Top 10: Die wichtigsten Erkenntnisse aus Woche 12 in der NFL

Von Adrian Franke
30. November 202010:50
SPOX-Redakteur Adrian Franke blickt zurück auf Woche 12 in der NFL.getty
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Woche 12 in der NFL brachte das womöglich letzte Matchup zwischen Mahomes und Brady - mit dem besseren Ende für Mahomes. Doch warum wurde es eigentlich nochmal so eng? Außerdem: Der komplette Quarterback-Wahnsinn in Denver, ein knallharter Realitäts-Check für die Cardinals, neue Machtverhältnisse in der AFC South - und wer sind die Raiders wirklich? SPOX-Redakteur Adrian Franke bringt Euch am Montag auf Stand mit seinen zehn wichtigsten Punkten und Einschätzungen zum vergangenen NFL-Sonntag, alle Recaps vom Sonntag gibt es hier.

Top 10 - die Takeaways zu Week 12 in der NFL

1. Der komplette Irrsinn in Denver

Selbst unter der unbestreitbaren Prämisse, dass es eine in jeder Hinsicht ungewöhnliche Saison ist - das, was da in Denver am Sonntag passierte, setzt allem bisher noch die Krone auf. Am Samstagabend wurde bekannt, dass die Broncos gegen die Saints ohne ihre vier Quarterbacks Drew Lock, Jeff Driskel, Brett Rypien und Blake Bortles auskommen müssen. Driskel war am Donnerstag positiv auf Corona getestet worden, die anderen drei wurden am Samstag als Hochrisiko-Kontaktpersonen identifiziert und entsprechend der NFL-Protokolle isoliert.

Ein Einsatz am Sonntag wurde damit unmöglich, und Denver hätte auch keine Chance gehabt, noch einen Quarterback kurzfristig zu verpflichten und den dann einzusetzen. Auch hierfür müssen entsprechende Protokolle befolgt und mehrere negative Corona-Tests absolviert werden, bis zum Spiel am Sonntag war dafür schlicht nicht genug Zeit.

Vor allem aber waren verschiedene Seiten im Zuge der jüngsten Entwicklungen nur zu schnell bereit, uninformierte Takes in die Social-Media-Stratosphäre zu feuern: Die Liga würde die Ravens - deren Spiel gegen Pittsburgh wegen inzwischen 20 Spielern auf der Covid-19-Liste bereits zum zweiten Mal verschoben wurde - bevorzugen; Denver dagegen müsse ohne Quarterbacks antreten.

Man kann die Protokolle der Liga kritisieren, der Liga aber keine Bevorzugung vorwerfen: In den eigenen Protokollen ist die NFL konstant. Die Ravens (inzwischen auch die Steelers) hatten noch bis zum Spieltag selbst neue positive Tests - Driskels positiver Test in Denver kam am Donnerstag. Informationen von The Athletic zufolge waren Denvers Quarterbacks in den Gesprächen, um die Kontakte zu Driskel offenzulegen, zunächst aber nicht ehrlich. Erst später kam - so die Berichte - heraus, dass Denvers Quarterbacks längere Zeit ohne Masken und ohne die Tracking-Devices zusammen waren. Das würde auch die Verspätung im gesamten Prozess erklären.

Sollte sich das bestätigen, werden die Broncos dafür hart bestraft werden - zu Recht. Und auch die Ravens werden bestraft werden, der Ausbruch in Baltimore geht offenbar ebenfalls auf eine Verletzung der Maskenpflicht zurück. Die Liga hat gerade die Saints und Patriots bestraft. Die Broncos mussten am Sonntag aber spielen, weil der positive Test drei Tage vor Kickoff war, während die Ravens am Donnerstag und am Sonntag weiter positive Tests hatten.

Es geht nicht darum, Baltimore Aufschub zu geben, weil Lamar Jackson positiv getestet wurde - der könnte auch am Dienstag nicht spielen. Es geht darum, halbwegs sicher zu stellen, dass die Ravens als Auswärtsteam reisen können, ohne dass ansteckende Spieler mit dem Rest des Teams reisen. In Denver war man anhand der Kontaktüberprüfung davon überzeugt, dass zwar die Quarterbacks isoliert werden müssen, der Rest des Teams jedoch nicht gefährdet ist. Das ist der krasse Gegensatz zur Situation in Baltimore, die längst außer Kontrolle ist. Wann die Ravens wieder "sicher" reisen können ist noch immer unklar.

Im Endeffekt sind die Broncos - so die Berichte stimmen - komplett selbst dafür verantwortlich, dass sie dieses Spiel ohne einen ihrer etatmäßigen Quarterbacks spielen mussten. Aus Team-Sicht, weil sie keinen der vier (!) Quarterbacks generell vom Rest isolierten - und natürlich die Spieler, weil sie offenbar der Meinung waren, dass die ganze Masken- und Contact-Tracing-Sache für sie nicht so wichtig ist. Umso wichtiger, dass Vic Fangio nach dem Spiel ein klares Statement dazu abgab, das man nur unterschreiben kann.

Saints: Wie geht es weiter mit Taysom Hill?

Practice-Squad-Receiver Kendall Hinton sprang also als Notfall-Quarterback ein. Hinton hatte mehrere Jahre im College für Wake Forest Quarterback gespielt, ehe er in seiner letzten Saison auf Slot-Receiver umschulte. Einen Antrag der Broncos, Offensive Quality Control Coach Rob Calabrese (Ex-UCF-Quarterback) als Quarterback starten zu lassen, lehnte die Liga am Sonntag ab. Kompletter Wahnsinn.

Das Spiel lief dann in etwa so, wie man es sich erwarten konnte. Die Broncos konnten durch die Luft überhaupt nichts machen, spielten aber gleichzeitig auch nicht ansatzweise in dem Ausmaß eine Option-Offense, wie man es sich vielleicht vorgestellt hätte - was Hinton auch gelegen und ihn deutlich entlastet hätte. Gleichzeitig hatte Denver natürlich auch quasi keine Zeit, derartige Spielzüge irgendwie ausgeprägter einzustudieren, das sollte man nicht vergessen. Die Broncos hatten offensiv erwartungsgemäß keine Chance, die 112 Offense-Yards bedeuten den fünftniedrigsten Wert in der Franchise-Geschichte.

Aber nicht unerwähnt in dem gesamten Broncos-Chaos sollte die Vorstellung von Taysom Hill bleiben. Gegen die Falcons war er zweifellos eine positive Überraschung, aber selbst letzte Woche schien der Hype übertrieben. Gegen eine deutlich bessere Broncos-Defense wurde Hills extrem langsamer gesamter mentaler Prozess in der Pocket deutlich. Mehrfach war er spät mit seinen Reads, hielt den Ball zu lange. Antizipation fehlt häufig komplett und im Laufe des Spiels wurde er dann auch mehr als Power-Runner als als Passer eingesetzt.

Seine Limitierungen sind deutlich sichtbar, auch wenn es im Endeffekt gegen ein desolates Falcons-Team sowie gegen diese Broncos keinen Unterschied ausmachte. Bisher musste er nur relativ wenig "Quarterback spielen". Vielleicht bieten die Falcons im zweiten Spiel eine bessere Prüfung, um mehr über Hill zu erfahren. Bisher hat er unter dem Strich nicht viel zeigen müssen, aber er hat auch wenig gezeigt, das eine steile Quarterback-Entwicklung vermuten lassen würde.

Skepsis bleibt hier angebracht, angesichts seines Vertrags für 2021 werden wir aber noch weitere Kostproben und damit zumindest weitere Datenpunkte erhalten.

2. Die Chiefs - der einzige Titelanwärter?

"Machtdemonstration" wäre fast noch zu nett ausgedrückt für das, was die Chiefs im ersten Viertel mit Tampa Bay machten. 17:0 stand es, und Kansas City, mehr oder weniger ohne den Versuch, gegen die starke Bucs-Run-Defense den Ball überhaupt zu laufen, zerlegte Tampa durch die Luft komplett.

Von "Man Coverage ohne Safety-Hilfe dahinter. Das sehen wir nicht allzu häufig", sprach Patrick Mahomes nach der Partie ganz unverblümt. Gemeint war vor allem der arme Carlton Davis, dem Mahomes und Tyreek Hill Albträume für mehrere Nächte bescherten, wann immer Davis alleine gegen Hill stand.

Tampa war offensichtlich mit dem Plan in die Partie gegangen, Davis einen Versuch auf dieses Eins-gegen-Eins-Matchup zu geben, um im Idealfall so viel mehr defensive Flexibilität außerhalb dieses Matchups zu erhalten. Doch wer das gegen KC testet, kann eben schnell mehrere Big Plays eingeschenkt bekommen. Hill ging noch im ersten Viertel über 200 Receiving-Yards, Mahomes warf Big Play auf Big Play, es war eine Show.

Die Chiefs kamen von Anfang an mit der gewohnten Menge Kreativität in den Play-Designs raus und waren wieder einmal unheimlich gut darin, jede Schwäche und jedes Matchup zu attackieren, das die Defense im jeweiligen Moment bot. Es war Wasser auf die Mühlen von all denjenigen, die sagen, dass es so etwas wie eine dominante Defense - über den Zeitraum einer Saison gedacht - in der heutigen NFL gar nicht mehr gibt. Und es fällt schwer, hier dagegen zu argumentieren.

Natürlich können starke Defenses nach wie vor einzelne Spiele gewinnen und einzelne Gegner dominieren, wenn das Matchup passt - die Bucs selbst im Spiel gegen die Packers wären ja das ideale Beispiel dafür. Aber Defenses sind Woche für Woche eben auch schlicht deutlich abhängiger von ihrem jeweiligen Matchup als Offenses, und wer in der heutigen NFL aus Sicht der Gesamt-Kaderplanung seines Team den Wunsch nach einer dominanten Defense priorisiert, biegt vermutlich hier schon falsch ab.

Doch warum war es am Ende doch so eng? Zwei Gedanken dazu: Kansas City hat in dieser Saison mehrfach die Tendenz gezeigt, innerhalb eines Spiels den Fuß bedenklich weit vom Gaspedal zu nehmen. Zugegeben, wenn es darauf ankommt, konnten sie das Pedal meist doch nochmal durchtreten, aber das ist ein Spiel mit dem Feuer, insbesondere gegen eine Offense mit der individuellen Klasse der Bucs. Brady, der anfangs abermals mehrere Deep Shots deutlich verfehlte, steigerte sich, Tampa nutzte sogar ein wenig mehr Motion und Play Action und wurde prompt dafür belohnt.

Kansas City dagegen wurde in der zweiten Hälfte fahrig. Mahomes warf einen etwas ungenauen Pass auf Mecole Hardman, der den Ball dann fallen ließ, statt zu einem potenziellen 80-Yard-Touchdown in die Endzone zu sprinten. Mahomes selbst machte auch mehr Fehler und warf ein paar "mir egal"-Bälle mit Ryan-Fitzpatrick-Charakter Richtung Secondary. Und Andy Reid selbst wurde passiver, allen voran der Punt bei Vierter-und-Zwei an der eigenen 43-Yard-Line bei 27:10-Führung spät im dritten Viertel war eine sehr fragwürdige Entscheidung.

Und dennoch, mit dem Durchhänger im Hinterkopf, mit den Nachlässigkeiten nach der deutlichen Führung im Hinterkopf - allen voran blieb bei mir ein Takeaway hängen: Die Chiefs sind aktuell mehrere Stufen über dem Rest der NFL und spielen dabei noch nicht einmal konstant am eigenen Limit.

3. Neue Machtverhältnisse in der AFC South?

Erst zwei Wochen ist es her, dass die Colts in Tennessee eine dominante Partie ablieferten, die Titans klar schlugen und das Spiel insbesondere defensiv über weite Strecken komplett kontrollierten. Mit einem Sieg im Rückspiel hätten sie schon für eine Vorentscheidung in der Division sorgen können - stattdessen steht ein 45:26-Sieg für Tennessee, und die Frage: Wie konnte das nur passieren?

Das Spiel war zur Halbzeitpause bereits entschieden. 35:14 führte Tennessee dort, und Derrick Henry hatte 140 Rushing-Yards und drei Touchdowns auf dem Konto. Nur noch 38 weitere Yards kamen nach der Pause dazu. Doch selbstredend war die erste Hälfte die Geschichte dieses Spiels, und auch wenn die Verpflichtung von DeForest Buckner als "fehlendes Puzzleteil" für die Colts-Defense galt - das schien noch untertrieben.

Ohne Buckner sowie ohne Denico Autry in der Defensive Line verloren die Colts die Line of Scrimmage komplett. Wo Henry zuletzt - nicht nur im ersten Spiel gegen Indianapolis - regelmäßig um jeden Zentimeter kämpfen musste, waren plötzlich weit offene Gaps.

Tennessee dominierte hier in der ersten Hälfte komplett, die Titans spielten offensiv absolut simpel, mussten aber eben auch nicht viel mehr machen, als den Ball zu laufen. Für das einzige echte Big Play durch die Luft sorgte A.J. Brown mit einem weiteren äußerst eindrucksvollen Catch-and-Run zum 69-Yard-Touchdown, wieder einmal ein enormer Einsatz nach einem Crosser.

Was macht das jetzt mit dieser Division? Beide Teams bleiben inkonstant, beide sind eher knapp außerhalb der Top 10. Die Titans haben noch einen wirklich schweren Gegner (Green Bay) sowie nächste Woche gegen Cleveland eine potenziell unangenehme Aufgabe. Die Colts müssen noch nach Pittsburgh, zu den Raiders und zwei Mal gegen Deshaun Watson und die Texans ran, Letzteres erwartet Tennessee nur noch ein Mal.

Tennessees Identität ist klar, und wenn diese Physis nicht nur an der Line of Scrimmage, sondern eben auch mit Henry, auch mit Brown punktet, dann hat Tennessee offensiv hohes explosives Potenzial. Die Colts sind das komplettere Team, der unangenehmere Schedule könnte am Ende aber Indianapolis knapp hinter Tennessee rutschen lassen.

4. Arizona ist noch nicht so weit - und hat klare Baustellen

Im Endeffekt kann man zahlreiche Antworten auf die Frage finden, warum Arizona gegen ein Patriots-Team, das offensiv kaum etwas zustande brachte, am Ende verlor. Der Drop von Christian Kirk kurz vor der Halbzeitpause, welcher die Cardinals einen Touchdown kostete. Die beiden zugelassenen Big Plays im Special Team, und beim zweiten hatte Arizona sogar Glück, dass eine zweifelhafte Strafe die Pats einen Touchdown kostete.

Oder auch die abgefälschte Interception von Murray. Strafen zur Unzeit. Und natürlich die Entscheidung von Kliff Kingsbury, am Ende auf das Field Goal zu gehen, statt Vierter-und-Eins auszuspielen und auf den Sieg zu gehen.

Viele Kleinigkeiten, die unterstreichen, dass die Cardinals noch nicht "so weit" sind. An einem guten Tag kann Arizona fast jedem Team in der NFL Probleme bereiten, aber von der Liga-Spitze - geschweige denn den echten Titelanwärtern - sind die Cardinals noch mindestens ein, zwei Stufen entfernt.

Und so stellt sich natürlich die Frage: Was fehlt noch, um diese Stufen hochzuklettern? Gerade der letzte Kritikpunkt geht in die übergreifende Analyse: Kingsbury zeigt Woche für Woche eigentlich gute In-Game-Entscheidungen - bis es in die Crunchtime geht. Plötzlich wird er dann konservativ und sucht eine Sicherheit, wo er bis dahin im Spiel eigentlich den mutigen Weg gesucht hat.

Das ließ sich in mehreren Spielen dieses Jahr beobachten, und auch gegen die Pats: Er geht auf den Touchdown vor der Halbzeit, er spielt Vierter-und-Fünf aus, um auf den Ausgleich zu gehen - und wo eine Conversion bei Vierter-und-Eins das Spiel potenziell beendet hätte, wählt er das 45-Yard-Field-Goal. Obwohl das bereits mehrfach für ihn schiefgegangen ist, das Dolphins-Spiel und die Overtime gegen Seattle sollten eigentlich für den Lerneffekt genügen.

Cardinals: Klare Hausaufgaben für 2021

Hier muss Kingsbury sich verbessern, doch ein größeres Thema müssen die offensichtlichen offensiven Probleme sein. Murray lief zuletzt deutlich weniger, was einerseits mit seiner Schulterverletzung zu tun haben dürfte - auch weil die Scrambles überhaupt nicht kamen, insbesondere gegen New Englands Blitzes war das auffällig -, gleichzeitig aber betonten nach dem Patriots-Spiel Kingsbury und Murray unisono, dass sich New England defensiv gegen den Run auf Murray fokussierte. In der Red Zone, wo Arizona normalerweise bevorzugt Option-Plays einbaut, versuchten sie es aber auch fast gar nicht.

Das Problem dann? Es gibt keinen Plan B, und das entblößt offensive Defizite. Kingsbury versucht nach wie vor viel zu häufig, die Offense über das Kurzpassspiel zu öffnen. Das ist nicht zum ersten Mal in dieser Saison ein Thema, verlangt allerdings hohe Präzision und eine enorme Konstanz, die Murray als Passer noch nicht hat. Gleichzeitig wird die Aufgabe zusätzlich erschwert, da Defenses Arizona längst entsprechend spielen; die Cardinals komprimieren so selbst das Feld, alles ist eng, und wenn Murray dann - ob mit designten oder improvisierten Runs - als Runner kein Faktor ist, wird jedes First Down schwierig.

2021 wird das dritte Jahr für Kingsbury und Murray sein. Das ist das Jahr, in dem es keine Ausreden geben sollte, in dem man den angesprochenen Schritt machen sollte. Individuelles Talent ist unbestreitbar vorhanden, doch sind auch die Baustellen klar. Kingsburys Offense muss vertikaler werden, um die Box zu entlasten und auch, um gemäß der individuellen Stärken der eigenen Offense zu spielen. Sie muss flexibler werden, um mehr Probleme lösen zu können. Ein veritabler Nummer-2-Receiver dürfte eine Offseason-Priorität sein.

Die individuelle Qualität von Hopkins und die Improvisationsfähigkeiten von Murray sollten die Kirsche auf der Torte sein, nicht der Motor der Offense.

Arizona kann noch immer in die Playoffs kommen, und gerade für Murray und Kingsbury könnte das nochmal ein wichtiger Schritt in der Entwicklung sein. Aber man sollte sich nicht von den Highlights dieser Saison blenden lassen, wenn man die allgemeine Entwicklung dieses Teams beurteilt. Die ist da, wenn man auf die letzten zwei Jahre zurückblickt - aber die Cardinals haben auch noch einen weiten Weg vor sich. Das Patriots-Spiel hat das abermals untermauert.

5. San Francisco: Zu gut für einen hohen Pick

Womöglich hatte sich der eine oder andere Niners-Fan spätestens mit den Verletzungen von Garoppolo, Bosa und Kittle bereits mit dem Gedanken an eine verlorene Saison angefreundet. Ein Top-10-Pick im kommenden Draft in Aussicht, vielleicht die Chance, hier den Quarterback der Zukunft zu finden. Doch während optimistische Cardinals-Fans gegen die Patriots ihren Weckruf bekamen, erhielten diese Niners-Anhänger einen Weckruf der ganz eigenen Art: Dieses Team ist zu gut gecoacht, um in der Draft-Reihenfolge einfach so hoch zu klettern.

Der eindrucksvolle Auftritt gegen die Rams unterstrich das. Dabei mangelte es nicht an individuellen Fehlern, im Gegenteil: San Francisco hatte in der ersten Hälfte zwei Turnover und ließ dann noch einen Fumble-Return-Touchdown zu. Letzteres ermöglichte es den Rams erst, die Partie noch zu drehen. Aber die Rückkehr von Deebo Samuel war ein riesiger Faktor, seine Qualitäten nach dem Catch sind mit Nick Mullens auf Quarterback umso wichtiger. Richard Shermans Comeback stabilisierte die Secondary merklich und früh im Spiel konnte San Francisco den Ball auch gut nach außen laufen.

Auf die 49ers wartet mit Buffalo in der kommenden Woche gleich die nächste harte Aufgabe, und natürlich gibt es mit Mullens klare Limitierungen. Letztlich ist immer schon Alarmstufe Gelb, wenn Mullens bei einem langen Second Down ins Dropback Passing Game gehen muss. Dass gerade die rechte Seite der Offensive Line dabei immer wieder wackelte, half wenig.

Aber der größere Takeaway dieser Partie waren die Limitierungen bei den Rams. Jared Goff hatte eine desolate Partie: Die Interception zu Sherman war ein Wurf aus Play Action bei First Down ins absolute Nichts, komplett zwischen zwei mögliche Targets, wo nur Sherman stand. Goff warf außerdem einen Pick Six zu Rookie-D-Liner Javon Kinlaw, die Niners setzten Goff exzellent unter Druck, ließen im Run Game abgesehen von einem Big Play durch Cam Akers fast nichts zu und spielten beeindruckend enge Coverage.

Und da war er eben wieder, der "schlechte" Jared Goff. Den man gegen Miami gesehen hatte, den man im ersten Spiel gegen die 49ers gesehen hatte, den man in Phasen gegen Tampa Bay gesehen hatte. Die Rams sind auch nach Woche 12 noch nicht leicht zu greifen, weil die Offense je nach Matchup ein Kandidat für enorme Leistungsschwankungen ist - eine Aussage, die man in der Regel eher über Defenses tätigen würde. Und das hängt letztlich ganz konkret mit Goffs Leistungsschwankungen zusammen, primär bedingt durch die Frage, wie sehr eine Defense ihn unter Druck setzen und nach dem Snap verwirren kann.

6. Die Bears und die Frage: Von was reden wir hier?

Das Sunday Night Game zwischen Green Bay und Chicago ist schnell zusammengefasst. Ich hätte selbst ohne Foles' Verletzung Mitch Trubisky wieder gebracht - mit Foles war die Offense komplett leblos, Trubisky gibt Chicago zumindest ein wenig Upside als Runner und kann die wacklige Offensive Line ein Stück weit entlasten. Der Unterschied im Line-Play, je nachdem ob Foles oder Trubisky spielt, war bislang überdeutlich.

Die Idee, dass die Offense mit Foles zwar massive Höhen und Tiefen haben wird, aber wenn die Hochphasen mit der starken Defense zusammenkommen, man wirklich Alarm machen kann, stand naturgemäß von Anfang an auf sehr wackligen Beinen. Aber diese Achterbahnfahrt blieb ja weitestgehend komplett aus, stattdessen spielte Foles durchgehend auf einem niedrigen Level.

Lange Rede, kurzer Sinn: Trubisky gibt den Bears eine bessere Chance als Foles und er ist mit seiner Mobilität zumindest ein wenig ein X-Faktor - aber von was reden wir hier? Ich könnte an dieser Stelle nochmal auf meine Bears-Gesamtbetrachtung von vor vier Wochen verweisen, aber im Kern ist es so: Chicago ist im perspektivischen Niemandsland und muss eigentlich einen tiefgreifenden Umbruch durchführen.

Man hat enorme Ressourcen in die Defense investiert, in der Hoffnung, dass wenn man dann eine auch nur solide Offense bekommt, das Titelfenster mit Trubisky aufgeht. Das war eine Fehleinschätzung, und jetzt muss man die Scherben aufräumen.

Nur müssten sich die Verantwortlichen in Chicago derart gravierend eigene Fehler eingestehen und nach einer enttäuschenden Saison 2019 und einer enttäuschenden Saison 2020 eine rein sportlich noch deutlich enttäuschendere Saison 2021 in Kauf nehmen, dass sie diesen Schritt vermutlich nicht im Amt überstehen würden. Chicago müsste eigentlich mit neuem GM und neuem Head Coach den Neustart angehen.

Und die Packers? Auch hier muss man nicht allzu viel sagen. Aaron Rodgers spielte eine unfassbar effiziente Partie, die Play Designs von LaFleur greifen weiter, und wenn Green Bay dann noch den Ball laufen kann, ist es schwer, diese Offense zu stoppen. Dass Akiem Hicks aufseiten der Bears fehlte, half dabei fraglos. Trotzdem war das - und hier kann man den Bogen zu den Chiefs-Bucs-Takeaways schlagen - eine gute Erinnerung daran, dass eine Top-Defense gegen eine Top-Offense ziemlich chancenlos aussehen kann, wenn das Matchup unvorteilhaft ist. Green Bay ist zweifellos einer der zwei, drei Top-Contender in der NFC.

7. Wer sind die Raiders wirklich?

Gerade, als man dachte, dass man die Raiders halbwegs greifen kann, kam dieser Auftritt gegen Atlanta. Eine 6:43-Pleite, und in allererster Linie die Erkenntnis, dass die Raiders nach einem weiteren Shootout gegen Kansas City gegen die Falcons-Secondary den Ball überhaupt nicht durch die Luft bewegen konnten.

Es war durch die Bank weg ein wahnsinnig unaufmerksamer Auftritt. Vielleicht mit dem Chiefs-Spiel noch im Hinterkopf, die Reise einmal quer über das Land, die frühe Kick-Off-Zeit und den grausamen Auftritt der Falcons gerade offensiv gegen die Saints in der Vorwoche noch vor Augen.

Doch besonders bitter aus Raiders-Sicht war, dass Atlantas Offense, angetreten ohne Julio Jones und Todd Gurley, nicht ansatzweise so gut war, wie 43 Punkte suggerieren würden. Vielmehr war Matt Ryan auch in diesem Spiel nicht sonderlich überzeugend, doch die Raiders gaben Atlanta gleich zum Start zwei Mal den Ball per Turnvover in der eigenen Hälfte, Falcons-Linebacker Deion Jones trug einen üblen Fehlwurf von Derek Carr über die Mitte in den Rücken seines Receivers zum Touchdown zurück und zwei weitere Fumbles in der zweiten Hälfte führten direkt zu zehn weiteren Falcons-Punkten. Selbstverschuldete Fehler waren die Geschichte am Sonntag.

Überbewerten sollte man diese Partie nicht. Vielleicht war es in der Gesamtbetrachtung wirklich eine Art Trap Game für die Raiders, und gut genug, um so ein Spiel "im Vorbeigehen" zu gewinnen, sind sie definitiv nicht. Las Vegas sollte weiterhin auf Playoff-Kurs bleiben und kann da auch ein überaus unangenehmer Gegner werden. Carr und Co. können schon in der kommenden Woche bei den Jets die Wahrnehmung wieder geraderücken - ein weiterer Ausrutscher ist jetzt aber verboten, und nach diesem Auftritt in Atlanta sollte es so etwas wie ein Trap Game für die Raiders auch nicht mehr geben.

8. Die Vikings und der bittersüße Ausblick

Minnesota gegen Carolina war das erwartet unterhaltsame Spiel, am Ende steht wieder diese positive Erkenntnis zu den Vikings: Diese Offense entwickelt sich. Minnesota war nach zwei direkt aufeinanderfolgenden (!) Fumble-Return-Touchdowns gegen sich zu Beginn der zweiten Halbzeit in einem 21:10-Loch. Beide Returns kamen von Jeremy Chinn, dieses Kunststück innerhalb eines Spiels hatte seit Fred Evans (Bears) 1948 kein Verteidiger mehr geschafft.

Ohne die Möglichkeit, über das Run Game ins Spiel zu kommen, war es am Ende ein weiterer starker Auftritt von Kirk Cousins, der selbst ohne Adam Thielen diese zweite Hälfte dominierte. Was kann für diese Offense noch möglich sein? Wie gefährlich könnte Minnesota schon mit Blick auf die kommende Saison sein?

Ganz so einfach ist es natürlich nicht. Der Punt bei Vierter-und-Eins kurz vor der 50-Yard-Line unmittelbar nach dem zweiten Fumble-Return war komplett absurd, und generell werden Vikings-Fans sich fragen, wie intensiv Zimmer und Kubiak Woche für Woche am Run Game festhalten, wenn es nicht klappt. Aber die Entwicklung gerade bei Cousins, generell aber bei der Passing-Offense, fällt aktuell Woche für Woche auf.

9. Lions entlassen Matt Patricia

Nicht direkt eine Storyline vom Sonntag, eher ein Nachbeben noch von Thanksgiving: Die Texans schlugen Detroit an Thanksgiving nicht nur, sie führten sie phasenweise vor. In Detroit. An Thanksgiving, der Tag, der Football-technisch fest mit den Lions verbunden ist. Nicht selten ist es die einzige Möglichkeit innerhalb einer Saison für diese Franchise, sich auf nationaler Bühne zu präsentieren.

Auf dieser Bühne von einem Texans-Team, das selbst weit davon entfernt ist, komplett oder gar ein Schwergewicht zu sein, auseinandergenommen zu werden, war dann letztlich der Katalysator - und das ist bewusst so formuliert: Dass Patricias Amtszeit spätestens Anfang Januar endet, dürfte kaum noch ernsthaft zur Diskussion gestanden haben. Patricia hatte stets betont, dass er ein Team mit vielen Baustellen übernommen hatte - dieses Baustellen-Team hat unter Jim Caldwell allerdings stets signifikant besser funktioniert, und all das, was Patricia installieren und umbauen wollte, trägt auch kurz vor Ende des dritten Jahres viel zu wenige Früchte. Und dann läuft die Zeit schlicht ab.

Wie geht es jetzt weiter in Detroit? In gewisser Weise sind die Lions eine Art "Falcons Light", was den Umbruch angeht. Detroit könnte ebenfalls den radikalen Cut angehen, inklusive Stafford, und müsste weniger Dead Cap schlucken als die Falcons in einem vergleichbaren Szenario. Wie gravierend der Umbruch wird, hängt maßgeblich davon ab, wie Detroit seine Führungsriege jetzt neu besetzt und in wie weit diese mit dem für Patricia zusammengestellten Gerüst auch rein schematisch weitermachen will.

Zumindest sollten alle Szenarien jetzt auf dem Tisch sein, um die Lions endlich in neue Fahrwasser zu bringen.

10. Der Rest aus dem Notizblock

  • Die Cleveland Browns stehen 8-3 und sind fest auf Playoff-Kurs. Gegen Jacksonville und Mike Glennon entging man aber nur haarscharf einer möglichen Blamage, Baker Mayfield warf einen Katastrophen-Pass Richtung Endzone (er wurde dann im Laufe des Spiels deutlich besser, einer seiner besseren Auftritte insgesamt) und die Defense ohne Garrett und Ward war konstant anfällig. Der Takeaway: Cleveland könnte durchaus ein Playoff-Team sein. Aber Mayfield zu vertrauen ist nach wie vor schwer, und die Defense steht auf wackligen Füßen. Wo geht es langfristig für die Browns hin? Die Mayfield-Frage wird langsam kritisch.
  • Die Jets-Offense sieht mit Joe Flacco besser aus als mit Sam Darnold, und wie viel mehr muss man hier noch sagen? Darnold hatte bei seinem Comeback gegen Miami eine furchtbare Interception früh im dritten Viertel, spät im Down in die Coverage. Das Play-Calling - angeblich wieder in der Kontrolle von Adam Gase, auch wenn der das nach dem Spiel mit merkwürdigen Ausflüchten bestritt - war abstrus intensiv über Frank Gore aufgebaut. All das stimmt, aber Darnold hatte sein Receiver-Trio zusammen, Miami rannte keineswegs schnell mit einer deutlichen Führung davon, und ja, die Dolphins-Defense kann unangenehm sein. Aber um auch nur in Erwägung zu ziehen, mit dem mutmaßlichen Nummer-1-Pick im kommenden Draft keinen Quarterback zu draften, müsste Darnold Flacco signifikant in den Schatten stellen und noch mehrere Stufen darüber gehen. Für den Moment muss er zeigen, ob er Ersteres überhaupt schafft.
  • Es ist und bleibt eine wöchentliche Frage: Was fängt man nur mit der NFC East an? Nachdem Washington die Cowboys an Thanksgiving böse vermöbelte, zogen die Giants gegen Cincinnati zwar nach - überzeugend war dieser Sieg allerdings nicht. Nach dem ersten Drive ging offensiv überhaupt nichts mehr, Daniel Jones musste zwischenzeitlich angeschlagen raus, Engram hatte einen Fumble und Jones selbst neben einiger sehenswerter Pässe auch zumindest einmal ziemliches Interception-Glück. Immerhin die Defense machte ihre Sache ordentlich gegen die dezimierte Bengals-Offense. Aber reicht eine halbwegs solide Base-Line am Ende für die Division? Oder schiebt sich Washington gerade in die Favoritenrolle?
  • Es wird immer schwieriger, für Anthony Lynn als Head Coach der Chargers zu argumentieren. L.A. könnte mit Justin Herbert in den kommenden zwei, drei Jahren auf den ganz großen Wurf gehen - ist Lynn dafür der richtige Coach? Das In-Game-Coaching bleibt Woche für Woche ein Abenteuer, nett formuliert. Die Sequenz vor der Halbzeitpause war dieses Mal der größte Moment zum Kopfschütteln. Neben dem Punt kurz vor Schluss. Neben den Runs ohne Timeouts am Ende. Doch auch das offensive Play-Calling hat jede Menge Defizite, und defensiv leben die Chargers dieses Jahr von individueller Klasse. Die Chargers müssten besser als 3-8 stehen, und natürlich war da auch einiges an Pech dabei. Aber nicht jedes Spiel, das eng verloren wird, ist einfach nur Pech, und die Fehleranalyse wird bei Lynn anfangen müssen.