Er fängt Lob-Pässe, spielt großartige Defense und blockt Würfe. Es ist toll, das zu sehen. Er hat seine Ernährung umgestellt und seine Workout-Routine verändert, worauf er wirklich stolz ist. Ein Detail war glaube ich, dass er jetzt jeglichen Zucker weglässt. Das zeigt, wie er sich dem Ziel verschrieben hat, für uns jede Nacht verfügbar zu sein. Und um das Team zu sein, das wir sein wollen, brauchen wir genau das über 82 Spiele.
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Frage: Der Small Ball der Warriors hat die Liga verändert. Aber was bedeutet der neue Stil für andere Länder, in denen die Basketballer meist nicht die körperlichen Voraussetzungen der NBA-Spieler haben?
Curry: Eigentlich geht es um Skill, nicht um Größe oder Athletik. Ich bin mit meinen 1,90 Metern und 90 Kilo offensichtlich nicht der dominante Spieler da draußen. Man versucht einfach, eine Menge verschiedener Dinge einsetzen zu können: Dribbeln mit beiden Händen, Werfen von innen und außen. Aber noch wichtiger: Du brauchst Herz. Das zeigen wir jeden Abend, mit unserer Hartnäckigkeit mit dem Small-Ball-Lineup und mit der Art, wie wir auf den Court gehen. Es ist unwichtig, ob mein Gegenspieler größer, stärker oder schneller ist als ich. Wenn man den Willen und das Herz hat, dagegenzuhalten, wird man erfolgreich sein. Es gibt viele Möglichkeiten für kleine Spieler im Basketball. Wenn das nicht so wäre, wäre ich nicht in dieser Liga.
Frage: Würden Sie sich selbst als Perfektionisten bezeichnen?
Curry: Ich will einer sein, ja. Ich weiß, dass ich nicht perfekt bin, weder auf dem Feld noch im Leben. Ich möchte aber einen hohen Standard halten. Manchmal habe ich statistisch richtig gute Spiele mit vielen Punkten und Assists, aber das Erste, worauf ich im Statistikbogen schaue, sind die Ballverluste. Ich will immer besser werden, da kommt definitiv der Perfektionist in mir durch. Und ich bin auf der Suche nach dem perfekten Spiel. Bisher habe ich es noch nicht gefunden, aber vielleicht werde ich das eines Tages.
Frage: Welche Rolle spielt Ihre Familie bei Ihrer Entwicklung als Spieler?
Curry: Sie sind meine größte Unterstützung und die wichtigste Konstante in meinem Leben. Egal, wie gut ich auf dem Court bin, es ist wichtig für mich, dass sie sich geborgen fühlen. Dass wir gemeinsam als Familie wachsen, ist ein großer Teil meines Lebens. Meine Frau hat aufgrund des Spielplans, des ganzen Trainings und der vielen Reisen als NBA-Spieler definitiv eine große Verantwortung mit den beiden Kindern. Ich bin ihr sehr dankbar für alles, was sie tut und was sie mir damit ermöglicht. Aber um es einzuordnen: Es gibt mehr als Basketball und es ist etwas Besonderes, diese Reise gemeinsam mit ihnen zu erleben. Ich bin sicher, jeder Vater in der Liga wird das Gleiche sagen. Es ist wundervoll, seine Kinder aufwachsen zu sehen. Und zu sehen, dass der Basketball es mir ermöglicht, mich um meine Familie zu kümmern, ist ebenfalls schön. Ich bin in einer Basketball-Familie groß geworden. Mein Dad spielte 16 Jahre. Es ist daher sehr erfüllend, auch die andere Seite dieses Prozesses kennenzulernen.
Frage: Sie sind eine sehr bescheidener Mensch und erinnern damit an Dirk Nowitzki. Sehen Sie zwischen sich und ihm Parallelen?
Curry: Auf jeden Fall. Wir beide verlassen uns auf unseren Wurf. Natürlich ist er zwei Köpfe größer als ich und spielt schon seit ewigen Zeiten auf einem sehr hohen Level. Und er ist ein Champion. Ich habe ihm als Kind immer gern zugeschaut, aber verständlicherweise sind unsere Spielstile nicht gerade identisch. Allein schon der Größe und Position wegen. Aber der Touch beispielsweise, der ist ähnlich. Man braucht dafür einfach Kreativität und Balance. Ich habe sogar Drills von Dirk in meine Workouts übernommen. Wir sind zwei Menschen, von denen niemand gedacht hätte, dass sie einmal NBA-Champion werden. Das haben wir gemeinsam.
Frage: Was hat sich für Sie verändert, seit Sie vom College in die NBA gekommen sind? Und was unternehmen Sie täglich, um als Spieler und Mensch zu wachsen?
Curry: Das ist eine gute Frage. Meine Zeit in Davidson hat mich wirklich gut vorbereitet. Nicht nur auf die NBA, sondern auch auf Familienleben, Engagement abseits des Courts, Marketing, Zeitmanagement und Prioritätensetzung. Wir wurden in Davidson herausgefordert, da es eine harte akademische Ausbildung war und wir zudem auch noch großartige College-Athleten sein wollten. Das war vielleicht sogar härter als jetzt in der NBA. Ich hatte neben Basketball nicht viel, das ist jetzt mit den Kindern und der Familie natürlich anders. Aber egal, wie erfolgreich man ist - es ergeben sich immer Möglichkeiten. Wie diesen Sommer. Wir haben gefeiert und die Trophäe überall herumgezeigt. Aber das hat zusammen mit den ganzen Foto-Shootings und Sponsoring-Events den ganzen Sommer gedauert. Darum musste mein Personal Trainer mit mir reisen, da ich mich natürlich auch verbessern wollte. Man muss die richtigen Prioritäten setzen. Das ist eine große Herausforderung. Jedes Jahr ist anders und man verliert den Respekt davor, Jungs zu fragen, die das alles schon einmal durchgemacht haben. Das hilft, um vorbereitet zu sein. Was auch immer kommen mag.
Frage: LeBron James und Sie wurden mit Cristiano Ronaldo und Lionel Messi verglichen. Letzterer ist wie Sie einer der Nominierten für den nächsten Sports Illustrated Award. Sind Sie vielleicht der Messi der NBA? Oder sollte man besser sagen Messi ist der Curry des Fußballs?
Curry: (lacht) Das weiß ich nicht. Wir haben beide einen sehr kreativen Stil, bei dem es viel ums Gefühl geht. Ich versuche ein paar ausgefallene Sachen mit den Händen zu machen, Crossover zum Beispiel, und habe dadurch ein bestimmtes Flair in meinem Spiel. Das Gleiche gilt für Messi, wenn er auf dem Platz steht. Ich liebe es, ihn spielen zu sehen und bin ein großer Fan. Es ist toll, jemanden zu sehen, von dem du nie weißt, was er als nächstes machen wird. Wenn seine Spiele im Fernsehen laufen, hängt jeder wie gebannt davor, weil immer etwas Besonderes passieren könnte.
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