Viva Las Vegas!

Von Adrian Franke
03. Juni 201608:41
In der Offseason werden merkwürdige Geschichten plötzlich wichtiggetty
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Wir schreiben Anfang Juni und haben den Höhe (oder Tief-)punkt der Offseason erreicht. Exakt zwischen Draft und Training Camps dominieren verrückte Geschichten die NFL-News und genießen ein Scheinwerferlicht, von dem sie sonst nur träumen könnten. Ob Sam Bradford, Tom Brady oder Las Vegas: SPOX blickt auf das komplette Drama eines NFL-Fans im Sommerloch.

Sind Sie auch schon an dem Punkt angekommen, an dem Spiele aus der Vorsaison über den Bildschirm flimmern? Der Punkt, an dem plötzlich das Austragungsrecht des Super Bowls 2021 News-Wert besitzt? An dem Las Vegas - eine Stadt ohne NFL-Team wohlgemerkt - einen regelmäßigen Platz ganz weit oben in den NFL-Sparten einnimmt?

Und, natürlich nicht zu vergessen, der Punkt, an dem Deflate Gate sein großes Comeback feiert? Aktualisieren Sie auch schon jeden Tag Ihren NFL-Newsfeed und sehen dann oben Breaking-News wie die Entlassung von Brian Hartline oder die Ankündigung diverser Spieler, dass jetzt aber wirklich die wichtigste und selbstredend beste Saison ihrer Karriere bevorsteht?

Herzlichen Glückwunsch! Auch Sie haben den Offseason-Blues! Wir befinden uns am verschwimmenden Übergang vom Mai in den Juni, oder in der NFL-Sprache: Der genauso alljährliche wie kurzzeitige Tiefpunkt. Es ist die kurze Zeit des Jahres, in der die NFL einen halben Schritt zurück aus dem sonst so grellen Scheinwerferlicht macht. Gerade so viel, um den NBA- und den NHL-Finals eine kleine Bühne zu geben, ehe der Start des Training Camps wieder die volle Aufmerksamkeit verlangt.

Willkommen zum Offseason-Hangover.

Der Holdout, der keiner war: Sam Bradford war, als er von den Eagles-Verantwortlichen über Phillys Draft-Trade für einen Quarterback - Carson Wentz, wie sich herausstellen sollte - in Kenntnis gesetzt wurde, angeblich derart frustriert, dass er mitten im Gespräch beleidigt aus dem Raum stürmte. Philadelphia hatte gerade ein sattes Paket geschnürt, um Bradfords Nachfolger zu draften. Dem 28-Jährigen, der erst einige Wochen zuvor einen neuen Zweijahresvertrag über stolze 35 Millionen Dollar unterschrieben hatte, war soeben ein Ablaufdatum quer über die Stirn gestempelt worden.

"Es ist sein Recht, einen Trade zu verlangen. Und er will weg", motzte Berater Tom Condon daraufhin öffentlich via ESPN. Der erste große Holdout dieser Offseason war geboren und die öffentliche Reaktion war genau die, mit der man rechnen musste: Ein Quarterback, der überspitzt formuliert in sechs NFL-Jahren für jeden seiner 78 Touchdown-Pässe eine Million Dollar kassiert hat, will sich nicht dem Konkurrenzkampf mit einem Rookie stellen?

Die Renaissance des Running Games: Go Big or Go Home!

Die viel ehrlichere Frage muss jedoch lauten: Was genau hatte sich Bradford von dem Zweijahresvertrag erwartet? Eine Chance, sich für einen langfristigen Vertrag zu empfehlen? Naja - genau die bieten ihm die Eagles und wenn Bradford auf sich setzt, wie es der Zweijahresvertrag vermuten lässt, muss er sich gegen einen Rookie-Quarterback durchsetzen. Punkt. Ganze zwei Wochen hielt Bradford am Ende Stand (und bestreikte dabei FREIWILLIGE Workouts), was das komplette Thema final über den Lächerlichkeits-Gipfel hievte.

"Ich freue mich darauf, mit meinen Mitspielern und Coaches wieder auf dem Platz zu stehen", erklärte er anschließend bei ESPN und schob den Holdout Condon in die Schuhe: "Tom Condon ist seit dem Beginn meiner Karriere mein Berater und ich vertraue ihm komplett. Als wir es besprochen haben, glaubte er, dass eine Trade-Anfrage das Beste für mich wäre."

Alles was bleibt, ist ein Damoklesschwert, das die QB-Situation noch unruhiger macht. Eagles-Defensive-Coordinator Jim Schwartz forderte in der Vorwoche die Medien bereits dazu auf, keine voreilige QB-Schlussfolgerung zu ziehen. Übersetzung: Sam Bradford steht ein hartes Jahr bevor.

Viva Las Vegas: "Was in Vegas passiert, bleibt in Vegas" - mit diesem Klischee einer Antwort vertröstete Raiders-Eigentümer Mark Davis Anfang Februar noch die Pressevertreter. Sein Ziel sei es, einen neuen Vertrag in Oakland hinzubekommen. Fertig. Oder auch nicht.

Denn über die vergangenen Wochen ist der Las-Vegas-Hype-Train von der örtlichen Bummelbahn zum stattlichen ICE transformiert: Nur da, wenn man ihn nicht braucht, dafür rasant unterwegs. Während Davis zu den "ärmsten" (die Anführungszeichen stehen für die zu beachtende Relativität dieser Aussage) Team-Eigentümern gehört und zudem einer der am wenigsten einflussreichen ist, stehen ihm inzwischen auch zwei der schweren Jungs zur Seite.

Patriots-Eigentümer Robert Kraft und Cowboys-Eigentümer Jerry Jones haben durchblicken lassen, dass sie einem Umzug nach Las Vegas gegenüber nicht abgeneigt wären. Die finanziellen Möglichkeiten natürlich immer im Hinterkopf. Die Raiders sind ohnehin zunehmend ernster unterwegs - wenn auch vielleicht nur, um Oakland endlich mehr Geld für ein neues Stadion aus den Rippen zu leiern - und Las Vegas' Bürgermeisterin Carolyn Goodman ist bereits sicher, dass ihre Stadt ein NFL-Team bekommt.

Über die Wasserknappheit in Las Vegas oder negative Auswirkungen der Stadt auf junge (und plötzlich reiche) Sportler lässt sich streiten. Eine Sache aber sollte maximal ein sekundäres Argument dagegen sein: Die sofort vielerorts geäußerten Bedenken, dass ein NFL-Team nicht in der Stadt des Glücksspiels ziehen sollte. 80 Prozent aller NFL-Teams spielen maximal eine Stunde von einem Casino entfernt, das neue Rams-Stadion wird weniger als eine Meile entfernt vom Hollywood Park Casino gebaut und ohnehin findet mit Sport zusammenhängendes Glücksspiel längst ausgedehnt online statt. Viva Las Vegas!

Ryan Fitzpatrick - Eine Neverending Story: Kaum eine Offseason-Geschichte ist penetranter, anstrengender oder vermeidbarer als die Ryan-Fitzpatrick-Saga in New York. Der 33-Jährige legte, nachdem IK Enemkpali Geno Smith den berüchtigten K.o.-Schlag verpasst hatte, eine aus Jets-QB-Sicht historische Saison hin: 3.905 Yards und 31 Touchdowns bei 15 Interceptions. Gang Green verpasste die Playoffs um Haaresbreite und es schien eine Frage der Zeit, ehe der auslaufende Vertrag von Fitzpatrick verlängert wird.

Denkste, denn der geneigte Leser möge seine Aufmerksamkeit auf "schien" richten. Seit Saisonende ist inzwischen nahezu ein halbes Jahr vergangen und von einem neuen Vertrag keine neue Spur. Vielmehr sind wir neuerdings dazu übergegangen, verschiedene Vertragsangebote zu veröffentlichen. Aus Jets-Kreisen heißt es, Fitz soll ein Dreijahresvertrag mit einem Gehalt über zwölf Millionen Dollar im ersten Jahr und maximal bis zu 36 Millionen Dollar vorliegen. Dem gegenüber stehen Berichte aus dem Fitz-Lager über einen Vertrag mit einem Gehalt von nur sechs Millionen Dollar im zweiten und dritten Jahr.

Es ist längst ein öffentlicher "Wer zuckt zuerst"-Wettbewerb geworden. Die Jets wollen definitiv nicht mit Geno Smith in die Saison gehen - auch wenn Fitzpatrick nicht der Heilsbringer ist, zu dem ihn manche machen - und Fitz will definitiv Football spielen. Jüngst hat er endlich auch erstmals öffentlich zugegeben, dass er selbiges gerne bei Gang Green tun würde.

Receiver Eric Decker blieb angeblich aus Solidarität mit seinem Quarterback gar den ersten Trainingseinheiten fern, auch wenn er inzwischen zurückgerudert hat. Im Interesse aller Beteiligten sollte diese unendliche Geschichte eher früher als später ein Ende finden.

Dri Archer hat keine Lust: Ein altes Sprichwort sagt: Wer nicht will, der hat schon! Und Dri Archer hat allem Anschein nach schon. Als Speed-Monster wurde Archer 2014 in der dritten Runde von den Steelers gedraftet, konnte sich aber nie festbeißen. Es folgte die Entlassung im vergangenen November sowie ein kurzes Gastspiel bei den Jets. Anfang Mai schnappten sich dann die Buffalo Bills den Speedster über das Waiver Wire und hofften, ihrer Run-lastigen Offense so ein neues Element zu geben.

Das Power Ranking nach dem Draft: Der Absturz des Champions

Allein - Dri Archer hatte keine Lust. "Er antwortet nicht auf Anrufe. Will er kein Spieler der Buffalo Bills sein, oder woran liegt es?", haderte Bills-Coach Rex Ryan in der Sports Illustrated: "Ich weiß es nicht. Aber ich vermute, es gibt einen Grund dafür, dass Pittsburgh ihn entlassen hat. Falls ihr aber etwas herausfindet, dann lasst es uns wissen." Archer steht inzwischen auf Buffalos Reserve/Did not Report-Liste und somit halten die Bills zumindest weiter seine Rechte. Achtung, Experten-Meinung: Archers NFL-Karriere ist trotzdem vorbei.

Guess who's back: Betrachtet man das Thema mal aus der Vogelperspektive, dann ist es schon reichlich verrückt. Seit über einem Jahr wird in NFL-Kreisen und vor hohen Gerichten von teuer bezahlten Anwälten inzwischen über den Luftdruck in Bällen diskutiert. Das Ergebnis: Wir sind in etwa so schlau wie zuvor.

Vom Berufungsgericht wurde Brady Ende April doch nachträglich gesperrt, nur um vier Wochen später seinerseits (wieder einmal) in Berufung zu gehen. Es geht hier längst nicht mehr darum, ob Brady von dem zu geringen Luftdruck in den Bällen wusste oder gar daran beteiligt war - diese Geschichte ist lediglich noch der Mantel.

Tatsächlich ist es ein Machtkampf zwischen der Spielergewerkschaft (weshalb diese auch weiterhin Millionen in Anwaltskosten pumpt) und NFL-Commissioner Roger Goodell. Goodell will einen Präzedenzfall verhindern, die Gewerkschaft einen selbigen schaffen und somit nachträglich zu eigenen Gunsten am Collective Bargaining Agreement schrauben.

Und Brady? Brady nutzt die Chance nur zu gerne. Einerseits, um weiterhin auf seine Unschuld zu pochen, andererseits, um eine mögliche Strafe weiter raus zu zögern. Schon jetzt gilt es als äußerst unwahrscheinlich, dass eine Gerichtsentscheidung über die Sperre vor der kommenden Saison zustande kommt. Und ewig wird Tom Terrific ja auch nicht mehr spielen...

Die Ryan-Brothers: Auf was für eine Sideline-Show dürfen wir uns nur in Buffalo freuen! Head Coach Rex Ryan holte sich Zwillingsbruder Rob Ryan als Unterstützung in den Trainerstab - jener Rob, der zuletzt als Defensive Coordinator für eine historisch schlechte Saints-Defense verantwortlich war. So jedenfalls dachte der naive Analyst.

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"Oh, wir hatten die schlimmste Defense. Das passiert, wenn du ein beschissenes Scheme spielst. Aber es ist meine Schuld, ich hätte etwas sagen müssen. Ich bin nie aufgestanden um zu sagen: "Ihr könnt mich mal, das coache ich nicht." Ich verspreche euch, dass ich das jetzt machen würde", hämmerte Ryan im Gespräch mit dem MMQB die (verbale) Faust auf den Tisch. Und wir freuen uns schon, wenn Rob mal mit Rex' Defense ein Problem hat.

Übrigens: Interessiert daran, was Saints-Coach Sean Payton dazu zu sagen hatte? Kein Problem! Bei PFT Live meldete sich Payton nämlich schon zu Wort: "Die Idee, dass es nicht seine Defense war, ist dämlich. Wenn man zwei Jahre lang derartige Probleme hat, wie wir sie hatten, dann ist es einfach schwer, damit umzugehen."

Running Backs und Weight Watchers: Green Bay ist normalerweise eines dieser Teams, das man vom Offseason-Hype getrost ausschließen kann. Die Packers sind in der Free Agency seltenst wirklich aktiv, haben unspektakuläre Drafts und geben mitunter nur sehr vereinzelt Pressekonferenzen.

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Doch all diese angenehmen Vorsätze flogen in höherem Bogen als ein Hail-Mary-Pass von Aaron Rodgers aus dem Fenster, als es um den Diätplan von Eddie Lacy ging. "Eddie Lacy hat viel Arbeit vor sich. Er kann nicht noch ein Jahr auf diesem Gewicht spielen", ließ Coach Mike McCarthy schon kurz nach dem Playoff-Aus in Arizona verlauten. Lacy war in der vergangenen Saison zwischenzeitlich auf die Bank verbannt worden, auch wenn er - genau wie in seiner Rookie-Saison - auf 4,1 Yards pro Run kam.

Jetzt hat Eddie jedenfalls fleißig trainiert und abgenommen - und doch beschäftigt uns das Thema Running-Back-Diät weiterhin. Denn Lacy ist nicht der einzige, der Kalorien zählen muss: Ravens-Coach John Harbaugh gab vor wenigen Tagen bei ESPN zu, dass der jüngst verpflichtete Trent Richardson nach wie vor längst nicht in der nötigen Form ist und gerade dabei sei zu lernen, was es braucht, "um ein Weltklasse-Athlet zu werden". Nach vier Jahren in der NFL auch eher ein Zeugnis der Marke "vernichtend".

"So gut wie nie": Ach ja, die Nummer-1-Floskel einer jeden Offseason. Ein Spieler steht vor der Breakout-Saison, kommt besonders stark von einer Verletzung zurück oder ist generell in der Form seines Lebens. Hier eine kleine Auswahl über Aussagen der vergangenen Tage (!), um sie abzuspeichern und im September nochmals raus zu holen und zu überprüfen:

  • Jets-Safety Calvin Pryor bei NJ Advance Media: "Ich habe noch nicht einmal ansatzweise meinen Zenit erreicht."
  • Ravens-TE Dennis Pitta bei CSN Mid-Atlantic: "Ich habe in diesem Jahr extrem hohe Erwartungen an mich."
  • Jets-TE Jace Amaro bei NJ.com: "Das ist ein großes Jahr für mich und für alle unsere Tight Ends."
  • Giants-RB Andre Williams bei ESPN: "Ich weiß, was ich kann und freue mich darauf, das in diesem Jahr zu zeigen."
  • Saints-Coach Sean Payton in der Times-Picayune: "C.J. Spiller ist fitter und seine Bewegungen sehen signifikant anders aus. Er hat hart gearbeitet, um wieder auf 100 Prozent zu kommen. Das ist wirklich ermutigend."
  • Titans-Coach Mike Mularkey im Tennessean über Murray: "Ich habe einige Cuts gesehen, die mir wirklich gut gefallen haben. Auch wenn es ohne Pads war: Da waren einige Cuts dabei, bei denen kein Verteidiger an ihn rankommen würde."

Ergänzungen gerne in die Kommentare!

Die Causa Johnny Football: Die Thematik "Offseason Story" erfüllt Johnny Manziel ohnehin schon per se. Selten war die Diskrepanz zwischen Football und dem einstigen College-Superstar allerdings so groß wie 2016. Nachdem er von den Browns entlassen worden war, trennte sich auch sein Berater von Manziel - inklusive eines ausführlichen und mahnenden Ultimatums. Es folgte, quasi noch eine "Altlast" aus dem Vorjahr, eine Anklage von Manziels Ex-Freundin, die ihm häusliche Gewalt und Drohungen vorwarf.

Es sollte nur die erste von vielen beunruhigenden Nachrichten werden. Manziel stürzte sich in Los Angeles kopfüber in die Party-Szene, mehrere absurde Videos, die den offensichtlich betrunkenen Quarterback zeigten, gingen genauso über TMZ online wie Bilder von Bar-Schlägereien und einem Auto-Unfall sowie Aussagen besorgter Bekannter.

"Er ist in einer furchtbaren Abwärtsspirale. Wenn er so weiter macht, wird er bald sterben", warnten anonyme Bekannte und Manziels Vater wandte sich im Februar über die Dallas Morning News an die Öffentlichkeit: "Ich bin davon überzeugt, dass er seinen 24. Geburtstag nicht erleben wird, wenn er keine Hilfe erhält."

Die Entwicklungen der vergangenen Monate geben ihm in dieser Befürchtung Recht, Manziel benötigt dringend Hilfe. Am 6. Dezember wird er 24 Jahre alt.

Der 2016er Schedule im Überblick