Week 1 in der NFL hatte ein prägendes Thema: Riesige Schwächen in den Offensive Lines versauten zahlreichen Teams den Saisonauftakt und könnten sich als anhaltendes Problem durch die weitere Saison ziehen. Teams werden kreativer agieren müssen, um ihren Lines zu helfen und eine spannende Möglichkeit dafür kennen College-Fans bereits ausgiebig: Die Run-Pass-Option.
Was haben wir alle gestaunt, damals vor fünf Jahren. Als Robert Griffin III und die Redskins-Offense die Liga im Sturm eroberten. Als Colin Kaepernick in San Francisco für Aufsehen sorgte. Und als ein junger Rookie-Quarterback namens Russell Wilson Seahawks-Fans begeisterte. Sie alle einte die Nutzung der Read Option beziehungsweise des Zone Reads: Die für den Bruchteil einer Sekunde angetäuschte Ballübergabe an den Running Back, die je nachdem, was die Defense macht, tatsächlich zu einer Übergabe wird, oder alternativ der Quarterback selbst mit dem Ball losläuft.
Das hat einen ganz simplen und doch überaus ansprechenden Effekt: Bei einem regulären Run-Play ist der Quarterback im Prinzip aus der Rechnung raus - er übergibt lediglich den Ball an den Running Back. Das bedeutet, dass unter dem Strich zehn Angreifer elf Verteidigern gegenüberstehen. Die Read Option glich diesen Nachteil wieder aus.
Die Defense musste plötzlich auch im Run Game den Quarterback berücksichtigen, während die Offense mit diesem neuen Mittel spielen konnte. Etwa, indem ein Defensive End bewusst ungeblockt blieb, und durch den Read des Quarterbacks ausgeschaltet wurde: Attackierte er den Running Back, behielt der Quarterback den Ball, ging er auf den Quarterback, erhielt der Running Back den Ball.
Im College schon längst ein verbreitetes Mittel, erwischte der aggressive Einsatz der Read Option auf dem NFL-Level Defensive Coordinator auf dem falschen Fuß. Allerdings, wie so häufig im Football, dauerte es nicht lange, bis die Defenses aufholten. Gezieltes Attackieren der Ballübergabe, geplanteres Einsätzen von Linebackern und Defensive Ends, Stunts in der Defensive Front, um den Quarterback zu verwirren - die Read Option wurde schnell wieder ineffizienter und vor allem zu gefährlich für die Quarterbacks, die häufiger heftige Hits einsteckten.
Gleichzeitig suchen - ebenfalls wie immer im Football - Coaches und Coordinator überall in der NFL stets nach dem nächsten heißen Trend. Der nächsten Schraube, an der man drehen kann, der nächsten Kurzzeit-Revolution, mit der man die Gegner wieder überraschen kann. Und wenn man sich die College-Offenses und auch schon erste Anzeichen in der NFL anschaut, dann drängt sich hier ein Konzept auf: Die Run-Pass-Option.
Was ist die Run-Pass-Option?
Ganz einfach ausgedrückt: Die Run-Pass-Option bietet dem Quarterback nach dem Snap die Möglichkeit, ähnlich wie bei der Read Option, im Moment der möglichen Ballübergabe an den Running Back eine Entscheidung zu treffen. Je nachdem, was ihm die Defense anbietet, kann er den Ball seinem Back geben, oder ihn selbst behalten.
Dann aber gibt es den Unterschied im Vergleich zur Read Option. Wie der Name schon sagt, bietet die Run-Pass-Option dem Quarterback auch die Chance, einen Pass zu werfen - anstatt selbst mit dem Ball loszulaufen.
Das übt einen großen Druck auf die Defense aus und kann sie horizontal stark ausdünnen. So kann etwa die Line einen Run nach rechts blocken, wo auch der Running Back hingeht. Gleichzeitig aber laufen ein oder zwei Receiver Routes nach links und so hat der Quarterback die Möglichkeit, weg von der Front und somit häufig in Eins-gegen-Eins-Coverage zu werfen.
Eine Weiterentwicklung des Play-Action-Spiels
Und die weiteren Variationsmöglichkeiten hieraus sind unbegrenzt. So können Offensive Coordinator aus einer Run-Pass-Option heraus zahlreiche Passing-Konzepte entwerfen, um die Tatsache, dass sie die Coverage oftmals diktieren können, auszunutzen. Außerdem kann ein athletischer Quarterback weg von der Offensive und Defensive Line doch mit dem Ball laufen, und so weiter.
Der schöne Aspekt dabei aber: Im Gegensatz zur Read Option könnte auch der 2015er Peyton Manning eine Run-Pass-Option spielen, will sagen, es braucht keinen athletischen Freak auf der Quarterback-Position. Die Run-Pass-Option ist so gesehen eher die Erweiterung des Play-Action-Spiels.
Gleichzeitig vereinfacht es die Reads für den Quarterback, der in vielen Run-Pass-Option-Spielzügen nur je eine Seite des Feldes und nur einzelne Routes lesen muss - zunächst einen vorher festgelegten Spieler (meist ein Safety oder Linebacker), um zu entscheiden, ob er den Ball übergibt. Behält er den Ball, entwickeln sich die Route-Konzepte dann in der Regel ebenfalls auf einer Seite des Feldes, nämlich auf der Seite, auf der die Offensive Line nicht den möglichen Run hin blockt.
Somit attackiert die Run-Pass-Option bei einem Pass die "leerere" Seite des Feldes, die den Receivern und dem Quarterback mehr Platz bietet. Entscheidet sich der Quarterback dagegen dazu, den Ball an den Running Back zu übergeben, hat der ebenfalls mehr Platz als bei einem gewöhnlichen Run-Play - einfach weil die Formation horizontal weiter ausgedehnt und die Receiver, die auf der andere Seite des Feldes ihre Routes laufen, Verteidiger vom Run-Play wegziehen.
Run-Pass-Option als Standard-Spielzug in Offenses?
"Das ist schon in der Liga und es ist ein Trend, den man noch häufiger sehen wird", zitierte der Ringer Texans-Coach Bill O'Brien jüngst und Chiefs-Offensive-Coordinator Matt Nagy fügte hinzu: "Ich denke, sie kann bei vielen Teams sehr gut funktionieren."
Dabei darf man nicht den Fehler machen, die Run-Pass-Option als eine eigene Offense oder selbst auch als den Fokus einer Offense zu betrachten. Sie ist ein Spielzug - wie eine Slant-Route, eine Post-Route oder ein Outside-Zone-Run. Doch im sich ständig bewegenden Kreislauf der Football-Trends könnte die Run-Pass-Option 2017 für Aufsehen sorgen.
Das liegt auch daran, dass der Trend zu Shotgun-Formationen (der Quarterback steht vor dem Snap einige Yards hinter der Line of Scrimmage, der Running Back neben ihm) in der NFL kontinuierlich ansteigt. 52,9 Prozent der Snaps wurden laut Pro Football Focus 2016 aus der Shotgun heraus gespielt, die ideale Formation, um Run-Pass-Options einzustreuen.
Der Quarterback überblickt die Defense besser als bei Formationen under Center und muss nicht erst einige Schritte zurück machen. Da er einige Yards hinter der Line steht, hat er nach dem Snap einen kurzen Moment mehr Zeit. Dieser Moment reicht, um eine Run-Pass-Option durchzuführen.
Die Bengals und die Browns als RPO-Beispiele
Ein anderes Argument für eine stärkere Nutzung ist simpel - es hat schon in der vergangenen Saison funktioniert. Pro Football Focus zählte 2016 im Schnitt knapp über fünf Run-Pass-Option-Plays pro Spiel, wobei die Cincinnati Bengals mit 6,2 Yards pro RPO das effizienteste Team waren und dabei etwa auch ihre Tackles kreativer einsetzten als die meisten Teams.
Weil die Run-Pass-Option dem Quarterback die Arbeit erleichtert, darf man davon ausgehen, dass insbesondere junge Spieler hier profitieren. Ein Musterbeispiel könnte DeShone Kizer in Cleveland sein: Die Browns haben eine sehr gute Offensive Line und werden ihre Offense um das Run Game herum aufbauen. Mit Hue Jackson gibt es zudem einen kreativen Play-Caller, und Kizer könnte vor allem in den ersten Wochen enorm davon profitieren, wenn er vereinzelt nur die Hälfte des Feldes - anstatt das ganze Feld - lesen muss.
Und das führt zu einem weiteren interessanten Ansatz, denn einen gar nicht unähnlichen Effekt hatte die Read Option für Cam Newton in dessen Rookie-Saison. Carolina vereinfachte damals das Lesen der Pass-Defense, weil sie die gegnerischen Verteidiger über die Read Option und Newtons Bedrohung als Rusher dazu zwang, weniger komplex zu agieren.
Das half Newton dabei, sich an das Tempo in der NFL zu gewöhnen und die Panthers konnten die Reads so stückweise ausdehnen, ohne Newton zu überfordern und umgekehrt ohne in seiner ersten Saison für Defenses zu leicht entschlüsselbar zu sein. Washington nutzte, neben der Read Option auch RPOs in der ersten NFL-Saison von Robert Griffin III.
"Wir wussten, dass wir mit Robert die Read Option spielen können", erklärte der damalige Skins-Coach Mike Shanahan laut SI. "Wir wussten allerdings nicht, wie lange es dauern würde, bis er ein Dropback-Passing-System lernen würde - das hatte er vorher nie gemacht. Uns war klar, dass das Zeit brauchen würde."
Ein Vorteil für die Offensive Line
Ein weiterer wichtiger - Week 1 hat den Bedarf danach eindrucksvoll gezeigt - Effekt daraus: Die Arbeit der Offensive Line wird erleichtert. Weil der Quarterback einen Verteidiger in gewisser Weise ausschalten kann, indem er ihn liest ist, muss der Pass-Rush eine zusätzliche Hürde nehmen.
Die Run-Pass-Option sollte somit im weiteren Saisonverlauf noch häufiger zu sehen sein, als das bereits im Vorjahr der Fall war. Mehr noch, sie könnte in vielen Offenses als fester Bestandteil ins Playbook aufgenommen werden - und damit einen ähnlichen Platz einnehmen wie ihn auch die Read Option inzwischen nach der großen Hochphase hat.
Pro Football Focus zählte in der 2016er Saison noch 2022 Read-Option-Plays, die immerhin 8884 Yards einbrachten. Colin Kaepernick etwa hatte noch 69 solcher Plays, während er gleichzeitig Fortschritte in der Pocket zeigte und das Run Game der Niners noch immer von der Option profitierte.
Ein ähnlicher Einfluss ist der Run-Pass-Option ebenfalls zuzutrauen. Nicht als Mittelpunkt einer Offense, nicht als prägendes Play. Aber als eine weitere Möglichkeit, um Defenses die Arbeit zu erschweren und einen kleinen Vorteil zu erlangen. Und unter dem Strich geht es beim Erstellen eines Game Planes schließlich genau darum.