Vier verliert

Stefan Petri
03. Februar 201609:15
Für Brian Hoyer, Vontaze Burfict, Kirk Cousins und Blair Walsh (v.l.n.r.) ist die Saison vorbeigetty
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Aus zwölf mach' acht! Zum ersten Mal in der Playoff-Geschichte setzen sich in der Wildcard-Runde alle vier Auswärtsteam durch. Zurück bleiben gebrochene Gestalten, die der Hangover unter die Lupe nimmt: Blair Walsh im Ace-Ventura-Stil, Brian Hoyer auf Jobsuche und ein Bengals-Duo im Selbstzerstörungsmodus. Dazu hat Captain Kirk den Schaden und den Spott, sein Backup räumt auf. Aber wie sagt man so schön: Es war nicht alles schlecht!

Sündenbock der Wildcard-Runde: Blair Walsh

"Es ging alles so schnell, ich habe keine Ahnung, was passiert ist. Ich muss es mir noch einmal anschauen, aber eines ist sicher: Es war mein Fehler." Sprach's und weinte danach in der Umkleidekabine bittere Tränen: Blair Walsh, Kicker der Minnesota Vikings. Er hatte sein Team mit einem völlig verpatzten Field-Goal-Versuch aus 27 Yards den Sieg gegen die Seahawks gekostet. "Es ist eine Schande. Mein Kick war einfach inakzeptabel. Ich hatte so hart gearbeitet und war das ganze Jahr über konstant, aber in diesem Moment, in den sie mich am meisten gebraucht hätten, war ich es nicht. Das tut weh."

Wie oft wird ein Field Goal aus dieser Distanz neben die Stangen gesetzt? Fast nie: 189 von 191 Kicks aus ähnlicher Distanz waren in der Regular Season erfolgreich, Walsh hatte in seiner Karriere überhaupt erst einmal (von 34) aus weniger als 30 Yards daneben gezielt, war mit 34 Field Goals der beste Kicker der Saison - und hatte die Seahawks mit Field Goals aus 22, 43 und 47 Yards an den Rand einer Niederlage gebracht. Am Ende blieb nur die Enttäuschung, auch wenn Holder Jeff Locke ebenfalls die Schuld auf sich nahm: Er hatte die Nähte des Footballs nicht zur Seite gedreht. Während Walshs Mitspieler ihn trösteten - und sich Running Back Adrian Peterson über seinen späten Fumble ärgerte -, reagierte Head Coach Mike Zimmer nach dem Spiel nicht gerade souverän: "Der Snap war vielleicht ein bisschen hoch, aber das ist ein Chip Shot. Den muss er machen."

PS: Erinnert sich noch jemand an Ace Ventura? Der tierische Detektiv aus der Jim-Carrey-Klamotte von 1994? Für alle Football-Fans ob des Gastauftritts von Dan Marino ohnehin Pflicht, doch an diesem Abend erlebten alle Fans ihr Deja-vu: Im Film dreht Marino als Holder eines entscheidenden Kicks die Nähte ebenfalls nicht nach außen. Das Field Goal geht natürlich fehl und... naja, seht selbst.

Zweiter Sieger: Bengals-Running Back Jeremy Hill. Nach der Interception von Roethlisberger-Backup Landry Jones musste Hill nur noch den Ball festhalten, die Uhr herunterspielen und vielleicht ein paar Yards holen. Schließlich war man schon in Field-Goal-Reichweite - beim Stand von 16:15 und kaum noch Zeit auf der Uhr schon mehr als die halbe Miete. Aber bei seinem ersten Laufversuch fumbelte Hill, the Comeback was on! "Unentschuldbar", ärgerte sich Hill später. "Ich dachte, ich hatte den Ball sicher weggesteckt." Dummerweise wurde das Leder von Verteidiger Ryan Shazier aber wieder entsichert - und das Unheil nahm seinen Lauf.

Flop der Wildcard-Runde: Brian Hoyer

Hey, das nächste Deja-vu: Erinnert sich noch jemand an Week 1? Da hatte Brian Hoyer als Starting Quarterback der Texans beim 20:27 gegen die Chiefs so große Probleme, dass er während des Spiels durch Ryan Mallett ersetzt wurde. Knapp vier Monate später hatte Hoyer, der nach seiner zweiten Gehirnerschütterung der Saison erst kürzlich wieder zum Team gestoßen war, offensichtlich nicht dazugelernt: 15/34, kein Touchdown, ein verlorener Fumble - und vier teilweise einfach nur grauenhafte Interceptions. Vier Ballverluste in der ersten Halbzeit, das hatte zuletzt Dan Marino - schon wieder Dan Marino! - im Jahr 2000 geschafft.

"Ich muss einfach besser spielen. Das ist es", bewies Hoyer im Anschluss Selbsterkenntnis. "Es war der falsche Zeitpunkt, um das schlechteste Spiel abzuliefern. Das ist hart." So schwer tat sich Hoyer in einem der wahrscheinlich schlechtesten Playoff-Spiele eines Quarterbacks überhaupt, dass sich an der Seitenlinie schon Brandon Weeden warmmachte. Für den Starting Job im nächsten Jahr durfte er sich dann aber nicht mehr empfehlen - und der dürfte nach diesem 0:30-Debakel ganz sicher zur Disposition stehen. Fünf QB-Turnover, fünf Punts. Weniger geht wirklich nicht.

Comeback der Wildcard-Runde: Ben Roethlisberger

Die Saison der Steelers war so gut wie vorbei: Nach einem konzentrierten Auftritt in Cincinnati führte man nach drei Vierteln mit 15:0, doch dann kassierte Ben Roethlisberger einen üblen Sack von Votaze Burfict, der ihn mit einer Schulterverletzung zurückließ. Plötzlich wurde Big Ben vom Feld gefahren (was einige Bengals-Fans übrigens mit Flaschenwürfen in seine Richtung feierten - stay classy...) und Backup Landry Jones musste rein.

Das Spiel kippte, denn während Jones in drei Drives nur eine Interception zustande brachte, wachte die Offense von AJ McCarron plötzlich auf. 16 Punkte in Folge, der Sieg war nah. Doch dann folgte Hills Fumble - und plötzlich stand die Steelers-Nemesis wieder an der Seitenlinie. Ein Bluff? Nein! Zum letzten Drive war der 1,96-Meter-Mann plötzlich wieder drin. "Good God, that's Roethliberger's music!" hätte man bei der WWE geschrien.

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"Es sah übel aus. Wir haben uns angeschaut und sagten: Jetzt oder nie", verriet Head Coach Mike Tomlin. Also ging sein Quarterback wieder ins Spiel - doch viel ging nicht. "Der Coach hat einen tiefen Pass durchgesagt, was natürlich auch nötig war, weil uns die Zeit weglief. Also bin ich zur Seitenlinie gegangen und sagte: Coach, das geht nicht mehr. Ich kann nicht so weit werfen." Trotzdem reichte es, den Bengals-Dummheiten sei Dank. Die Frage ist nun: Kann in Roethlisberger in einer Woche aufschlagen? Die Meldungen reichen von "nicht so schlimm" über gezerrte Schulter bis hin zu Eckgelenkssprengung. Die Fans können nur hoffen, dass es zum Aufeinandertreffen der beiden Comeback-Könige reicht. Passend dazu:

Glückspilz der Wildcard-Runde: Denver Broncos

Nur wenige Sekunden hatten zum Duell Broncos-Chiefs gefehlt. Hätten die Bengals das Spiel nach Hause gebracht, wären sie nach Foxboro gereist und Kansas City nach Denver. KCs Defense hatte die Broncos vor einigen Wochen im wahrsten Sinne des Wortes auseinandergenommen und Peyton Manning mit vier Picks und einer Auswechslung einen der schlimmsten Tage seiner Karriere beschert. Ein derart schnelles Wiedersehen hatten sich Gary Kubiak und Co. wohl eher nicht gewünscht.

Nun reisen also die Steelers an. Die haben die Broncos zwar im Laufe der Saison ebenfalls geschlagen, bringen aber keine gute Defense mit. Dafür jede Menge angeschlagene Leistungsträger: Selbst wenn Big Ben, Antonio Brown (Gehirnerschütterung) und Running Back DeAngelo Williams (Fuß) spielen können, wären sie nicht im Vollbesitz ihrer Kräfte. Peyton Manning mit seinen 39 Jahren der fittere QB? Das perfekte Szenario für die Broncos.

Idiot der Wildcard-Runde: Vontaze Burfict / Adam Jones

Oh, ein Unentschieden! Macht aber nichts, schließlich handelt es sich um Teamkollegen. Burfict, die absolute Hassfigur aller Steelers (er hatte Running Back Le'Veon Bell die Verletzung beigebracht, die seine Saison beendete) und nie darum verlegen, wenn es um unnötige Scharmützel mit Gegenspielern geht, hatte sich für seine Verhältnisse in der Wildcard-Runde gut im Griff. Außerdem lieferte er ein gutes Spiel ab: Ein Forced Fumble, die Interception, dazu der Sack von Roethlisberger.

Doch den starken Auftritt machte er sich dann mit einem völlig überflüssigen und fast schön böswilligen Hit gegen Brown wieder kaputt. 15 Extra-Yards, dazu wird wohl eine Sperre folgen. Es ist wie gesagt nicht das erste Mal von Burfict - und nach der Partie tauchten dann sogar Zeitlupen auf, die zeigten, wie er dem Steelers-QB beim Sack das Knie in die Schulter rammte. Dümmer geht es wirklich nimmer.

Außer vielleicht von Jones, der sich im Zuge der Brown-Verletzung dazu hinreißen ließ, sich mit einem Assistant Coach der Steelers anzulegen und weitere 15 Yards Strafe zu kassieren. Auch wenn der Coach auf dem Platz nichts verloren hatte und "Pacman" möglicherweise provozierte: Da muss er sich einfach im Griff haben. Jones legte nach dem Spiel noch einen drauf, postete auf Instagram ein Video voller Kraftausdrücke und erklärte, Brown habe für seine Schauspielere einen Grammy verdient.

Was soll man da noch sagen? Ed Werder von ESPN meldete nach dem Spiel, dass ihm ein Teamkollege der beiden anvertraut hatte, dass sie sich schon in der gesamten Saison zu viel erlaubt hatten - ohne von Head Coach Marvin Lewis gestoppt worden zu sein. Er habe gewusst, dass sie deswegen irgendwann ein Spiel verlieren würden. Da kann man auch TV-Experte Boomer Esiason verstehen, dessen Urteil dementsprechend hart ausfiel: "Wenn Marvin Lewis seine Spieler nicht unter Kontrolle hat, dann sollte Marvin Lewis vielleicht nicht an der Seitenlinie stehen und diesen Dreck coachen."

"You like that!?" der Wildcard-Runde: Randall Cobb

Was hatte "Captain" Kirk Cousins die Schlagzeilen der letzten Wochen mit seinem geflügelten Ausspruch nach dem Comeback-Sieg über Tampa Bay in Week 7 nicht dominiert. "You like that" war plötzlich in aller Mund, vergleichbar mit Peytons "Omaha" vor einigen Jahren. So begeistert waren die Redskins-Fans, dass sie "You like that" im Spiel gegen die Packers immer wieder lautstark skandierten - vor allem natürlich nach dem guten Start und der 11:0-Führung oder dem Cousins-TD zum 18:17. Klar war aber auch: Bei einer Pleite würden sich seine Gegenspieler die Gelegenheit nicht entgehen lassen.

Nun ja. 35:18 später, Vorhang auf für Randall Cobb. Der trug 62 Yards und einen Touchdown zum Packers-Erfolg bei, hatte seinen größten Auftritt dann aber in den Katakomben. "You like that? You like that!" brüllte er auf dem Weg in die Kabine und sicherte sich damit einen Platz im Herzen aller Cheeseheads. Nach einem Vergleich mit dem Original vergibt der Hangover 10/10 Punkten: Wie das Original im Vorbeigehen gebrüllt, die winzige Kunstpause passt, der Kabinengang... einfach nur perfekt. Sorry, Kirk Cousins - aber den Spruch solltest du jetzt besser einmotten.

Hardcore der Wildcard-Runde: Bud Grant

Zum Coin Toss holten sich die Vikings hochkarätige Prominenz aufs Feld: Bud Grant, insgesamt 18 Jahre lang Coach des Teams in den 60ern, 70ern und 80ern, lief zur Mittellinie. 88 Jahre alt ist der Hall of Famer mittlerweile - da ist eigentlich eher eine heiße Tasse Tee, eine Packung Werther's Echte und eine gemütliche Bingo-Runde angesagt, statt sich bei 21 Grad unter null in einer offenen Football-Schüssel herumzutreiben, oder?

Denkste! Grant zeigte den über 52.000 Zuschauern im TCF Bank Stadium, was ein harter Hund ist - und kam in Cordhose und Golfshirt aus dem Tunnel. Beim drittkältesten Playoff-Game der NFL-Geschichte. Gechillter geht nicht. Derart motiviert ließ das Team in der ersten Halbzeit keinen einzigen Punkt zu, und wenn Grant nach den ersten 30 Minuten noch einmal aufgetreten wäre, hätte es wohl gereicht. Aber da war der wohl schon beim Sonnenbaden oder Eisschwimmen.

Catch der Wildcard-Runde: Martavis Bryant

Oh, es hatte einige Highlights an diesem Wochenende. Doug Baldwin etwa, der in voller Streckung einen einhändigen Catch hinlegte. Oder Redskins-Tight End Jordan Reed, der aus einer Interception irgendwie ein First Down machte. Aber der Catch der Playoffs, des Jahres - vielleicht einer der besten aller Zeiten? - blieb Martavis Bryant vorbehalten. Sein Touchdown gegen die Bengals, als er die Fade Route in der Ecke der Endzone fing - ernsthaft, selbst bei der 50. Wiederholung ist mein Hirn immer noch eine Brezel.

Er fängt den Ball. Dreht sich dabei um seine eigene Achse. Kann den Ball auf dem Weg ins Aus nur mit der rechten Hand festhalten, pinnt ihn gegen den rechten Oberschenkel. Stolpert nach vorn, weiter nur eine Hand am Ball, diesmal fast in der Kniekehle. Schlägt eine Flugrolle, während er den Ball weiter zwischen den Beinen gesichert hat - mit einer Hand. Kommt wieder hoch, steht auf, Ball weiter gesichert. Touchdown. Um es mit Odell Beckham Junior zu sagen: What a catch. Einfach nur Kopfschütteln.

Leiser Abschied der Wildcard-Runde: Robert Griffin III

Mitten im Redskins-Packers-Getümmel fiel es gar nicht auf, dass die Zeit von RG3 bei den Redskins abgelaufen ist. Nachdem er in der Saison kein einziges Mal auch nur im Kader stand, kann er sich wohl neue Franchise suchen (Meldungen zufolge würde er die Dallas Cowbows bevorzugen). Am Montag räumte er seinen Schrank bei den Redskins aus, ohne mit der Presse zu reden. Dafür ließ er einen angeklebten Zettel zurück. Message: Auch wenn du schlecht behandelt wirst, sei trotzdem freundlich, nicht nachtragend, glücklich und tue Gutes. Unglaublich, wie schnell die Zeit vergeht - seine Rookie-of-the-Year-Saison 2012 scheint schon Ewigkeiten her zu sein...

User-Treffen: Go Big or Go Home!

Werbung in eigener SPOX-Sache muss auch mal erlaubt sein. Also gehen hiermit Grüße an alle NFL-Verrückten aus der Community raus, die fleißig klicken, voten, kommentieren, beim Coin Toss und bei der Two-Minute-Warning mitmachen, Neu-Interessierte unter ihre Fittiche nehmen und nett alle Fragen beantworten. Am Wochenende gab es ein Usertreffen im "Waikiki" in Köln - und wir haben den Beweis. Haut rein, Freunde! Auch ihr habt NFL bei SPOX groß gemacht.

Bengals, Pats, Giants, Broncos, Seahawks... - die NFL-Community auf SPOX ist bunt gemischt

Die Divisional Playoffs im Überblick

New England Patriots - Kansas City Chiefs (Samstag, 22.35 Uhr)

Arizona Cardinals - Green Bay Packers (Sonntag, 2.15 Uhr)

Carolina Panthers - Seattle Seahawks (Sonntag, 19.05 Uhr)

Denver Broncos - Pittsburgh Steelers (Sonntag, 22.40 Uhr)

Der Playoff-Spielplan im Überblick