Der erste Preseason-Spieltag ist Geschichte, höchste Zeit für die Aufarbeitung: Roberto Aguayo kippt eimerweise Wasser auf die Mühlen der Buccaneers-Kritiker, während die Steelers-Defense das Wörtchen "Pre" in "Preseason" gekonnt ignoriert. Die deutschen Verteidiger erleben einen Bilderbuch-Einstand, Cam Newton sorgt für das (fast) unangefochtene Outfit der Woche. Außerdem: Eine Rekord-Heimkehr mit Pauken und Trompeten und wie gewonnen, so zerronnen.
Come on, man...: In die zweite Runde des Drafts traden, um sich einen Kicker zu holen?! Zumindest kann man den Tampa Bay Buccaneers nicht vorwerfen, dass sie sich bei ihren Picks an Experten- oder gar Medien-Meinungen orientieren. Bucs-Geschäftsführer Jason Licht verlieh anschließend in der Tampa Bay Times seiner Kicker-Begeisterung Ausdruck: "Der beste Kicker den ich jemals im College gesehen habe. Ich wollte es nicht riskieren, ihn nicht zu bekommen und dann wieder ein Kicker-Karussell zu haben. Ich wollte den besten Kicker."
Wir könnten jetzt ausführlich über die Bedeutung von Kickern und deren auf eine Saison gesehen statistisch eher begrenzte Relevanz diskutieren, doch bleiben wir beim Wesentlichen: Der Druck des ungewöhnlich hohen Picks lastet seit dem Draft auf dem neuen Bucs-Kicker Roberto Aguyao.
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Was gibt es da besseres, als sich in der Preseason mit ein paar Field Goals an die NFL zu akklimatisieren? Als Jameis Winston also Mitte des ersten Viertels einen 26-Yard-Touchdown-Pass auflegte, war es endlich so weit: Ein lockerer PAT zum Auftakt, im College hatte er keinen einzigen Extra-Punkt vergeben. Ein kurzer Anlauf, der Kick ist in der Luft, und ... no good?!
Ja, Aguayo semmelte den Kick stramm gegen den Goal Post und verriet anschließend bei JoeBucsFan.com, dass er "Schmetterlinge im Bauch" hatte.
Dafür aber sei "die Preseason doch da. Da raus gehen und den ersten Extra-Punkt vergeben. Das passiert." Äh - was? Come on, man...!
Preseason? Welche Preseason? Oder anders gesagt: Das Motto der Pittsburgh Steeles im Duell gegen die Detroit Lions! Erster Drive der Lions? Drei heftige Hits gegen Matthew Stafford, darunter ein Sack-Fumble erzwungen durch James Harrison. A-Gap-Blitze, Hits im Backfield - die Steelers waren nicht zu Scherzen aufgelegt. Staffords Backup Dan Orlovsky erging es nicht wirklich besser, auch beim Routinier schlug es einige Male heftig ein.
Gut, fairerweise sei an dieser Stelle gesagt: Die Lions sammelten ihrerseits vier Sacks. Aber die Spannung, die Physis und die Intensität, mit der Pittsburgh zum Preseason-Auftakt aus den Startlöchern kam, war doch bemerkenswert. Falls jetzt schon irgendwer um seinen Quarterback fürchtet: Die Steelers treffen in den kommenden drei Wochen noch auf Philadelphia, New Orleans und Carolina.
Von wegen "Backup gesucht...": Anfang August gab es die merkwürdige Situation, dass der Wechsel von Nick Foles (!) zu den Kansas City Chiefs scheinbar weitreichende Auswirkungen hatte. Denn plötzlich kam infolge des Ausfalls von Cowboys-Backup Kellen Moore die Frage auf: Was genau macht Dallas eigentlich, falls sich Tony Romo auch im Jahr 2016 verletzt? Wilde Trade-Szenarien um Browns-Backup Josh McCown wurden bereits gesponnen, Michael Vick wurde als Kandidat ins Gespräch gebracht - alles schien möglich.
Nicht wirklich auf dem Zettel von irgendwem war Rookie Dak Prescott, der gemeinhin seinen Status als Nummer 3 "sicher" hatte. Eine Einschätzung, die sich nach dem Preseason-Auftakt langsam ändern könnte: Prescott lieferte ein absolut beeindruckendes Debüt gegen die Los Angeles Rams ab, agierte ruhig und zielstrebig aus der Pocket heraus, schlug den Blitz und warf einige Pässe, die die Zuschauer ungläubig auf den Bildschirm starren ließen.
Uuuund damit trete ich zunächst mal auf die Bremse und wiederhole mantraartig: "Es ist die Preseason. Es ist die Preseason. Es ist die Preseason."
Sollten die Cowboys einen Routinier wie eben McCown für ein Jahr günstig bekommen, sollten sie das nach wie vor machen. Aber: Dallas könnte in Prescott etwas Besonderes gefunden haben, die ausstehenden Preseason-Spiele werden weitere Teile für dieses Puzzle liefern. Außerdem sei an dieser Stelle nicht unterschlagen: Das Cowboys-QB-Highlight-WTF-Play der Woche gebührte einem anderen Backup!
Das Outfit der Woche: Okay, ich bin ehrlich: Mode war noch nie meine größte Stärke und insbesondere wenn es um aktuellste Trends geht, bin ich meist genauso skeptisch wie überrascht.
Vielleicht bin ich also nicht der Richtige, um diese Situation zu bewerten. Aber was um alles in der Welt hat Cam Newton da auf dem Weg ins Stadion auf dem Kopf getragen? Für mein Auge jedenfalls sieht es aus wie ein Zylinder, der aus einem Samtvorhang zusammengeschustert wurde. Alternativvorschläge sehr gerne in die Kommentare.
Und nein, ich wusste zunächst nicht, dass Newton offenbar seine Auswahl an kuriosen Hier-kann-ich-eine-Thermoskanne-drunter-verstecken-Hüten hier nur ausgebaut hat. Bei Kobe Bryants letztem Spiel hat er uns schon einmal in seine Hut-Welt entführt.
Übrigens, ein Blick hinter die Kulissen: Der Klamotten-Award für diese Woche war ein Kopf-an-Kopf-Rennen, denn Preston Brown hatte seinerseits eine interessante Outfit-Wahl - die Snacks einfach dekorativ in die Socken stecken? Clever, clever.
Belive the Hype! Eine der schönsten Beschäftigungen während der Preseason ist der Hype-Train für Backups und Backups von Backups, die sich ins Rampenlicht katapultieren. Week 1 war da keine Ausnahme: Da wäre George Atkinson, laut Depth Chart Oaklands fünfter Running Back. Atkinson stellte gegen Arizona nicht nur seine Geschwindigkeit eindrucksvoll unter Beweis, er ließ auch Cardinals-Safety Marqui Christian ganz schön blöd aussehen.
Der Hype-Train war danach in vollem Gange, Atkinsons erfrischende Antwort: "Ich versuche nach wie vor, es in den Kader zu schaffen."
Doch Atkinson war nicht der Einzige, für den die Preseason höchst erfreulich startete. Saints-Fans hoffen, dass Rookie Michael Thomas nach seinem starken Auftritt gegen die Patriots möglichst zügig der physische Receiver wird, der dem Team zuletzt fehlte und in Seattle haben sie - ähnlich wie die Cowboys - in Trevone Boykin womöglich den idealen Backup für Russell Wilson gefunden. Die Improvisationsfähigkeiten jedenfalls passen schon ziemlich gut! Fans im Big Apple dürfte derweil nicht entgangen sein, dass die Giants mit Sterling Shepard einen zweiten Zirkus-Catch-Receiver haben.
Auftakt? Geglückt! Erfreuliche Nachrichten dürfen wir den Fans der deutschen Spieler in der NFL übermitteln - zumindest die Verteidiger haben nämlich einen ganz guten Auftakt hingelegt. Besonders positiv aufgefallen ist Mark Nzeocha: Der Cowboys-Linebacker darf sich nicht nur für alle Zeiten damit rühmen, die erste NFL-Interception von Jared Goff verzeichnet zu haben, es war ein insgesamt starker Auftritt. Nzeocha sammelte fünf Tackles und war absolut präsent auf dem Platz. Die Fragezeichen im Linebacker-Corps der Cowboys könnten dafür sorgen, dass er früh auch in der Regular Season Snaps erhält.
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Ebenfalls einen guten Eindruck hinterließ Kasim Edebali. Der Defensive End der New Orleans Saints verzeichnete gegen die New England Patriots gleich zwei Sacks sowie drei Tackles. Ähnlich wie bei Nzeocha ist der Kader auf der Seite des Deutschen: Die Saints können jede Pass-Rush-Hilfe bestens gebrauchen, Edebali könnte in der kommenden Regular Season also nochmals deutlich mehr Snaps bekommen als im Jahr 2015, als er immerhin auch schon fünf Sacks sammelte.
Darüber hinaus nicht unerwähnt bleiben darf Björn Werner, der Ex-Colt versucht derzeit ja bekanntermaßen einen Neustart bei den Jacksonville Jaguars. Auch wenn er am Donnerstag gegen die New York Jets erst später im Spiel zum Einsatz kam, so nutzte Werner doch seine Gelegenheit und schnappte sich immerhin einen Sack.
Heimkehr mit Pauken und Trompeten: Endlich, endlich war es so soweit: Die Rams feierten am Samstag ihre triumphale Rückkehr nach Los Angeles.
Der Sonnenuntergang über dem altehrwürdigen L.A. Coliseum und über 89.000 Fans (ein neuer Preseason-Rekord), die eine Atmosphäre wie mitten in der Regular Season verbreiteten, sorgten für das mit Abstand stimmungsvollste Preseason-Spiel seit einer ganzen Weile, vermutlich sogar aller Zeiten. Aber die Cowboys wären nicht die Cowboys, würden sie nicht zumindest ein paar Minuten Scheinwerferlicht für sich beanspruchen.
Auftritt: Lucky Whitehead. Dank des Return-Mans dauerte es keine 15 Sekunden, ehe die Rams in Los Angeles erstmals wieder hinten lagen und die Dak-Prescott-Show im Anschluss verlängerte die Reichweite des Cowboys-Scheinwerfer noch weiter.
Am Ende allerdings durften die Rams-Fans, die so lange auf ein NFL-Team gewartet haben und deren Stadt so oft als Argument für die neuen Stadien anderer Teams benutzt wurde, doch jubeln. Sean Mannion forderte im dritten Akt die Aufmerksamkeit aller Scheinwerfer, ein später Game-Winning-Drive inklusive. Das erste Spiel in Los Angeles hat definitiv Lust auf mehr gemacht!
Die Trends vor der 2016er Saison: Gekommen, um zu bleiben?
Übrigens, ein kleiner Zusatz zum Thema Heimat: Sollte irgendwer noch Fragen gehabt haben, wie die Patriots so zu der reaktivierten Sperre gegen Tom Brady stehen - die Pats-Cheerleader formten vor dem Spiel gegen die Saints den Namen ihres zukünftigen Hall-of-Famers, der selbst für das Spiel leider entschuldigt war. Kein Scherz. Zuhause ist es eben doch am schönsten...
Wie gewonnen, so zerronnen: Manchmal gibt es sie einfach, diese Momente in denen man einen Spieler mit nur wenigen Minuten Game-Tape charakterisieren kann: Meet Mark Sanchez!
Dem Broncos-(Co-)Starting-Quarterback gelang genau dieses Kunststück zum Auftakt: Keine fünf Minuten nach einem guten Drive inklusive eines Touchdown-Passes zum zugegebenermaßen komplett freistehenden Demaryius Thomas warf Sanchez einen Play-Action-Pass in Double Coverage mit dem nahe liegenden Ergebnis einer Interception. In Denver bleibt also alles bei der Co-Quarterback-Depth-Chart zwischen Sanchez und Trevor Siemian.
Ebenfalls in die "Wie gewonnen, so zerronnen"-Kategorie fällt Robert Griffin III. Der ist ja inzwischen auch offiziell Starting-Quarterbacks der Cleveland Browns und gab sein lange erwartetes Comeback nach einem Jahr auf der Bank der Washington Redskins schließlich gegen Green Bay. Es war gleich beim ersten Drive ein faszinierender Spannungsbogen: Griffins erster Pass war eine sehenswerte 49-Yard-Bombe auf Ex-Quarterback Terrelle Pryor, sein vierter Pass eine Interception in der Packers-Endzone. Bleibt wohl nur abzuwarten, wie das Ganze in einer Woche aussieht...
So schlau wie zuvor: Gleiche Position, ähnliches Thema - denn auch bei den beiden Top-Picks des diesjährigen Drafts sind wir in Week 1 der Preseason irgendwie nicht so wirklich schlauer geworden. Carson Wentz durfte als erstes ran - selbstverständlich nicht hinsichtlich der Eagles-Depth Chart, da ist und bleibt er vorerst die Nummer 3 - und zeigte Licht und Schatten. Einer anfangs guten Pocket-Präsenz folgten Probleme mit Pressure, Inkonstanz war die große Konstante.
10 Fragen zur Preseason: Raus aus dem Schatten?
Und Goff? Der Nummer-1-Pick, über den wir bei Hard Knocks erfahren durften, dass er nicht weiß, wo die Sonne auf- und untergeht, hatte zwar einige gute Momente, insgesamt aber warf er lediglich neun Pässe. Eine Schulterblessur verhinderte den eigentlich geplanten weiteren Einsatz im gesamten dritten Viertel.
Womit wir auch gleich beim Thema sind: Beide Youngster sind angeschlagen - Wentz droht aufgrund seiner Rippenverletzung sogar das Aus für die weitere Preseason.
Das Wort zum Schluss: Bevor jemand nach schwachem Preseason-Start (7 Sacks zugelassen, Chicago? Im Preseason-Opener?), enttäuschenden Einständen (Training ist nicht gleich Spiel, Brandon Williams...) oder altbekannten Problemen (ich schaue auf euch, ihr Dolphins-O-Liner) in Panik verfällt, ist es meine Pflicht, die altbekannte Preseason-Stat-Line zu zitieren: Die Lions waren 2008 mit einer 4-0-Bilanz die Könige der Preseason - und legten anschließend ihre berüchtigte 0-16-Saison hin.
In diesem Sinne: Nicht den Fokus verlieren!