Football ist ein niemals endendes Schachspiel: Auf neue Offense-Ideen folgen Antworten der Defense und umgekehrt, während nicht selten plötzlich alte Trends wieder modern werden. Worauf gilt es also vor dem Start der neuen Saison zu achten? Welche Trends bestimmen aktuell die NFL - und könnten bald schon abgelöst werden? SPOX gibt den Überblick.
Ein kurzer Rückblick: Wir schreiben das Jahr 2012, die Herbstblätter fallen von den Bäumen und der Winter schickt erste kalte Boten voraus. In der NFL bedeutet das: Crunchtime! Das Rennen um die Playoff-Plätze läuft so richtig heiß, und zwei junge Quarterbacks stechen dabei ganz besonders hervor.
Welche Trends halten sich 2016? Die NFL ab Herbst live auf DAZN
Colin Kaepernick hat sich bei den San Francisco 49ers den Starting-Job von Alex Smith geschnappt und erobert die Liga im Sturm, während Robert Griffin III statistisch eine Rookie-Saison spielt, die es in der Form von einem Quarterback so schnell nicht wieder geben wird.
Dabei stehen aber die - durchaus effizienten - Passing-Zahlen weder bei Kaep, noch bei RG III im Fokus. Stattdessen sind Defenses geschockt von der Read Option: Griffin und Kaepernick sind als Runner derartig große Bedrohungen für die Gegner, dass sie im Passing Game oft leichtes Spiel haben - Defenses mussten immer den Run im Hinterkopf behalten.
Die Read Option war das neue, große Phänomen und nicht wenige Experten sahen in Kaepernick und Griffin die prototypischen Quarterbacks der Zukunft. Vier Jahre später haben uns Defensive Coordinator eines Besseren belehrt, Teams fanden schnell Antworten auf jenen einstmals heißesten Trend.
Was sind also Trends vor der 2016er Saison? Worauf müssen Offenses und Defenses Antworten finden? Und welche Entwicklungen haben tatsächlich eine Chance, sich zu etablieren? SPOX schaut sich in der Liga um - und hat Hog Mollies, Slot-Monster, Hybrid-Spieler und das Comeback des Running Games unter die Lupe genommen.
performDie Bedeutung der Defensive Tackle - Druck, Druck, Druck: Manchmal kann selbst Football so einfach sein. "Die großen Jungs erlauben es dir, wettbewerbsfähig zu sein", hatte Panthers-Geschäftsführer Dave Gettleman vor seinem ersten Draft in Carolina 2013 erklärt. "Wir werden diese Hog Mollies sehr genau unter die Lupe nehmen." Es war eine Aussage für die Gettleman, selbst ein langjähriger Scout, durchaus schief angeschaut wurde. Doch drei Jahre später lässt sich festhalten: Gettleman, der prompt mit den ersten beiden Picks Star Lotulelei und Kawann Short draftete, hatte den Trend der Zeit genau richtig erkannt.
Laut ESPN Stats & Information warfen Quarterbacks 2015 den Ball im Schnitt 2,48 Sekunden nach dem Snap - eine Zahl, die damit seit nunmehr vier Jahren konstant niedriger wird. Es ist ein Trend, der sich auch in der Masse niederschlägt: Gleich 20 Quarterbacks wurden den Ball nach durchschnittlich 2,5 Sekunden oder weniger los. Zum Vergleich: 2012 fielen nur sieben QBs in diese Kategorie, 2013 dann elf und 2014 schließlich 13. Das geht einher mit der Tatsache, dass die Shotgun- und die Pistol-Formationen - also Aufstellungen, in denen der Quarterback weiter weg von der Line of Scrimmage steht - immer häufiger eingesetzt werden.
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Übersetzung: Quarterbacks werfen den Ball immer früher und stehen weiter weg von der Defense. Was bedeutet das für den Pass-Rush? Insbesondere heißt es, dass es für Edge-Rusher zunehmend schwierig wird, rechtzeitig zum Quarterback zu kommen. Hier kommen Gettlemans Hog Mollies, die Defensive Tackles, ins Spiel. Aufgrund ihrer zentralen Aufstellung haben sie den kürzesten Weg zum Quarterback, was sich zunehmend häufig in Sacks wiederspiegelt.
Doch nicht nur das: Ein Top-Tackle wie Aaron Donald, Geno Atkins oder Ndamukong Suh wird einen Quarterback oft schnell aus der Pocket zwingen, wovon rein statistisch dann der Edge-Rusher durch einen Sack profitieren kann. Es ist somit wenig überraschend, dass in der Sack-Statistik von Football Outsiders für 2015 (hier fließen Down, Distance to go und Gegner mit ein) in der Top-13 mit Denver, Tennessee, Tampa Bay, Minnesota, Carolina, Cincinnati und Philadelphia gleich sieben Teams mit dominanten Defensive Tackles vertreten sind.
Hybrid-Safeties - The more you can do...: Einst waren knallharte, physische Middle Linebacker, die primär als Run-Defender glänzten die Stars einer Defense. Doch diese Zeiten sind lange vorbei. Auch wenn sicheres Tackling nach wie vor in die Job-Beschreibung gehört, so nehmen Linebacker angesichts der enorm gestiegenen Pass-Zahlen (2015 wurden im Schnitt 571,8 Pässe pro Team geworfen - bei nur 421,5 Runs pro Team) inzwischen auch in der Pass-Defense eine wichtige Rolle ein. Da immer mehr Offenses eine Hurry-Up spielen und somit Auswechslungen für die Defense erschwert werden, ist es essenziell, dass ein Linebacker auch bei Passspielzügen kein Risiko ist.
Natürlich ist ein Komplett-Paket wie etwa Luke Kuechly oder NaVorro Bowman hier die ideale Antwort, doch längst nicht jedes Team verfügt über einen solchen Star-Linebacker. Die aktuell prototypische Antwort hierfür lieferten dann die Arizona Cardinals vor zwei Jahren: Die Cards drafteten Deone Bucannon, setzten ihn seither allerdings nicht als Strong Safety, sondern kurzerhand als Linebacker ein. Bucannon spielte 2015 stolze 95 Prozent der Cardinals-Defense-Snaps und sammelte 93 Tackles sowie drei Sacks, drei Forced Fumbles und eine Interception.
Es ist eine Rolle, die inzwischen unter anderem auch Mark Barron für die Rams ausfüllt. Brandon Browner könnte in Seattle eine ähnliche Position einnehmen, gleiches gilt für die Rookies Keanu Neal (Atlanta Falcons) und Su'a Cravens (Washington Redskins). Die Mischung aus gutem Tackling, Beweglichkeit, Geschwindigkeit und genereller Flexibilität macht diesen Spielertyp für Defensive Coordinator enorm wertvoll. Dazu kommt, dass gerade die Geschwindigkeit und Vielseitigkeit dieser Hybrid-Spieler auch mehr Blitze über die Mitte ermöglicht, was zu der gesteigerten Bedeutung von Druck im Zentrum passt. Arizona nutzte dieses Mittel mit Bucannon schon 2015 häufig.
So lange das Passing Game nirgendwo hingeht, werden also auch die Hybrid-Safeties eine zunehmend prominentere Rolle erhalten. Und somit wird dieses Schach-Spiel zwischen Offenses und Defenses spannend zu beobachten sein: Die Tennessee Titans etwa haben bereits durchblicken lassen, dass sie - angesichts der eher auf Vielseitigkeit und Pass-Defense ausgerichteten Linebacker-Corps - wieder stärker auf das Running Game setzen werden. Hier könnte sich somit ein neuer Trend anbahnen.
Slot-Receiver - der (neue) beste Freund des QBs: "Der Tight End ist der beste Freund des Quarterbacks" ist eine Binsenweisheit, die schon lange vor Rob Gronkowski, Greg Olsen und Co. in NFL-Kreisen Bestand hatte. Der Grund ist klar: Der Tight End ist in aller Regel der am dichtesten zum Quarterback platzierte Receiver und kann darüber hinaus aufgrund seiner Statur auch schlechte Pässe in Bedrängnis fangen.
Nun hat aber, ähnlich wie bei der Linebacker-Problematik, nicht jedes Team einen Rob Gronkowski, Greg Olsen oder Jordan Reed. Und auch hier haben NFL-Teams eine andere Antwort gefunden: Der Slot-Receiver gewinnt zunehmend an Wert. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Zum einen wollen Teams, wie bereits erwähnt, den Ball immer schneller werfen, wofür der Slot-Receiver - also der Wide Receiver, der zwischen dem Outside Receiver und der Offensive Line positioniert ist, eine überaus attraktive Option bietet.
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Dieser Receiver-Typ kann sich mit schnellen Routes über die Mitte oftmals als erstes freilaufen und bietet dem Quarterback eine erste Option. Das Idealbeispiel hierfür war 2015 Seattles Doug Baldwin: Baldwin lief laut den Statistikern von Pro Football Focus beinahe 80 Prozent seiner Routes aus dem Slot, fing 78,8 Prozent der an ihn adressierten Pässe und fing zwölf seiner 14 Touchdowns aus dem Slot heraus. In Miami etwa sammelte Slot-Maschine Jarvis Landry derweil 166 Targets und bei den Giants gelangen Odell Beckham aus dem Slot 32 Receptions für 467 Yards und zwei Touchdowns.
Darüber hinaus haben Teams die Bedeutung von Slot-Receivern erweitert, indem sie hier auf einen neuen Spielertyp setzen: Arizona stellte beispielsweise Larry Fitzgerald in den Slot, bei den Jets dürfen sich Brandon Marshall und Eric Decker hier regelmäßig positionieren, Kansas City gibt Jeremy Maclin Slot-Snaps und die 49ers bauten im Slot auf Anquan Boldin. Die Gemeinsamkeit dieser fünf Receiver? Alle fünf können mit ihrer Physis die meist eher kleinen, wendigen Slot-Cornerbacks in arge Bedrängnis bringen und dabei außerdem als Blocker im Running Game fungieren.
Mehr Defensive Backs - die neue Base-Aufstellung: Es ist ein weiteres Beispiel für das niemals endende Aktion-Reaktion-Spiel in der NFL: Die erhöhte Passlastigkeit hat für den enorm häufigen Einsatz von 3-Receiver-Sets gesorgt, also Aufstellungen, bei denen drei Wide Receiver auf dem Platz stehen. Die einstige Base-Defense-Aufstellung mit vier Defensive Backs (zwei Cornerbacks, zwei Safetys) ist somit nicht mehr zeitgemäß.
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Darauf antworten Defenses folgerichtig seit nunmehr Jahren konsequent: Pro Football Focus zufolge wächst die prozentuale Zahl der Aufstellung mit mindestens fünf Defensive Backs seit 2008 konstant - aus 43,4 Prozent 2008 wurden 63,4 Prozent 2015, also ein Sprung von 20 Prozent.
Das macht Cornerbacks, Safetys und Spieler, die beide Positionen bekleiden können - wie etwa Rookie Jalen Ramsey - zunehmend wertvoller, was sich auch in Free-Agency-Deals niederschlägt: Der hoch dotierte Vertrag von Janoris Jenkins, der im Frühjahr bei den New York Giants unterschrieb, wäre ein gutes Beispiel dafür. Gleichzeitig aber sorgt diese Umstellung, ähnlich wie die Hybrid-Spieler, für "leichtere" Defenses - kann ein aggressives Running Game daraus Kapital schlagen?
Sonstiges:
- Die rechte Seite der O-Line wird wichtiger: Über Jahrzehnte hinweg genoss die linke Seite der O-Line (für rechtshändige Quarterbacks) gesteigerte Bedeutung, da der QB beim Pass dieser Seite den Rücken zukehrt. Doch Defenses schlagen daraus zunehmend Kapital, Spieler wie J.J. Watt oder Von Miller bestrafen unterdurchschnittliche Right Tackles gnadenlos. Insbesondere der Super Bowl zwischen Denver und Carolina hat diese Problematik aufgedeckt.
- Verteidiger werden bezahlt: Ob Von Miller, Fletcher Cox, Olivier Vernon, Ndamukong Suh oder jüngst auch Tyrann Mathieu: Teams schrecken seit einigen Jahren nicht mehr davor zurück, viel Geld in ihre Defense zu stecken oder gar, wie etwa die Seahawks, ihr Team über die Defense aufzubauen. Einen Top-Quarterback zu bekommen ist ein unglaublich schwieriges Unterfangen - eine Elite-Defense, die Broncos haben das in der Vorsaison bewiesen - kann eine durchschnittliche Offense tragen. Der Draft bestätigt das: Seit 2010 wurden nur ein Mal (2015) in der ersten Runde des Drafts mehr Offense- statt Defense-Spieler gewählt.
- Stichwort Draft: Trotz der Cowboys-Entscheidung für Ezekiel Elliott bleibt es für Running Backs zunehmend schwierig, früh gedraftet zu werden. In den letzten vier Jahren wurden nur drei Running Backs in der ersten Runde gewählt (Elliott, Todd Gurley und Melvin Gordon), 2014 etwa dauerte es bis zu Pick Nummer 54, ehe Bishop Sankey als erster RB vom Board ging.