Die Offense der San Francisco 49ers unter der Lupe - Die beste Maschine der NFL

Von Adrian Franke
29. Januar 202014:53
SPOX-Redakteur Adrian Franke blickt im Detail auf die Offense der San Francisco 49ers.getty
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Vieles im Vorfeld von Super Bowl LIV dreht sich um das Duell der Chiefs-Offense gegen San Franciscos Defense. Doch die 49ers haben ihrerseits eine durchaus gefährliche Offense - wenngleich diese in vielen Bereichen komplett anders funktioniert als die des Gegners. Ein Blick in die Details der Maschine von Coach Kyle Shanahan.

Den Super Bowl gibt es in der Nacht vom 2. auf den 3. Februar live auf DAZN - mit Markus Kuhn und Sebastian Vollmer im deutschen Live-Kommentar, alternativ auch im US-Originalkommentar.

So ziemlich jeder NFL-Fan hat bei der Kombination aus Kyle Shanahan und Super Bowl die gleiche Zahlenkombination im Kopf: 28:3.

Mit 28:3 führten die Atlanta Falcons in Super Bowl 51 gegen die New England Patriots im dritten Viertel, die Vince Lombardi Trophy vermeintlich schon auf dem Weg nach Georgia. Noch nie zuvor hatte ein Team in einem Super Bowl mehr als zehn Punkte Rückstand noch aufgeholt, und selbst ein 10-Punkte-Comeback hatte es lediglich drei Mal zuvor gegeben. Die Falcons-Führung über 25 Punkte schien weit mehr als nur die halbe Miete zu sein.

Der Rest der Geschichte ist bestens bekannt, und das nicht nur Falcons-Fans, die den Artikel an diesem Punkt vermutlich bereits geschlossen haben. Die Patriots packten 25 Punkte in Folge aufs Scoreboard und gewannen mit dem ersten Drive in Overtime im mit Abstand größten Super-Bowl-Comeback aller Zeiten.

Shanahans Offense im Mittelpunkt der Kritik

Danach entwickelte sich eine eigenartige Dynamik: Nicht die Tatsache, dass Atlantas Defense unter (dem defensiv geprägten) Head Coach Dan Quinn eine 25-Punkte-Führung nicht hielt, war die primäre Storyline - es war der Umgang der Offense von Kyle Shanahan mit der eigenen Führung, der primär diskutiert wurde.

Und sicher, man kann anmerken, dass nach Atlantas Touchdown zu Beginn des dritten Viertels noch vier Drives folgten - keiner davon dauerte länger als zweieinhalb Minuten, keiner endete in Punkten.

Als die Falcons vier Minuten vor dem Ende, noch mit acht Punkten in Führung, schon in Field-Goal-Reichweite waren, ging Shanahan per Pass auf das mögliche First Down, statt per Run mehr auf Sicherheit zu setzen und zu versuchen, die Führung auf elf Punkte auszubauen. Ein Sack sowie eine Strafe später musste Atlanta punten, im Gegenzug glichen die Pats aus.

Shanahan: "Einen Super Bowl zu verlieren ist extrem hart"

Wie Atlanta überhaupt an diesen Punkt gekommen war - nicht nur mit Blick auf die ersten 40 Spielminuten in jener Partie, sondern auch auf die gesamte Saison betrachtet, mit Matt Ryan als MVP und einer historischen Offense auf dem Weg in den Super Bowl - geriet dabei fast in Vergessenheit. Außer bei Falcons-Fans, die seither der Shanahan-Offense hinterhertrauern.

Shanahan selbst wurde am Tag nach dem Super Bowl als neuer Head Coach der San Francisco 49ers vorgestellt; jetzt ist er zurück auf der ganz großen Bühne. Und natürlich war der Super Bowl mit den Falcons auch in den vergangenen Tagen ein Thema. Mehrfach wurde Shanahan auf Pressekonferenzen darauf angesprochen. War es eine Lektion für ihn? Wie häufig denkt er noch darüber nach?

"Nicht so häufig, um ehrlich zu sein", verriet Shanahan, fügte aber hinzu: "Die Tage direkt danach waren wirklich hart. Einen Super Bowl zu verlieren, umso mehr nachdem man 28:3 geführt hat, ist extrem hart. Was die Kritik an mir persönlich anging, damit bin ich vielleicht etwas anders umgegangen als die Leute erwarten würden. Sicher, es gab Momente, die ich rückblickend gerne anders gestalten würde. Aber diese Storyline, dass wir gewonnen hätten, wenn ich einfach Runs angesagt hätte - ich weiß, dass das nicht stimmt."

Er wisse weiter, "was in dem Spiel alles passiert ist und was alles eine Rolle gespielt hat. Diese Vorwürfe haben mich also nicht gestört. Man muss damit umgehen können. Aber trotzdem war es schön, direkt hier her (nach San Francisco, d. Red.) zu kommen und einfach weiter zu arbeiten. Und jetzt freue ich mich, dass ich noch einmal die Chance bekomme."

Die San Francisco 49ers rennen durch die Playoffs

Mit ein wenig Zynismus könnte man jetzt sagen: Den (vermeintlichen) Fehler, nicht auf den Run zu setzen, wird Shanahan wohl kaum wiederholen.

Die 49ers waren in dieser Saison in neutralen Spielsituationen eines der Run-lastigeren Teams der Liga. Ganz platt in Total Stats ausgedrückt lief nur Baltimore in der Regular Season häufiger als San Francisco, während die Niners im NFC Championsihp Game gegen Green Bay ganze acht- und in der Divisional Runde gegen die Vikings nur 19-mal den Ball geworfen hatten. Kombiniert man beide Partien, kommen die Niners dagegen auf fast 90 Runs.

Das wiederum lässt ganz andere Fragen die Debatten vor dem Super Bowl regieren: Ist Jimmy Garoppolo gut genug? Kann er die Offense notfalls tragen? Kann San Francisco überhaupt mithalten, sollten die Chiefs das Run Game halbwegs in den Griff bekommen?

49ers-Offense: Die Basics

  • Die NFL ist eine 11-Personnel-Liga geworden - bedeutet: Fast alle Teams spielen über die Hälfte ihrer offensiven Snaps mit einem Running Back, einem Tight End und drei Wide Receivern auf dem Feld. Die 49ers sind eine der wenigen Ausnahmen: San Francisco spielt in dieser Saison nur 40 Prozent seiner Snaps in 11-Personnel (Liga-Schnitt: 60 Prozent) und hat im Gegenzug mit weitem Abstand die höchste 21-Personnel-Quote: 28 Prozent der Niners-Offense findet mit zwei Running Backs, beziehungsweise einem Running Back und einem Fullback gleichzeitig auf dem Feld statt.
  • Und was machen die 49ers daraus? San Francisco ist zwar - eine generell zutreffende Aussage - auch aus 21-Personnel verglichen mit dem Liga-Schnitt Run-lastig und läuft in 61 Prozent der Fälle aus 21. Aber: Wenn die Niners hier ins Passspiel gehen, sind sie deutlich gefährlicher als der Rest der Liga: Im Durchschnitt werfen Teams bei Pässen aus 21-Personnel für 7,7 Yards - die Niners sind hierbei in ihrem Durchschnitt zwei volle Yards darüber! Play Action ist dabei fraglos eine Erklärung.
  • Das ist auch gleich ein alles durchziehendes Thema: Play Action. In der laufenden Saison hat, Playoffs mit eingerechnet, nur Jared Goff (32,8 Prozent) mehr seiner Pässe via Play Action geworfen als Garoppolo (32,6 Prozent). Allerdings warfen nur Ryan Tannehill und Jameis Winston mehr Yards pro Play Action Pass als Garoppolo (10,4), der zudem die sechstmeisten Play-Action-Touchdowns (10) aufgelegt hat.
  • Das Run Game der 49ers ist extrem explosiv: Allein in der Regular Season verzeichnete San Francisco 20 Runs über mindestens 20 Yards, nur Baltimore (28) war hier noch gefährlicher. In den Playoffs kamen bereits vier weitere dazu.
  • Raheem Mostert hat in der laufenden Saison 31 Runs über mindestens zehn Yards auf dem Konto - unter Running Backs mit unter 200 Runs (Mostert: 178) hat sonst nur Buffalos Devin Singletary (26) mehr als 22 solcher Runs.
  • Die Basis der Niners-Offense ist das Outside Zone Run Blocking Scheme. Hierauf basiert das Run Game und hierauf basieren auch viele elementare Aspekte von dem, was San Francisco im Passspiel macht.
  • Keine Offense produziert ansatzweise so viele Yards nach dem Catch wie die 49ers. Garoppolo steht bei 6,6 Yards nach dem Catch pro Completion, kein anderer Quarterback kommt überhaupt auf mehr als 6,2. Vor allem Deebo Samuel und George Kittle sind hier ganz vorne mit dabei, in dieser Saison stehen sie unter allen Wide Receivern und Tight Ends (mindestens 50 Targets) auf Platz 2 (Samuel/8,5 Yards nach dem Catch pro Reception) beziehungsweise 4 (Kittle/7,3) was Yards nach dem Catch angeht.
  • Es ist nicht der Ansatz der 49ers, von Garoppolo regelmäßig tiefe Shots zu erwarten - im Gegenteil: Garoppolo hat in der Regular Season 6,5 Prozent seiner Pässe 20 Yards oder weiter das Feld runter geworfen, mit weitem Abstand der niedrigste Wert ligaweit.

49ers: Die Früchte des Shanahan-Trees

Um die Storyline rund um das Run Game nochmals aufzugreifen, auch darüber sprach Shanahan unter der Woche: "In meinen Augen orientiert sich unsere Offense etwas mehr an der Defense. Unsere Defense hatte eine historisch gute Saison, deshalb konnten wir Spiele offensiv auf verschiedene Arten gewinnen. Aber wenn die Defense so spielt wie über weite Strecken der Saison, mussten wir den Ball nicht viel werfen. Manchmal haben wir es dann auf die altmodische Art versucht, und unsere Defense hat uns das ermöglicht."

Natürlich gab es auch Spiele, in denen Garoppolo deutlich mehr leisten musste. Der Shootout gegen die Saints wäre vermutlich der prominenteste Kandidat, der Comeback-Sieg gegen Arizona fällt ebenfalls in diese Kategorie. Doch es ist kein Geheimnis: Die Chiefs wollen im idealen Szenario den Ball bevorzugt werfen, die 49ers wollen den Ball bevorzugt laufen.

Das ist auch ein Muster, das sich durch Shanahans Prägung als Coach zieht. Sein Vater Mike Shanahan, maßgeblich beeinflusst durch "seinen" O-Line-Coach Alex Gibbs, genau wie dessen oberster Schüler Gary Kubiak stehen fast exemplarisch für einen ganz bestimmten Ansatz und Fokus im Run Game: Outside Zone.

Gibbs und Mike Shanahan waren die beiden maßgeblichen Figuren dahingehend, dass John Elway seine Karriere mit zwei Super-Bowl-Ringen beendete - unter dem Duo produzierte Denver eine ganze Reihe an verschiedenen 1000-Yard-Rushern, darunter Terrell Davis, der 1998 die Schallmauer von 2000 Rushing-Yards durchbrach.

"Das Scheme, das wir laufen, Outside Zone und Inside Zone, funktioniert schon seit Jahren", fasste es gerade erst Raheem Mostert nach dem Championship Game zusammen, in welchem er gegen die Packers für 220 Yards gelaufen war. "Die Philosophie überträgt sich noch immer auf das, was wir heute spielen."

Was ist das Outside Zone Blocking Scheme?

Zumindest die Grundzüge von Outside Zone zu verstehen ist elementar wichtig, um die offensive Basis von Shanahan und den 49ers nachvollziehen zu können.

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Die Szene hier zeigt Mosterts 34-Yard-Run Mitte des zweiten Viertels, und das Play eignet sich gut, um einige der Prinzipien zu erklären. Grob zusammengefasst:

  1. Die Offensive Line macht einen Schritt "Playside", also in die Richtung, in die der Run gehen soll. Während im Power Run Game Blocker konkret einen Gegenspieler zugeteilt haben, stellt sich im Zone Blocking für Offensive Linemen die Frage: habe ich einen Gegenspieler mir gegenüber ("covered"), oder steht mir direkt gegenüber kein Verteidiger ("uncovered")?
  2. Hat der Lineman einen Gegenspieler, so wie hier alle Blocker außer dem Right Tackle, sieht der Ablauf so aus: Jeder Spieler macht einen seitlichen Schritt Playside, um dann seinen Gegenspieler zu blocken. Das Ziel ist es, seinen Körper zwischen den Gegner und die Seitenauslinie zu bekommen.
  3. Je nach Defense-Formation arbeiten die Blocker ohne direkten Gegenspieler sofort auf das Linebacker-Level zu und versuchen da, einen Verteidiger abzuschirmen. Bei einer Konstellation wie hier zwischen Right Tackle und Right Guard bilden beide zunächst einen Double-Team-Block, aus dem sich dann einer der beiden - hier der Right Tackle - löst und so ebenfalls auf das Linebacker-Level kommt. Die meisten Outside-Zone-Designs zielen darauf ab, mindestens zwei Blocker aufs das nächste Level zu bringen.
  4. Dafür wird der Backside-Block (der äußere Block auf der Seite, auf die der Run nicht geht) auch nicht selten ignoriert und der Backside-Tackle arbeitet stattdessen nach innen, etwa im Double-Team mit dem Backside-Guard. Der Cutback-Verteidiger kann schließlich selbst ungeblockt nicht einfach in die Mitte stürmen, er ist meist für Play Action Rollouts des Quarterbacks oder mögliche Reverse-Plays zuständig.
    SPOXNFL Gamepass
  5. So sieht dementsprechend häufig der erste Moment nach dem Snap bei Outside Zone Spielzügen aus. Die Offensive Line sowie der Tight End und Fullback haben kollektiv einen Schritt zur Seite gemacht, und hier sind die Übergänge zwischen Zone- und Man-Blocking dann fließend - denn nach dem Snap hat letztlich doch jeder Blocker einen konkreten Gegenspieler. Nur der Weg dorthin ist unterschiedlich.
  6. Der Fullback derweil geht entweder um den Tight End herum, oder, wie hier, zwischen dem etwas versetzt postierten Tight End und der Offensive Line als Lead-Blocker hindurch. In der Regel ist es die Aufgabe des Fullbacks, den ersten Run-Support-Verteidiger zu finden und auszuschalten.
  7. Und der Running Back? Wie im ersten Bild dargestellt, bieten sich dem Running Back verschiedene Optionen. Bei vielen Outside Zone Plays versucht er, um den Tight End herum zu kommen. Doch je nach konkretem Play-Design und je nachdem was die Defense macht, bieten sich verschiedene Möglichkeiten. Das sollte man allerdings nicht missverstehen: Outside Zone will keinen Running Back, der großartig im Backfield herumtänzelt und mit Agilität punktet. Eher sind Spielverständnis und Speed die primären Tugenden eines OZ-Backs, er muss schnell erkennen, wo sich die Lücke auftut und durch diese dann mit Wucht durchbrechen.

Das hier dargestellte Play ist ein weiteres Beispiel aus der gleichen Partie:

SPOXNFL Gamepass

Es ist ein klassischer 49ers-Run: Outside Zone mit dem Fullback als Lead-Blocker. "18/19 Force" heißt der Run in der Niners-Terminologie - Outside Zone Right ("18") beziehungsweise Left ("19"), mit dem Fullback als Lead-Blocker nach außen ("Force").

Outside Zone, Fullback - und vieles mehr

Tennessee lief im AFC Championship Game einige Male ähnliche Designs gegen die Chiefs und hatte deutlich weniger Erfolg. Doch San Francisco ist in jeder Hinsicht besser für dieses Run Game ausgestattet: Tight End George Kittle ist ein X-Faktor als Blocker und als Receiver, Kyle Juszczyk ist der gefährlichste Fullback in der NFL - und wo Henry mit Power punktet, kommen Mostert und die Niners-Backs über Speed und Explosivität. Das macht gerade das Outside Zone Run Game deutlich gefährlicher.

Und insbesondere die Runs aus 21-Personnel könnten ein Schlüsselelement sein. San Francisco lief aus 21-Personnel mit Juszczyk bei 183 Versuchen für 5,8 Yards pro Run - ein enormer Wert. Kansas City hatte dieses Jahr defensiv einige Male Probleme mit 21-Personnel (5,6 Yards pro Run zugelassen, wenn auch bei nur 66 Runs) und wo die Chiefs gegen Tennessee noch die Sekundenbruchteile mehr Zeit hatten, um Lücken zu schließen und Henry zu stellen, wird es diese Sekundenbruchteile gegen San Francisco nicht geben.

Gleichzeitig darf man nicht den Fehler machen, die Niners als Outside Zone Offense abzustempeln. Das ist zwar die Basis, auch für viele Dinge im Passspiel, doch wie vielseitig die Offense auch im Run-Blocking agieren kann, hat insbesondere das NFC Championship Game gezeigt.

SPOXNFL Gamepass

Gegen die Packers spielten die 49ers eine Vielzahl an verschiedenen Blocking-Konzepten, arbeiteten viel mit Pull-Blocks und diversen Power-Blocking-Konzepten und konnten so Green Bay mit vermeintlich identifizierten Tendenzen bestrafen.

Der 36-Yard-Touchdown-Run von Mostert gleich zu Beginn des Spiels etwa war ein Power-Blocking-Konzept (mehr Details dazu hier) und der hier dargestellte Touchdown-Run unterstreicht nochmals die vielen Aspekte, die eine Defense in Sekundenbruchteilen lesen und identifizieren muss.

Die 49ers deuten dabei den Jet Sweep mit Wide Receiver Deebo Samuel an, tatsächlich aber mutiert Samuel nach dem Snap zum Vorblocker. Der Running Back bekommt stattdessen den Ball, inklusive Samuel und einem Pull-Blocker vor sich. Der Rest der Line blockt nach rechts und so gibt es auf der Playside zwei Blocker gegen drei Verteidiger, von denen der Running Back nur einen mit seinem Speed stehen lassen muss.

49ers Play Action: Wo die Big Plays herkommen

Die meisten Yards im Schnitt nach dem Catch, die prozentual wenigsten tiefen Pässe, eine extrem geringe Target-Tiefe (6,5 Average Intended Air Yards, nur Derek Carr warf den Ball unter Quarterbacks mit mindestens 200 Pässen im Schnitt noch kürzer) und die dritthöchste Expected Completion Percentage aller Quarterbacks - es ist absolut kein Geheimnis, wie San Francisco Defenses im Passspiel attackieren will: Yards nach dem Catch und möglichst viele offene Fenster. Das funktioniert maßgeblich über das Play-Action-Passspiel.

Nur Jameis Winston warf für mehr Yards pro Play Action Pass (11,9) als Garoppolo (10,8). Rein mit Blick auf die 49ers betrachtet: Wenn Garoppolo den Ball per Play Action warf, erzielte San Francisco im Schnitt 3,6 (!) Yards mehr als im regulären Dropback Passing Game. Eine gewaltige Differenz, die ebenfalls nur von Winston (4,5 Yards mehr per Play Action) übertroffen wurde.

Und hier kommt man zu einem übergreifenden Punkt für diesen Artikel, aber auch für beide Offenses im Quervergleich: Kansas City ist unheimlich gut darin, mit seinen spezifischen Waffen Gegner zu attackieren. Die Chiefs bereiten Defenses mit Speed, mit Route-Kombinationen und mit einer exzellenten Mischung aus Play-Designs und individueller Qualität enorme Probleme.

Die 49ers auf der anderen Seite, und das soll keine Kritik an einem der beiden Teams sein, gewinnen mehr via Scheme als es die Chiefs tun. Bedeutet: Betrachtet man Kansas Citys Offense, hat man häufiger den Eindruck, dass Lauf- und Passspiel gewissermaßen getrennt nebeneinander herlaufen. Die Designs funktionieren glänzend und zielen darauf ab, das zu attackieren, was die Defense zeigt. Aus defensiver Sicht aber ist es nicht das oberste Problem, aufeinander aufbauende Plays richtig zu erkennen und Nuancen zu identifizieren.

San Francisco ist in vielerlei Hinsicht das genaue Gegenteil dazu. Bei Shanahan baut alles aufeinander auf, und mit Abstand am deutlichsten macht das das Zusammenspiel zwischen dem Outside Zone Run Game und dem Play-Action-Passspiel.

Wie funktioniert San Franciscos Play-Action-Passspiel?

Schnelle In-Breaking-Routes bevorzugt aus Bunch-Formations, Play-Designs, bei denen Receiver gegen Man Coverage mit Tempo über die Mitte ihren Gegenspielern davonlaufen können, schnelle Out- und Comeback-Routes - das alles sind Dinge, die man im normalen Dropback-Passing-Game bei den 49ers regelmäßig sieht.

Doch um im Thema zu bleiben: So gefährlich wird San Franciscos Offense vor allem via Play Action. Und der zentrale Grund dafür ist, dass die Defense vor und auch zum Teil noch kurz nach dem Snap nicht weiß, was auf sie zukommt.

Doch wie funktioniert das? Beispielhaft folgen vier Designs, deren Grundelemente genau diese Frage beantworten; und die im Kern auch zeigen, was Shanahan im Play-Action-Passspiel macht und auf was die Chiefs Antworten finden müssen.

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Das erste Play ist aus dem kritischen Seahawks-Spiel in Woche 17 und es zeigt beispielhaft, wie Shanahan einerseits Räume kreiert, andererseits aber auch einzelne Verteidiger auf eine falsche Fährte lockt. In dem Fall sind es die beiden Tight Ends (linke Seite der Formation, der äußerste und der direkt an der Offensive Line postierte Spieler), welche beide erst in Richtung des vermeintlichen Outside Zone Designs ebenfalls Blocks andeuten, ehe sie dann zurück in eine Route arbeiten.

Die ganze Defense wird dabei erst in die (aus Sicht der Offense) rechte Seite in Bewegung gebracht, das betrifft insbesondere die Linebacker, die Shanahan generell im Passspiel bevorzugt isoliert und attackiert. Die Routes kreieren dann ein Flood-Konzept auf die Backside des angetäuschten Run Plays, also überladen die linke offensive Seite mit drei Routes unterschiedlicher Tiefe.

Das bringt den Outside Corner in eine schwierige Situation, in dem Fall stimmt auch etwas in der Übergabe der einzelnen Routes in Seattles Secondary nicht. Im Endeffekt ist Kittle, im Moment des Snaps der am weitesten links postierte Spieler, komplett frei, Garoppolo muss nur einen kurzen Dumpoff-Pass werfen und den Rest erledigt Kittle nach dem Catch.

49ers: Leak-Plays und offene Receiver

Einige der offensten Big Plays kamen durch diese Kombination zustande; durch einen angetäuschten Block mit anschließender Route, durch das Stressen der Defense auf verschiedenen Ebenen und nicht selten dann schlicht durch die Tatsache, dass ein Spieler in der Coverage "vergessen" wurde.

Dabei war vermutlich kein Play zerstörerischer als die verschiedenen Ausprägungen des "Leak"-Konzepts.

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Die Szene hier zeigt Goodwins 38-Yard-Touchdown gegen die Bengals, via einer Leak-Route - hier: die kurze Crossing Route über die Mitte, die Goodwin dann auf der linken Seite der Formation vertikal Richtung Endzone trägt.

Die Idee hinter dem Leak-Konzept lautet: Die Line täuscht einen Run-Block in eine Seite an, nach der angetäuschten Ballübergabe an den Running Back rollt der Quarterback auf der anderen Seite aus der Pocket.

Bei der "Leak"-Route täuscht der Receiver - in vielen Playbooks ist es eher ein Tight End, Shanahan spielt sie hier mit seinem schnellsten Wide Receiver - vor, dass er in Richtung des vermeintlichen Run Plays einen Linebacker sucht, den er aus dem Weg räumen könnte.

Die Defense wird also zweierlei getäuscht: Erst reagiert sie auf den Run-Fake, nur um dann zu sehen, dass der Quarterback den Ball hat. Das wiederum hat nicht selten zur Folge, dass eine Kurs-Überkorrektur stattfindet - immerhin sind die meisten Play-Action-Pässe so designt, dass die entscheidenden Routes auf der Seite stattfinden, auf die sich der Quarterback bewegt hat, damit er eben nicht quer über das Feld werfen muss.

Hier aber passiert genau das, worauf Shanahan aus ist: Die Verteidiger vergessen Goodwin, und der ist komplett offen für den einfachsten Touchdown, den man sich vorstellen kann. Auch Leak-Konzepte hat San Francisco dieses Jahr in verschiedenen Varianten gespielt.

Das gilt auch für Blocker aus dem Backfield. Das kann ein vermeintlicher End-Around- oder Jet-Sweep-Spieler sein, der plötzlich nach (doppeltem) Run Fake zum Receiver wird, ganz positionsbezogen funktionieren solche Konzepte aber auch in der Red Zone. Wenn der Platz und somit auch die offensiven Möglichkeiten beschränkter werden, gilt es, Räume zu kreieren - Shanahan macht das gerne mit seinen Tight Ends und dem Fullback.

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Dieses Play zeigt einen Short-Yardage-Touchdown gegen die Falcons. Die 49ers kommen in einer extrem engen Formation raus, alle Indikatoren deuten hier, was die Spielsituation und die Formation angehen, auf einen Run hin. Und so blocken es die Niners auch.

Nach dem Play Action Fake starten zunächst nur die beiden Tight Ends in ihre Route, und die sind kritisch: Der linke Tight End bindet Verteidiger im Zentrum, der rechte Tight End dient als Rub-Route-Spieler. Heißt: Seine Route verhindert, dass der Linebacker aus dem Zentrum direkt nach außen laufen und den Fullback verfolgen kann, nachdem er das Play erkannt hat.

Diese Verzögerung, weil der Linebacker erst um den Tight End und den äußeren Verteidiger herumkommen muss, reicht, damit Juszczyk genug Separation für den Touchdown kreiert.

Eine letzte Variante, und hier ist so ziemlich alles vertreten:

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Besonderes Big-Play-Potenzial nach dem Catch haben die Play-Designs der Niners, bei denen Screens via Play Action gespielt werden.

Ein solches Beispiel haben wir hier. Beginnend mit dem angetäuschten Jet Sweep (blau) faken die Niners einen Run nach rechts - ein Konzept, das San Francisco auf verschiedenste Arten genau so tatsächlich mit einem Run ebenfalls spielt. Die Defense ist also zumeist auf dem Schritt nach (aus Sicht der Offense) rechts, wo auch die Line eindeutig hinblockt.

Das eigentliche Play aber ist ein Screen zu Kittle (grün markiert). Der Center und der Left Tackle ziehen nach ihren vermeintlichen Blocks in Richtung der Run-Playside zurück auf die andere Seite und fungieren als Vorblocker. Kittle, nachdem er seinen Block angedeutet hat, dreht sich zu Garoppolo herum.

Als Kittle den Ball fängt, hat er zwei Blocker gegen drei Verteidiger vor sich, von denen einer allerdings nicht den Winkel hat, um den schnellen Tight End einzuholen. Das Play unter dem Strich ist also ein Pass von Garoppolo für -3 Yards in ein komplett offenes Fenster, aus welchem Kittle nach dem Catch einen Raumgewinn von 13 Yards rausholt.

Diese Art Plays machen San Franciscos Offense aus, und sie fordern eine immense Disziplin und Reichweite sowie hohes Spielverständnis von der Defense, um sie zu stoppen.

Super Bowl Preview: Worauf kommt es an?

Garoppolos oberste Aufgabe ist es, den Ball in die Hände seiner gefährlichen Waffen - allen voran Kittle, Samuel und Sanders - zu bekommen, und das idealerweise so, dass die anschließend möglichst viele Yards nach dem Catch produzieren können. Das ist per se völlig wertfrei, auch wenn die Hot Takes rund um Garoppolo im Rahmen der Playoffs wieder deutlich zugenommen haben.

Dabei liegt die Wahrheit vermutlich wie so häufig in der Mitte: Ist Garoppolo auf einem Level mit Mahomes, Russell Wilson oder auch Deshaun Watson? Nein. Ist er primär ein Game-Manager? Ja. Heißt das, dass er ein schlechter Quarterback ist? Nein.

Shanahans Offense verlangt vom Quarterback keine Wunderdinge. Sie verlangt vor allem Präzision, schnelle Entscheidungen sowie Mobilität und die Fähigkeit, aus der Bewegung heraus zu passen. All das setzt Garoppolo insgesamt in dieser Saison sehr gut um, und in ganzen Phasen der Saison waren es auch vor allem Garoppolo und die Offense, welche San Francisco in der Spur hielten.

Gleichzeitig gilt aber auch: Man darf von Garoppolo nicht verlangen, dass er mit Mahomes Schritt für Schritt geht. Oder anders gesagt: San Francisco braucht die Grundlage der eigenen Offense; falls Kansas City die 49ers aus ihrer Komfortzone bringen kann, ist die Gefahr, dass die Offense eine große Portion Sand ins Getriebe bekommt, deutlich größer als auf der anderen Seite - die Chiefs werden eher noch gefährlicher, wenn sie gezwungen sind, den Ball zu werfen.

Einzelne Chiefs-Blitzes als Antwort?

Das bedeutet aus Chiefs-Sicht, dass der beste Weg gegen San Franciscos Offense die eigene Offense ist. Kann Kansas City davonziehen, muss San Francisco Teile der eigenen Identität früher oder später zumindest limitieren, was der Offense merklich schaden wird. Die Chiefs haben ein ähnliches Spiel gerade gegen die Titans gespielt.

Umgekehrt gilt es also aus 49ers-Sicht, das Spiel zumindest eng zu halten, damit die eigene Offense aus allen Rohren feuern kann. Wo für die Chiefs die beste Defense die eigene Offense sein könnte, ist für San Franciscos Offense also auch die eigene Defense ein elementarer Part für das gesamte Puzzle.

Die gute Nachricht für Niners-Fans. Zumindest bisher hatte Shanahan gegen Kansas Citys Defensive Coordinator Steve Spagnuolo zumeist viele Antworten parat. 8,7 Yards pro Pass, 4,3 Yards pro Run und 24 Punkte im Schnitt pro Spiel stehen in sechs Duellen zwischen den beiden - natürlich in unterschiedlichen Positionen und bei verschiedenen Teams - zwischen 2009 und 2017 zu Buche.

Es wird interessant sein zu sehen, welchen defensiven Ansatz die Chiefs wählen. Green Bays Verteidiger wirkten mitunter fast paralysiert ob der Bedrohung eines möglichen Play-Action-Rollouts oder eines Reverse-Runs, sodass einzelne Spieler regelmäßig zögerten - und dann war Mostert meist schon unterwegs.

Kansas City dürfte sich bei Early Downs darauf fokussieren, den Run zu stoppen, um Garoppolo in möglichst viele offensichtliche Passing-Situationen zu bringen - umgekehrt könnten die 49ers das mit einigen Pässen gerade bei First Down kontern.

Und: Spagnuolo könnte auch über den Blitz Erfolg haben: Die Chiefs waren, wenn sie geblitzt haben, eine der effizientesten Defenses gegen den Pass dieses Jahr; Garoppolo derweil rangiert mit 6,7 Net Yards pro Pass gegen den Blitz im Liga-Mittelfeld. Gerade einzelne All-Out-Blitzes könnten hier ein Schlüsselfaktor werden, entweder um lange Third Downs zu erzwingen, oder aber um die Offense bei Third Down zu stoppen.

Shanahan und der Super-Bowl-Lerneffekt

Shanahan liebt sein Run Game und hat in den Playoffs eindrucksvoll gezeigt, dass er einerseits gegen gute Teams den Ball sehr effizient und explosiv laufen kann, er andererseits aber auch keinerlei Problem damit hat, seinen Quarterback den Ball kaum werfen zu lassen, solange Run Game und Defense in Kombination so funktionieren.

Aber es steckt kein "Festhalten um jeden Preis" dahinter, wie man es nach wie vor häufig bei anderen Teams in der NFL feststellen kann. "Wir haben in der ganzen zweiten Halbzeit kaum mal ein Third Down erfolgreich hinbekommen", fuhr Shanahan mit seinem Rückblick auf den Patriots-Super-Bowl fort. "Ich glaube, wir hatten dann im Schnitt ein Yard pro Run. Und wenn das der Fall ist, dann lautet die Formel, um den Ball immer wieder dem Gegner zurück zu geben "Run-Run-Pass". Damit kommt man dann dauernd in lange Third Downs, und wenn man Third Downs nicht in neue First Downs umwandeln kann, wird es schwer."

Eine Lektion zitierte er dann aber trotzdem: "Ich weiß, dass eine 25-Punkte-Führung spät im Spiel nicht genug ist. Gegen Green Bay lagen wir acht Minuten vor dem Ende mit 14 Punkten vorne und ich versichere euch, dass es mir in solchen Situationen aus meiner Erfahrung so vorkommt, als stünde es Unentschieden. Das hilft dir vermutlich; man kommt nicht in die Gefahr, dass etwas Anspannung abfällt. Ich sage nicht, dass ich mich im Super Bowl entspannt habe, vor allem nicht mit Tom Brady auf der anderen Seite. Aber das hält einen mit beiden Füßen auf dem Boden der Tatsachen, bis das Spiel auch wirklich vorbei ist."

Brady-Mahomes-Vergleiche sollte man sich vor Mahomes' erstem Super Bowl sparen, doch ist es kein Geheimnis, dass gerade die Chiefs-Offense jederzeit zu Big Plays und auch zu mehreren Touchdowns in Serie in der Lage ist. Kann San Francisco offensiv mithalten? Was passiert, sollten die 49ers tatsächlich deutlich in Rückstand geraten? Und welcher der beiden Coaches überwindet seine Geister der (Playoff-)Vergangenheit?

Eine Sache jedenfalls ist klar: San Franciscos Offense aufgrund des Matchups der Niners-Defense gegen Kansas Citys Offense in den Hintergrund zu rücken, wäre ein Fehler.