Rafael Nadal und die French Open: Ein etwas anderer Rückblick

Stefan Petri
28. Mai 202112:49
SPOXgetty
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Ab Sonntag greift Rafael Nadal bei den French Open nach seinem 14. Titel. Noch nie hat jemand ein Grand-Slam-Turnier derart dominiert wie der bald 35 Jahre alte Mallorquiner - eine Tatsache, die SPOX-Redakteur Stefan Petri fast schon ratlos zurücklässt. Ein etwas anderer Rückblick auf die Ära Nadal.

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Ich verfolge Tennis seit Mitte der 90er, also seit mittlerweile gut zweieinhalb Jahrzehnten. Was meine erste Tennis-Erinnerung ist, kann ich nicht mehr genau sagen. Unvergessen geblieben ist mir das Wimbledon-Finale zwischen Richard Krajicek und MaliVai Washington - wegen der Flitzerin zu Beginn? -, aber damit hat es nicht angefangen. Michael Stichs üble Knöchelverletzung im Herbst 1995 habe ich mit ziemlicher Sicherheit gesehen, und natürlich waren mir Boris Becker und Steffi Graf auch zuvor schon ein Begriff, schließlich griff ich als Kind und später als Jugendlicher im Verein auch gern mal zum Schläger.

Ich war Sampras-Fan, Greg Rusedski fand ich super - warum, ist im Rückblick irgendwie schwierig zu sagen - die Schweden waren alle cool, oder auch Justine Henin und ihre Rückhand. Das French-Open-Finale 1999 zwischen Graf und Martina Hingis, Andre Agassis tränenreicher Rücktritt nach der Niederlage gegen Benjamin Becker, bis hin zum letzten Wimbledon-Finale zwischen Roger Federer und Novak Djokovic.

Eine zugegebenermaßen lange Einleitung, um zu folgender Feststellung zu gelangen: Die Hälfte aller French Open meines Tennislebens hat Rafael Nadal gewonnen.

Wie ist so etwas überhaupt möglich?

Rafael Nadals Anfänge und das Sandplatztennis aus einer anderen Ära

Angefangen hat alles 2005, da war ich 21. Wobei ich eben zögerte, als ich schreiben wollte, dass Nadals "Stern" bei den French Open damals "aufgegangen war". Schließlich kam er nicht aus dem Nichts, wie etwa Jelena Ostapenko 2017 - oder auch Martin Verkerk, der 2003 als unbekannter Holland-Lulatsch plötzlich das Finale von Roland Garros gegen Juan Carlos Ferrero bestritt.

Nadal war bei seinen ersten French Open an vier gesetzt, schließlich hatte er im gleichen Kalenderjahr zuvor schon fünf Sandplatzturniere gewonnen, darunter den Sweep Monte Carlo-Barcelona-Rom in der Vorbereitung. Ich weiß nicht mehr, ob er für mich damals Favorit auf den Titel war, auf der Rechnung hatte man ihn aber allemal, neben der Armada an Sandplatzwühlern aus Spanien und Argentinien - und natürlich Federer.

Überhaupt. Sandplatztennis. Das war "zu meiner Zeit", höhö, also Mitte/Ende der 90er bis hin ins neue Jahrtausend, noch ein Ding. So unterschiedlich waren die Beläge, dass die Sergi Brugueras und Alberto Berasateguis sich die vier Wochen Rasentennis im Kalender teilweise direkt schenkten, weil sich Flugtickets und Spesen vom Preisgeld für das Aus in der ersten Runde in Queens und Wimbledon gar nicht decken ließen, um es mal ganz salopp zu sagen. Und ein "Pistol Pete" auf roter Asche gefühlt nur mit einer halbleeren Spritzpistole bewaffnet war.

Auf der einen Seite das "Einwurf-rennrennrennrenn-Vorhand"-Tennis, auf der anderen die "Kanonenaufschlag-Fluchtnachtvorn-Volley"-Variante, und beide gingen sich zwangsweise so gut es ging aus dem Weg. Allrounder wie Agassi waren die Ausnahme, die die Regel bestätigten. Gute alte Zeit.

Als Nadal anno 2005 also ins Finale von Paris stürmte, war es in dieser Hinsicht also kein Erdbeben, das die Tenniswelt erschütterte. Aber er hätte sich durchaus einreihen können in die Liste der Sieger vor ihm, allesamt Sandplatzspezialisten: Gaston Gaudio, Juan Carlos Ferrero, Albert Costa, und natürlich Guga Kuerten.

Hat Rafael Nadal die Ära der Sandplatzspezialisten beendet?

Die Highlights aus dem Finale 2005 sind ein faszinierendes Relikt aus einer anderen Ära, fast schon Tennis-Kreidezeit. Mariano Puerta, Nadals Finalgegner aus Argentinien - und mehrfacher Dopingsünder - spielt, pardon, richtig geiles, altmodisches Sandplatztennis, mit Vorhandpeitsche, Slice-Aufschlag, einer nur adäquaten einhändigen Rückhand. Er stöhnt, als wolle er es in Sachen Lautstärke mit den Airlinern auf dem Charles de Gaulle aufnehmen, und, es ist schwer in Worte zu fassen, "bewegt" sich wie ein Sandplatzspieler.

Puertas beste Ergebnisse bei den übrigen Grand Slams: zweimal 2. Runde US Open, einmal 2. Runde Australian Open, viermal 1. Runde Wimbledon.

Nadal, mit Bandana, Muskelshirt und Dreiviertelhose, zeigt vor allem seine bis heute legendären Counterpuncher-Qualitäten, ist ansonsten aber deutlich weniger aggressiv als in den letzten Jahren. Er zwingt Puerta in die Knie, weil der Nadals Defensive einfach nicht durchbrechen kann.

Mit Nadals Sieg, seinem ersten French-Open-Triumph endet so die Ära der Sandplatzspezialisten - einen Grand-Slam-Erfolg gab es für sie seitdem nicht mehr. Gut, eigentlich ja auch nicht mehr für alle anderen, von drei Ausnahmen mal abgesehen (Federer 2009, Wawrinka 2015, Djokovic 2016). Womit sich die Frage stellt: War es wirklich Nadal, der die Ära der Sandplatzspezialisten beendet hat?

Die tiefgreifenden Änderungen in der Tenniswelt vor rund 15-20 Jahren sind gut dokumentiert: Die Beläge wurden langsamer, insbesondere Rasen, die Bälle schwerer. Dazu kommt die Evolution der Racket-Technik, mit größeren Sweetspots und viel mehr Kontrolle. Resultat: Serve-and-Volley ist quasi ausgestorben, auf allen Belägen wird mehr oder weniger der gleiche Stil gepflegt - die T-Linie auf dem Centre Court in Wimbledon ist der beste Beweis. Wenn man will, gibt es keine Sandplatzspezialisten mehr, weil es überhaupt keine Spezialisten mehr gibt.

Bei den Damen war die Trennung nie so sehr ausgeprägt, auch wenn es natürlich auch Sandplatzwühlerinnen wie Arantxa Sanchez-Vicario oder Conchita Martinez gab. Und es gibt weder einen Nadal noch eine "Big-Three-Ära", was zwangsläufig für mehr Abwechslung sorgt: In den letzten sieben Jahren gab es in Paris sieben verschiedene Siegerinnen.

Und so kann man den Spieß auch umdrehen: Es gibt noch Sandplatzspezialisten - aber ihr Spiel greift auf den übrigen Belägen viel besser. Dafür gibt es keine Hart- bzw. Rasenspezialisten mehr: Ein Dominic Thiem ist zweifelsfrei Weltklasse. Aber er kann in in Melbourne und New York auch deshalb um die Titel mitspielen, weil er eben nicht Angst haben muss, in Runde zwei von einem Aufschlagkanonier mit grandioser Tagesform weggefegt zu werden.

Ist Nadal ein Sandplatzspezialist? Bei sieben Titeln abseits von Roland Garros erübrigt sich die Frage. Man könnte sicherlich anführen, dass er zumindest mal einer war, schließlich hat er seine ersten vier Grand Slams auf Sand eingefahren. Und doch ...

An viele French-Open-Endspiele von Nadal habe ich keine ausgeprägten Erinnerungen mehr, muss ich gestehen. 6:1, 6:3, 6:0, 6:2 - irgendwann verschwimmt alles. Interessanterweise ist das beim Finale 2006 nicht der Fall, dem ersten Endspiel Nadal vs. Federer. Ich war bei Freunden im Garten, ich tippe auf Tischtennis oder Grillen. Das Finale lief im Wohnzimmer, ich verfolgte es also nur nebenher, kann mich aber noch gut an den ersten Satz erinnern, in welchem Federer den Spanier mit 6:1 förmlich deklassierte. Und ich dachte: Wow, er hat ein Rezept gegen ihn gefunden.

Hatte er nicht - und wenn, dann konnte er das geforderte Niveau dafür einfach nicht halten. 6:1, 6:4, 7:6 lauteten die nächsten drei Sätze zugunsten Nadals, der dem Schweizer in Paris danach nie wieder eine wirkliche Chance ließ.

Dabei kam - kommt? - Federer mit Sandplatzspezialisten eigentlich immer gut zurecht (17:0-Bilanz gegen David Ferrer, fünf Matches davon auf Sand), wie natürlich auch Djokovic. Beide passen in die natürliche Evolution des Sports: Federer als "Sampras 2.0", mit besserer Rückhand und besserem Spiel von der Grundlinie, Djokovic als "Agassi 2.0" mit noch stärkerem Return und Allroundspiel.

Rafael Nadal: Sein Tennis passt in keine Schablone

Aber Nadal? Der passt in keine Schablone. Was mich zu der Schlussfolgerung bringt: Nadal spielt kein Sandplatztennis. Er spielt "Nadal-Tennis". Wäre es lediglich die Evolution des Sandplatztennis (etwa Marke Thiem), er wäre zwar immer noch dominant, aber nicht unschlagbar. Doch dieses "Nadal-Tennis", dieser eigentliche Rechtshänder, der diese linke Vorhandschleuder spielen kann, das macht ihn so einzigartig. Und so einmalig erfolgreich.

So "abgehoben" ist Nadals Bilanz in Paris (100-2), dass es schwerfällt, sie angemessen zu würdigen. Dass man gewillt ist, sie zu rationalisieren wie sonst nur bei anderen GOATs. Tom Bradys sieben Super-Bowl-Siege? Ja, gut, Bill Belichick, gute Defensive, und mit dem nötigen Glück kann beim One-and-done-Format in den Playoffs ja alles passieren.

Nadal? Ja, gut, der Pool der Spieler, die auf Sand groß geworden sind, ist einfach deutlich kleiner, in weiten Teilen der Welt wird vor allem auf Hartplatz gespielt. Es ist schwer, das Spiel gegen Nadal zu trainieren, weil man es im Training kaum simulieren kann. Und er läuft auf Sand eben nicht in Gefahr, dass ein Gegner 40 Asse schlägt und drei Tiebreaks gewinnt (John Isner war in der 1. Runde 2011 übrigens nah dran!). Eine solche Serie kann es eigentlich nur auf Sand geben.

Und am Ende landet man dann doch bei 13 Titeln in 16 Teilnahmen (zwei Niederlagen, 2016 trat er zur 3. Runde aufgrund einer Verletzung nicht mehr an).

Vor 20 Jahren stand Sampras bei sieben Wimbledon-Titeln und die Sportwelt verneigte sich. Nadal hat in zwei Wochen wahrscheinlich doppelt so viele. Doppelt so viele!

Rafael Nadal bei den French Open: Wo sind die Herausforderer?

Im Laufe des letzten Jahrzehnts wurde Paris in meinen Augen immer dann besonders interessant, wenn es so aussah, als gäbe es wirkliche Herausforderer für Nadal. Wie 2012, als Djokovic mit den letzten drei Major-Titeln im Gepäck anreiste. Gleich lag der Fall 2019. 2017, als Wawrinka im Finale wartete - der hatte das Turnier ja zwei Jahre zuvor mit einer Wahnsinnsleistung gegen den Djoker gewonnen. Oder auch im vergangenen Jahr, mit dem Oktobertermin und den vermeintlich widrigen Bedingungen.

Das Ende vom Lied? 2012 verlor Djokovic in vier Sätzen, 2019 scheiterte er im Halbfinale an Thiem, 2020 war er gar völlig chancenlos. Und "Prime Stanimal"? Könnte er Nadal mit seinen gewaltigen Grundschlägen nicht ebenso schocken wie Robin Söderling damals, im legendären Achtelfinale 2009? Ähem. 6:2, 6:3, 6:1. So viel dazu.

Weshalb ich ehrlich gesagt auch in diesem Jahr mit nicht wahnsinnig viel Spannung rechne auf dem Court Chatrier. Die Hoffnung stirbt natürlich zuletzt, aber ... naja. Was ja nicht heißt, dass man das geniale Tennis von Rafa nicht trotzdem genießen kann. Die Banana Shots die Linie entlang. Die Rückhand cross, im Feld geschlagen. Die seit langem schon sehr starken Volleys. Sein unbändiges Kämpferherz. Und natürlich die kindliche Freude nach dem Sieg.

Ich suche derweil schonmal nach neuen Superlativen. Bei der Recherche für diesen Artikel ist mir mein Spielbericht vom Finale 2013 aufgefallen. Glatter Finalsieg über David Ferrer, der achte Titel war das damals. Die Überschrift, die aus meiner Feder stammen dürfte: "Rafael Nadal macht sich unsterblich".

Bei Nadal sind die Superlative eben irgendwann aufgebraucht.

French Open: Terminplan, Runden

DatumUhrzeitRunde
Sonntag, 30. Mai11:001. Runde
Montag, 31. Mai11:001. Runde
Montag, 31. Mai21:001. Runde
Dienstag, 1. Juni11:001. Runde
Dienstag, 1. Juni21:001. Runde
Mittwoch, 2. Juni11:002. Runde
Mittwoch, 2. Juni21:002. Runde
Donnerstag, 3. Juni11:002. Runde
Donnerstag, 3. Juni21:002. Runde
Freitag, 4. Juni11:003. Runde
Freitag, 4. Juni21:003. Runde
Samstag, 5. Juni11:003. Runde
Samstag, 5. Juni21:003. Runde
Sonntag, 6. Juni11:004. Runde
Sonntag, 6. Juni21:004. Runde
Montag, 7. Juni11:004. Runde
Montag, 7. Juni21:004. Runde
Dienstag, 8. Juni12:00Viertelfinale
Dienstag, 8. Juni17:00Viertelfinale
Mittwoch, 9. Juni12:00Viertelfinale
Mittwoch, 9. Juni21:00Viertelfinale
Donnerstag, 10. Juni14:00Halbfinale
Freitag, 11. Juni15:00Halbfinale
Samstag, 12. Juni15:00Finale Damen, Finale Herren-Doppel
Sonntag, 13. Juni15:00Finale Herren