US Open - Kommentar zu Zverevs Finalniederlage gegen Thiem: Kein Kollaps, sondern ein Schritt zum Titel

Stefan Petri
14. September 202010:39
Alexander Zverev hat das US-Open-Finale auf dramatische Art und Weise verloren.getty
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Das hauchdünn verlorene Endspiel bei den US Open gegen Dominic Thiem wird Alexander Zverev wohl noch lange verfolgen. Dennoch sollte der Deutsche aus seinem Auftritt in Flushing Meadows vor allem viel Positives mitnehmen. Dabei hilft auch ein Blick in die Tennis-Geschichtsbücher. Ein Kommentar von SPOX-Redakteur Stefan Petri.

"Wer weint, vermindert seines Grames Tiefe", schrieb William Shakespeare einmal. Tränen vergoss Alexander Zverev bei der Siegerehrung der US Open zwar, doch grämen wird sich der 23-Jährige noch lange: 2:0-Satzführung, frühes Break im dritten Durchgang, dann sogar das 5:3 im entscheidenden fünften Satz - diese verpasste Chance auf das ersehnte erste Major wird ihm noch die eine oder andere schlaflose Nacht bereiten.

Manch einer wird angesichts der erwähnten Führungen nun vermutlich von einem "epischen Kollaps" sprechen, und tatsächlich muss man bis ins Jahr 1949 zurückgehen, um ein US-Open-Endspiel zu finden, das nach 2:0 Sätzen noch verloren wurde (der Amerikaner Ted Schroeder verlor damals gegen Landsmann Pancho Gonzalez).

Mehr noch: Zverev hat trotz nun schon vielen Jahren in der Weltspitze bei einem Grand Slam weiterhin noch keinen einzigen Top-10-Spieler schlagen können (die Bilanz steht jetzt bei 0-8). Federer und Nadal waren nicht am Start, Topfavorit Djokovic eliminierte sich selbst. Wie schnell wird er eine zweite Chance bekommen? Hinter Thiem warten mit Medvedev, Tsitsipas und Konsorten schließlich zahlreiche weitere Anwärter auf die Grand Slams.

Dennoch sollte Zverev aus Flushing Meadows vor allem Positives mitnehmen. So bitter die zwei Wochen auch endeten: Sie haben gezeigt, dass ihm zum ganz großen Triumph nur ganz wenig fehlt.

US Open: Zverevs Niederlage gegen Thiem war kein Kollaps

Die ganz dicken Brocken auf dem Weg ins Endspiel fehlten zwar, doch gegen Coric, Carreno Busta und Co. bewies Zverev mehrfach Comeback-Qualitäten - und er zeigte, dass er solche Matches mittlerweile auch gewinnen kann, ohne sein bestes Tennis zu spielen.

Im Finale stellte er dann über die ersten zwei Sätze unter Beweis, dass dieses beste Tennis durchaus Grand-Slam-würdig ist: Mit seinem knallharten ersten Aufschlag und druckvollem Grundlinienspiel dominierte er in Thiem über weite Strecken einen Weltklassespieler, der vor dem Match klarer Favorit war.

Nun steht am Ende zwar trotz allem die Niederlage. Aber war es deswegen ein Kollaps? Nein, denn Zverev brach im fünften Satz nicht ein, sondern kam immer wieder zurück, war zwischenzeitlich sogar nur zwei Punkte vom Titel entfernt.

Kein Zweifel, am Ende ließ das Niveau enorm zu wünschen übrig. Das brutale Nervenflattern auf beiden Seiten sorgte dafür, dass die Rallys teilweise an Federball erinnerten, so behutsam wurde der Ball zum Gegenspieler bugsiert.

Doch wie Zverev etwa beim Stand von 4:3 im Fünften mehrfach attackierte, ans Netz kam und die Entscheidung erzwingen wollte, das macht Mut. Am Ende war er trotz der fünf Sätze im Halbfinale der fittere Spieler - und auch in Sachen Nervenkostüm hatte ihm Thiem am Ende nicht wirklich etwas voraus, obwohl der schon sein viertes Grand-Slam-Finale bestritt.

Zverevs Finalniederlage bei den US Open: In den Fußstapfen von Murray und Agassi

Thiem vermied durch den Turniersieg das Schicksal von Andy Murray, der seine ersten vier Endspiele allesamt verloren hatte. Andre Agassi verlor seine ersten drei Finals, ebenso Goran Ivanisevic: Selbst historisch gute Spieler müssen oftmals erst Lehrgeld zahlen. Eurosport-Experte Boris Becker hatte es vor der Partie treffend zusammengefasst: "Es ist eben nicht normal, dass man das erste Grand-Slam-Finale direkt gewinnt."

Insofern sollte Zverev diese Niederlage nicht nur als verpasste Chance sehen, sondern als weiteren großen Schritt zum anvisierten Major-Titel. Und sich mit folgender Tatsache trösten: Er ist erst 23. Noch weist sein Spiel offensichtliche Schwächen auf - man denke nur an den zweiten Aufschlag. Wenn er weiter an sich arbeitet und diese Schwachpunkte Stück für Stück aus seinem Spiel eliminiert, dann gibt es keinen Grund, warum er nicht schon bald den Platz ganz oben auf dem Podium einnehmen sollte.