In der Nacht auf Freitag empfangen die Tennessee Titans die Indianapolis Colts, das Spiel (Freitag ab 2.20 Uhr LIVE auf DAZN) dürfte über den Sieg in der AFC South mitentscheiden. Beide Teams befinden sich mitten im Playoff-Kampf, doch beide haben in der ersten Saisonhälfte auch klare Schwachstellen offenbart. Können sich die Titans oder die Colts trotzdem noch in den Kreis der Titelanwärter einreihen?
Fast exakt 19 Jahre ist es her, dass Jim E. Mora nach einer Niederlage gegen die San Francisco 49ers zu einer der skurrilsten Pressekonferenzen in der Geschichte der Colts und vielleicht sogar der NFL ansetzte. Bevor Mora nach der Frage eines Reporters zu seinem legendären "Playoffs? Don't talk about ... Playoffs?!" ansetzte, eröffnete er seine PK damals allerdings noch mit einem anderen Fokus: "Lasst mich zuerst eines sagen: Gebt die Schuld für diese Niederlage nicht der Defense, okay?"
Ein Satz, mit dem Frank Reich seine Pressekonferenz nach der Niederlage gegen die Baltimore Ravens am vergangenen Sonntag ebenfalls hätte beginnen können. Die Colts verzeichneten in dem Spiel neun Tackles for Loss - und das bereits zum zweiten Mal in Folge, in der ersten Halbzeit hielt Indianapolis' Defense die Ravens bei lächerlichen 55 Yards und ließ gerade mal 2,2 Yards pro Play zu.
Insbesondere Darius Leonard stach dabei heraus, der Linebacker verbuchte einen Tackle for Loss, eine Fumble Recovery und 13 Solo-Tackles, so viele wie sonst noch kein Spieler in dieser Saison. Die Stärke der Colts-Defense ist in dieser Spielzeit ein gewohntes Bild, die Unit von Matt Eberflus zählt zu den besten Verteidigungsreihen der Liga, auch wenn das am Sonntag nicht in einem Sieg resultieren sollte.
Die Probleme der Colts liegen in erster Linie auf der anderen Seite des Balls - ähnlich wie es bereits vor 19 Jahren der Fall gewesen war.
Indianapolis Colts: Zahlreiche Probleme in der Offense
Reichs Offense bleibt bisher deutlich hinter den Erwartungen aus dem Sommer zurück. Trotz der angeblich besten Offensive Line der Liga bekommen die Colts derzeit keinerlei konstantes Run Game auf den Rasen. Laut EPA per Play haben einzig die Jets und die Texans, die zusammen auf zwei Siege in 15 Spielen kommen, ein noch ineffizienteres Laufspiel als Indy.
Die Niederlage gegen die Ravens kann dafür symptomatisch angeführt werden und das, obwohl die Colts darin ausnahmsweise sogar auf mehr als 5 Yards pro Carry kamen. Die Gastgeber verwerteten gerade mal zwei von zwölf Third Downs, auch weil sie dem eigenen Laufspiel offensichtlich nicht vertrauten und nur ein einziges Mal bei Third Down liefen (ein Yard Raumgewinn). Selbst als den Colts fünfeinhalb Minuten vor dem Ende bei einem Fourth Down nur wenige Zentimeter zu einem neuen First Down fehlten, entschied sich Reich für ein Pass-Play - ohne Erfolg.
Darüber hinaus scheinen tiefe Pässe in Indys Offense nahezu nicht existent zu sein. Das Team agiert in erster Linie horizontal, vertikale Pässe bilden die Ausnahme und sind, wenn sie denn mal geworfen werden, meist nicht erfolgreich. Gegen die Ravens versuchte sich Philip Rivers sogar mehrfach an tiefen Pässen, kein einziger fand sein Ziel.
Somit mangelt es den Colts offensiv gänzlich an Explosivität, auch weil das Team schlicht über keinen einzigen echten Playmaker verfügt. T.Y. Hilton wirkt, als lägen seine besten Tage hinter ihm, Parris Campbell fällt seit der zweiten Woche der Saison mit einer schweren Knieverletzung aus und Michael Pittman Jr. kann die Offense nicht tragen, zumal der Rookie ohnehin eher als Possession-Receiver denn als explosive Waffe gilt.
Indianapolis Colts: Der nächste Schritt ist ausgeblieben
"Ich glaube, dass wir mit unseren Spielern jedes Spiel gewonnen können. Das glaube ich wirklich", zeigte sich Reich nach der Niederlage gegen die Ravens weiter optimistisch. "Wir haben einen Top-Quarterback, eine Top-O-Line. Das müssen wir jede Woche aufs Neue beweisen. Wir haben einige Male wirklich gut gespielt. Heute sind wir auf eine sehr gute Defense getroffen, eine der besten Defenses der NFL."
In diesem Jahr wirkt diese Erklärung allerdings wenig überzeugend. Über eine solide Offense verfügten die Colts bereits im letzten Jahr, in diesem Jahr sollte das Team in diesem Bereich den nächsten Schritt tun, in erster Linie natürlich durch die Verpflichtung von Rivers.
Bislang ist dieser Schritt allerdings ausgeblieben. In der Folge ist die Situation des Teams aktuell ernüchternd: Die Colts sind gut genug, um schwache Teams zu schlagen, teilweise deutlich zu schlagen. Um gegen wirklich starke Gegner mithalten zu können, scheint Indy allerdings nach wie vor die Qualität zu fehlen.
Tennessee Titans: Starke Offense mit Fragezeichen
Ausgehend von dieser Feststellung stellt sich vor dem Spiel der Colts gegen die Tennessee Titans somit die Frage: Sind die Titans ein wirklich so starker Gegner? Über seine letzten vier Spiele hat das Team von Head Coach Mike Vrabel die Buffalo Bills deutlich geschlagen, allerdings auch gegen die Cincinnati Bengals verloren.
Die Titans verfügen über eine Offense, die jeden Gegner vor Probleme stellen kann. Die Offensive Line scheint in Verbindung mit Bulldozer Derrick Henry selbst nach dem Saisonaus von Taylor Lewan noch gut genug, um ein konstantes und effizientes Run Game aufziehen zu können. Ryan Tannehill brilliert darüber hinaus im darauf aufbauenden Play-Action-Passspiel.
Tannehill macht nur wenige Fehler, attackiert aber dennoch durchaus auch vertikal. Dabei kann der Quarterback auch auf ein verbessertes Receiving Corps setzen: A.J. Brown, Corey Davis, Adam Humphries und Jonnu Smith harmonieren im Verbund noch besser als in der Vorsaison, auch wenn Letzterer nach dem Ausfall von Lewan mehr Aufgaben als Blocker übernehmen muss.
Dennoch umgeben die Offense durchaus Fragezeichen. Tannehill und Co. sind stark auf ein zumindest funktionales Laufspiel angewiesen. In klaren Pass-Situationen, in denen sowohl der Run sowie Play Action keine Faktoren mehr sind, tun sich die Titans deutlich schwerer, das war auch zu Beginn des Spiels gegen die Bears am vergangenen Sonntag zu beobachten.
Tennessee Titans: Viele Enttäuschungen in der Defense
Deutlich größer sind in Tennessee allerdings die Sorgen in der Defense - und das in gleich mehreren Bereichen. Der Pass-Rush hat gegenüber der vergangenen Saison einen Schritt zurück gemacht gemacht, obwohl Jeffery Simmons ein beeindruckendes zweites Jahr spielt. Vic Beasley machte kein einziges Spiel für die Titans und auch Jadeveon Clowney ist bislang eine klare Enttäuschung.
Zudem agiert die Secondary längst nicht auf dem gehobenen Niveau aus der vergangenen Spielzeit. Die Cornerbacks haben im Eins-gegen-eins häufig große Probleme und selbst Kevin Byard, eigentlich Anführer und Star der Titans-Defense, machte in der ersten Saisonhälfte deutlich mehr Fehler als gewohnt.
Zu guter Letzt ist die Laufverteidigung des Teams ein Problem, insbesondere bei Third Down. Die Titans kriegen Gegner viel zu selten vom Feld. Bis Sonntag war Tennessee hier auf historisch schlechtem Kurs, erst eine schwache Bears-Offense, die gerade mal zwei ihrer 15 Third Downs erfolgreich ausspielen konnte, sorgte in diesem statistischen Bereich für Besserung.
Tennessee Titans: Einige Faktoren machen Hoffnung
"Am Ende des Tages fällt die Schuld auf mich", zeigte sich General Manager Jon Robinson in der vergangenen Woche verantwortungsbewusst. "Ich muss einen besseren Job machen." Tatsächlich sind einige der Probleme auf Entscheidungen aus der Offseason zurückzuführen, seien es die Verpflichtungen von Beasley und Clowney oder aber auch die Auswahl von Isaiah Wilson, der bislang noch in keinem Spiel im aktiven Kader der Titans stand, in der ersten Runde des Drafts.
Und doch mögen durchaus einige Faktoren Hoffnung machen, Tennessee steht nicht ganz zufällig bei sechs Siegen aus acht Spielen. Adoree' Jackson steht kurz vor seinem Comeback und dürfte die wacklige Secondary zumindest ein wenig stabilisieren, auch die Verpflichtung von Desmond King verspricht in diesem Mannschaftsteil Besserung, zumal Malcolm Butler bislang eine durchaus respektable Saison spielt.
Neben Simmons, der bislang in jedem Sieg der Titans positiv auffiel, konnten gegen die Bears zudem auch einige andere Defender punkten. Harold Landry verbuchte einen Sack und einen Quarterback Hit, auch DaQuan Jones und Jayon Brown spielten ihre vielleicht besten Spiele der Saison. Auf diesen Leistungen lässt sich aufbauen.
NFL: Begegnung mit besonderer Brisanz
"Ich denke wir befinden uns an einem Punkt, an dem sich entscheiden wird, in welche Richtung sich unsere Saison entwickeln wird", erklärte Vrabel vor dem Spiel gegen die Colts. In der Tat kommt die Begegnung mit besonderer Brisanz daher. Mit einem Sieg könnten die Titans ihren Vorsprung in der AFC South auf zwei Spiele ausbauen, angesichts der anstehenden Spiele wäre das durchaus wichtig.
Trotz des Spiels gegen die noch ungeschlagenen Pittsburgh Steelers weisen die bisherigen Gegner der Titans zusammengerechnet eine negative Bilanz auf, die kommenden drei Spiele haben es im Vergleich dazu durchaus in sich: Nach dem Spiel gegen die Colts trifft Tennessee auf die Ravens, ehe es anschließend erneut gegen Indianapolis geht.
Der Spielplan der Titans ähnelt dem der Colts in dieser Hinsicht stark: Das Reich-Team traf bislang erst auf zwei Teams mit einer positiven Bilanz, zwischen den Begegnungen gegen die Titans treffen die Colts zudem auf die Green Bay Packers. Bereits vor dem Saisonstart war den meisten Fans der Colts bewusst gewesen, dass die Spiele in der Mitte der Saison gegen die Ravens, Titans, Packers und Co. für das Team zu den Wochen der Wahrheit werden würden.
Sowohl die Colts als auch die Titans gingen mit der Hoffnung, sich in den Kreis der Contender aufschwingen zu können, in die Saison. Und beide Teams hoffen nach wie vor - trotz so mancher offensichtlicher Probleme in der ersten Saisonhälfte. Die kommenden Wochen werden nun zeigen, ob eine der beiden Franchises zu den besten Teams der Liga gezählt werden darf. Das direkte Aufeinandertreffen in der Nach auf Freitag wird der erste Indikator dafür sein.
NFL: Die Tabelle in der AFC South
Platz | Team | Siege | Niederlagen | Punkte-Differenz |
1 | Tennessee Titans | 6 | 2 | +31 |
2 | Indianapolis Colts | 5 | 3 | +48 |
3 | Houston Texans | 2 | 6 | -49 |
4 | Jacksonville Jaguars | 1 | 7 | -54 |
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