Ex-Bundestrainer Marco Sturm im Interview über sein NHL-Abenteuer: "Olympia hat alles verändert"

Florian Regelmann
11. April 201913:04
Marco Sturm führte das DEB-Team 2018 sensationell zu Olympia-Silber.getty
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Marco Sturm führte das DEB-Team 2018 sensationell zu Olympia-Silber und wurde dafür später mit einem Anruf aus der NHL belohnt. Zum Start der NHL-Playoffs (Bruins vs. Maple Leafs, Spiel 1, Fr., 1 Uhr live auf DAZN) spricht der Ex-Bundestrainer im SPOX-Interview über seine ersten Monate als Assistant Coach bei den Los Angeles Kings und Leon Draisaitls Monster-Saison.

Außerdem erklärt Sturm, warum er viele Nachtschichten einlegen musste und wer für ihn momentan der beste Spieler der Welt ist.

Herr Sturm, vorknappzehn Jahren habenwirunseinmalzum Interview auf einerParkbank in Landshut getroffen. Ein Satz von Ihnen istmir in Erinnerunggeblieben.

Marco Sturm: Ich ahne Böses.

Ich meintedamals, dass Sie docheinesTagesBundestrainerwerdenkönnten. IhreAntwort: Wenn ich etwasnichtmachenwerde, dannist es Trainer. Dafür bin ich nicht der Typ und daranhabe ich überhauptkein Interesse.

Sturm: (lacht) Ich kann mich gut erinnern. Seitdem bin ich vorsichtiger geworden mit meinen Aussagen. Aber es war nicht gelogen damals. Es war die Wahrheit. Ich konnte mir wirklich nicht vorstellen, dass ich der Typ für den Trainerberuf bin. Aber nach meiner Spielerkarriere habe ich relativ schnell gemerkt, dass ich dem Eishockey verbunden bleiben will und den Sport einfach vermisse. Als ich bei meinem Sohn im Nachwuchsbereich mit dem Coaching anfing, habe ich schnell gespürt, dass es mir großen Spaß macht. Im Eishockey kenne ich mich am besten aus. Irgendwo wäre es schade gewesen, wenn ich die Erfahrungen, die ich als Spieler sammeln durfte, nicht hätte weitergeben können. Es gibt nichts Schöneres, als auf dem Eis zu stehen und Spielern in ihrer Entwicklung zu helfen.

Seit wannwussten Sie, dass Sie bei NHL-Teams auf dem Radar sind?

Sturm: Olympia hat alles verändert, das muss man schon so sagen. Wir sind mit der Familie eigentlich wieder nach Hause gezogen und dachten, dass wir lange, vielleicht sogar für immer dort bleiben würden. Aber dann kam der Erfolg bei Olympia, durch den auch ich als Coach plötzlich ganz anders wahrgenommen wurde. Ich hatte schon im letzten Sommer Kontakt zu einigen NHL-Teams, nicht zu den Kings, aber daraus ist nichts geworden. Der Anruf der Kings kam dann im November aus dem Nichts.

Marco Sturm wird auch in der nächsten Saison als Assistant Coach bei den L.A. Kings arbeiten.getty

Marco Sturm: "Ich bin sehr glücklich über meinen Start in die NHL"

Die Kings haben die schlechteste Saison seit langer Zeit hinter sich, dabeistehenimmernoch Superstars wie Jonathan Quick, Drew Doughty oderAnze Kopitar im Kader, die Stanley Cups zusammengewonnenhaben. Was ist los mitdieserMannschaft?

Sturm: Ich war auch sehr überrascht, in welchem Zustand die Mannschaft war, als ich gekommen bin. Wir haben immer noch sehr gute Spieler im Team, die ja nicht über Nacht das Eishockeyspielen verlernt haben können. Mit der Hälfte habe ich selbst noch zusammengespielt. Aber vielleicht ist genau diese Tatsache eines der Probleme. Das war nämlich schon vor acht Jahren. Viele Jungs haben hier lange zusammengespielt und alles erreicht, was man erreichen kann. Dazu hat sich das Eishockey in der NHL extrem weiterentwickelt, es ist viel schneller geworden. Unsere Mannschaft war aber eher auf Größe und Kraft ausgerichtet. Dann kriegst du auf einmal Probleme. Jetzt ist der Moment gekommen, an dem wir wieder von vorne anfangen müssen. Wir müssen vor allem junge Spieler finden und ausbilden. Aber ein Rebuild geht nicht von heute auf morgen, dieser Prozess wird einige Jahre dauern.

Wie würden Sie die Saison für Sie persönlichbeschreiben?

Sturm: Sehr intensiv. Ich hatte gerade am Anfang sehr wenig Schlaf. (lacht) Es war sehr herausfordernd und mit sehr viel Arbeit verbunden. Es ist überhaupt nicht zu vergleichen mit meiner Zeit als Spieler. Wir haben in der Woche vier Spiele, du musst dich immer wieder auf neue Gegner vorbereiten, analysieren und versuchen, deine Mannschaft zu verbessern. Dazu kam, dass sich meine Rolle auch verändert hat. Ich bin nach L.A. gekommen und sollte für die Stürmer verantwortlich sein. Dazu sollte ich beim Power Play helfen.

Und dann?

Sturm: Dann war ich innerhalb von wenigen Wochen komplett fürs Power Play und komplett für die Verteidigung verantwortlich. Ich musste erst einmal herausfinden, auf welche Kleinigkeiten es für die Defender ankommt. Es kam unglaublich viel auf mich zu, aber es hat auch unglaublich viel Spaß gemacht. Ich haben in den vergangenen Monaten mehr gelernt als in in den letzten vier Jahren zuvor. Manchmal war es schwer, morgens in die Arbeit zu gehen, weil es einfach nicht gut lief für uns, aber gerade aus Niederlagen lernst du enorm viel. Ich bin insgesamt sehr glücklich über meinen Start in die NHL.

Marco Sturm: "Der Chef will um 8 Uhr alles auf dem Tisch haben"

Sie habenschon den UnterschiedzuIhrerSpieler-Zeit in der NHL angesprochen. GeradenachSpielenist es etwasganzanderes, oder?

Sturm: Das stimmt. Als Spieler hast du nach Ende des Spiels deine Arbeit getan, kannst dir vielleicht ein Bierchen gönnen und beruhigt schlafen gehen. Als Trainer geht die Arbeit direkt nach dem Spiel weiter. Der Chef will am nächsten Morgen um 8 Uhr alles auf dem Tisch haben. Also kann sich jeder vorstellen, wann die stundenlange Arbeit für die Video-Analyse gemacht werden muss. Und das geht dann jeden Tag so weiter. Aber wie gesagt: Genau das wollte ich und genau das macht auch Spaß. Vor allem, wenn man das Gefühl hat, immer dazuzulernen und weiterzukommen.

Es war ja einebesondereKonstellationzu Head Coach Willie Desjardins, dem Sie bei Olympia eineempfindlicheNiederlagezugefügthatten, als er Team Canada betreute.

Sturm: Er hat das Thema nicht angesprochen, das war wenn dann ich. (lacht) Wenn man Willie kennt, weiß man, wie sehr er es hasst, zu verlieren. Die Niederlage sitzt tiefer, als ich dachte. Ich habe sehr von seiner Erfahrung profitiert. Jeder Trainer ist ja ein bisschen anders und Willie hat eine ganz besondere und nicht alltägliche Art, mit den Spielern umzugehen. Er ist ein Trainer, der sehr zum Wohle der Spieler denkt.

Desjardins war nuralsInterimslösungverpflichtetworden und wird in der neuen Saison nichtmehrCheftrainerbei den Kings sein. Sie habeneinenVertrag bis 2021 und bleiben. Sie könnteneventuellaucheinesTages Head Coach werden, aberEuropäerbekommenselten bis nieeine Chance. Warumist das so?

Sturm: Meiner Meinung nach ist der Grund, dass die Klubs und General Manager das Risiko scheuen, einen europäischen Head Coach zu verpflichten. Es ist das geringere Risiko, jemanden zu holen, der schon in Nordamerika gearbeitet hat und den man besser kennt. Es liegt sicher nicht an der Qualität der europäischen Trainer, da gibt es sehr sehr gute Männer, die vielleicht mehr draufhaben als mancher Coach hier. Aber trotzdem kennt man sie nicht so. Mein Vorteil ist, dass ich so viele Jahre als Spieler in der Liga war. Die Leute kennen mich. Trotzdem ist es schwer genug, in dieses Geschäft reinzukommen. Deshalb war es für mich auch so wichtig, den Schritt zu den Kings zu machen. Eines Tages Head Coach zu sein, wäre schön, aber momentan sehe ich das noch ein Stückchen entfernt.

Sie hatteneinenguten Platz für die Leon Draisaitl Show, alsergegen die Kings den ersten Hattrick seiner Karrierefabrizierte. Was sagen Sie zu seiner Monster-Saison?

Sturm: Das war ein besonderer Abend, keine Frage. Aber ich muss trotzdem sagen, dass mich Leon nicht mehr überraschen kann. Ich kenne ihn jetzt schon so lange und weiß, was für ein besonderer Spieler er ist. Die Gelassenheit und Coolness, die er in seinen jungen Jahren schon hat, ist unglaublich. Selbst als gegnerischer Trainer ist es ein Genuss, wenn du Leon und Connor McDavid spielen siehst. Wie sie harmonieren und Mannschaften abschießen können, ist speziell. Aber es ist natürlich auch alles sehr sehr offensiv ausgelegt. Wenn die Oilers sich als Mannschaft weiterentwickeln wollen, müssen sie sich in der Defense weiterbilden. Ich ziehe den Hut vor Leons Saison. Es freut mich enorm, dass wir so einen deutschen Eishockeyspieler haben. So einen bekommen wir vielleicht nie wieder.

Sie haben in IhrerKarriere an der 30-Tore-Marke gekratzt, Draisaitl hat jetzt die 50 vollgemachtimletzten Spiel. Wie hat ersich so zum Sniper entwickelt?

Sturm: Wenn ich Videoclips von den Oilers zusammengeschnitten habe, habe ich klar sehen können, dass Leon unbedingt das Tor schießen will. Das hat sich im Vergleich zu den Jahren davor verändert. In der Vergangenheit war er derjenige, der den Assist gesucht hat. Jetzt sucht er auch mit aller Entschlossenheit den Abschluss. Und umso mehr Tore du schießt, umso größer wird das Selbstvertrauen.

Marco Sturm: "Das ist leider die Brutalität des Geschäfts"

Während Draisaitl in Edmonton 50 Tore geschossen hat, lief es für Tobias Riederbei den Oilers miserabel. Der Dank für 0 Tore war eineheftigeöffentlicheKritikvomKlubboss. Wie haben Sie das erlebt?

Sturm: Ich kenne Tobi und seine Familie sehr gut, wir stehen regelmäßig in Kontakt. Das ist leider die Brutalität des Geschäfts, die sich da gezeigt hat. Und wenn du in einer kanadischen Mannschaft spielst, ist es wohl noch etwas schlimmer. Jeder, der Tobi kennt, weiß, was für ein toller Junge er ist, dem es selbst am meisten wehtut, dass er keine gute Saison hatte. Dass ausgerechnet er so etwas abbekommt, tut mir leid für ihn und ist das Schlimme an der Sache. Es war hart, solche Aussagen über ihn zu lesen, so etwas wünscht man niemandem. Aber ich habe die Härte des Business selbst erlebt. Als es bei mir damals mit den Verletzungen losging, hat sich das Blatt auch gewendet.

Ganz Eishockey-Deutschland hofftjetzt auf einenEinsatz von Leon Draisaitl bei der WM in der Slowakei. Wo werden Sie die WM mitverfolgen?

Sturm: Ich muss schauen, wie ich die WM aus Kalifornien verfolgen kann. Vielleicht kann ich die Spiele der USA sehen, dann könnte ich auch die Partie gegen Deutschland sehen. Verfolgen werde ich die WM auf jeden Fall. Wir sind in den letzten Jahren eng zusammengewachsen, Spieler, Verband, der gesamte Staff. Ich werde diese Zeit nie vergessen. Ich werde Toni Söderholm und dem ganzen Team die Daumen drücken, dass sie eine erfolgreiche WM spielen und dass es mit dem Ziel der direkten Quali für Olympia klappt.

Marco Sturm: "Kucherov ist der beste Spieler"

Und weristIhr Stanley-Cup-Tipp?

Sturm: Es ist schwer, etwas anderes als Tampa Bay zu sagen. Wobei ich im Osten auch Washington als amtierenden Champion nicht abschreiben würde. Die Capitals haben jetzt die Erfahrung einer Championship und sind sicher gefährlich. Im Westen ist die Lage für mich ausgeglichener und offener, da halte ich vieles für möglich und sehe keinen klaren Favoriten.

Tampa Bay hat mit Nikita Kucherov auch den 128-Punkte-Mann in seinen Reihen.

Sturm: Kucherov hatte auch gegen uns ein Spiel mit vier Scorerpunkten. Er ist absolute Weltklasse. Wie er unsere Defense da dominiert hat, wie er die Scheibe annimmt, wie er sie verteilt, wie er auch selbst abschließt - auch wenn wir schon über McDavid und Draisaitl gesprochen haben und jemand wie Sidney Crosby offensiv und defensiv eine überragende Saison gespielt hat, ist Kucherov in dieser Saison für mich der beste Spieler.