Crash mit Ansage

Von Adrian Franke
18. Dezember 201414:20
Jim Harbaugh und die San Francisco 49ers haben keine Chance mehr auf die Playoffsgetty
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Zeit für die Fehlersuche in der Bay Area. San Francisco schien noch vor zwölf Monaten auf dem besten Wege, auf Jahre hinweg um den Super Bowl spielen zu können. Nach der Niederlage in Seattle stehen die 49ers nun stattdessen vor den Scherben einer von Ablenkungen und Stagnation geprägten Saison. Im Fokus ist dabei Head Coach Jim Harbaugh - dessen Zeit bei den Niners wohl ihrem Ende entgegen geht.

Man sah es Harbaugh an, dass er in seinem wohl letzten Duell als Coach der San Francisco 49ers mit seinem Lieblingsrivalen Pete Carroll und dessen Seahawks nochmal alles auf dem Platz gelassen hatte. "Ich bin stolz auf die Jungs. Sie haben wie Champions gekämpft. Wir kämpfen immer weiter, und die Jungs haben das heute gemacht", sagte ein müder, konsternierter Harbaugh. Seine Körpersprache ließ dabei aber tiefer blicken als seine Worte.

In seinen drei Jahren zuvor hatte Harbaugh die 49ers drei Mal ins NFC-Championship-Game geführt, ein Mal gelang der Sprung in den Super Bowl - der große Wurf blieb den Niners aber denkbar knapp verwehrt. In diesem Jahr sollte es endlich klappen, stattdessen verpasst San Francisco zum ersten Mal unter Harbaugh die Playoffs. Längst gilt es als offenes Geheimnis, dass er nach der Saison weg ist. Doch wie konnte es so weit kommen?

Browns-Gerüchte als Vorbote

Anzeichen dafür, dass es eine unharmonische Saison in der Bay Area geben könnte, gab es bereits während des Combines im Februar. Plötzlich tauchten wie aus dem Nichts Gerüchte auf, wonach die 49ers mit den Cleveland Browns über einen Harbaugh-Trade gesprochen hatten. Verantwortliche dementierten natürlich umgehend, plötzlich schien der 50-Jährige aber angreifbar.

Es sollte nicht die einzige Ablenkung der Offseason bleiben. Im April sorgte Linebacker Aldon Smith für Negativschlagzeilen, als er wegen einer falschen Bombendrohung am Flughafen von L.A. festgenommen wurde und außerdem verbotene Substanzen eingenommen hatte. Die Folge: Er wurde für die ersten neun Spiele der laufenden Saison gesperrt.

Zehn Festnahmen eigener Spieler mussten die Niners nunmehr seit Jahresbeginn 2012, als Harbaugh und Geschäftsführer Trent Baalke schon seit fast einem Jahr das Sagen hatten, erklären - Ligahöchstwert über diese Zeitspanne. Neben der schweren Verletzung von Top-Linebacker NaVorro Bowman aus der vergangenen Saison sowie durch die Free Agency entstandenen Löchern in der Secondary (Abgänge von Safety Donte Whitner und den CBs Carlos Rogers und Tarell Brown) litt die Defense also schon vor dem ersten Snap der Saison.

Harbaughs stures Ego

Doch zurück zu Harbaugh, der noch vor jedem Spieler im Niners-Lager im Fokus steht. San Franciscos Coach, dem seit jeher ein enorm großes Ego nachgesagt wird, tat in der Offseason auffällig wenig dafür, sich in irgendeiner Art und Weise anzupassen. So setzte er etwa während der feierlichen Eröffnungszeremonie des neuen Stadions in Santa Clara ein Rookie-Training an, so dass seine Assistenten und deren Familien nicht anwesend sein konnten.

Harbaugh selbst erschien zu der schicken Feier, bei der auch Commissioner Roger Goodell anwesend war, nicht etwa im Anzug, sondern in seinen Trainingsklamotten und verließ die Veranstaltung nach kurzer Zeit wieder. Der ganze Vorfall sorgte intern für Diskussionen, und war dennoch ein Mikrokosmos von Harbaughs Einstellung: Alles wird dem sportlichen Erfolg nach seinem Rezept untergeordnet und dabei ist es zwangsläufig unvermeidbar, früher oder später anzuecken - was sich nicht nur auf die Offiziellen beziehen sollte.

Das Problem mit der College-Mentalität

Nach dem enttäuschenden Saisonstart mit zwei Siegen und zwei Pleiten dauerte es nicht lange, ehe die Kritik auch aus internen Kreisen folgte. So sickerte Ende September an die Presse durch, dass einige der älteren Spieler mit Harbaugh unzufrieden sein sollen. Der langjährige College-Coach behandele seine Spieler wie Kinder, unter anderem sei es nicht gestattet, im Flugzeug laut Musik zu hören oder Karten zu spielen. Die interne Chemie war offenbar zerstört.

"Er hat uns Männer behandelt, als wären wir noch College-Kids in Stanford", monierte Randy Moss, der 2012 noch in San Francisco gespielt hatte, Anfang Oktober. Die nach wie vor intern gut vernetzte Niners-Legende Jerry Rice legte Anfang November nach: "Ich habe einige Beschwerden von Spielern gehört, dass er eine College-Mentalität habe, die in der NFL nicht funktioniert. Außerdem weiß niemand, ob er in San Francisco bleiben will. Vielleicht hinterlässt das auch nach und nach seine Spuren im Team."

Zunehmend wurde Harbaugs "College-Mentalität", die in den erfolgreichen Jahren zuvor öffentlich noch als Nähe zu den Spielern und positive Energie ausgelegt wurde, als ein wachsendes Problem angesehen. Er hatte sich, so schien es, mit seiner Art am Team schlicht abgenutzt und die Mentalität wirkte auf dem Profi-Level nicht funktional, wenn nicht gleichzeitig auch die Ergebnisse stimmen.

Da diese Stimmen von ehemaligen Spielern kamen sorgten die Berichte für ein enormes mediales Echo. Ex-49er Trent Dilfer berichtete weiter, dass die Atmosphäre im Team fast giftig sei und auch Hall-of-Fame-Cornerback Deion Sanders stimmte zu und berichtete unter Berufung auf eine interne, ranghohe Quelle: "Die Spieler wollen Harbaugh loswerden. Sie sind nicht auf einer Wellenlänge."

Seite 1: Eine Frage der Einstellung

Seite 2: Offensive als Sorgenkind und der kommende Umbruch

"Ein großer Haufen Scheiße"

All das erwischte Harbaugh an einem wunden Punkt. Er, der große Motivator, der sein Team wie kaum ein Zweiter über Jahre hinter sich vereint hatte, der jeden Tag mit einer anderen Gruppe von Spielern frühstückt, um sie besser kennen zu lernen, und der die Niners nach zehn Jahren mehr oder weniger in der Bedeutungslosigkeit wieder zu einem Topteam geformt hatte, sollte sich abgenutzt haben?

"Für mich ist das ein großer Haufen Scheiße", reagierte er, konfrontiert mit den Berichten, entsprechend forsch: "Wenn die Leute draußen einen Keil zwischen uns treiben wollen, stehen wir noch enger zusammen. Ich habe weder Trent, noch Deion in letzter Zeit häufig in unserer Kabine gesehen." Und doch sollen die in dieser Saison so eingehend beleuchteten Risse zwischen Team und Trainer tiefer geworden sein, wenngleich sich seine Profis in den vergangenen Wochen öffentlich immer vor Harbaugh stellten.

2012, als Peyton Manning plötzlich auf dem Markt und Alex Smith noch der Quarterback in San Francisco war, soll Harbaugh mehr als nur daran interessiert gewesen sein, Manning zu holen. Angeblich stellte Smith seinen Coach deshalb zur Rede, doch Harbaugh soll ihm gegenüber nichts verraten haben - und flog dennoch wenige Tage später nach North Carolina, um sich mit Manning zu treffen. Das soll bei den Routiniers im Team, die heute fast alle noch da sind, für die erste große Rote Flagge gesorgt und Misstrauen gesät haben.

Sorgenkind: Offensive

Anfang Oktober wurde es dann aus internen Quellen publik gemacht, dass Harbaugh das Team verlassen würde, selbst wenn die Niners den Titel gewinnen würden. Intern war er längst zu häufig angeeckt und es soll bei den Team-Bossen Diskussionen gegeben haben, ob man nicht einen ähnlich guten Coach ohne das große Ego finden könnte - womöglich sogar im aktuellen Trainerstab.

Zumal Harbaugh, dessen Team sich trotz der personellen Probleme nach wie vor defensiv vor absolut niemandem verstecken muss, offensiv bestenfalls stagnierte.

Das Run Game klappte hinter der ungewohnt schwachen O-Line (4,1 Yards pro Run-Versuch, 115,4 Rushing-Yards pro Spiel - beides Durchschnitt) überhaupt nicht, was San Francisco letztlich offensiv mit das Genick brach. Die jahrelange Basis ihres Spiels um Frank Gore, der mit Rookie Carlos Hyde sogar zusätzliche Hilfe zur Seite gestellt bekommen hatte, konnte die Offensive plötzlich nicht mehr tragen.

Fragezeichen wegen Kaepernick

Außerdem warf die Umwandlung von Quarterback Colin Kaepernick Fragen auf. Kaepernick, der seine besten NFL-Spiele zweifellos aus der Pistol-Formation mit der Read Option in der Hinterhand abgeliefert hat, sollte nach seiner Vertragsverlängerung im Sommer plötzlich zum Pocket-Passer umfunktioniert werden. Intern wurden angeblich Fragen laut, ob sich Harbaugh mit Kaepernicks Umwandlung selbst profilieren wolle.

Dazu kamen offensichtliche Abstimmungsprobleme zwischen Kaep, ohnehin nicht der präziseste Passer, und seinen Receivern sowie über weite Strecken der Komplettausfall von Vernon Davis. Die Offense hatte ihre Identität verloren. "Das System passt nicht zu Colin Kaepernick", meldete sich Jerry Rice kürzlich erneut zu Wort: "Er läuft kaum mit dem Ball, alles ist komprimiert. Sie ziehen die Defense nicht auseinander, um Running-Lanes zu schaffen. Es ist eine ganz andere Offense."

Das Resultat: Lediglich 17,9 Punkte gelingen San Francisco pro Spiel, nur Tennessee, die Jets, Oakland und Jacksonville sind schlechter. Dabei fällt auf, dass es Harbaugh und seinem Trainer-Team nicht gelingt, in der Halbzeit auf die gegnerische Defensive zu reagieren. Lediglich 67 ihrer 251 Punkte gelangen den 49ers in der zweiten Halbzeit. Kaepernick wartet noch, als einziger Starting-QB dieser Saison, auf einen TD-Pass im vierten Viertel, hat gleichzeitig aber im Schlussviertel bislang vier Picks geworfen und 14 Sacks eingesteckt.

Der Umbruch kommt

Wer auch immer das Team ab Januar trainiert, mit der Defense, zumal dann wieder mit einem fitten Bowman sowie den Rookies Chris Borland und Aaron Lynch, steht der Kern. Die Offense dagegen wird einen kleinen Umbruch durchmachen: Gores Vertrag läuft aus, genau wie die von Receiver Michael Crabtree und Guard Mike Iupati. Dass deren Umwandlung noch in Harbaughs Hand liegen wird, glaubt kaum jemand - längst wird er unter anderem in Oakland sowie bei den Miami Dolphins gehandelt.

Am Sonntag betonte er auf Nachfrage: "Ich bin immer dazu bereit, mich mit dem Eigentümer und dem Geschäftsführer zusammenzusetzen. Keine Frage." Er weiß, dass es dabei, obwohl sein Vertrag noch für ein Jahr läuft, um seine Zukunft gehen wird: "Ja. Früher oder später rechne ich damit." Baalke fügte in seiner Radio-Show hinzu: "Wie wir schon mehrfach erklärt haben: Wenn die Saison endet, werden Entscheidungen getroffen werden. Dann wird es Gespräche geben."

Nach der von Pech und Verletzungen geprägten Pleite in Seattle wirkte Harbaugh bereits ausgelaugt und mitgenommen. Man sah ihm die Spuren der letzten Wochen und Monate förmlich an, als er erklärte: "Ich weiß, dass wir aus dem Playoff-Rennen eliminiert sind." Es war eine Art Last Stand der Harbaugh-Ära in San Francisco, deren Ende sich schon seit Monaten ankündigte - und die wohl keine echte Chance auf ein Happy End hatte.

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