Immer mitten in die Fresse rein

Von Adrian Franke
06. September 201510:17
Aus Arizona in den Big Apple: Head Coach Todd Bowles muss es bei den Jets richtengetty
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Todd Bowles dürfte sich den Auftakt zu seinem ersten Head-Coaching-Job anders vorgestellt haben: Die runderneuerten und so hoffnungsvoll in die Vorbereitung gestarteten New York Jets stehen nach den Debakeln um Sheldon Richardson und Geno Smith plötzlich wieder als Lachnummer der Liga da und haben bereits vor dem Start der Regular Season Scherben aufzukehren. Und doch gibt es für die gebeutelten Gang-Green-Fans Grund zur Hoffnung.

"Das kann nur bei den Jets passieren", lautete der ebenso spöttische wie ungläubige Tenor von Fans und Experten gleichermaßen, als sich die Smith-Meldung kurz vor dem Start in die Preseason wie ein Lauffeuer verbreitete. Ein Starting-Quarterback, dem der eigene Linebacker den Kiefer bricht? Es ist eine völlig absurde Story, welche die Buttfumble-leidgeprüften Jets-Fans einmal mehr auf die Probe stellt.

Dass sich der inzwischen knapp 150 Kilo schwere Jared Lorenzen, besser bekannt als "Hefty Lefty" und zuletzt bei den Northern Kentucky River Monsters aktiv, kurz danach als QB-Aushilfe ins Gespräch brachte, half dabei wenig. Doch das eigentlich Besorgniserregende: IK Enemkpalis präziser Schlag, der seine sofortige Entlassung zur Folge hatte, rückte mit einigen Tagen Abstand zunehmend in den Hintergrund - weil sich Smith in der dem Schlag vorausgegangenen Diskussion über ein Flugticket im Wert von 600 Dollar offenbar selbst nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat.

Smith hatte Enemkpali offenbar ursprünglich zugesagt, bei einem High-School-Footballcamp aufzutreten. Der Linebacker kaufte daraufhin das Flugticket und ließ Flyer und Shirts drucken, die Geno ankündigten. Aufgrund der Beerdigung eines Freundes kam Smith nicht, sagte aber nie ab und hatte seiner Ankündigung, zumindest das Ticket zu bezahlen, keine Taten folgen lassen. Darüber hinaus soll er Enemkpali vor dem Schlag ins Gesicht gefasst und ihn provoziert haben.

Das Wesentliche aus den Augen verloren

Ein Leader tritt zweifellos anders auf. Kaum jemand könnte sich ernsthaft vorstellen, dass ein Peyton Manning oder Aaron Rodgers mit einem Mitspieler über ein ausstehendes Flugticket diskutiert. So lässt sich auch erahnen, warum sowohl Bowles, als auch Star-Cornerback Darrelle Revis unmittelbar nach dem Vorfall erklärten, dass beide Streithähne eine Mitschuld träfe. Anonyme interne Quellen behaupteten gar, Smith habe den Schlag "verdient".

Es dauerte fast eine Woche, ehe sich mit Receiver Brandon Marshall ein Teamkollege öffentlich vor Smith stellte. Das PR-Desaster komplett machte der Spott von Medien und Fans, die ihren Quarterback nach einem durchwachsenen öffentlichen Training zuvor bereits ausgebuht hatten. Die New York Daily News ging einfach über die Tatsache hinweg, dass einem Mann der Kiefer an mehreren Stellen gebrochen worden war, und attestierte den Jets Glück - immerhin müssten die Fans Smith jetzt sechs bis zehn Wochen lang nicht ertragen.

Bowles' klare Ansage

Man kann, ganz sachlich gesehen, angesichts der vergangenen Saison argumentieren, dass Backup Ryan Fitzpatrick vielleicht sogar die bessere Alternative ist. Tatsächlich aber könnte Smiths Ausfall dem Team auch sportlich wehtun: Der 24-Jährige, für den die kommende Saison mit der mit Abstand besten Offensive seiner NFL-Karriere um ihn herum den Durchbruch bedeuten sollte, präsentierte sich im Vorfeld seiner dritten Spielzeit stark.

10 Fragen vor der Preseason: Eine Erschütterung der Macht

Offensive Coordinator Chan Gailey kam seinen Quarterbacks entgegen und führte das System näher an die Spread Offense, mit der sich Smith im College in West Virginia einen Namen gemacht hatte, heran - ein System, das auch Fitzpatrick, der bereits drei Jahre lang mit Gailey zusammengearbeitet hat, bestens kennt.

Und doch überraschte es, als Bowles ungewöhnlich deutlich betonte, dass Smith seinen Platz dauerhaft an Fitzpatrick verlieren könnte: "Wenn er stark spielt und das Schiff in die richtige Richtung unterwegs ist, veränderst man natürlich nichts. Wir werden sehen, was passiert." Fitz wird sich über die Zusage gefreut haben. Gleichzeitig ist aber auch klar: Die Jets könnten im ersten Jahr unter Bowles zur Saisonmitte vor einer QB-Debatte stehen, wenn die alte Weisheit wieder zuschlägt: Hast du zwei Quarterbacks, hast du eigentlich keinen.

Verletzungssorgen

Gleichzeitig gilt es für Bowles und seinen Trainerstab auch, die Augen in andere Richtungen offen zu halten - denn die Probleme der Jets enden längst nicht mit ihrer so ungewöhnlich wie unnötig aufgemachten Quarterback-Diskussion. Vielmehr plagen Gang Green schon vor dem Saisonstart Verletzungssorgen: Safety Antonio Allen wird die komplette Saison verletzt verpassen, Cornerback Dee Milliner fällt aufgrund von Problemen mit dem Handgelenk für bis zu acht Wochen aus.

Auch Receiver Devin Smith steht infolge seines Rippenbruchs für rund sechs Wochen nicht zur Verfügung - und der so wichtige Defensive Lineman Mo Wilkerson (Oberschenkel) erlitt Ende der Vorwoche einen leichten Rückschlag. "Wir gehen das jetzt ganz langsam an", kündigte Wilkerson an. Der Draft von D-Liner Leonard Williams entpuppt sich so für die Jets bereits früh als Glücksfall, denn schon vor dem Smith-Debakel gab es eine weitere grobe Panne.

Seite 1: Geno-Desaster und Verletzungssorgen

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Defensive Tackle Sheldon Richardson, einer der absoluten Leader der Defense, wurde Anfang Juli für die ersten vier Spiele der kommenden Saison gesperrt - nur um zwölf Tage später wegen grober Verkehrsvergehen, Widerstands gegen die Festnahme und des Verdachts auf Marihuana-Besitzes festgenommen zu werden. Ein zwölfjähriges Kind saß bei seiner Raserei auf dem Rücksitz. Das neue Jets-Sorgenkind erzählte dem Team nichts von dem Vorfall, sodass Bowles über die Medien davon erfuhr.

Die Sperre könnte durch die Liga aufgrund des zweiten Vorfalls noch verlängert werden. Die Folge: Der als Leistungsträger eingeplante Richardson arbeitet derzeit vor allem mit dem zweiten Team und gab am Donnerstag zu: "Ich würde sagen: Ich bin es nicht gewohnt. Aber ich bin selbst schuld, dementsprechend muss ich damit klarkommen. Die Sperre wird eine harte Zeit. Aber ich kann nur nach vorne schauen."

Bowles, der bemüht ist, seine erste Krisen als Head Coach vernünftig zu lösen, wählt den gleichen Ansatz: "Das ist hier keine Gärtnerei. Wir haben uns für dieses Leben entscheiden und müssen mit diesen Dingen klarkommen. Und das ist okay. Ich habe in der vergangenen Saison in Arizona viele Spieler verletzungsbedingt verloren. Ein einzelner Spieler macht uns als Team nicht schlechter, die Jungs wissen das. Niemand kommt ganz ohne einige Fehler ans Ziel." Kein Jets-Fan würde Bowles hier widersprechen.

Free Agency macht Hoffnung

Immerhin war, auch wenn die letzten Wochen das vermuten lassen, längst nicht die komplette Offseason ein Desaster. Ganz im Gegenteil: Die Jets sind ihre Baustellen in der Secondary und der Offense gezielt angegangen. Die Wiedervereinigung von Darrelle Revis und Antonio Cromartie, ergänzt durch den aus Cleveland verpflichteten Slot-Cornerback Buster Skrine, macht aus der größten Schwachstelle des Teams aus dem Vorjahr die größte Stärke.

Aus Seattle kam Guard James Carpenter, der sich im Man-Power-Blocking-Scheme deutlich besser zurechtfinden sollte. Er schwärmte direkt: "Die Offense ist wie ein Traum für mich." Brandon Marshall soll das WR-Corps anführen und wird auch Eric Decker besser machen, im Running Game wollen die Neuzugänge Stevan Ridley und Zac Stacy etwas beweisen. Jeremy Kerley dürfte das Return-Game neu befeuern. Kurzum: Die Jets hatten eine gute Free Agency, etwas, das über die vergangenen Wochen gerne vergessen wird.

Smiths nächstes Fettnäpfchen

Smith bekam indes nur wenige Tage nach seinem Kieferbruch die harte New Yorker Medienwelt erneut zu spüren. Medienvertreter erwischten ihn, als er zwei Tage nach seiner Kiefer-OP vor seinem Haus ein paar Bälle warf. Bowles musste prompt erneut Stellung nehmen: "Er hätte das nicht machen sollen. Wir haben das intern geklärt, es gab ein Gespräch."

Doch auch Bowles, der weiter durchgreifen wird, weiß: "Es braucht Zeit, ein Team auf den richtigen Weg zu führen. Wenn du in ein neues Team kommst, musst du ihm deine eigene Kultur einimpfen. Das passiert nicht über Nacht. Du lernst deine Lektionen und nimmst daraus etwas mit." Ein kleiner Seitenhieb lässt sich zwischen den Zeilen erkennen: Bowles kann nichts für die interne Team-Kultur, die ihm Rex Ryan hinterlassen hat. Er kann lediglich das Beste draus machen.

Kehrtwende unter Bowles?

Jets-Anhänger hatten in den letzten Jahren wenig zu lachen. Nach der Bill-Belichick-Episode, der Bill Parcells 1999 beerben sollte, einen Tag später aber auf einen Zettel schrieb: "Ich trete als HC der NYJ zurück" übernahm Woody Johnson das Team 2000 als Eigentümer. Seitdem gab es fünf Head Coaches: Al Groh, Herman Edwards, Eric Mangini, Ryan und jetzt Bowles. Kontinuität geht in der NFL anders.

Im Gegensatz zum Schlagzeilen produzierenden, Super Bowls ankündigenden Ryan könnte Bowles, der sportlich zumindest defensiv über jeden Zweifel erhaben ist und in Gailey einen starken Offensive Coordinator an seiner Seite hat, für die so dringend benötigte Ruhe sorgen. Sein Umgang mit den New Yorker Medien in den vergangenen Wochen war beeindruckend für einen First-Time-Head-Coach, genau wie seine klare Linie bei Richardson, Enemkpali und Smith.

Er könnte die Ruhe hereinbringen, die das Team schon so lange sucht und die es unter Ryan nie hätte geben können - und sich so in einem der härtesten Märkte der NFL festbeißen. Nur so werden die Jets auch endlich an ihrem lädierten Ruf arbeiten können.

Johnny Unitas: Aus dem Sandkasten nach Canton

Bis dahin bleibt ausgerechnet eine vollmundige Ankündigung die Jets-Sternstunde: Joe Namath versprach 1969 vor dem Super Bowl III den Sieg über Johnny Unitas' haushoch favorisierte Baltimore Colts. Broadway Joe hielt damals allerdings Wort.

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Week 1 der Regular Season im Überblick