Er war der vielleicht größte Linebacker aller Zeiten, auch wenn Verletzungen seine Karriere verkürzten. Doch wenn er auf dem Platz stand, war Dick Butkus der erste Bote von Angst und Schrecken für jeden Gegenspieler. Butkus perfektionierte die Kunst, Gegnern Furcht einzuflößen und ist bis heute das Sinnbild einer komplett anderen Ära. Die Geschichte des Mannes, der Chicagos Herz und Gesicht wurde - auch wenn ihm der Titel für seine geliebte Heimatstadt nie gelang.
GettyAngst hat auf dem Football-Feld nichts verloren. Angst lähmt. Angst lässt einen den entscheidenden Bruchteil einer Sekunde zögern. Angst gibt dem Gegner einen unschätzbaren Vorteil.
Niemand wusste das besser als Dick Butkus - abgesehen vielleicht von Dick Butkus' Gegenspielern.
"Wenn ich zum Aufwärmen aufs Feld kam, dann habe ich mir Sachen eingebildet, um wütend zu werden", erklärte er einst. "Wenn beispielsweise jemand aus dem anderen Team gelacht hat, habe ich mir vorgestellt, dass er über mich oder die Bears lacht. Ich habe immer etwas gefunden, um wütend zu werden. Ich wollte, dass mein Gegenspieler weiß, dass er gerade einen Hit kassiert hat. Und wenn er aufsteht sollte er schauen, wer ihn gerade umgehauen hat."
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Über Jahre waren im kalten, verregneten Chicago auf matschigem Feld Butkus' Hits das Highlight. Jener krachende Moment, wenn der Linebacker wieder einen Gegenspieler mit voller Wucht umhaute und danach noch einige Worte in dessen Richtung hinterher schob. "Der härteste Hit, den ich jemals kassiert hab", ächzte Lions-Tight-End Charlie Sanders noch Jahre später.
Und Butkus wusste genau, was er tat. "Wenn du es schaffst, deinen Gegner einzuschüchtern, macht es deinen Job einfacher", verriet er bei IBD, "und irgendwie habe ich genau das geschafft. Angst bedeutet, dass dein Selbstvertrauen sinkt. Ich will jedenfalls nicht, dass meine Gegenspieler selbstbewusst sind. Also habe ich versucht, dafür zu sorgen, dass sie Angst vor mir haben."
High-School-Rache als Aha-Erlebnis
Es war eine Lektion, die Butkus schon früh gelernt und nie wieder vergessen hatte. Während eines Jugend-Baseball-Spiels spuckte ein Gegner Butkus an, Jahre später sollten sie sich wieder treffen: Jener Junge war inzwischen der Quarterback der gegnerischen High School, und Butkus machte Jagd auf ihn.
Mehrere Sacks und mehrere Fumbles verursachte der wütende Linebacker. Die Lektion die er mitnahm, war jedoch eine eiskalt kalkulierte, wie Butkus in seiner Biographie "Butkus: Flesh and Blood" schrieb: "Nach dem ersten Hit merkte ich, dass sich etwas in seinen Augen veränderte. Sie wurden etwas glasig und mir fiel auf, dass er mich für den Rest des Spiels vor jedem Play suchte. Mir wurde der Nutzen von Einschüchterung klar und ich habe diese Taktik studiert und in eine Kunstform umgewandelt."
"Ich war hart"
Dass Butkus' Weg ihn in die NFL führte, überraschte niemanden in seiner großen, aus Litauen stammenden, Arbeiter-Familie. Schon in der fünften Klasse eröffnete Butkus jedem, der es wissen wollte, dass er eines Tages "ein Profi-Football-Spieler" sein werde: "Es hieß, dass man leidenschaftlich sein müsste. Ich war leidenschaftlich. Und es hieß, dass man hart sein musste. Ich war hart."
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Er nahm einen langen Weg zur High School auf sich, um unter einem besseren Coach zu spielen. Er lernte den Sport als Fullback und Linebacker gleichzeitig. Er trainierte mit seinen Mitspielern lange nach dem Training, wenn die Sonne über der Windy City nur mit letzter Kraft noch ein wenig Licht bereitete - gerade genug, um an Tackling-Feinheiten zu arbeiten und den besten Weg zu ermitteln, um Fumbles zu verursachen.
Weil er zunehmend auf verschiedenen Positionen eingesetzt wurde, lernte er zusätzlich die Feinheiten und Aufgaben etwa von Offensive Linemen - auch wenn Butkus mit seinem verschmitzten Grinsen zugab: "Guard zu spielen war nicht gerade die Erfüllung meiner Träume."
"Football ist alles für ihn"
Die Ironie des Schicksals wollte es, dass die Offensive Line Butkus selbst am College nicht losließ: Der Linebacker wurde noch als Center eingesetzt - ein Ausdruck der enormen Wertschätzung seiner Coaches.
Es dauerte nur zwei Trainingseinheiten, ehe sich der Youngster in Illinois zum Leader aufgeschwungen hatte und die Kiefer seiner Coaches reihenweise nach unten klappten. Butkus kam nach Illinois mit der Ankündigung, das Team in den Rose Bowl zu führen. 1963 gelangen ihm in einer herausragenden 145 Tackles sowie zehn Forced Fumbles und Illinois schlug Washington im Rose Bowl.
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"Football ist alles für ihn", erklärte Illinois-Coach Pete Elliott damals: "Wenn wir ein Training, aus welchen Gründen auch immer, ausfallen lassen müssen, wird er richtig sauer und ist niedergeschlagen. Er lebt für diesen physischen Kontakt."
Für den Unterricht dagegen hielt sich die Begeisterung vergleichsweise in Grenzen. "Wäre ich schlau genug, um ein Doktor zu werden, dann würde ich ein Doktor werden. Aber das bin ich nicht. Deshalb bin ich Football-Spieler", ließ Butkus zum Entsetzen seiner Schule verlauten. Illinois forderte daraufhin eine öffentliche Entschuldigung.
Ein Schüler des Spiels
Dabei würde man Butkus Unrecht tun, würde man ihn als sturen Hitter mit Scheuklappen für alles andere abstempeln. Der College-Superstar kam schon mit einem beeindruckend hohen Spielverständnis in die NFL, verfügte über enorme Athletik und wurde ob seiner Geschwindigkeit als Sideline-to-Sideline-Verteidiger eingesetzt. Butkus konnte es in Coverage mit den besten Tight Ends und Running Backs aufnehmen und all das bei einer Größe von 1,90 Metern und einem Gewicht von rund 110 Kilogramm - damals eher gewöhnliche Werte für Offensive Linemen.
In der NFL studierte er vor jedem Spiel seine Gegner bis ins kleinste Detail und immer wieder fielen ihm dabei Vorteile auf: "Manche Jungs schauen direkt vor dem Snap dahin, wo sie hinlaufen wollen. Du schaust ihnen in die Augen und liest sie. Das hat wirklich oft geklappt und ich konnte es kaum glauben. Ich habe das schon in der High School und im College gemacht und war mir eigentlich sicher, dass das bei den Profis anders sein würde. Aber dem war nicht so. Es gab immer noch Jungs, die verraten haben, was zum Teufel sie machen wollten."
Sein enormes Talent machte ihn 1965 gar zum zweifachen Top-Draft-Pick: Aus der NFL hatten die Chicago Bears an Nummer 3 zugeschlagen, in der damals mit der NFL konkurrierenden AFL boten die Denver Broncos Butkus einen Vertrag an. Der Linebacker entschied sich für den finanziell schlechteren Deal in seiner Heimatstadt Chicago - und ging seine Profi-Karriere mit einem klaren Ziel an: "Ich will als der Beste angesehen werden. Wenn jemand von einem "All-Pro Middle Linebacker" spricht, dann sollen sie "Butkus" meinen."
GettyEines war jedem in ganz Chicago schnell klar: Butkus würde keine lange Anlaufzeit brauchen. Bears-Linebacker Bill George, 13-jähriger NFL-Veteran und angehender Hall-of-Famer, staunte: "Als ich ihn im Training Camp das erste Mal auf dem Platz gesehen habe, wusste ich: Meine Tage als aktiver Spieler sind vorbei. Keiner hat jemals sofort so gut gespielt. Es gab einfach keine Chance, dass er nicht großartig werden würde."
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Selbst kleinere Kinderkrankheiten verhinderten das nicht: Butkus musste sich zunächst an das extrem komplizierte Scheme der Bears gewöhnen und seine Vorbereitung nochmals deutlich intensivieren, so dass er vor seinem Debüt 1965 gegen San Francisco zugab: "Alles was ich machen kann, ist versuchen herauszufinden, wann ich wo zu stehen habe." Elf alleinige Tackles später war sein beeindruckender NFL-Einstand beendet und der junge Linebacker das große Gesprächsthema in Chicago.
Das sollte sich über seine komplette Karriere nie ändern. Die Stadt saugte Butkus förmlich auf, er wurde das Gesicht der Stadt - und spätestens dann Teil der Popkultur, als Sylvester Stallone seinen Hund in "Rocky" auf den Namen "Butkus" taufte.
Bereits in seiner Rookie-Saison führte er Chicago in Tackles, Interceptions, Forced Fumbles und Fumble Recoveries an. Er war im wahrsten Sinne des Wortes ein Sturm, der über die Liga hereinbrach und vor dem kein Quarterback und kein bemitleidenswerter Blocker, der es mit ihm zu tun bekam, sicher war. "Ich würde nie jemanden bewusst verletzen", grinste Butkus einst, ganz im Stile des von ihm geschaffenen und gepflegten Images. "Es sei denn, es wäre wichtig. Wie ein Liga-Spiel oder so etwas."
"Umgedreht, gewunken und gehofft"
Acht Jahre in Folge war Butkus Chicagos Leading-Tackler (120 Tackles, 58 Assists im Durchschnitt) und Herz und Seele der Bears - und das obwohl er gesundheitlich schon lange nicht mehr bei 100 Prozent war. Eine Knieverletzung verlangte Anfang der 70er Jahre eine Operation, um lose Bänder wieder zu reparieren. Der Eingriff verlief nur teilweise erfolgreich, so dass Butkus zwei Jahre lang unter Schmerzen spielte.
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Seinen Statistiken tat das keinen Abbruch. Butkus biss, wie er es gelernt hatte, auf die Zähne - und wurde dafür belohnt: Bei einem Extra-Punkt nach einem Touchdown, Chicago lag mit 14:15 gegen Washington hinten, ging der Snap schief, die Bears mussten improvisierten. Butkus, trotz einer offen blutenden Wunde über dem Auge als Blocker aufs Feld gekommen, fing den Pass zur ungeplanten 2-Point-Conversion in der Endzone.
"Ich wusste nicht, wie weit in der Endzone ich war. Ich habe mich einfach umgedreht, gewunken und gehofft", lachte Butkus anschließend. Jahre später sollte er diesen Moment als sein persönliches All-Time-Favorite-Play bezeichnen.
Die, neben der Verletzung, vielleicht größte Tragödie in der NFL-Karriere des zweifachen Defensive Player des Jahres waren die schwachen Bears-Teams, mit denen Butkus nahezu durchgehend zu kämpfen hatte. Auf Butkus NFL-Karriere-Zeugnis standen am Ende 48 Siegen 74 Pleiten und vier Unentschieden gegenüber. Nicht selten kam es vor, dass Butkus, nachdem seine Defense den Ball zurückerobert hatte, der Offense auf dem Weg in Richtung Platz zuraunte: "Versucht wenigstens, das Ergebnis zu halten." All-Pro-Running-Back Gale Sayers, der mit Butkus in die NFL kam, war davon selbstredend ausgenommen.
Weiße Flagge ohne Titel
Doch 1973 war Butkus am Ende. Sein Körper machte nicht mehr mit, zum ersten Mal in seiner Karriere nahm er sich selbst aus dem Spiel, weil er die Schmerzen am Knie einfach nicht mehr aushielt. Butkus war davon überzeugt, dass die Bears seine Verletzung einige Jahre zuvor nicht richtig behandelt und ihn stattdessen lediglich mit Schmerzmitteln auf dem Platz gehalten hatten und klagte einige Wochen später gegen sein Team, das er seit Jahren mit derart großer Vehemenz gegen alle Anfechtungen auf und abseits des Platzes verteidigt hatte.
Es kam zur außergerichtlichen Lösung, Butkus' Spielerkarriere war allerdings vorbei. Ausgerechnet der Mann, der auf dem Cover der Sports Illustrated einst mit dem Untertitel "Der am meisten gefürchtetste Mann auf dem Platz" zu sehen war, musste das Handtuch werfen. Ohne, dass er seinem geliebten Chicago den Titel hatte bringen können.
"Die Leute reden darüber", weiß Butkus, "aber ich habe das Spiel so sehr geliebt und es ging mir nur darum, für meine eigene Stadt Football zu spielen. Ich war glücklich darüber, hier zu sein, um euch die Wahrheit zu sagen. Ja, ich dachte in jedem Training Camp, dass wir es dieses Jahr packen würden. Aber es ist uns leider einfach nicht gelungen."
Hollywood und der ESPN-Flop
Umso rasanter war Butkus' Sprung ins Show-Business. Ob "The Longest Yard" oder "An jedem verdammten Sonntag" - Butkus, der seine High-School-Liebe heiratete und drei Kinder hat, war ab Mitte der 70er Jahre in zahlreichen Filmen und Serien zu sehen, bis vor wenigen Jahren hatte er noch vereinzelte kurze Gastauftritte.
Keiner davon ist allerdings wohl denkwürdiger, als das Debakel mit einer ESPN-Realty-Show: Butkus wurde als Coach zu einem schwächelnden High-School-Team gebracht und sollte den Turnaround schaffen. Doch war er mit dieser Rolle komplett überfordert, schrie die Schüler immer wieder an und kurz nach dem Saisonstart mit einem Sieg und sechs Pleiten endete die Serie. Ohne Erklärung, warum Butkus geht und ohne Bericht über den weiteren Saisonverlauf.
Später kam raus, dass Butkus, entgegen den Behauptungen von ESPN, tatsächlich überhaupt nicht der Coach war. Sein Job war es lediglich, mit motivierenden Ansprachen dem Team neues Leben einzuhauchen - eine Idee, das komplett in die Hose ging.
Butkus? "Lieber gegen einen Grizzly"
Doch ein Gutes hatte es: Butkus kämpft seit jener Show gegen Steroid-Missbrauch bei jungen Sportlern, wie er in der News-Gazette ausführte: "Bei den Aufnahmen zu einer Reality-Show habe ich mitbekommen, dass Steroide in die High Schools kommen. Dann hat mir mein Kardiologe seine Studien über Bodybuilder, die Steroide genommen haben, gezeigt - deren Herzen waren 30 Jahre älter, als sie hätten sein sollen. Entscheidend war es, mit den Eltern zu sprechen, die Kinder wegen Steroid-Missbrauchs verloren hatten. Ich entschied mich, dass es Zeit war, etwas zu ändern."
Erst eine erneute Knie-OP im November 1997 befreite Butkus von seinen anhaltenden Problemen, inzwischen musste er sich auch einer Bypass-OP unterziehen, so dass das einstige Bild von diesem großen, brutalen Tackler bröckelte - vor allem für Butkus selbst. "Jeder denkt, dass er unbesiegbar ist. Ich jedenfalls habe das gedacht. Aber mir wurde das Gegenteil bewiesen, und das im großen Stil", gab er gegenüber Yahoo zu. Auch diese Erfahrung nutzte er anschließend zum Guten: Heute ermöglicht er ehemaligen NFL-Spielern kostenlose Herz-Scans.
Als er noch auf dem Platz stand, war Butkus für seine Gegenspieler die Fleisch gewordene Angst. "Wenn ich die Wahl hätte, würde ich lieber in ein Eins-gegen-Eins mit einem Grizzly gehen. Ich habe nach jedem Butkus-Hit gebetet, dass ich wieder aufstehen kann", beteuerte Packers-Running-Back MacArthur Lane und Paul Hornung, ebenfalls ein Packers-RB, fügte hinzu: "Er war der fieseste Drecksack, den ich jemals auf einem Profi-Football-Platz gesehen habe. Er ist auf dich los, als würde er dich schon jahrelang hassen."
Und Butkus selbst? Der inzwischen 73-Jährige, seit 1979 Mitglied der Hall of Fame, hat seinen Frieden mit seiner NFL-Zeit gemacht: "Wenige Leute verdienen ihr Geld mit etwas, das ihnen wirklich Spaß macht, und jeder Job bringt Gefahren mit. Ich war für Football gemacht. Ich habe dem Spiel alles gegeben, so lange ich konnte." Nur eine kleine Ergänzung fällt ihm dann doch noch ein: "Die eine Sache, die ich bereue, ist die Tatsache, dass meine Karriere zu kurz war."