In der NFL beginnt der lange Sommer - die rund fünf bis sechs Wochen vor dem Training Camp, in denen die Spieler im Urlaub sind und die Liga ihre ruhigste Periode des Jahres erlebt. Somit ist es die beste Zeit für eine tiefergehende Auswertung der Vorsaison: Welche statistischen Auffälligkeiten lassen sich feststellen? Wo gibt es möglicherweise Trends? Und worauf sollte man sich in der kommenden Saison möglicherweise noch stärker einstellen? SPOX-Redakteur Adrian Franke blickt in seiner NFL-Kolumne auf die Zahlen.
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Das Passspiel dominiert, für ein gutes Play-Action-Passspiel benötigt man ein gutes Run Game, die Base Defense hat ihren Namen längst nicht mehr verdient, Kurzpass-Offenses dominieren - so viele Stat- und Storylines stehen am Ende einer NFL-Saison, durch die man sich erst einmal arbeiten muss.
Welche Trends sind richtig? Welche sind auffällig und möglicherweise schon Wegweiser für die Zukunft? Um diese Fragen geht es in der heutigen Ausgabe der "Third and Long"-Kolumne. Und dabei fällt auf: In einigen Aspekten kann man die 2017er Saison im Vergleich der vergangenen Jahre durchaus als Anomalie bezeichnen.
NFL: Immer mehr und mehr Passspiel - oder?
Ein Narrativ, das jeder immer wieder hört: Das Passspiel dominiert alles. Mit Blick auf den Ausgang von Spielen - also die Bedeutung - ist das auch richtig, das Passspiel ist viel wichtiger. Quantitativ allerdings war die vergangene Saison eine auffällige Anomalie, nach jahrelang konstanten Trends.
So waren die Passing-Yards pro Spiel auf dem tiefsten Wert seit 2010 (224,4 Yards - zum Vergleich: 2016 waren es 241,5 Passing-Yards pro Spiel). Teams erreichten pro Spiel 11,6 Mal über den Pass ein neues First Down. Auch hier muss man bis 2010 zurückgehen, um einen niedrigeren Wert zu finden.
NFL Stats: First Downs via Pass pro Spiel
Jahr | First Downs via Pass pro Spiel |
2017 | 11,6 |
2016 | 12,4 |
2015 | 12,3 |
2014 | 12,3 |
2013 | 12,1 |
2012 | 12,0 |
2011 | 11,7 |
2010 | 11,5 |
Die durchschnittlichen Runs pro Spiel pro Team auf der anderen Seite waren bis 2011 noch nie unter 27 gefallen. Dann fand ein konstanter Rückgang statt. Bis zur vergangenen Saison.
NFL Stats: Runs pro Team und Spiel
Jahr | Runs pro Team und Spiel |
2017 | 26,9 |
2016 | 26,0 |
2015 | 26,3 |
2014 | 26,7 |
2013 | 27,1 |
2012 | 27,2 |
2011 | 27,3 |
Auch gab es erstmals seit 2014 wieder vier Teams mit über 30 Runs pro Spiel:
- 2017: 4 Teams über 30: Buffalo (30,4), Carolina (30,6), Minnesota (31,3), Jacksonville (32,9)
- 2016: 3 Teams über 30: New England (30,1), Buffalo (30,8), Dallas (31,2)
- 2015: 3 Teams über 30: Seattle (31,2), Buffalo (31,8), Carolina (32,9)
- 2014: 5 Teams über 30: Cincinnati (30,8), Jets (31,7), Dallas (31,8), Seattle (32,8), Houston (34,4)
- 2013: 8 Teams über 30: Cincinnati (30,1), Carolina (30,2), Chargers (30,4), Jets (30,8), Philadelphia (31,2), San Francisco (31,6), Seattle (31,8), Buffalo (34,1)
- 2012: 9 Teams über 30: Denver (30,1), Minnesota (30,4), San Francisco (30,8), Jets (30,9), Kansas City (31,2), Houston (31,8), Washington (32,4), New England (32,7), Seattle (33,5)
Die Rushing-Yards pro Play waren dabei seit 2013 sehr stabil (4,2 - 4,2 - 4,1 - 4,2 - 4,1).
Auch in der Effizienz in puncto Raumgewinn war 2017 im Passspiel dagegen ein Rückgang festzustellen. Die Net Yards pro Pass, in die Sacks mit einberechnet werden, waren seit 2005 nahezu konstant ansteigend, von 5,9 auf 6,4. 2017 fand hier erstmals ein Rückgang von mehr als 0,2 Yards statt, die Net Yards pro Pass fielen auf 6,1. Einen Rückgang um 0,3 Yards hatte es zuletzt von 1972 auf 1973 (5,7 auf 5,3) gegeben.
Auch die Adjusted Net Yards pro Pass, in die neben Sacks auch Interceptions und Touchdown-Pässe mit rein zählen - also eine der umfassendsten Pass-Statistiken - bestätigen diesen Trend: Hier waren Quarterbacks 2017 (5,9 - 2016: 6,2) auf dem niedrigsten Wert seit 2013, die Yards pro Reception (11,3) waren gar auf dem tiefsten Wert seit 2007. In der Folge waren auch die Yards pro Play (5,3) auf dem tiefsten Wert seit 2010.
Teams werden konservativer - schließt sich der Kreis?
Was verrät das? Es zeigt in gewissem Maße eine Rückkehr zu einer konservativeren Herangehensweise. Bei 1st&10 liefen Teams in der vergangenen Saison noch immer in 53 Prozent (!) der Fälle.
Auch die Formationen verraten hier einiges, denn zum ersten Mal seit Jahren befindet sich der Einsatz von 11-Personnel (also drei Wide Receiver, ein Tight End, ein Running Back) prozentual auf dem Rückgang: von 2011 bis 2016 war diese Zahl konstant von 40 auf 60 Prozent angestiegen, in der vergangenen Saison fiel sie erstmals auf 59 Prozent zurück. Und das liegt nicht an Spread-Offenses, denn die 4-Receiver-Sets waren von 2016 auf 2017 sogar rückläufig. Dafür ging 13-Personnel (ein RB, drei TE) hoch.
Zwei Erklärungsansätze liegen auf der Hand: einmal der Versuch, aus "leichteren" Defense-Fronts Kapital zu schlagen. Von 2008 auf 2015 kletterte der Anteil der Plays mit fünf oder mehr Defensive Backs laut Pro Football Focus von 43,4 auf 63,4 Prozent, seither hat es sich in diesem Bereich stabilisiert.
Die noch immer als Sub-Package bezeichneten Aufstellungen sind also die eigentliche neue Base-Defense, der dritte Cornerback (oder bei manchen Teams der dritte Safety) sind eher ein Starter als einer der Linebacker. So wird die Defense stärker gegen den Pass, gegen den Run können aber physische Nachteile entstehen. Die fast durch die Bank weg auffälligen Anstiege in der Nutzung des Run Games sind eine potentielle Antwort darauf und man kann schon 2018 eine Reaktion der Defenses - etwa durch 3-Safety-Pakete - erwarten.
Der andere Erklärungsansatz betrifft die Quarterback-Situation. Von den vier Teams mit über 30 Runs pro Spiel waren die Jaguars und die Bills bemüht, möglichst viel von den Schultern ihrer Quarterbacks zu nehmen. Bei den Vikings traf das nach der Bradford-Verletzung zumindest in Maßen ebenfalls zu, während bei Carolina der Quarterback ein elementarer Bestandteil des Run Games ist.
Und diese Liste lässt sich fortsetzen: In der weiteren Top-10 was Runs pro Spiel angeht waren mit den Colts, den Broncos und den Ravens drei weitere Teams, die 2017 bemüht waren, ihren Quarterback zu "verstecken". Die Cowboys (Rang 5) sind ebenfalls stark auf das Run Game ausgerichtet und die Rams (Rang 9) haben neben ihren Passing-Designs ebenfalls Jared Goff über das Run Game deutlich unter die Arme gegriffen.
Das Kurzpassspiel ist das dominante Offense-Stilmittel
Der oben genannte Rückgang was die Yards pro Reception und die (Adjusted) Net Yards pro Pass angeht hat derweil andere Gründe: Die Kurzpass-Offense dominiert das Bild in der NFL, und das in ganz großem Stil.
Das zeigt einerseits die prozentual massive Anzahl der Pässe, die nicht weiter als zehn Yards flogen.
NFL Passing Statistiken 2017: Kurzpassspiel
Platzierung | Spieler (Team) | Pässe gesamt | Pässe vor der LoS (Prozent) | Pässe 1-10 Yards (Prozent) |
1. | Trevor Siemian (Broncos) | 349 | 42 (12%) | 188 (53,9%) |
2. | Dak Prescott (Cowboys) | 490 | 61 (12,4%) | 263 (53,7%) |
3. | Josh McCown (Jets) | 397 | 82 (20,7%) | 210 (52,9%) |
4. | Eli Manning (Giants) | 571 | 98 (17,2%) | 296 (51,8%) |
5. | Aaron Rodgers (Packers) | 238 | 53 (22,3%) | 121 (50,8%) |
6. | Carson Wentz (Eagles) | 440 | 65 (14,8%) | 215 (48,9%) |
7. | Joe Flacco (Ravens) | 549 | 112 (20,4%) | 268 (48,8%) |
8. | Jacoby Brissett (Colts) | 469 | 96 (20,5%) | 227 (48,4%) |
9. | Tyrod Taylor (Bills) | 420 | 77 (18,3%) | 202 (48,1%) |
10. | Matt Ryan (Falcons) | 529 | 67 (12,7%) | 254 (48%) |
11. | Russell Wilson (Seahawks) | 553 | 86 (15,6%) | 253 (47,8%) |
12. | Brett Hundley (Packers) | 316 | 74 (23,4%) | 150 (47,5%) |
Zahlen von ESPN und Inside the Pylon. Quarterbacks sind nach prozentualen Pässen in der 1-10-Yard-Range sortiert.
Ergänzend hierzu: Fünf Quarterbacks mit mindestens 225 Passversuchen haben insgesamt 70 Prozent ihrer Pässe zehn Yards oder kürzer geworfen: Josh McCown (73,6%), Aaron Rodgers (73,1%), Alex Smith (72,2%), Drew Brees (71,5%) und Brett Hundley (70,9%). Kein Quarterback mit über 200 Pässen hat weniger als zehn Prozent davon vor die Line of Scrimmage geworfen.
Screens und kurze Pässe sind das bevorzugte Mittel der Wahl: Quarterbacks bekamen den Ball in den vergangenen Jahren im Schnitt in 2,67 Sekunden weg, von 2011 bis 2013 waren es noch 2,77 Sekunden. Das macht Interior-Pressure noch wichtiger, da Verteidiger so den schnelleren Weg zum Quarterback haben. Interior-Pressure hat ohnehin eine größere Auswirkung auf die Offense als Edge-Pressure.
Und weiter: Während 2016 noch 14 Quarterbacks mit mindestens 200 Pässen auf über 9,5 Intended Air Yards pro Pass kamen (also wie weit sie den Ball im Schnitt werfen), erreichten in der vergangenen Saison nur acht Quarterbacks mit wenigstens 200 Pässen diesen Wert.
Nur drei Quarterbacks waren in beiden Jahren in der Top-10: Ben Roethlisberger (2016: 9,9/2017:9,5), Carson Palmer (10,2/9,7) und Jameis Winston (10,8/10,7). Und mit Arizonas Downfield-Offense bricht nach dem Rücktritt von Bruce Arians ein verlässlicher Stat-Lieferant weg: In der Vorsaison waren alle drei Cardinals-Quarterbacks - Drew Stanton (10,8), Palmer und Blaine Gabbert (9,5) - in der Top-10. Auch wenn Stanton (159 Pässe) und Gabbert (171) für meine oben gelistete Auswertung nicht zählen.
Eine weitere Statistik, die diesen Trend bestätigt: 2016 warfen noch 19 Quarterbacks (wieder: Minimum 200 Pässe) im Schnitt bis zum oder weiter als den First-Down-Marker. 2017 ging diese Zahl auf 12 QBs zurück.
NFL: Der Siegeszug der Run Pass Option
Zusammenfassung bis dato: Teams werden konservativer, sei es in der rein nummerischen Nutzung des Run Games oder auch in der Art und Weise, wie das eigene Passing Game aufgezogen wird. Das Kurzpassspiel bestimmt hier das Denken und hilft dabei, die bei so vielen Teams eklatanten O-Line-Probleme zu kaschieren.
Ein anderes Stilmittel hierfür ist spätestens seit dem Super-Bowl-Triumph der Eagles jedem geläufig sein dürfte, sind die Run Pass Options. Philly nutzte die RPOs bei insgesamt 207 Plays inklusive der Playoffs, mehr als irgendein anderes Team. Auch in der Regular Season führte Philadelphia diese Statistik mit 181 RPOs an, vor Kansas City (168) und Green Bay (143).
Der Liga-Schnitt lag bei 63, Baltimore rangierte mit lediglich elf gespielten Run Pass Options auf dem letzten Platz - und die ligaweite Completion Percentage bei Run Pass Options lag 2017 bei 78 Prozent. Zum Vergleich: Der gesamte Passing-Completion-Schnitt 2017 war 62,1 Prozent, übrigens ebenfalls der tiefste Wert seit 2013. Man kann getrost davon ausgehen, dass RPOs in der kommenden Saison eine noch größere Rolle einnehmen werden.
NFL: Play Action hilft (fast) jedem
Die zweite Option neben den RPOs, um dem Quarterback signifikant unter die Arme zu greifen, ist das gute alte Play-Action-Passspiel - das unerklärlicherweise noch immer von Teams (Raiders, ich schaue in eure Richtung) mitunter äußerst stiefmütterlich behandelt wird. Dabei sind die Erfolge offensichtlich, ich empfehle hierfür auch diese Pro-Football-Focus-Analyse zu dem Thema.
Daraus ist unter anderem zu entnehmen, dass über die letzten drei Jahre nahezu jeder Quarterback (mindestens 850 Pässe) einen Anstieg seines Passer-Ratings mit Play Action verbuchen konnte. Die einzigen Ausnahmen: Aaron Rodgers (dessen Passer-Rating ohne Play Action über diesen Zeitraum schon derart hoch ist, dass der Unterschied zu Play Action schlicht sehr gering ist), Derek Carr, Ben Roethlisberger und Joe Flacco.
Football Outsiders hat zudem die Play-Action-Zahlen von 2011 bis 2017 ausgewertet, dabei wird klar: Teams verzeichnen bei 1st&10 fast zwei volle Yards pro Play mehr (8,2 vs. 6,4) bei Play Action, verglichen mit anderen Pässen. Die Diskrepanz ist bei anderen Spielsituationen nicht mehr ganz so hoch, generell aber erzielen Play-Action-Pässe fast durch die Bank weg größere Raumgewinne. Ausgenommen: 3rd&3-10, hier ist die Yards-pro-Play-Zahl identisch.
Play Action - und der Mythos des Zusammenhangs
Letzteres ist eine gute Überleitung auf einen anderen zentralen Punkt: Wichtig für ein gutes Play-Action-Passspiel ist nicht das Run Game selbst - entscheidend sind Spielsituation, Ausübung des Fakes und die Unvorhersehbarkeit der eigenen Formation. In langen Third-Down-Situationen ist rein taktisch die Bedrohung durch das Run Game - unabhängig davon, wie gut das Run Game ist - geringer; schlicht und ergreifend weil ein Laufspielzug unwahrscheinlicher ist. Deshalb ist Play Action hier ineffizienter.
Die große Diskrepanz bei 1st&10 dagegen zeigt: Defenses erwarten (wie oben anhand der Laufspielzüge bei diesem Down aufgezeigt zurecht) hier häufiger einen Run, sind am ehesten in ihrer Base-Formation. Wenig überraschend ist das Play-Action-Passspiel am erfolgreichsten (8,3 Yards pro Play) bei 1st&10 mit dem Quarterback Under Center.
Die Qualität des eigenen Run Games dagegen hat keine Auswirkungen auf die Qualität des Play Action Games. So lässt sich kein statistischer Zusammenhang zwischen den Yards pro Run und den Yards pro Play Action Pass feststellen. Die PFF-Studie zeigt vielmehr auf, dass auch schlechte Rushing-Teams (Teams mit unter 3,5 Yards pro Run) bei normalen vs. Play-Action-Pässen den gleichen Anstieg im Passer Rating sehen.
Die Patriots sind hier einmal mehr am Puls der Zeit: Laut PFF hatte New England 2016 das beste Play-Action-Passer-Rating (131,6) und prompt warf Tom Brady 2017 insgesamt 151 Play-Action-Pässe, mehr als irgendein anderer Quarterback in einer Saison über die vergangenen drei Jahre. Wenn wir davon ausgehen, dass Run Pass Options eine größere Rolle einnehmen, dann sollten die drastischen Erfolge etwa von Case Keenum und Marcus Mariota Teams auch dazu inspirieren, der Defense durch mehr Play Action das Leben noch schwerer zu machen.
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Markus Bombe: RPOs waren letzte Saison ja der "neue" Trend in der NFL. Ist schon erkennbar, ob andere Konzepte aus dem College-Football vermehrt in die Playbooks der NFL-Teams aufgenommen werden?
Vielleicht nicht so sehr das große neue Konzept, sondern eher einzelne Aspekte. Ich denke, dass wir nach dem Erfolg der Eagles beispielsweise einen generellen Anstieg der Run Pass Options sehen werden - und das ist gleich eine gute Überleitung: Option Plays machen das Spiel für den Quarterback leichter, und auch in der NFL ist inzwischen angekommen, dass man keinen mobilen Quarterback benötigt, um davon zu profitieren.
Elemente wie die Shovel-Option - wo der Quarterback meist den Ball entweder zur Seite pitchen oder in die Mitte, also als Shovel-Pass, werfen kann - werden ebenfalls häufiger zu sehen sein. Auch hier hatten unter anderem die Chiefs und die Panthers in der vergangenen Saison Erfolg.
Carolina war eines der Teams, das zusätzlich auch die Triple Option nutzte. Hier dürften Teams mit mobilen Quarterbacks noch mutiger werden. Misdirection- und Fake-Elemente kommen weiter dazu, um Defenses das Lesen eines Spielzugs immer schwerer zu machen, und dem eigenen Quarterback die Arbeit zu erleichtern.
Ohne zu viel zu verraten: College-Football und seine Prägungen werden zeitnah hier auf SPOX noch ausführlicher besprochen!
LarryFitz: Wer sind für dich die überschätztesten Spieler der Liga? Gerade auch in puncto Überbezahlung?
Keine komplette Liste, aber einige der größeren Namen, die mir zu der Frage aus finanzieller Sicht einfallen:
- Clay Matthews, OLB, Packers: Vor dem Start der Free Agency hatte ich gesagt, dass in meinen Augen Matthews und Jordy Nelson in Green Bay ihren aktuellen Verträgen nicht mehr gerecht werden. Bei Nelson gab es bekanntermaßen die Entlassung - Matthews dagegen ist nach wie vor in der Top-10 was Cap Hit 2018 und durchschnittliches Jahresgehalt angeht. Dabei liegen seine Zeiten als dominanter Pass-Rusher doch ordentlich zurück, und bei den Inside Linebackern ist er in Green Bay zu Recht nur zweite Wahl.
- Jarvis Landry, WR, Browns: Die Browns müssen Spielern mehr bieten als andere Teams, das bringt ein Jahrzehnt gefüllt mit sportlichen Negativ-Höhepunkten mit sich. Deshalb macht es auch Sinn, für einen Spieler wie Landry zu traden - auf dem freien Markt wäre die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein solcher Spieler für Cleveland entscheidet, deutlich geringer. Ihn dann aber gleich zum drittbestbezahlten Wide Receiver der NFL zu machen (15,1 Mio/Jahr, 47 Mio. garantiert) ist doch sehr heftig, zumindest wenn man sich Landrys Rolle in Miami ins Gedächtnis ruft. Cleveland MUSS andere sportliche Ideen mit ihm haben, sonst ist der Vertrag kaum zu rechtfertigen.
- Joe Flacco, QB, Ravens: Einer der schlimmsten Verträge der vergangenen Jahre war der Vertrag, den Flacco nach dem Super-Bowl-Sieg erhielt - und der wurde gar nochmals um drei Jahre (66,4 Mio./44 Mio. garantiert) verlängert. Flacco ist in puncto jährliches Einkommen der neuntbestbezahlte Quarterback der NFL und hat von allen Spielern der Liga 2018 den vierthöchsten Cap Hit (24,75 Mio. Dollar). Flacco ist jetzt schon seit einer Weile ein unterdurchschnittlicher Quarterback, mit wenigen Ausreißern nach oben und einigen Abstürzen nach unten. Der Flacco-Vertrag hat den Ravens mit Blick auf die gesamte Team-Planung schwerere Handschellen angelegt, als nahezu jeder andere Vertrag bei einem anderen Team in den vergangenen Jahren.
- Derek Carr, QB, Raiders: "Überschätzt" ist in dem Zusammenhang zu hart, "Fragezeichen" passt eher. Und dafür ist der Vertrag natürlich stolz dotiert: Einerseits ist es schwierig, den Raiders hier einen zu großen Vorwurf zu machen - Starting-Quarterbacks haben eine gewisse finanzielle Base-Line, die bei einem neuen Vertrag immer überschritten wird. Ich bin bei Carr allerdings noch immer nicht ganz sicher, ob er wirklich mal zu den Top-Quarterbacks der Liga - wie es sein Gehalt (vierthöchstes Jahresgehalt, siebtmeiste Garantien) nahelegen würde - zählen wird. Die erste Saison unter Gruden wird da ein wichtiger Wegweiser, Carr muss lernen, gegen Pressure konstanter und in seinem Spiel flexibler zu werden, wenn die Defense seine bevorzugten Optionen ausschaltet.
- Trumaine Johnson, CB, Jets: Hat nicht umsonst zwei Mal in Folge den Franchise Tag von den Rams bekommen, L.A. wollte ihm keinen Mega-Vertrag geben. Das übernahmen dann die Jets kurzerhand und machten ihn zu einem Top-3-Cornerback in puncto durchschnittliches Jahresgehalt und garantiertes Gehalt. Johnson ist ein solider All-Around-Cornerback - allerdings sportlich in meinen Augen nicht einmal in der Top-10 auf seiner Position.
Matthias Krüger: Was traust du den Lions unter Matt Patricia wirklich zu? Für mich fliegen die ein wenig unter dem Radar.
Ich sehe die Lions leider wie so häufig vor der Saison im ganz obersten Mittelmaß, und gleichzeitig deutlich unter der Spitzengruppe - obwohl sie einen Top-10-Quarterback haben. Das Passspiel wird wieder gut sein, auch wenn die Tight-End-Position noch ein Fragezeichen ist. Das Run Game wir definitiv besser sein als letztes Jahr.
Meine größte Frage ist und bleibt aber, wie Detroit den Pass verteidigt. Die Secondary hat einige sehr gute Säulen, doch nur wenn der Pass-Rush konstant funktioniert, werden die Lions auf höherem Level mithalten können. Ansonsten sehe ich wieder die Qualität für neun, zehn Siege, aber nicht für mehr.
Pzzl: Finden Rodgers beziehungsweise die Packers unter dem neuen, altbekannten Offensive Coordinator Joe Philbin wieder zu gewohnter Form? Kann 2010 wiederholt werden?
Ich hatte ja in meiner Kolumne letzte Woche bereits ausführlich über die Packers-Offense geschrieben, allerdings eher analytisch als mit Meinung. Meine Prognose: Green Bay wird - auch wenn gerade das WR-Corps doch noch mit einigen Fragezeichen daherkommt - wieder eine der ligaweiten Top-Offenses stellen.
Wir haben letztes Jahr schon einen Anstieg von Run Pass Options sowie eine Tendenz, von den Isolation-Routes weg zu gehen, gesehen und ich denke, das setzt sich fort. Gelingt es Philbin und Mike McCarthy, Rodgers' Improvisationsfähigkeiten mit einer offensiven Struktur zu kombinieren, hätte Green Bay eine vor allem konstant brandgefährliche Offense.
Gordon Shumway: Mal aus Vertragsgesichtspunkten: Wie lange ist das Titelfenster für die Steelers noch geöffnet? Gefühlt geht's seit Jahren immer ins letzte mögliche Titeljahr.
Unter dem Strich ist das Steelers-Titelfenster so lange offen, wie Ben Roethlisberger noch auf hohem Level spielt - und somit ist es eine absolute Wundertüte, immerhin hat Big Ben schon mehr als ein Mal offen mit seinem Rücktritt kokettiert. Sein Vertrag endet nach der übernächsten Saison, insofern wäre das tendenziell meine erste Antwort. Auch, weil in der Offensive und die Defensive Line mehrere Leistungsträger ebenfalls bis 2020 und 2021 gebunden sind.
Allerdings würde dieses Titelfenster etwas kleiner werden, wenn man sich - und davon gehe ich zunehmend aus - mit Le'Veon Bell nicht einigen und ihn nach der kommenden Saison ziehen lassen wird.
BrunoKoslovski82: Warum gibt es auf der Position des Quarterbacks keine Rotation? Vor allem wenn ich zwei komplett unterschiedliche QBs habe, könnte ich die Defense dadurch situativ attackieren. Bei den Ravens beispielsweise könnte man Jackson in der Red Zone einsetzen (zusätzliche Gefahr durch seine Athletik/Runs).
Man kann nicht generell sagen, dass ein solcher Ansatz nicht funktioniert. Aber ich denke, das Gegenteil ist der Fall, und es wäre eher schwieriger, so erfolgreich zu sein. Ein maßgeblicher Grund ist die Tatsache, dass eine normale NFL-Offense schon ziemlich ausgeprägt und komplex ist - und natürlich auch den Stärken des eigenen Quarterbacks entspricht. Diese Offense wird über den Sommer installiert beziehungsweise an einigen Schrauben gedreht.
Somit sprechen wir bei allem anderen von zusätzlichen Gimmick-Plays, in deinem Beispiel also: Die normale Offense läuft über Joe Flacco, Lamar Jackson kommt in bestimmten Situationen für bestimmte Plays rein.
Was würde hier passieren?
Zunächst einmal muss jeder Receiver, Lineman und Running Back in der ohnehin stark limitierten Trainingszeit noch zusätzliche Plays lernen, statt an der "Joe Flacco"-Offense zu arbeiten. Man würde seinem Starting-Quarterback also wertvolle Trainings-Snaps nehmen, um ein Gimmick-Play-Paket zu installieren. Die Receiver müssten sich auf einen anderen Quarterback gewöhnen, die Linemen plötzlich für den mobilsten Quarterback der Liga, statt für einen klassischen Pocket-Passer blocken.
Außerdem wird die die Defense recht schnell wissen, dass jetzt eines dieser Gimmick-Plays kommt, sobald Jackson das Feld betritt. Möglicherweise wäre hier gelegentlich ein Überraschungseffekt möglich, der würde aber schnell verpuffen, sobald es die Plays der "Lamar Jackson"-Offense auf Tape gibt. Und sobald Jackson so weit ist, eine volle Offense umzusetzen (oder die Offense insgesamt besser funktioniert, wenn Jackson der Quarterback ist), sollte man ihn einfach direkt starten lassen.
Ganz abgesehen also von Argumenten wie Spielrhythmus, Spielfluss, Timing und so weiter überwiegen für mich die Nachteile der Idee.