Maximilian Schachmann ist eine der größten deutschen Radsport-Hoffnungen. 2019 gewann der 25-Jährige drei Etappen bei der Baskenland-Rundfahrt, sorgte bei den Ardennenklassikern für Furore und startet nach seinem Meistertitel im Straßenrennen am vergangenen Sonntag jetzt im Trikot mit dem schwarz-rot-goldenen Brustring in die 106. Tour de France. Wie wird sich Schachmann bei seinem Tour-Debüt (ab Samstag im LIVETICKER) schlagen? Im Interview mit SPOX spricht Schachmann offen über eine mögliche neue Radsport-Euphorie in Deutschland und erklärt, wie er mit der Doping-Thematik umgegangen ist.
Außerdem erzählt Schachmann von einer Begegnung mit einer Klapperschlange, seinem Hobby Lautsprecherbau und er verrät, warum das Leben am Bodensee genial ist.
Herr Schachmann, wann haben Sie zum ersten Mal die Tour de France verfolgt?
Maximilian Schachmann: Bei Jan Ullrichs Sieg 1997 war ich drei Jahre alt, da noch nicht. (lacht) Es müsste so 2001 oder 2002 gewesen sein. Ein Bild, das ich noch vor Augen habe, ist, wie Ullrich im Bianchi-Trikot den Berg hochgefahren ist, das war 2003. Meine Schwester war damals ein großer Lance-Armstrong-Fan, meine Eltern waren mehr auf der Ullrich-Seite und ich war eher neutral. Ich weiß auch nicht, aber ich war noch nie so der Idol-Mensch, der für einzelne Personen gebrannt hat und ihnen nacheifern wollte. Das gab es nie in meinem Leben. Meine Begeisterung galt immer dem Sport generell. Ich bin gespannt, was mich bei meiner ersten Tour erwartet. Ich kann mir gar nicht so richtig vorstellen, dass die Tour nochmal etwas komplett anderes ist als jedes andere Rennen, aber ich lasse mich gerne überraschen.
Während früher ganz Sport-Deutschland gebannt vor dem Fernseher die Tour verfolgte, ist die Magie seit nun schon vielen Jahren durch die ganzen Doping-Geschichten verloren gegangen. Glauben Sie, dass eine neue Euphorie entfacht werden könnte, sollte ein Deutscher vorne mitfahren, oder ist das unrealistisch?
Schachmann: Das ist eine gute Frage, über die ich mir ehrlich gesagt schon viele Gedanken gemacht habe. Ich bin zum Schluss gekommen, dass es unglaublich schwer zu prognostizieren ist, ob so etwas noch einmal passieren könnte. Es ist extrem viel Vertrauen verloren gegangen, das ist völlig klar. Dieses Vertrauen müssen wir uns Stück für Stück zurückholen und uns verdienen, genau das versuchen wir. Die Generation um Tony Martin, Andre Greipel und John Degenkolb hat dafür schon viel getan und jetzt ist meine Generation um Emanuel Buchmann, Pascal Ackermann und mich auch dabei, wieder für mehr Glaubwürdigkeit für den Radsport zu sorgen. Aber es ist schwierig. Ich habe das Gefühl, dass das Thema Radsport für die breite Masse im Jahr 2007, als die Dopingaffäre ihren Höhepunkt fand, stehengeblieben ist. Damals ist viel zerbrochen und der Fokus verloren gegangen. Nur die Radsport-Insider wissen, dass sich seitdem viel getan hat im Kampf gegen Doping, aber die Millionen, die früher die Tour geschaut haben, wissen nicht Bescheid. Diese Menschen müssen wir aufklären und wieder erreichen. Das ist unsere Aufgabe.
Schachmann: "Ich gehe lieber mit zu hohen Zielen ins Rennen"
Also haben Sie die Hoffnung nicht aufgegeben auf eine neue Euphorie?
Schachmann: Nein, ich hoffe wirklich, dass eine neue Euphorie entstehen kann. Ich muss als Radsportler eine ganze Menge entbehren. Alleine um eine Etappe zu gewinnen oder einfach nur um vorne mitzufahren, für mich heißt das eine Platzierung in den Top 10, muss ich viele Opfer bringen. Dahinter steckt extrem viel Arbeit. Deshalb wäre es schön, wenn das von den Zuschauern auch wertgeschätzt wird und wir wieder eine Begeisterung auslösen können.
Was können Sie sich denn als Ziel für Ihre erste Tour stecken?
Schachmann: Für mich geht es in erster Linie darum, in einer Helferrolle einen Lernprozess zu durchleben und für die Zukunft Erfahrungen zu sammeln. Aber ich bin ehrlich: Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich immer Ambitionen habe. Immer. (lacht) Ich will natürlich unsere Kapitäne so gut es geht unterstützen und mithelfen, dass wir uns als Team erfolgreich präsentieren, ich will aber auch meine eigene Chance suchen und ähnlich wie beim Giro d'Italia mal mit einer Gruppe mitgehen und schauen, ob ein Etappensieg möglich ist. Klappt das nicht, ist es auch nicht schlimm, aber ich gehe lieber mit zu hohen Zielen ins Rennen als mit zu niedrigen.
Ihre Form ist 2019 beängstigend gut. Der Wechsel von Quick-Step zum Team Bora-hansgrohe hat sich voll ausgezahlt. Haben Sie sich selbst überrascht?
Schachmann: Ich bin froh, dass sich der Wechsel bis jetzt ausgezahlt hat, weil in der jüngeren Geschichte eigentlich jeder schlechter geworden ist, der von Quick-Step weggegangen ist. Da bin ich zum Glück die große Ausnahme. Ich hatte natürlich große Hoffnungen und war gespannt, wie es für mich in meinem neuen Team laufen würde, aber dass es so fantastisch läuft, damit habe ich nicht gerechnet. Drei Etappen bei der Baskenland-Rundfahrt zu gewinnen und bei den extrem schweren Klassikern dreimal in den Top 5 und beim schwersten, Lüttich-Bastogne-Lüttich, sogar auf dem Podium zu landen, waren große Erfolge für mich. Ich bin ja erst in meinem dritten Jahr als Profi.
Schachmann: "Du darfst keine Sekunde schlafen"
Was ist Ihre Erklärung für die starke Form?
Schachmann: Für mich kommen zwei Faktoren zusammen. Zum einen ist es das Ergebnis einer stetigen Weiterentwicklung. Ich habe mich schon seit einigen Jahren komplett dem Radsport verschrieben, der Radsport bestimmt mein Leben. Und zum anderen hat der Teamwechsel mir neue Chancen eröffnet. Ich habe schon bei Quick-Step gute Leistungen als Helfer gebracht und meinen Teil zu den Erfolgen beigesteuert, aber diese Helferdienste tauchen eben auf keiner Ergebnisliste auf. Jetzt habe ich ein Team gefunden, das hinter mir steht, mich fördert und mir auch die Möglichkeit bietet, auf Ergebnis zu fahren. Das ist ein riesengroßer Unterschied.
Chris Froome ist nach seinem Horrorunfall im Training nicht bei der Tour dabei. Wie sehen Sie den Favoritenkreis in diesem Jahr?
Schachmann: Ich glaube, es war definitiv schon mal leichter, einen Favoriten auszumachen. Es gibt viele Fragezeichen. Für Froome ist es natürlich bitter. Von einer Böe erwischt zu werden und ungebremst in die Wand zu knallen, ist das Schlimmste, was einem passieren kann. Es hat mir aber auch wieder gezeigt, wie gefährlich es ist, wenn wir so schnell unterwegs sind und wie konzentriert man sein muss. Ich bin letztens mit Rückenwind mit 102 km/h einen Pass heruntergefahren, da darfst du keine Sekunde schlafen.
Wenn Sie sich den Etappenplan der Tour anschauen, auf was freuen Sie sich besonders?
Schachmann: Es wird eine schöne Tour. In der ersten Woche geht es gleich in die Vogesen, da habe ich aus der Tour Alsace gute Erinnerungen und freue mich schon richtig auf die wunderschöne Gegend. In den Alpen kenne ich mich auch ganz gut aus, die Pyrenäen werden dagegen etwas komplett Neues für mich. Ich habe eine gute Idee, was mir liegen könnte und freue mich vor allem auf das Drumherum und die vielen Fans an der Strecke.
Sie haben angesprochen, dass Sie in Ihrem dritten Profijahr sind. Wie schwer ist es denn, sich im Peloton zu integrieren und sich Respekt zu verschaffen?
Schachmann: Am Anfang habe ich mich erst mal etwas ungläubig umgeschaut, weil ich plötzlich mitten zwischen Leuten gefahren bin, die ich vorher nur aus dem TV kannte. Da hatte ich natürlich eine Menge Respekt. Ich wollte keinem vors Vorderrad fahren und es mir gleich verscherzen. In den ersten Jahren war es in den Rennen auch sehr ruhig für mich, weil ich niemanden kannte. Inzwischen finde ich immer jemanden, mit dem ich quatschen kann. Und inzwischen habe ich auch keine Scheu mehr davor, mir den nötigen Platz zu verschaffen, wenn ich gute Beine habe und auf Ergebnis fahren will. Insgesamt ist der Umgang sehr respektvoll im Peloton, das gefällt mir am Radsport.
Bei der Tour stehen viele verrückte Fans am Straßenrand, was ist denn das Verrückteste, was Sie bislang auf der Strecke so erlebt haben?
Schachmann: In Kalifornien bin ich einmal mit 70 km/h den Pass runtergerast und dann lag da eine riesige Klapperschlange auf der heißen Straße. Schön rund war sie und lag da herum. Ich bin nicht zimperlich, aber die war echt groß und ich dachte mir nur: Hoffentlich bewegt die sich jetzt. Ich hatte richtig Kopfkino, dass sie in meine Wade beißt. (lacht)
Schachmann: "Ich war mir nicht sicher, ob es ohne Doping geht"
Sie habenin der Jugend auch Fußball gespielt, warum ist es dann doch der Radsport geworden?
Schachmann: Mannschaftssport war damals nicht so mein Ding, irgendwie fiel mir das schwer. Jetzt bei den Profis ist Radsport auch ein totaler Teamsport und jetzt mag ich es, aber in der Jugend ist der Radsport viel individueller, für mich war das genau richtig. Als wir dann in den Berliner Speckgürtel gezogen sind, mit katastrophaler Bus-Anbindung, habe ich entschieden, bei Wind und Wetter mit dem Rad in die Schule zu fahren. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich manchmal durchnässt in der Schule saß. Ich habe schnell gemerkt, dass ich meine Schulkameraden ganz leicht abhängen kann und als sich mein Vater ein neues Rennrad kaufte, konnte ich ihm auch mit meinem Mountainbike das Leben schwer machen. So bin ich da immer mehr reingerutscht und habe dann auch schnell Erfolge gefeiert.
Und die Zeitfahrqualitäten stammen aus der Schulzeit, oder?
Schachmann: (lacht) Das kann gut sein. Wenn ich mal wieder zu spät losgekommen bin, musste ich auf dem Weg zur Schule auch Zeit rausfahren, um rechtzeitig vor der Klingel da zu sein.
Auch wenn sich früh Erfolge eingestellt haben, gab es nie einen Moment, in dem Sie überlegt haben, ob der Profi-Radsport wirklich ein erstrebenswertes Ziel ist?
Schachmann: Für mich war immer klar, dass ich auf jeden Fall mein Abitur machen will. Ich mag keine halben Sachen, also musste ich in der Jugend viel investieren. Ich war im ersten G8-Jahrgang dabei. Ich hatte lange Tage, um die Schule und den Radsport unter einen Hut zu bekommen. Das war hart, aber es hat auch Spaß gemacht. Mein Glück war, dass mir in der Schule relativ viel zugeflogen ist. Die Zweifel kamen für mich in den Junioren-Jahren. Ich bin so erzogen worden, dass Doping für mich nie im Leben ein Thema sein kann. Aber ich war mir nicht sicher, ob es ohne Doping geht. Auf allen Kanälen hat man ja gehört, dass es jeder macht und machen muss. Ich war mir echt unsicher und habe auch über Alternativen zum Radsport nachgedacht. Als ich bei den Junioren-Weltmeisterschaften Erfolge feiern konnte, habe ich mich entschieden, weiterzumachen. Ich habe aber auch da noch gesagt: "Wenn ich Profi werde und merke, dass ich dopen muss, höre ich sofort wieder auf." Heute kann ich sagen, dass es kein von Teams gefördertes Doping mehr gibt. Ich würde nicht für jeden Einzelnen meine Hand ins Feuer legen, aber ich habe in diesem Jahr am eigenen Leib erfahren, dass ich mit harter und fairer Arbeit in der Weltspitze mitfahren und große Erfolge feiern kann. Das gibt mir ein gutes Gefühl.
Maximilian Schachmann im Steckbrief
Geburtstag | 9. Januar 1994 |
Geburtsort | Berlin |
Teams | Quick-Step Floors (2017 & 2018), Bora hansgrohe (seit 2019) |
Schachmann: "Es ist genial am Bodensee"
Was wäre die Alternative zum Radsport gewesen?
Schachmann: Ich hatte sogar schon ein Studium angefangen, Wirtschaftsingenieurwesen und Maschinenbau. Mathe und Physik war schon immer mein Ding. (lacht)
Passend dazu: Musikboxen zu bauen, soll auch ein Hobby von Ihnen sein.
Schachmann: Das stimmt. Leider habe ich dafür überhaupt keine Zeit mehr. Ich war seit Anfang des Jahres höchstens 50 Tage zuhause, da bleibt für ein Hobby leider keine Zeit. Aber es würde mir immer noch Spaß machen, Frequenzweichen zu löten und ein Gehäuse zusammenzuschustern. Am besten noch einen Drehteller designen, Lautsprecherbau ist ein weites Feld. Musik spielt generell eine ganz wichtige Rolle für mich. Wenn ich im Höhentrainingslager bin, höre ich bestimmt sechs Stunden am Tag Musik. Hardrock ist nicht mein Fall, aber ansonsten höre ich querbeet alles. Wenn man so viel hört wie ich, kann man sich nicht auf ein Genre beschränken, da muss Abwechslung rein.
Zuhause ist für Sie die Bodenseeregion geworden. Was macht für Sie die Faszination der Gegend aus?
Schachmann: Ich vermisse die Großstadt Berlin nullkommanull. Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich schon in Berlin zuletzt am Stadtrand gewohnt und das Angebot der Großstadt nicht viel genutzt habe. Es ist genial am Bodensee. Die Lebensqualität ist enorm hoch und zum Trainieren ist es auch perfekt. Du bist ganz schnell am Alpenrand, wo es ausreichend bergauf und bergab geht, du kannst am See flach entlangfahren, und im Winter kannst du auf dem Mountainbike Touren machen. Es gefällt mir richtig gut. Also wenn ich denn mal da bin. (lacht)
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