Eine völlig verrückte Woche endete für Antonio Brown am Samstag mit einer Entlassung bei den Oakland Raiders - und einer prompten Unterschrift bei den New England Patriots. Das wirft zum Start der 100. NFL-Saison einige Fragen auf, etwa die nach den Konsequenzen für alle Beteiligten. Und: Handelt es sich am Ende vielleicht um ein abgekartetes Spiel?
Browns gesamtes Verhalten in der Offseason, das letztlich zu zwei Teamwechseln führte, wirft Fragen auf und hinterlässt einen faden Beigeschmack. SPOX-Redakteur Marcus Blumberg ordnet die Geschehnisse ein und beantwortet die wichtigsten Fragen.
1. Was bedeutet der Abgang von Antonio Brown für die Oakland Raiders?
Die Oakland Raiders waren - positiv formuliert - im Frühjahr mutig genug, sich auf Antonio Brown, der sich durch extrem eigensinniges Verhalten von den Pittsburgh Steelers weggeekelt hatte, einzulassen. Man erinnere nur an sein äußerst merkwürdiges ESPN-Interview damals ...
Über den Sommer und die gesamte Saisonvorbereitung hinweg fiel er dann fast erwartungsgemäß immer wieder negativ auf, mit teils abstrusen Aktionen wie dem Helmtheater, seinem Gefrierbrand an den Füßen, der Attacke auf General Manager Mike Mayock und seinen unprofessionellen Social-Media-Posts. Kurzum: Brown sorgte für jede Menge Unruhe.
Die Raiders zogen letzten Endes die Reißleine, weil sie aus ihrer Sicht - und die kann man teilen - wirklich "alles versucht" haben, wie es Head Coach Jon Gruden am Samstag formulierte. Sie entließen ihn und zogen Ruhe und Integrität im Team konstantem Drama vor.
Unterm Strich hat sie dieses Intermezzo jedoch einen Dritt- und einen Fünftrundenpick im vergangenen Draft gekostet, wenn auch immerhin kein Geld bzw. Platz unter dem Salary Cap: Durch sein Verhalten hat Brown es den Raiders sehr leicht gemacht, die Garantien seines Vertrags wegen "teamschädigenden Verhaltens" - das ist ein offizieller Begriff des Grundlagenvertrags zwischen NFL und der Spielergewerkschaft NFLPA - zu löschen.
Was bleibt, ist ein immer noch recht gut bestücktes Team, das weiterhin große Egos zu managen hat - Skandal-Linebacker Vontaze Burfict ist nun Team Captain -, aber letztlich fürs Erste das Sportliche in den Vordergrund stellen kann. Ein Brown, der willens gewesen wäre, sich auf seinen Sport zu konzentrieren, wäre eine echte Bereicherung gewesen. Doch der Brown, der sporadisch beim Team war, hätte nur vom Wesentlichen abgelenkt.
2. Was bedeuten die Ereignisse der letzten Tage für Antonio Brown?
Was im Kopf von Antonio Brown vorgeht, ist schwer zu sagen. In diesen hat er sich aber ganz offensichtlich nicht gesetzt, um jeden Preis für die Oakland Raiders zu spielen. Letztlich bekam er seinen Willen: Er wird keinen einzigen Regular-Season-Pass für die Raiders fangen.
Vielmehr spielt er nun für die New England Patriots, den Super Bowl Champion. Damit geht er in rund sechs Monaten von einem Team, das die Playoffs verpasste, über eines, das im Neuaufbau steckt, zu einem der Topfavoriten auf den Titel.
Sportlich betrachtet hätte es nicht besser laufen können für Brown, der in dieser Spielzeit, wenn er Normalform zeigt und nicht entlassen wird, letzten Endes wohl sogar knapp mehr verdienen wird als in Oakland: rund 15 Millionen Dollar.
Was Browns Image angeht, dürfte das für den Moment einen größeren Schlag kassiert haben. Der 31-Jährige präsentierte sich absolut unprofessionell. Im Grunde war er ein exzentrischer Egoist vor dem Herrn.
Allerdings könnte ihm eine gute Saison in New England darüber hinweghelfen. Er wäre nicht der erste, bleiben wir mal bei "Exzentriker", der sein Image in Foxborough aufpoliert hätte. Man denke an Namen wie Rodney Harrison, Corey Dillon oder Randy Moss.
Allerdings steht auch fest: Brown muss nun das tun, wozu er scheinbar in Oakland nicht bereit war: sich voll auf Football konzentrieren. "Wie schwer kann das sein?", fragte Gruden im Telefonat, das Brown auf YouTube postete. Die Antwort bekommen wir in Kürze.
3. Was bedeutet die Verpflichtung von Antonio Brown für die New England Patriots?
Vor wenigen Monaten noch war die wohl größte Baustelle im Kader New Englands das Receiving Corps. Wirklich imposant sah es nicht aus, sodass plötzlich Akteure wie Dontrelle Inman, Maurice Harris oder auch Phillip Dorsett als mögliche Starter gehandelt worden. Letzterer ist noch da und hat offenbar Tom Bradys vollstes Vertrauen, doch besonders vielversprechend sah diese Gruppe nicht aus.
Nun jedoch kommt mit Antonio Brown so etwas wie das Sahnehäubchen auf eine Gruppe, die neben Julian Edelman auch noch Josh Gordon und - so er denn nicht aufgrund Browns Ankunft entlassen wird - Demaryius Thomas umfasst. Ein Receiving Corps, das imposant wirkt. Und noch besser werden könnte, sobald Rookie N'Keal Harry von der Injured Reserve List zurückkehrt. Brown ist sicherlich der individuell beste Receiver seit Randy Moss, mit dem Brady je zusammengearbeitet haben wird.
Auf der anderen Seite aber bleiben eben auch die Fragezeichen: Hält DT körperlich, hält Gordon mental durch? Und dreht Brown nicht doch wieder am Rad?
Die Patriots jedenfalls scheinen der Meinung zu sein, dass sie Brown im Griff haben werden. Sie demonstrieren das mit einem saftigen Signing Bonus in Höhe von neun Millionen Dollar. Warum? Es gibt Präzedenzfälle, die belegen, dass ein Spieler wie Brown passen könnte ins Gefüge von Foxborough. Man denke nur an Moss, Dillon oder Harrison. Alle galten als problematisch und erlebten dann gewissermaßen Karriere-Renaissancen in New England.
Harrison, der als schmutziger Spieler galt, den man in San Diego als abgehalftert betrachtete, gewann mit den Patriots noch zwei Super Bowls und wurde kürzlich in die Patriots Hall of Fame aufgenommen. Dillon, der Bad Guy aus Cincinnati, stellte 2004 den Franchise-Rushing-Rekord New Englands auf und war ein Schlüsselspieler beim dritten Super-Bowl-Triumph des Teams. Und Moss? Moss stellte in der perfekten Regular Season 2007 den Rekord für Touchdown-Receptions (23) auf und hievte Brady auf ein neues Level.
Natürlich gab es auch negative Beispiele: Albert Haynesworth etwa war ein Flop in New England, Exzentriker Chad Ochocinco überstand nur eine Saison unter Bill Belichick und wusste teils nicht, wo er sich aufzustellen hatte. Allerdings bekamen diese Spieler auch keine so hohen Garantien.
4. Was bedeutet der Fall Antonio Brown für die NFL und das Kräfteverhältnis in der Liga?
Drama, Baby! Ein bekanntes Sprichwort im Showbusiness lautet "There's no such thing as bad PR", und die NFL ist nun mal Showbusiness. Zum Start ihrer 100. Saison hätte sich die Liga wohl kaum bessere PR wünschen können. Alles redete schon vor dem Start über die neue Spielzeit.
Die Brown-Saga produzierte in den letzten Tagen derartige Schlagzeilen, dass die beinahe minütlichen Updates auch außerhalb der NFL Erwähnung fanden. In den sozialen Medien, aber auch in anderen Sportübertragungen. Während der Baseballspiele am Wochenende wurde über Brown diskutiert, während der College-Football-Übertragungen sowieso. Brown - und somit auch die NFL - war omnipräsent. Besser geht es nicht aus PR-Sicht!
Sportlich betrachtet ändert der Brown-Deal einiges am Kräfteverhältnis in der Liga. Bei den Buchmachern etwa sind die Patriots nun wieder Topfavorit auf den Super-Bowl-Triumph im kommenden Februar. Bislang sah man in Vegas eher die Kansas City Chiefs vorn.
Sicher, wenn Brown seine Leistung bringt, macht es eine ohnehin schon starke Offense der Patriots noch um einiges besser. Und ein Shootout gegen Brady war bislang ohnehin schon nicht erstrebenswert.
Gleichzeitig birgt der Fall Brown aber auch Gefahren für die Zukunft. Er liefert - so es sich denn um Kalkül und nicht um Chaos handelt - für künftige unzufriedene Spieler eine Schablone, wie man sich mit äußersten Mitteln von einem zum anderen Team manövrieren kann. Wer bereit ist, sein Image - vielleicht auch nur temporär, wer weiß? - zu zerstören, hat nun einen Ansatz.
5. Waren Antonio Browns Aktivitäten pures Kalkül?
Als Antonio Brown am Samstag von den Raiders entlassen wurde, war es auf Twitter schnell ein Running Gag, dass er schon irgendwie in New England landen würde. Gegen 23 Uhr deutscher Zeit war aus dieser Vermutung Realität geworden.
Dass sich beide Seiten so schnell einig wurden, sollte nicht verwundern - auch wenn das nicht zu vergleichen ist mit dem üblichen Start der Free Agency im Frühjahr, wo Teams und Spieler auf wundersame Weise immer schon im 22.01 Uhr langfristige Verträge ausgehandelt haben, obwohl der Austausch von Zahlen offiziell erst ab 22 Uhr erlaubt ist.
Aber: Die Patriots waren eines der Teams mit ernsthaftem Interesse an Brown, als die Steelers ihn loswerden wollten. Die lehnten jedoch ein lukratives Angebot der Pats ab, weil sie ihren Star-Receiver nicht zu einem direkten Konkurrenten schicken wollten.
Schon damals war die Frage, ob Browns Verhalten psychologische Ursachen zugrunde lagen oder ob er einfach nur alles versuchte, um aus Pittsburgh wegzukommen. Sollte letzteres die Ursache sein, wirft das die Frage auf, ob er die gleiche Nummer nun auch in Oakland abzog, nur um ein Vielfaches extremer. Und im Wissen um die Tatsache, dass an der Ostküste ein gutes Team förmlich darauf wartete, ihn aufzunehmen.
Letztlich bleiben nach den vergangenen Wochen nur zwei Schlüsse übrig: Entweder täte Brown gut daran, sich Hilfe zu suchen - oder er tut nur so, um seinen Willen durchzusetzen.
Der chronologische Ablauf: Brown bekommt die Geldstrafe für sein Fernbleiben vom Camp, er postet diese auf Instagram und zettelt dann einen heftigen Streit mit Mayock an. Dann gibt es die Strafe für teamschädigendes Verhalten, worauf er sich gut inszeniert bei der Mannschaft entschuldigt. Gruden spricht danach von Friede, Freude und Eierkuchen, doch direkt danach postet Brown ein aufgezeichnetes Telefonat mit seinem Coach auf YouTube. Als die Raiders daraufhin seine Garantien streichen, fordert er seine Entlassung.
Man darf nicht vergessen: Schon bei den Steelers hatte Brown im Januar 2017 heimlich eine Rede von Head Coach Mike Tomlin aufgezeichnet und veröffentlicht, was für mächtigen Wirbel sorgte. Er wusste genau: Das Ausplaudern solcher Interna ist ein absolutes No-Go.
Das wirkt von außen betrachtet schon ziemlich konstruiert.
Dass er seinen Willen - Oakland zu verlassen - am Ende bekommen hat, steht außer Frage. Die Mittel aber waren absolut schäbig und sollten am Ende nicht auch noch belohnt werden. Nur: Genau das scheint hier passiert zu sein.