Federer: Der King der ATP-Finals

Philipp Joubert
19. November 201015:28
Roger Federer hat in seiner großen Karriere bislang 65 Turniere gewonnen Getty
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Nach dem erfolgreichen Debüt im letzten Jahr kehren die ATP World Tour Finals nach London zurück. In der O2 Arena, nur 20 Kilometer von Wimbledon entfernt, spielen die acht besten Tennisspieler des Jahres um den Titel des inoffiziellen Weltmeisters. 2009 gewann Nikolai Dawydenko auf dem relativ schnellen Hardcourt. Auch wenn der Russe in diesem Jahr fehlt, ist eine Woche hochklassiges Tennis garantiert. Der Ausgang des Turniers ist offen wie selten, Favorit ist trotzdem ein alter Bekannter: Roger Federer.

1. Roger Federer

Roger Federer ist der Spieler, den es in London zu schlagen gilt. Seine Bilanz der letzten Wochen liest sich überzeugend, trotz der schmerzvollen Niederlage beim letzen Vorbereitungsturnier in Paris, als er im Halbfinale keinen seiner fünf Matchbälle gegen Gael Monfils nutzen konnte. Anfang des Jahres sah es nach einem weiteren überragenden Jahr für den Schweizer aus, nachdem er souverän bei den Australian Open triumphierte.

In den folgenden Monaten jedoch hatte es fast den Anschein, als hätte Federer die Motivation etwas verloren. Einigen frühen Niederlagen im Frühling folgte erstmals seit sechs Jahren eine Niederlage vor dem Halbfinale eines Grand-Slam-Turniers, als er in Paris gegen Robin Söderling verlor. Bei seiner Niederlage gegen Tomas Berdych in Wimbledon sah er dann endgültig nur noch wie ein durchschnittlicher Top-10-Spieler aus.

Nach diesem Schockerlebnis überwand der Sturkopf Federer sich jedoch, engagierte zum ersten Mal seit Jahren einen richtigen Trainer (Paul Annacone) und spielte in den darauf folgenden Monaten wieder häufiger wie der alte Roger Federer. Zwar fehlt dem Weltranglisten-Zweiten mittlerweile die Konstanz im Spiel, die ihn vor Jahren noch so auszeichnete.

Ganz wichtig aber: Er bewegt sich endlich wieder so gut auf dem Platz wie in den besten Jahren seiner Kariere. Die geschmeidigen, kleinen Schritte, die es ihm ermöglichen, fast immer optimal zum Ball zu stehen und unverzüglich von der Defensive in die Offensive umzuschalten, sind die Grundlage seiner großartigen Bilanz beim Jahresendturnier, das er schon viermal gewinnen konnte.

2. Andy Murray

Außerhalb der Grand-Slam-Turniere ist Andy Murray seit mindestens zwei Jahren der beste Hardcourt-Spieler der Welt. Er hat Federer in den letzten beiden Aufeinandertreffen in diesem Sommer und Herbst überzeugend geschlagen und trotz seiner Niederlage im letzten Jahr gegen den Schweizer in London eines der besten Matches des Jahres gespielt.

Aber wie schon bei den Grand Slams fehlte ihm bei seinen beiden Auftritten am Jahresende das letzte bisschen Weitsicht, um zu gewinnen. Bei seiner Premiere 2008 verzettelte er sich in einer stundenlangen Schlacht mit Federer im letzten Gruppenspiel, obwohl er schon längst für das Halbfinale qualifiziert war. Am nächsten Tag schied er erschöpft aus.

Auch im letzen Jahr stand er sich selbst im Weg, als er zwar nur ob einer unglücklichen Konstellation ausschied, da er weniger Spielgewinne in der Gruppenphase verbuchen konnte als Federer und Juan Martin del Potro. Das eigentliche Problem aber war, wie schon so oft, seine Passivität im entscheidenden Match, als er sich von Fernando Verdasco bis in den Tiebreak des dritten Satzes zwingen ließ.

Davon abgesehen steht eigentlich nur noch ein unterdurchschnittlicher zweiter Aufschlag zwischen dem Schotten und seinem ersten ganz großen Titel - und das wäre London ohne Zweifel für ihn.

3. Rafael Nadal

Die einzig bedeutende Trophäe, die Rafael Nadal in seiner Kariere noch fehlt, ist die der ATP World Tour Finals. Doch bei seinen bisherigen Auftritten hat der Spanier kaum einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Meist kam er erschöpft zum Jahresendturnier, zweimal fehlte er sogar verletzt - und auch dieses Jahr musste er das letzte Vorbereitungsturnier in Paris mit einer Schulterverletzung absagen. Warum sollte es dieses Jahr also besser werden?

Zum ersten Mal hat Nadal in diesem Sommer gezeigt, dass er konstant zu den besten Hardcourt-Spielern der Welt gehören kann. Er versucht mittlerweile, die Punkte selber zu beenden anstatt seine Gegner müde zu spielen. Die US Open hat er gewonnen, obwohl er in der Vorbereitung keine überragenden Resultate hatte. Früher brauchte Nadal das Selbstvertrauen einer Siegesserie, um auf der allergrößten Bühne zu triumphieren.

Jetzt kann er scheinbar wie Federer aus dem Nichts kommen und die wichtigsten Titel gewinnen. Dazu hat er als einziger Spieler in diesem Jahr gegen sechs der sieben Gegner gewonnen, nur gegen einen groß aufspielenden Andy Roddick in Miami war er unterlegen. Hier liegt auch das einzige Problem des Mallorquiners.

Wenn es auf schnelleren Belägen nur über drei Gewinnsätze geht, sind die grund- und aufschlaggewaltigen Gegner oft in der Lage, ihn vom Platz zu prügeln, ohne sich wie bei den Grand Slams auf stundenlange Kämpfe einlassen zu müssen. Trotz dieses Problems sind Nadals Chancen in diesem Jahr gut wie nie.

4. Robin Söderling

Vor seinem großen Durchbruch auf Sand war Söderling vor allem eines: Ein ausgewiesener Hallenspezialist.

Der große Schwede, der seine Gegner mit seinen Grundschlägen regelrecht beschießt und dazu noch einen der wuchtigsten Aufschläge besitzt, fühlt sich auch heute noch unter dem Dach extrem wohl.

In der vergangenen Woche gewann er in Paris sein erstes wichtiges Turnier und hielt dabei dem sehr lauten Pariser Publikum stand, als er sowohl im Halbfinale als auch im Finale einen Franzosen besiegte.

Auch in London hinterließ er 2009 mächtig Eindruck, als er erst im Halbfinale unglücklich ausschied und davor Novak Djokovic und Nadal keine Chance ließ. Dieses Jahr kann es gut und gerne einen Schritt weiter gehen für ihn, denn Angst vor großen Namen hat der Schwede sicherlich nicht.

Platz 5 bis 8: Von Djokovic bis Berdych

5. Novak Djokovic

Keine Frage, Djokovic müsste eigentlich höher stehen auf dieser Liste. Schließlich ist er neben Federer der einzige Spieler im Teilnehmerfeld, der das Turnier zuvor schon einmal gewonnen hat.

In der zweiten Hälfte des Jahres hat er endlich auch wieder gezeigt, warum er einst als der natürliche Nachfolger von Federer an der Spitze der Weltrangliste gehandelt wurde. Zwar verlor er das Finale der US Open gegen Nadal, aber von dem Selbstvertrauen, das er beim Sieg über Federer im Halbfinale gewonnen hat, wird er noch lange zehren.

Djokovic ist dann am besten, wenn er sich mit seiner Hartnäckigkeit und Intensität in ein Match oder Turnier reinbeißen kann. Aber er weiß auch, dass sein Energiereservoir gesundheitsbedingt nicht unbegrenzt ist. Daher wird er die verbleibenden Kräfte auf das konzentrieren, was er wirklich will: Den Davis Cup vor den eigenen Fans in Belgrad gewinnen.

Das Finale gegen Frankreich findet in der Woche nach London statt und der Patriot Djokovic hat verkündet, dass es für ihn nichts Wichtigeres geben kann. Trotzdem wird er die Fans in London unterhalten, und das nicht nur mit seinen Outfits wie beim letzten Auftritt in Paris, sondern auch mit seinem spektakulären Spiel.

6. David Ferrer

Er rennt und rennt und rennt, dieser sympathische Spanier. Das sieht oft nicht so aufregend aus wie bei anderen Spielern, die aus jeder Ecke des Platzes einen Winner schlagen können. Dafür kann man sich bei Ferrer darauf verlassen, dass er den Platz erst verlässt, wenn er wirklich alles gegeben hat.

Viele hätten lieber seinen ungleich spektakuläreren und eitleren Landsmann Verdasco in London gesehen, den er auf der Zielgeraden knapp hinter sich gelassen hat. Aber Ferrer könnte im Gegensatz zu Verdasco, der letztes Jahr ohne Sieg abreisen musste, sogar beim Kampf um die Halbfinalplätze mitsprechen.

Bei seinem einzigen Auftritt bei den World Tour Finals vor drei Jahren erreichte er nämlich das Finale. Und Verdasco kann das tun, was er am besten kann: Gut aussehen und es die Welt wissen lassen.

7. Andy Roddick

Der Preis für den lustigsten Tennistweet des Jahres geht ganz klar an Roddick. Nachdem er als einer der wenigen Spieler die Ehre hatte, die englische Königin bei ihrem diesjährigen Wimbledon-Besuch zu treffen, tweetete der US-Amerikaner folgendes Bonmot: "met the queen of england today .... she said she loved me in the american pie movies."

Leider ist er auf dem Platz schon lange nicht mehr so spektakulär. Es gibt zwar Ausnahmen wie Wimbledon im letzten Jahr und Miami im Frühling, als er aggressiv und entschlossen wirkte. Ansonsten fällt er vor allem dadurch auf, dass er seine Vorhand, einst seine größte Waffe neben dem Aufschlag, ins Feld rollt statt die Gegner zu dominieren.

Ohne Federer hätte Roddick vermutlich ein paar Grand Slams mehr neben seinem Namen stehen. Außer dem Schweizer ist niemand so konstant wie Roddick, der sich dieses Jahr zum achten Mal in Folge für das Jahresendturnier qualifizieren konnte. Dabei hat er allerdings nicht mehr als zwei Halbfinalteilnahmen zu Buche stehen. Dieses Jahr wäre der Texaner wahrscheinlich froh, wenn es wenigstens dazu reichen würde.

8. Tomas Berdych

Viele Jahre haben die Experten auf den Durchbruch von Tomas Berdych gewartet, und als es dann soweit war, ging es fast zu schnell. Im März dieses Jahres konnte er in Miami das erste Mal nach acht Niederlagen in Folge Federer besiegen und dabei sogar einen Matchball abwehren.

Zwar verlor er das Finale des Turniers gegen Roddick, aber trotzdem startete ein großartiger Sommer für den Tschechen. Dem ersten Grand-Slam-Halbfinale in Paris bei den French Open folgte in Wimbledon der abermalige Sieg über Federer im Viertelfinale. Erst im Finale wurde er von Nadal gestoppt.

Das dritte Aufeinandertreffen des Jahres mit Federer in Toronto beendete den Erfolgslauf dann allerdings abrupt. Berdych servierte aufs Match, aber die Nerven versagten und Federer triumphierte. Seitdem hat Berdych nur noch viermal als Sieger den Platz verlassen.

Kam der Erfolg nach der langen Wartezeit zu plötzlich? Ist der Tscheche vielleicht gar nicht so gut? Man wird es sehen, aber wohl erst im nächsten Jahr. Denn obwohl Berdych mit seinem imposanten Service (nur Mardy Fish gewinnt mehr Punkte mit dem ersten Aufschlag) und seiner wuchtigen und präzisen Vorhand, die wohl noch in zehn Jahren in den Lehrvideos auftauchen wird, das ideale Spiel für die Halle hat, scheint der Tank leer zu sein.

Die ATP-Weltrangliste