2013 schockten die Cleveland Cavaliers die NBA-Welt, als sie Anthony Bennett trotz geteilter Meinungen im Front Office zum ersten Pick im Draft machten. Der Kanadier konnte den hohen Erwartungen nie gerecht werden und stellte einige traurige Rekorde auf. Wir blicken zurück, wie er zum größten Fehlgriff der jüngsten NBA-Geschichte werden konnte.
"Jabbar, Magic, LeBron, Bennett. Wie hört sich das an an?", waren die ersten Worte von ESPN-Reporter Shane Battier an einen sichtlich überraschten Anthony Bennett, nachdem dieser von David Stern gerade zum ersten Pick des 2013er NBA-Drafts ernannt worden war.
Und er war nicht der einzige, der von der Wahl der Cleveland Cavaliers, sagen wir mal, verwundert war. Insider Bill Simmons, der damals noch für ESPN kommentierte, konnte sein Erstaunen kaum verbergen. "Woaaah, woah", waren die einzigen Buchstaben, die der sonst so wortgewandte Simmons in diesem Moment rausbekam und auch die Cavs-Fans in der Halle konnten sich nur verwundert an den Kopf fassen.
Die gesamte Liga stand unter Schock. Hatten die Cavaliers da gerade wirklich diesen Anthony Bennett mit dem ersten Pick gewählt, der an der kleinen University of Nevada ein Jahr gespielt hatte und zu keinem Zeitpunkt aussah wie ein zukünftiger Superstar? "Ich bin genauso überrascht wie alle anderen", sagte Bennett im Anschluss an seine Wahl. Aber wie konnte es überhaupt so weit kommen?
Anthony Bennett: Wie konnte er der Nr.1-Pick werden?
Um das zu verstehen, müssen wir ein paar Jahre zurückgehen. Seit 1964 wartete die Stadt Cleveland auf den ersten Meistertitel in einer der großen US-Sportligen, aber weder die Browns, noch die Indians oder eben die Cavaliers schafften es, diese Erwartungen zu erfüllen. 2003 kam dann endlich die Hoffnung nach Ohio mit den Namen LeBron James. Der Youngster aus Akron zeigte umgehend, dass er der herbeigesehnte Superstar ist und die Hoffnungen auf einen Titel in Cleveland waren so groß wie wohl noch nie.
Aber es sollte erstmal nicht so sein. Das Management verpasste es, dem King anständige Hilfe an die Hand zu geben, sodass es wahrlich ein Wunder war, dass LeBron diese Rumpftruppe 2007 bis in die Finals führte. Dort waren die Spurs in vier Spielen aber deutlich zu stark. In den kommenden Jahren scheiterten die Cavs dann zweimal an den Celtics und einmal an den Magic. 2010 war dann bekanntlich die ersten Amtszeit des Kings in Cleveland vorbei und er verabschiedete sich an den South Beach, um mit Dwyane Wade und Chris Bosh das erste Superteam der Geschichte zu formen.
Was in Cleveland zurückblieb, war nicht viel mehr als ein Scherbenhaufen. 2010/11 gewannen die Cavs sage und schreibe 19 Spiele, 2011/12 21 Spiele und 2012/13 24 Spiele. Als "Belohnung" dafür sprangen 2011 Kyrie Irving mit dem ersten und Tristan Thompson mit dem vierten Pick heraus. Bei der Lotterie 2013 ging unglaublicherweise wieder der erste Pick nach Cleveland, weshalb das Front Office um General Manager Chris Grant nun vor einer schweren Wahl stand.
Denn anders als in vergangenen und zukünftigen Jahrgängen, gab es 2013 einfach keine klare Nummer eins. Die meisten großen US-Sportredaktionen und -Expert*innen sahen Nerlens Noel ganz vorne, die restlichen tendierten zu Alex Len. So wussten selbst die gerissensten Insider des Landes nicht, wen die Cavs nehmen würden. Und sie selbst wohl lange auch nicht.
Anthony Bennett: Eine Gegenstimme gab es
Grant wusste, dass der Druck auf ihm enorm war. Besitzer Dan Gilbert hatte die Nase voll davon, zu sehen, wie sein eigenes Team Nacht für Nacht aus der Halle geschossen wurde und wollte endlich Erfolge. Nach drei schlimmen Saisons in Serie und zwei Nr.1-Picks musste der Zauber nach Cleveland zurückkehren. Das machte die Situation für Grant noch komplizierter.
Jason Lloyd (The Athletic) berichtet in seinem Buch "The Blueprint: LeBron James, Cleveland's Deliverance and the Making of the Modern NBA" von einem Gespräch mit Grant am Morgen des Drafts, in dem dieser beteuerte, keine Ahnung zu haben, wen seine Franchise am Abend wähle würde. Laut Llody kam es dann vor dem Draft zu einer Abstimmung der Verantwortlichen, die sich mit 9:1 Stimmen für Bennett entschieden. Die einzige Gegenstimme: Chris Grant.
Dementsprechend verhalten fiel auch Grants Analyse nach dem Draft aus. "Wir haben uns das gesamte Jahr über beraten und uns aufgrund seiner Fähigkeiten, seines Talents und dem Fit mit dem restlichen Team für ihn entschieden. Wir haben uns Meinungen zu ihm eingeholt und alle haben gesagt, er sei ein guter Junge. Er will hart arbeiten, die richtigen Dinge tun und hat eine Menge Talent." Grant wusste wohl damals schon, dass dieser "gute Junge" ihn den Kopf kosten könnte.
Anthony Bennett: Ein Bust aus dem Lehrbuch
Bennett kaufte sich nach dem Draft ein Haus in Independence, um nah am Trainingszentrum der Cavs zu leben. So weit, so gut. Es dauerte allerdings nicht lange, bis innerhalb der Organisation Zweifel laut wurden. Bennett erschien mit reichlich Kilo Übergewicht zum ersten Training und machte einen völlig unfitten Eindruck. Laut Lloyd soll er schon nach einigen Ballwechseln völlig aus der Puste gewesen sein.
Zudem kamen Fragen auf (wie sie anderswo bereits vor dem Draft gestellt wurden), welche Position Bennett denn spielen solle. Für einen Power Forward war er zu klein, für einen Small Forward zu langsam. In der Folge startete er als Rookie hinter Tristan Thompson, Anderson Varejao und Andrew Bynum, an denen er nie vorbeikam.
So passt es ins Bild, dass er sein besten Spiel im Cavs-Trikot im zweiten Preseason-Spiel in Orlando feierte, als er 16 Punkte erzielte und einige schöne Post-Bewegungen, Step-Backs und Dreier zeigte. Doch auch da wurde schnell deutlich, dass Bennett einfach nicht das Talent besitzt, in der NBA große Erfolge zu feiern.
gettyAnthony Bennett: NBA-Start zum Vergessen
Im College und auf der Highschool war er fast immer der größte, schwerste und talentierteste Spieler. Im großen Zirkus der NBA war damit Schluss. So dauerte es fünf (!) Spiele lang, bis er seinen ersten Wurf in der NBA traf, nachdem er seine ersten 16 (!!) Versuche allesamt daneben gesetzt hatte.
Schon im ersten Monat wurde er von den Heimfans in der Quicken Loans Arena ausgebuht und es sollte insgesamt 33 Spiele lang dauern, bis er erstmals zweistellig punktete - das war dreimal so lange als bei allen andern Nr.1-Picks vor ihm. Die Cavs probieren alles, um Bennett irgendwie in Form zu kriegen. Sie ließen ihn auf verschiedenen Positionen auflaufen, setzten ihn in der Garbage Time ein oder gaben ihm sogar ein paar Tage frei. Alles ohne Erfolg.
Am Ende seiner Rookie-Saison stand Bennett bei 4,2 Punkte und 3 Rebounds im Schnitt, er startete kein einziges Mal. Mittlerweile war Grants Kopf erwartungsgemäß gerollt und David Griffin übernahm an seiner Stelle. Ein Wundermittel für Bennett hatte er aber genauso wenig parat.
"Das Problem mit Anthony war, und das konnten wir damals noch nicht wissen, dass er keine Anstalten machte, gegen seine Schwierigkeiten anzukämpfen. Sobald es hart wurde, gab er auf", gab Griffin später zu Protokoll.
Anthony Bennett wurde nirgends heimisch
Für Bennett war das Kapitel Cleveland bereits nach der ersten Saison vorbei. Die Cavs hatten Glück im Unglück, erhielten wieder den ersten Pick und sendeten ihn (Andrew Wiggins) mitsamt Bennett nach Minnesota. Dafür kam Kevin Love nach Cleveland und bildete dort mit Irving und dem zurückgekehrten LeBron den Eckpfeiler des 2016er Titelgewinns.
Bennett machte in der folgenden Saison 57 Spiele für die Wolves (5,2 Punkte, 3,8 Rebounds in 15,7 Minuten), wurde aber im kommenden Sommer wieder entlassen. Danach gaben ihm die Raptors noch mal eine Chance, nach ein paar Monaten verfrachten sie ihn aber in die D-League (heute G-League) und machten ihn damit zum ersten und einzigen Nr.1-Pick, der je in der Entwicklungsliga der NBA auflief.
Nach einem kurzen Abstecher zu den Nets ging Bennett nach Europa und schloss sich Top-Team Fenerbahce an. Nach zehn Spielen (1,2 Punkte) und dem Gewinn der Meisterschaft wurde er aber erneut entlassen. Zweimal probierte er sich noch in der NBA, weder für die Suns noch für die Rockets stand er aber jemals auf dem Feld.
Zwei Jahre später, im Mai 2021, versuchte er sein Glück dann in der puertoricanischen Liga - ohne Erfolg. Seit August ist er für Hapoel Jerusalem in Israel aktiv und wird am 13. September voraussichtlich sein Debüt geben. Ihm wäre es zu wünschen, dass er endlich seinen Platz in einem Team findet.
Wenn wir noch mal auf die Worte von Shane Battier nach Bennetts Wahl zum Nr.1-Pick zurückblicken, hätte der ESPN-Reporter den Kanadier wohl eher in einer anderen Gesellschaft aufzählen sollen. "Michael Olowokandi, Kwame Brown, Greg Oden, Anthony Bennett", die schlechtesten Nr.1-Picks aller Zeiten.
Anthony Bennett: Karrierestatistiken
Team | Punkte | Rebounds | Spiele | Minuten |
Cleveland Cavaliers | 4,2 | 3,0 | 52 | 12,8 |
Minnesota Timberwolves | 5,2 | 3,8 | 57 | 15,7 |
Toronto Raptors | 1,5 | 1,2 | 19 | 4,4 |
Brooklyn Nets | 5,0 | 3,4 | 23 | 11,5 |