Innerhalb von nur zwei Jahren hat sich Odell Beckham Jr. zu einer der gefährlichsten Waffen in der NFL gemausert. Mit SPOX sprach der Receiver der New York Giants über Anpassungsschwierigkeiten, den FC Bayern München, den Catch, der ihn weltweit zum Superstar machte - und über Josh Norman.
SPOX: Herr Beckham, Sie haben gerade einen vollgepackten München-Trip hinter sich: Wie war das kleine Training mit den Spielern des FC Bayern?
Odell Beckham Jr.: Es hat wirklich viel Spaß gemacht. Meine eigenen Fußball-Wurzeln reichen ein Stück weit zurück und da raus zu gehen und mit den Jungs ein wenig zu kicken - das sind einige der besten Spieler überhaupt und David Alaba ist ein guter Freund von mir - war einfach schön. Es gab keinerlei Druck. Ich habe das ehrlich gesagt schon eine ganze Weile lang nicht mehr gemacht.
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SPOX: Wann haben Sie mit Fußball aufgehört?
Beckham: Da war ich etwa 13 oder 14 Jahre alt. Auf den Punkt gebracht war es damals so: Sie wollten, dass ich bei der Nationalmannschaft vorspiele, aber wenn man noch so jung ist, fällt es einem schwer, die eigene Familie zu verlassen, um nach Europa zu gehen. Ich habe mein ganzes Leben in Amerika verbracht und es wäre hart gewesen, einfach zu gehen, um einen Traum zu jagen. Auch wenn ich glaube, dass ich es geschafft hätte - der härteste Teil wäre gewesen, meine Mutter, meinen Vater, meinen Stiefvater und meine kleine Schwester zu verlassen. Meine Schwester war da gerade auf die Welt gekommen und es war für mich einfach keine Option, zu gehen. Aber ich lebe durch diese Jungs: Dass ich Franck Ribery, David Alaba und so weiter treffen kann, einige der besten Spieler überhaupt, ist toll. Sie leben ein Leben, das sehr selten ist und sie haben besondere Fähigkeiten. Es war cool, bei ihnen zu sein.
performSPOX: Also hat die Entscheidung für die Familie letztlich aus sportlicher Sicht auch den Weg Richtung Football geebnet?
Beckham: Ich würde nicht sagen, dass ich Football nur gewählt habe, weil ich für Fußball meine Heimat hätte verlassen müssen. Football fiel mir eher am leichtesten. Im Basketball musst du für die Junioren-Teams spielen, du musst in die Camps gehen und all das, um ein Basketball-Stipendium fürs College zu bekommen. Es kostet viel mehr Arbeit, als ein Football-Stipendium zu erhalten. Manche Jungs kommen in ihrem letzten High-School-Jahr ins Football-Team und erhalten dann ein College-Stipendium. Ich habe auch Baseball gespielt, im Outfield. Football ist für mich wahrscheinlich der "natürlichste" Sport, der Sport, der mir am leichtesten fiel.
SPOX: Welche Position haben Sie im Fußball gespielt?
Beckham: Ich war Stürmer und Mittelfeldspieler. Im Mittelfeld habe ich gespielt, wenn wir es mit einem Gegner zu tun hatten, der besser war als wir und wir wussten, dass sie wahrscheinlich Tore schießen würden - da musste ich auch in der Defensive spielen und dann hoffentlich noch ein Tor machen. Aber ich glaube, dass ich mich, als ich noch so jung war, manchmal von meiner Aggressivität habe steuern lassen. Ich erinnere mich noch, dass die Eltern von den Spielern der anderen Teams an der Seitenlinie standen und geschrien haben: "Holt ihn vom Platz!" Ich habe Leute von hinten umgegrätscht, dann gab es Ärger mit anderen Gegenspielern...ich glaube, deshalb bin ich beim Football geblieben. Beim Football darf man seine Aggressionen auf andere Art und Weise auf dem Platz nutzen.
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SPOX: Ist das auch Ihre Schlussfolgerung, wenn man die beiden Sportarten vergleicht?
Beckham: Ja, beim Football darf man physischer spielen. Ich habe David (Alaba, d.Red) gesagt: "Das ist nicht beledigend gemeint, aber Fußball hat sich in einen anderen Sport verwandelt." Jemand kann das Feld runter rennen, wird nur leicht berührt und schon fällt er hin und das Spiel wird unterbrochen. Daran erinnere ich mich auch noch: Wenn jemand mich umgegrätscht hat, wollte ich auf keinen Fall zu Boden gehen. Ich wollte weiterlaufen. Football erlaubte es mir, meine Stärken auszuspielen.
SPOX: Und das macht das Spiel auch so besonders für Sie?
Beckham: Ich glaube, wenn man kleiner ist, hat man auch dieses Kleiner-Mann-Syndrom: Die Leute nennen dich "klein" und das ärgert dich. Football erlaubt es dir, deine Aggressionen auf gewisse Art und Weise zu benutzen - zum Guten oder zum Schlechten! (lacht) Man muss Wege finden, sie richtig einzusetzen.
SPOX: Reden wir über den Draft. Vor einigen Wochen habe ich mit Pierre Garcon gesprochen und er sagte mir, dass der ganze Prozess viel Spaß gemacht hat, es gleichzeitig aber auch sehr nervenaufreibend war. Haben Sie das auch so erlebt?
Beckham: Zu einem gewissen Grad habe ich definitiv so gefühlt. Ich wusste nicht, zu welchem Team ich komme, ich hatte wirklich keine Ahnung. Normalerweise gibt es im Vorfeld ein Team, das sehr konkrete Vorstellungen hat und ich hatte einige Teams im Hinterkopf - doch keines davon hat mich gewählt, sie haben stattdessen andere Spieler vor mir geholt. Ich weiß noch, dass ich damals gesagt habe: Ich will im College eine National Championship holen, ich will die Heisman gewinnen. Beides habe ich nicht geschafft. Ich wollte ein Top-10-Pick im Draft sein, das habe ich nicht geschafft. Vor meiner ersten Saison war es dann mein Ziel, Rookie des Jahres zu werden und weil ich meine Ziele zuvor schon so oft knapp verpasst hatte, wollte ich das unbedingt schaffen. Glücklicherweise ist es mir gelungen und ich wurde als Rookie des Jahres ausgezeichnet. Darauf baue ich seitdem auf.
SPOX: Dabei starteten Sie Ihre erste Saison etwas...
Beckham: ...mit Rückstand?
SPOX: Genau. Sie hatten damals diese hartnäckige Verletzung. Wie haben Sie das erlebt?
Beckham: Ich bin etwa fünf Monate lang aufgrund einer Oberschenkelverletzung ausgefallen. Ich erinnere mich daran, wie ich zurückkam und den Druck von New York, von meinem Team und von meinen Coaches gespürt habe. Ich bin einer dieser fröhlichen Jungs und habe immer ein Lächeln auf den Lippen, bin immer am tanzen - aber verletzt zu sein hilft dir wenig. Das gilt insbesondere wenn du ein Rookie und gerade in die NFL gekommen bist: Manche nehmen dann schon an, dass du dein Ziel erreicht hast und es für dich nicht mehr wirklich etwas gibt, das du erreichen willst. Das entsprach nicht der Wahrheit, doch ich musste für die anderen einen Gang runter schalten, damit sie auch das Gefühl hatten, dass ich hier sein will. Dann habe ich meine Chance auf dem Platz bekommen und versucht, das Beste daraus zu machen. Jetzt gehe ich in meine dritte Saison und hoffe, dass ich mich weiter verbessern kann.
SPOX: Hatten Sie vor Ihrem ersten Spiel Schmetterlinge im Bauch?
Beckham: Keine Schmetterlinge, nein. Das ist es, was du tust! Das Einzige was ich vielleicht sagen kann: Vor einem Spiel hat man immer dieses Gefühl...nicht unbedingt Schmetterlinge, aber man will, dass das Spiel beginnt. Du liebst es und freust dich darauf. Aber herum zu sitzen und zu warten und dabei fast ein bisschen durchzudrehen, ob im positiven oder negativen Sinne - es kam einfach so weit, dass ich einfach raus gehen und das zeigen wollte, von dem ich schon immer geglaubt habe, das ich es kann. Einfach Spaß zu haben. Glücklicherweise kam ich an diesen Punkt.
SPOX: Haben Sie eine Erklärung dafür, warum Sie sich in der NFL so schnell anpassen konnten? Normalerweise brauchen ja gerade Receiver Zeit dafür.
Beckham: Es ist eine große Lernkurve, das stimmt. Man hat immer eine Lernkurve, wenn man von einem bestimmten Level auf ein höheres Level kommt. Die Tatsache, dass ich aus der SEC kam, hat mir enorm dabei geholfen: Ich habe drei Jahre lang Woche für Woche gegen einige der besten College-Spieler gespielt. Das hat es mir erlaubt, ohne größere Nervosität in die NFL zu kommen. Ich wusste, dass es nicht wahnsinnig anders als im College sein würde. Klar, jeder mag etwas größer, etwas stärker und etwas schneller sein. Aber in der NFL sind unter dem Strich auch nur die besten Spieler ihres Colleges, auf welchem sie auch immer waren. Der einzige Unterschied bei den Profis ist die Mentalität, die Denkweise. Ich musste lernen, das zu nutzen und ich musste lernen, ohne dabei für mich selbst oder für mein Team eine Ablenkung zu werden, produktiv zu sein. Ich habe es durch diese ersten beiden Jahre geschafft und dafür bin ich sehr dankbar.
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SPOX: Welche ist denn in Ihren Augen Ihre beste Qualität auf dem Platz?
Beckham: Meine beste Qualität auf dem Platz...das ist wahrscheinlich mein Wille. Ich glaube, dass ich es mehr will, als derjenige, der sich gegenüber von mir aufstellt. In meinen Augen will ich es mehr, als irgendwer sonst. Ich will Dinge erreichen, die vorher noch niemand erreicht hat. Ich will auf meiner Position einer der Größten aller Zeiten werden. Wege zu finden, diese Ziele jeden einzelnen Tag zu verfolgen, ist schwer. Aber am Ende erlaubt es dir, immer weiter zu pushen.
SPOX: Das ist tatsächlich ein guter Übergang. Der sensationelle Catch in Ihrer ersten Saison gegen die Dallas Cowboys: Wann haben Sie gemerkt, dass dieser Catch komplett durch die Decke gegangen ist?
Beckham: Ich würde sagen etwa zwei oder drei Tage danach. Klar, direkt nach dem Spiel explodiert dein Handy fast. Am Tag darauf war es noch immer so. Und am Tag danach ebenfalls. Ich dachte, dass es irgendwann schon weniger werden muss, doch das war nicht der Fall. Mein Leben hat sich dadurch verändert - ob zum Besseren oder zum Schlechteren. Ich denke, zum Besseren. Aber es hat sich dadurch verändert.
SPOX: Auch die Aufmerksamkeit wuchs enorm, zumal Sie im größten Medien-Markt der USA spielen. Haben Sie dadurch Ihren Umgang mit den Medien und den sozialen Medien verändert?
Beckham: Nicht wirklich, nein. In den sozialen Medien haben die Leute einfach ihre Meinung, egal was du sagst, machst oder sogar denkst: Sie werden ihre Meinung haben, und sie haben ein Recht darauf. Ich komme aus Louisiana und du kannst ins L'Auberge gehen, das ist das Casino unten in Baton Rouge, etwas Geld gewinnen und die Leute werden irgendwas denken. Auch wenn du selbst weißt, dass du einfach etwas Geld gewonnen oder was auch immer gemacht hast. Es gibt in dieser Welt viele Vermutungen. Man muss den Kreis um sich herum etwas kleiner halten und es den Leuten, die darin sind, erlauben, dir helfen zu können.
SPOX: Zurück auf den Platz: Haben Sie schon während Ihrem ersten Jahr in der NFL eine steigende Aufmerksamkeit gegnerischer Defenses bemerkt? Heute ist es ja meistens ein Cornerback mit Safety-Hilfe dahinter...
Beckham: ...so ist es. In meinem Rookie-Jahr hatte ich meistens eher einen Gegenspieler, der versucht hat, mich im Griff und unter dem Radar zu behalten.
SPOX: Viele Rookies sprechen nach ihrer ersten Saison vom physischen und mentalen Stress, verglichen mit einer Saison im College. Ging es Ihnen genauso?
Beckham: Ja. Vom College in die NFL zu kommen ist hart, vor allem wenn deine Medizin, deine Klassen oder was auch immer nicht richtig ausgerichtet sind, damit du fokussiert bleibst und deine Ziele erreichst. Das College ist nicht einfach und ich glaube nicht, dass es der bestmögliche Ort ist, wenn du gute Noten willst - es gibt einfach viele Verlockungen und es gibt viele Gelegenheiten, um in Schwierigkeiten zu kommen, wenn ich ehrlich bin.
10 Fragen zur Preseason: Raus aus dem Schatten?
SPOX: Ich habe schon mehrfach gesehen, dass Sie eine Art Pre-Game-Ritual entwickelt haben. Stimmt es, dass Sie sich gerne ungenaue Pässe zuwerfen lassen...
Beckham: ...nur für den Fall, ja. Ed Skiba (Stellvertretender Equipment-Manager der Giants, d.Red.) wirft mir diese Bälle jetzt schon seit einer Weile so zu. Primär geht es allerdings darum, die Quarterbacks aufzuwärmen, damit sie ihr Gefühl bekommen, den Ball in der Hand halten und ihn werfen, was auch immer sie brauchen.
SPOX: Die Josh-Norman-Situatiom (Beckham und Norman gerieten im Duell in der Vorsaison mehrfach auf dem Platz aneinander, d. Red.): Was haben Sie gedacht, als er nach Washington und damit in die NFC East wechselte, wodurch Sie jetzt zwei Mal pro Jahr gegen ihn spielen werden?
Beckham: Ehrlich gesagt: Als er zu den Redskins kam, habe ich einfach eine Gelegenheit gesehen. Eine Gelegenheit, gegen einen Spieler anzutreten, der ein sehr guter Cornerback ist, egal was irgendwer sagt. Aber es wird niemals Gnade geben. Ich werde nie auch nur ein einziges Play aus der vergangenen Saison bereuen. Ich werde keinen einzigen Call, keinen Blick, nichts bereuen. Ich will nicht unbedingt sagen, dass es Krieg ist - aber es ist Krieg.
SPOX: Es ist Krieg auf dem Feld?
Beckham: Es ist Krieg auf dem Feld. Aber wenn du mit mir spielen willst...Man sagt ja: Wenn du mit dem Bullen spielst, bekommst du den Bullen. Wenn du mit den Hörnern spielst, bekommst du die Hörner. Also spiel nicht mit den Hörnern, denn ich weiß garantiert: Die Hörner sind bereit, zu spielen.
SPOX: Gab es irgendeinen Kontakt zu Norman? Hat er sich vielleicht bei Ihnen gemeldet?
Beckham: Nein. Während dem Spiel gab es vielleicht Kontakt. (lacht) Aber davon abgesehen gab es keinen Kontakt, nein.
SPOX: Bleiben wir doch bei dem Cornerback-Thema: Wer ist in Ihren Augen aktuell der beste Cornerback in der NFL?
Beckham: In Arizona gibt es diesen Typen, der heißt Patrick...Patrick Peterson oder so?
SPOX: Ich hab von ihm gehört!
Beckham: Er hat für LSU gespielt! (lacht) Im Ernst, er ist einer der Besten in der NFL. Er kann dich überall covern. Wenn du mit deinem Hund zur Seitenlinie läufst, dann folgt er dir und hält wahrscheinlich noch die Leine. Er folgt dir überall hin, bei jedem Play. Er erlaubt es dir, im Idealfall, nicht, auf irgendeine Art und Weise Schaden anzurichten.