NFL - 4 Fragen zu Le'Veon Bell und den Kansas City Chiefs: Der nächste Superstar für die Monster-Offense?

Jan Dafeld
16. Oktober 202014:20
Le'Veon Bell schließt sich den Kansas City Chiefs an.imago images/RichGraessle
Werbung
Werbung

Die Kansas City Chiefs haben Le'Veon Bell nach dessen Entlassung bei den New York Jets verpflichtet. Doch warum wurde der einstige Superstar überhaupt entlassen? Wie konnten die Chiefs ihn verpflichten? Und ist Bell für den Champion tatsächlich eine große Verstärkung?

Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

Warum wurde Bell von den New York Jets entlassen?

Bells Zeit in New York war zum Scheitern verurteilt und das praktisch von dem Moment an, als er einen Vierjahresvertrag über 52,5 Millionen Dollar bei den Jets unterschrieb. Es sei daran erinnert, dass die Jets das einzige Team waren, das bereit war, Bell einen Deal in dieser Größenordnung anzubieten.

Head Coach Adam Gase hatte sich von Anfang an gegen die Verpflichtung des einstigen Steelers-Stars ausgesprochen. Gase sah in seinen Running Backs keinen zentralen Baustein seiner Offense und hätte das Geld daher lieber in eine andere Position investiert gesehen. Womöglich hatte Gase zudem Bells Frustration über seine Rolle in New York damals schon kommen sehen.

Bei den Jets hat Bell nie an seine spektakuläre Zeit in Pittsburgh anschließen können. In zwei Jahren kam er auf gerade mal 863 Rushing Yards, drei Touchdowns und 3,27 Yards pro Run - kein Running Back mit mehr als 240 Carries legte im gleichen Zeitraum in irgendeiner dieser Kategorien schlechtere Zahlen auf.

NFL: Kein Team wollte für Bell traden

Der 28-Jährige wurde daher immer unzufriedener mit seiner persönlichen Situation. Nachdem er nach dreiwöchiger Verletzungspause gegen die Arizona Cardinals nur auf 67 Scrimmage Yards kam und die Jets obendrein mit 10:30 verloren, machte Bell seinem Ärger Luft - intern und extern.

Nach Informationen von ESPN traf sich Bell am vergangenen Montag zu einem persönlichen Gespräch mit Gase und General Manager Joe Douglas, die ihm dabei die Erlaubnis gaben, selbst nach einem Tradepartner für die Jets zu suchen und einen möglichen Deal einzufädeln. Gleichzeitig likte Bell in den sozialen Medien diverse Posts, die Bells Rolle in New York kritisierten und einen Trade von ihm forderten.

Tatsächlich hatten die Jets allerdings bereits seit rund einem Jahr versucht, Bell abzugeben, das berichtete unter anderem Kim Jones vom NFL Network. Das Problem: Bereits 2019 war kein Team bereit gewesen, dem Running Back einen so hochdotierten Vertrag anzubieten, dementsprechend zeigte nun auch kein General Manager Interesse daran, diesen Vertrag per Trade zu erwerben.

Douglas stand somit vor der Entscheidung, ob er Bell jetzt oder am Ende der Saison entlassen sollte, eine andere Möglichkeit gab es nicht. Eine Vertragsklausel gab schließlich den Ausschlag für die sofortige Entlassung: Im Falle einer Verletzung in dieser Saison wären acht Millionen Dollar von Bells Gehalt im kommenden Jahr voll garantiert worden. Dieses Risiko wollten die Jets auf keinen Fall eingehen und entließen ihn daher vorzeitig.

Warum entschied sich Bell für die Kansas City Chiefs?

Dass die Chiefs mit nur 6,5 Millionen Dollar verbleibendem Cap Space im unteren Viertel der Liga rangieren, sollte für Kansas City bei der Verpflichtung von Bell kein Nachteil sein. Finanzielle Faktoren spielten bei dessen Entscheidung praktisch keine Rolle.

Trotz seiner Entlassung in New York müssen die Jets Bell im weiteren Verlauf dieser Saison noch sechs Millionen Dollar Gehalt zahlen. Eine Klausel in dem Kontrakt besagte allerdings, dass dieser Betrag um die Summe reduziert werden würde, die ein anderes Team Bell nach seiner Entlassung zahlen würde.

In der Praxis bedeutete dies: Solange kein Team dem 28-Jährigen für den Rest der Saison mehr als sechs Millionen Dollar zahlen würde - was niemals in Frage kam - , würde es für Bell keinen Unterschied machen, ob er einen Vertrag über das Minimumgehalt oder über fünf Millionen Dollar unterschreiben würde. Sein Gehalt bliebe in beiden Fällen gleich, einzig der Anteil, den die Jets daran zahlen müssten, würde sich verändern.

NFL: Chance auf den Super-Bowl-Sieg mit den Chiefs

Somit konnte Bell aus seinen Interessenten, neben den Chiefs waren offenbar vor allem die Bills und die Dolphins interessiert, nach rein sportlichen Aspekten auswählen. Für die Chiefs sprach dabei natürlich besonders die Aussicht auf Erfolg. Kansas City ist der amtierende Champion, hat vier seiner ersten fünf Saisonspiele gewonnen und ist erneut der Topfavorit auf den Sieg im Super Bowl.

Nach nur sieben Siegen in eineinhalb Jahren in New York kann Bell für den Rest der Saison somit nochmal auf Titeljagd gehen. Der Einzug in den Super Bowl fehlt ihm derzeit noch in seiner Vita, obwohl er in seinen vier Jahren in Pittsburgh viermal in die Playoffs eingezogen war.

Darüber hinaus kommt Bell in Kansas City in eine der besten Offenses der NFL - praktisch das genaue Gegenteil seiner Situation bei den Jets. Unter diesem Umständen kann Bell sein Talent womöglich nochmal unter Beweis stellen, wenn auch in etwas reduzierter Rolle, und sich somit eventuell doch erneut für einen größeren Vertrag im kommenden Sommer empfehlen.

Wie kann Bell die Kansas City Chiefs verstärken?

An diesem Wochenende wird Bell seinem neuen Team noch nicht zur Verfügung stehen können. Die neuen Regularien der NFL, die infolge der zahlreichen Coronafälle bei den Tennessee Titans eingeführt wurden, besagen, dass Neuzugänge zunächst fünf Tage in Serie negativ getestet werden müssen, bevor sie überhaupt das Teamgelände betreten dürfen. Bells Debüt wird somit frühestens in Woche 7 gegen die Denver Broncos erfolgen.

Langfristig bleibt abzuwarten, wie viel Bell tatsächlich noch im Tank hat und inwiefern er tatsächlich ein Upgrade gegenüber den bereits im Kader stehenden Running Backs der Chiefs ist. Bell ist zwar erst 28 Jahre alt, kam in seiner Karriere aber bereits auf fast 1500 Carries und fast 1900 Touches. Zum Vergleich: Mark Ingram, der drei Jahre älter ist als Bell, kommt in seiner Karriere auf weniger Touches. David Johnson, der ebenfalls 28 ist, erhielt bislang nur etwas mehr als 1000 Touches.

Darüber hinaus war Bell selbst zu seinen besten Zeiten in Pittsburgh wohl nie der Ausnahmespieler, als der er in Steelers-Zeiten angesehen wurde. Zwar legte er damals spektakuläre Zahlen auf, diese waren aber stets vor allem Bells Volume und weniger seiner Effizienz geschuldet.

In New York war offensichtlich, dass Bell eine schlechte Offense nicht wirklich besser machen und hinter einer schwachen Offensive Line sowie in einem einfallslosen Scheme keineswegs den Unterschied ausmachen konnte. Der Vorteil für ihn: In Kansas City wird dies von ihm auch nicht erwartet werden.

NFL: Welche Rolle bekommt Bell bei den Chiefs?

Clyde Edwards-Helaire wird auch nach Bells Verpflichtung der Nummer-eins-Running-Back und der etatmäßige Running Back für First und Second Down bleiben. Der Neuzugang könnte Edwards-Helaire gelegentliche Verschnaufpausen verschaffen und als so genannter Situational Running Back eingesetzt werden, zum Beispiel in klaren Pass-Situationen oder direkt an der Goalline.

Zu Bells Stärken wurden stets auch seine Qualitäten im Passspiel gezählt, der 28-Jährige kann auch als Receiver aufgestellt werden und zählt zu den sichersten Pass-Blockern unter allen Running Backs der NFL. Nahe der Endzone war er laut Pro Football Focus zudem einer der zehn besten Running Backs in der NFL.

Dass Bell eine Rolle in Kansas City Offense garantiert hat oder gar ein zentraler Bestandteil dieser werden wird, sollte man allerdings nicht annehmen. In der vergangenen Saison verpflichteten die Chiefs mit LeSean McCoy bereits einen ehemaligen Superstar-Running-Back. Nachdem McCoy in der Regular Season noch rund zehn Touches pro Spiel erhalten hatte, spielte er in den Playoffs kaum noch eine Rolle und war im Super Bowl sogar nicht mehr im Kader. Sollte Bell für die Chiefs keine echte Verstärkung sein, dürfte ihn ein ähnliches Schicksal ereilen.

Was bedeutet die Verpflichtung von Bell für Edwards-Helaire?

Die Auswahl von Edwards-Helaire in der ersten Runde des Drafts wurde bereits zum damaligen Zeitpunkt von einigen Beobachtern kritisch gesehen, so zum Beispiel auch auf unserer Seite. Die Chiefs hatten im Vorjahr die vielleicht beste Offense der NFL gehabt und den Super Bowl gewonnen - und das nicht obwohl sie so wenig auf das Laufspiel setzten, sondern gerade deswegen.

Zudem hatte Kansas City erst im Super Bowl bewiesen, dass auch weniger hoch angesehene Running Backs innerhalb des eigenen Systems begeistern und tolle Zahlen auflegen konnten. Damien Williams hatte gegen die 49ers damals mehr als 130 Scrimmage Yards und zwei Touchdowns aufgelegt. Mussten die Chiefs also wirklich einen so frühen Pick in einen neuen Running Back investieren?

Nach fünf Wochen in der laufenden Saison lässt sich festhalten, dass Andy Reid und Co. ihrem Fokus auf das Passspiel treu geblieben sind. Die Chiefs wollen den Ball möglichst oft in den Händen von Patrick Mahomes sehen, bei First und Second Down passen nur die Seattle Seahawks noch häufiger als die Chiefs.

Bislang spielte Edwards-Helaire durchaus respektabel, doch hätten Antonio Gibson, der in der dritten Runde von Washington ausgewählt wurde, oder James Robinson, den die Jaguars sogar als Undrafted Free Agent verpflichteten, in der Chiefs-Offense, in der sich Gegner so stark auf den Pass fokussieren müssen, nicht ähnliche Leistungen erbringen können? War der Pick des 21-Jährigen also tatsächlich notwendig? Diese Frage steht nach der Verpflichtung von Bell noch stärker im Fokus.

NFL: Übernimmt Bell nahe der Endzone von Edwards-Helaire?

Nach Informationen von Tom Pelissero vom NFL Network waren die Chiefs seit der Entscheidung von Damien Williams, auf die Saison im Jahr 2020 zu verzichten, auf der Suche nach einem weiteren erfahrenen Running Back, auch Adrian Peterson soll nach seiner Entlassung in Washington kontaktiert worden sein. Das deutet daraufhin, dass die Chiefs gerne etwas Verantwortung von Edward-Helaires Schultern nehmen würden. In welchen Situationen dies genau erfolgen wird, bleibt allerdings abzuwarten.

Bell gilt als guter Receiving Back, der vor allem über sichere Hände verfügt und sich kaum Drops erlaubt. Das Gleiche wurde im Pre-Draft-Prozess allerdings auch über Edwards-Helaire gesagt. In seiner letzten Saison für LSU kam er auf knapp vier Catches und 30 Receiving Yards pro Spiel. Einen reinen Early-Down-Back, der vor allem läuft und nur wenig Pässe fängt, werden die Chiefs aus ihrem jungen Talent somit wohl kaum machen wollen.

Neben der Rolle als Rotationsspieler, der Edwards-Helaire Pausen verschaffen soll, könnte Bell statt der Aufgabe als Receiving Back vor allem nahe der Goalline eingesetzt werden. Innerhalb der Zehn-Yard-Linie konnte Edwards-Helaire bislang noch keinen Rushing Touchdown verbuchen (insgesamt -1 Rushing Yard). Hier könnte Bell Abhilfe schaffen - ein Albtraum für alle Fantasy-Football-Besitzer von Edwards-Helaire.

Dass die Chiefs ihrem jungen Rookie mehr Hilfe zur Seite stellen wollen, ist zunächst nicht verwerflich. Mehr Talent im Kader zu haben, ist immer erstrebenswert, zudem brauchen Rookies in der NFL für gewöhnlich Zeit, bis sie ihr volles Potenzial abrufen können. Ob Edwards-Helaire den frühen Pick tatsächlich wert war, dürfte sich somit vor allem in den kommenden Jahren zeigen. Die Verpflichtung von Bell dürfte in diesem Punkt wenn überhaupt nur eine kleine Rolle spielen.