Die NBA? Die Bayern? Oder Spanien? Als bester Nachwuchsspieler Deutschlands ausgezeichnet, hat Daniel Theis in diesem Sommer die freie Wahl. Der 22-jährige Power Forward von ratipoharm Ulm überzeugte die Scouts endgültig in der Playoff-Serie gegen Berlin (17,0 Punkte, 8,8 Rebounds). Seine Basketball-Nerdigkeit hilft ihm bei der Entscheidung.
SPOX: Es ist keine zwei Jahre her, als Ihre Karriere eine dramatische Wendung nahm: Sie beschlossen, Braunschweig zu verlassen und nach Ulm zu wechseln, woraufhin Ihr Heimatverein eine Kampagne gegen Sie startete. Sie wurden von Braunschweig juristisch bedroht und von enttäuschten Fans übel beschimpft. Wussten Sie immer, dass Sie sich richtig entschieden haben?
Daniel Theis: Ja. Das Gespräch mit Trainer Thorsten Leibenath vor dem Wechsel war von einem solch großen Vertrauen geprägt, dass ich wusste, in Ulm besser aufgehoben zu sein als in Braunschweig, wo ich mich nicht wertgeschätzt gefühlt hatte. Sehr wichtig war es, dass ich sofort nach dem Wechsel merkte, dass Thorsten es ernst meinte mit mir und mich im ersten Spiel für Ulm - ausgerechnet in Braunschweig - über 30 Minuten spielen ließ.
SPOX: Nach einem vielversprechenden ersten Jahr in Ulm explodierten Sie in dieser Saison und wurden zum besten deutschen Nachwuchsspieler gewählt.
Theis: Im ersten Jahr bekam ich mit mehr als 16 Minuten im Schnitt bereits mehr Spielzeit, als ich erwartet hatte. Was mich besonders freute: Ich kam nicht nur rein, wenn eine Partie gelaufen war, sondern stand auf dem Court, wenn es um was ging. Selbst im Eurocup. Damit hatte ich bereits im ersten Jahr mein Ziel erreicht, mich als Erstliga-Spieler zu etablieren und fester Bestandteil der Rotation zu sein. Dass jetzt im zweiten Jahr sogar der Award dazukam, ist umso schöner.
SPOX: Vor zwei Jahren fingen Sie zudem an, sich selbst ein großes Tattoo am rechten Arm zu designen. Wie man hört, mit einer besonderen symbolischen Bedeutung. Besteht ein Zusammenhang zum Weggang aus Braunschweig?
Theis: Indirekt vielleicht. Das Tattoo stellt einen Lebensbaum dar, der mir immer vor Augen hält, was die wichtigsten Säulen in meinem Leben sein sollten. Meine Familie und meine Verlobte. Ihnen allen ist ein Teil des Lebensbaums gewidmet, deren Wurzeln tief in mir verwachsen sind, nicht nur optisch als Tattoo, sondern auch emotional. Die Wurzeln drücken aus, dass ich nie abheben, sondern bodenständig bleiben soll.
SPOX: Fühlten Sie sich nach dem Weggang aus Braunschweig entwurzelt?
Theis: Nein, das wäre übertrieben. Ich bin zwar aus der Region und ich fühlte mich in Braunschweig immer wohl. Es ist nur schade, wie es alles abgelaufen ist. Aber meine Familie wohnt in Salzgitter, das 20 Kilometer von Braunschweig entfernt ist, daher bin ich noch häufig in der Region. Und es ist kein Problem für mich, dann in die Stadt zu gehen, und wenn Leute immer noch meinen, mir was sagen zu müssen, dann sollen sie doch. Ich habe meinen Frieden damit geschlossen, weil ich weiß: Wenn es anders gelaufen wäre, hätte ich vielleicht nie in Ulm unterschrieben, hätte nie von Thorsten trainiert werden können und hätte nie den Nachwuchs-Award gewonnen. Und vor allem hätte ich nie zu dem Menschen werden können, der ich jetzt bin. Von daher: alles gut.
SPOX: Was angesichts Ihrer glanzvollen Leistungen zuletzt fast vergessen wird: Nicht alles verlief perfekt. Sie kamen anfangs dieser Saison nur schwer in Gang. Warum?
Theis: Es war für mich etwas komplett Neues: Ich verletzte mich erstmals schwer und musste im Sommer 2013 wegen der Schulterverletzung operiert werden. Ich hatte Tage, an denen ich nur einen Gedanken hatte: "Mann, ist das scheiße!" Man saß da, hatte eine Schlinge um den Arm und konnte nichts machen. Gar nichts! Entsprechend hatte es eine Zeit gedauert, bis ich wieder richtig beschwerdefrei war und wieder reinkam, damit sich simple Dinge wie Ballwerfen wieder vertraut anfühlten. Immerhin hatte es etwas Positives: Wegen der Verletzung am Wurfarm musste ich die schwache linke Hand für alltägliche Dinge nutzen wie Zähneputzen. Das sollte jeder einmal versuchen, das ist wirklich nicht einfach. (lacht) Doch all das hatte sogar am Ende einen Sinn, weil ich beim Basketball seitdem viel besser die linke Hand nutzen kann.
SPOX: Während Sie sich stetig verbesserten, schwankte Ulm in den Leistungen. Wie fällt das Fazit des Vorjahres-Halbfinalisten aus, nachdem die Viertelfinale-Serie gegen Berlin nach hartem Kampf mit 1-3 verloren ging?
Theis: Auf jeden Fall verlief die Saison besser, als es von außen teilweise bewertet wurde. Man darf nicht vergessen, dass wir im Sommer den zweimaligen MVP John Bryant oder Allan Ray abgaben und wir zudem mit vielen Verletzungen zu kämpfen hatten. Daher die schwankenden Leistungen in der Bundesliga, die wir dennoch immerhin als Sechster abschlossen. Dazu erreichten wir im Eurocup das Achtelfinale und besiegten unter anderem den späteren Sieger Valencia und standen im deutschen Pokalfinale. Wir können damit sehr zufrieden sein. Mit unserem Budget ist es nicht möglich, jedes Jahr unter den besten vier deutschen Klubs zu sein. Letzte Saison lagen wir in der Hauptrunde noch vor den Bayern und Alba, die damals nicht annährend so stark waren wie dieses Jahr.
SPOX: Stimmt es, dass Sie mit Ex-NBA-Profi Ray, der nun in Zagreb spielt, weiterhin befreundet sind? Rät er Ihnen eher, die Chance zu ergreifen und in die NBA oder zu einem europäischen Topklub zu wechseln? Oder in Ulm zu bleiben?
Theis: Sowohl als auch. Ohne zu schleimen: Ulm besitzt die besten Fans überhaupt in Deutschland und das darf man nicht einfach so aufgeben. Darin bekräftigt mich Allen, mit dem ich weiterhin regelmäßig in Kontakt bin. Wir sind immer ausverkauft und die Fans stehen komplett hinter uns. Gleichzeitig erzählt mir Allen natürlich von seiner Zeit in der NBA und in Italien und es ist faszinierend, wie viele Facetten das Leben eines Basketball-Profis haben kann. Noch extremer ist unser Center Trent Plaisted, der schon überall war, wo man nur sein kann. Er macht es dabei richtig und zieht sich aus jedem Ort, wo er unter Vertrag stand, etwas für sich heraus. Wobei es für mich zu krass wäre, sich jedes Jahr auf eine neue Umgebung einzustellen. Ich will lieber Wurzeln schlagen und mich entwickeln.
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SPOX: Trotzdem könnte in diesem Sommer ein Umzug bevorstehen. Bereits in Braunschweig bestritten Sie ein Probetraining für die Detroit Pistons und nach dieser Saison ist das NBA-Interesse an Ihnen noch größer. Wie geht es weiter?
Theis: Ich habe versucht, das Thema so gut wie möglich auszublenden und ich komme erst langsam dazu, mich damit zu beschäftigen. Wenn dieses Jahr NBA-Scouts in der Halle waren, freute es mich einfach nur, weil es eine Art der Wertschätzung ist, und ich war noch motivierter. Was jetzt kommt, müssen wir schauen. Wenn es mit der Nationalmannschaft und der EM-Quali vereinbar ist, wäre die Teilnahme an der Summer League und einigen Trainings Camps in den USA sicherlich interessant.
SPOX: Sie wurden vor einem Jahr von Ihrem Berater Ademola Okulaja auf die Draft-Liste gesetzt und wurden nicht gezogen. Warum?
Theis: Es hat einen kleinen Vorteil, dass ich als ungedrafteter Spieler nun etwas mehr Flexibilität besitze. Man darf natürlich nicht zu wählerisch sein, aber ich kann als Free Agent schon ein bisschen abwägen, wenn es mehrere Interessenten geben sollte, welches Team besser zu meinem Spielstil passt.
SPOX: Sie gelten als die deutsche Version von Blake Griffin.
Theis (lacht): Ich kann natürlich springen und dunken, allerdings spielt Griffin auf einem mehrere Stufen höheren Level. Dirk Nowitzki war natürlich immer ein Vorbild, ich habe mir die gesamte Playoff-Serie gegen die Spurs reingezogen. Besonders intensiv verfolge ich Kevin Garnett. Er sieht zwar sehr dünn aus, doch wie er das mit der mentalen Kraft kompensiert, ist der Hammer. Bevor ich in ein Spiel gehe, schaue ich mir häufig sogar Aufzeichnungen von Garnett an, um mich zu pushen und in die richtige Stimmung zu kommen. Seine Intensität ist der Wahnsinn!
SPOX: Greifen Sie dabei auf Aufzeichnungen zurück, als Garnett noch am Zenit seines Schaffens war? Oder eher aktuelle Spiele?
Theis: Beides. Damals, zu seiner Prime, war Garnett ein überragender Scorer. Jetzt ist er mehr der Leader, der mit seiner kleineren Rolle zufrieden ist und als zweiter Coach auf dem Court den Jungen zeigt, was gemacht werden muss. Seine Ausstrahlung ist unfassbar.
SPOX: Verfolgen Sie Tibor Pleiß' Karriereweg? Statt mit aller Macht sofort in die NBA zu gehen, beschloss er den beschwerlichen Weg über Spanien und reift bei Laboral Kutxa immer mehr zum Mann.
Theis: Natürlich! Letztes Jahr fand ich Tibor noch nicht so stabil. Was er diese Saison zeigt, ist beeindruckend. In der Euroleague legte er gegen Mailand 30 Punkte und 13 Rebounds auf. 30 Punkte und 13 Rebounds! Und in der spanischen Liga spielt er manchmal nur 20 Minuten, aber nutzt diese Zeit extrem effektiv und plötzlich stehen für ihn 20 Punkte und 8 Rebounds zu Buche. Es ist sehr spannend zu beobachten, wie er sich in der stärkten Liga Europas gegen Teams wie Real, Barca und Valencia durchgesetzt hat.
SPOX: Für Sie ebenfalls eine Option?
Theis: Selbstverständlich, es gibt genügend Spieler, die erst mit 28, 29 Jahren in die NBA gehen und vorher eine tolle Karriere in Europa hinlegen. Im Eurocup trafen wir zum Beispiel auf Valencia und deren MVP Justin Doellman. Der hat jetzt mit 29 Jahren die Wahl, in der NBA zu unterschreiben oder nicht. Daher könnte es für jeden deutschen Profi der richtige Weg sein, zu einem guten europäischen Team zu wechseln und sich dort zu entwickeln. Man sieht an Tibor, wie es einen weiterbringen kann, sich mit einer anderen Art des Basketballs und des Coachings auseinanderzusetzen.
SPOX: Sie scheinen sich sehr mit dem Basketball an sich zu beschäftigen.
Theis: Ich bin einfach neugierig, deswegen schaute ich mir alle Bayern-Spiele in der Euroleague an. Unter anderem ging es ja gegen Real Madrid und Nikola Mirotic, den ich gut von den U-20-Spielen zwischen Deutschland und Spanien kenne. Bei den Jugend-Nationalmannschaften traf ich auch häufig auf Italiens Alessandro Gentile, der in Mailand zu den Stars gehört. Es ist gut zu sehen, wie sie sich entwickeln. Mirotic gehört jetzt schon zu den besten Power Forwards in Europa und wird wohl zum zweiten Mal in Folge zum MVP der spanischen Liga gewählt - und das mit 23 Jahren!
SPOX: Die spanische Liga scheint besonders reizvoll. Hätten Sie aber überhaupt Lust, eine Sprache zu lernen?
Theis: Meine angehende Ehefrau lebte bereits für ein Jahr in Spanien als Au-pair und spricht spanisch. Und sie wollte mich schon immer dazu überreden, eine neue Sprache zu erlernen. Ich bin offen dafür und wenn es so kommt, dass es uns irgendwann nach Spanien zieht, dann setze ich mich hin und lerne so viel spanisch, bis ich umfalle, das habe ich mir fest vorgenommen. (lacht)
SPOX: Zuvor könnte es eine Variante sein, zu einem der drei großen deutschen Klubs zu wechseln. Sie können sich zwischen Bayern, Bamberg und Berlin entscheiden.
Theis: Es ist klar, dass alleine schon wegen der Deutschland-Quote jeder, der zum besten Nachwuchsspieler gewählt wird, Interesse auf sich zieht. Ich versuche dennoch, es nicht an mich ranzulassen, und ich möchte mir keinen Druck aufbauen. Ich bin schon neugierig, doch Ademola macht einen tollen Job, schirmt mich ab, lässt mich erstmal zur Ruhe kommen und führt alle Gespräche.
SPOX: Okulaja berät neben Ihnen unter anderem NBA-Profi Dennis Schröder, der aus gemeinsamen Braunschweiger Zeiten zu Ihren besten Freunden zählt. Haben Sie noch Kontakt?
Theis: Natürlich ist der Kontakt etwas kleiner geworden. Man muss sich alleine nur vorstellen, dass Dennis mit Atlanta inklusive den Playoffs fast 90 Spiele bestritten hat. Aber Zeit für eine SMS ist immer und bei wichtigen Anlässen telefonieren wir. Dennis hat zum Beispiel per Live-Stream das Pokal-Top-Four verfolgt und sich gleich gemeldet. Wir verstehen uns immer noch sehr gut.
SPOX: Im SPOX-Interview von 2012 sprachen Sie vom Traum, gemeinsam mit Schröder in der Starting Five der Nationalmannschaft zu stehen. Wie sehen Sie die Zukunft des DBB-Teams?
Theis: Die jetzige Generation hat mit den zwei fünften Plätzen bei der U-20-EM beweisen, dass viele talentierte Spieler nachkommen, die jetzt schon zu den Stammkräften in der BBL gehören. Es ist klasse, dass alleine in Frankfurt mit Danilo Barthel, Konstantin Klein und Johannes Voigtmann gleich drei junge Deutsche jeweils fast 30 Minuten im Schnitt eingesetzt wurden. Oder auch Mathis Mönnighoff in Trier mit fast 25 Minuten. Mein langjähriger Wegbegleiter Maxi Kleber konnte in Würzburg endlich zeigen, dass er es wirklich drauf hat. So schade es ist, dass Deutschland die WM in diesem Jahr verpasst hat: Ich freue mich auf den Neuanfang in diesem Sommer.
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