SPOX: Es ist keine zwei Jahre her, als Ihre Karriere eine dramatische Wendung nahm: Sie beschlossen, Braunschweig zu verlassen und nach Ulm zu wechseln, woraufhin Ihr Heimatverein eine Kampagne gegen Sie startete. Sie wurden von Braunschweig juristisch bedroht und von enttäuschten Fans übel beschimpft. Wussten Sie immer, dass Sie sich richtig entschieden haben?
Daniel Theis: Ja. Das Gespräch mit Trainer Thorsten Leibenath vor dem Wechsel war von einem solch großen Vertrauen geprägt, dass ich wusste, in Ulm besser aufgehoben zu sein als in Braunschweig, wo ich mich nicht wertgeschätzt gefühlt hatte. Sehr wichtig war es, dass ich sofort nach dem Wechsel merkte, dass Thorsten es ernst meinte mit mir und mich im ersten Spiel für Ulm - ausgerechnet in Braunschweig - über 30 Minuten spielen ließ.
SPOX: Nach einem vielversprechenden ersten Jahr in Ulm explodierten Sie in dieser Saison und wurden zum besten deutschen Nachwuchsspieler gewählt.
Theis: Im ersten Jahr bekam ich mit mehr als 16 Minuten im Schnitt bereits mehr Spielzeit, als ich erwartet hatte. Was mich besonders freute: Ich kam nicht nur rein, wenn eine Partie gelaufen war, sondern stand auf dem Court, wenn es um was ging. Selbst im Eurocup. Damit hatte ich bereits im ersten Jahr mein Ziel erreicht, mich als Erstliga-Spieler zu etablieren und fester Bestandteil der Rotation zu sein. Dass jetzt im zweiten Jahr sogar der Award dazukam, ist umso schöner.
SPOX: Vor zwei Jahren fingen Sie zudem an, sich selbst ein großes Tattoo am rechten Arm zu designen. Wie man hört, mit einer besonderen symbolischen Bedeutung. Besteht ein Zusammenhang zum Weggang aus Braunschweig?
Theis: Indirekt vielleicht. Das Tattoo stellt einen Lebensbaum dar, der mir immer vor Augen hält, was die wichtigsten Säulen in meinem Leben sein sollten. Meine Familie und meine Verlobte. Ihnen allen ist ein Teil des Lebensbaums gewidmet, deren Wurzeln tief in mir verwachsen sind, nicht nur optisch als Tattoo, sondern auch emotional. Die Wurzeln drücken aus, dass ich nie abheben, sondern bodenständig bleiben soll.
SPOX: Fühlten Sie sich nach dem Weggang aus Braunschweig entwurzelt?
Theis: Nein, das wäre übertrieben. Ich bin zwar aus der Region und ich fühlte mich in Braunschweig immer wohl. Es ist nur schade, wie es alles abgelaufen ist. Aber meine Familie wohnt in Salzgitter, das 20 Kilometer von Braunschweig entfernt ist, daher bin ich noch häufig in der Region. Und es ist kein Problem für mich, dann in die Stadt zu gehen, und wenn Leute immer noch meinen, mir was sagen zu müssen, dann sollen sie doch. Ich habe meinen Frieden damit geschlossen, weil ich weiß: Wenn es anders gelaufen wäre, hätte ich vielleicht nie in Ulm unterschrieben, hätte nie von Thorsten trainiert werden können und hätte nie den Nachwuchs-Award gewonnen. Und vor allem hätte ich nie zu dem Menschen werden können, der ich jetzt bin. Von daher: alles gut.
SPOX: Was angesichts Ihrer glanzvollen Leistungen zuletzt fast vergessen wird: Nicht alles verlief perfekt. Sie kamen anfangs dieser Saison nur schwer in Gang. Warum?
Theis: Es war für mich etwas komplett Neues: Ich verletzte mich erstmals schwer und musste im Sommer 2013 wegen der Schulterverletzung operiert werden. Ich hatte Tage, an denen ich nur einen Gedanken hatte: "Mann, ist das scheiße!" Man saß da, hatte eine Schlinge um den Arm und konnte nichts machen. Gar nichts! Entsprechend hatte es eine Zeit gedauert, bis ich wieder richtig beschwerdefrei war und wieder reinkam, damit sich simple Dinge wie Ballwerfen wieder vertraut anfühlten. Immerhin hatte es etwas Positives: Wegen der Verletzung am Wurfarm musste ich die schwache linke Hand für alltägliche Dinge nutzen wie Zähneputzen. Das sollte jeder einmal versuchen, das ist wirklich nicht einfach. (lacht) Doch all das hatte sogar am Ende einen Sinn, weil ich beim Basketball seitdem viel besser die linke Hand nutzen kann.
SPOX: Während Sie sich stetig verbesserten, schwankte Ulm in den Leistungen. Wie fällt das Fazit des Vorjahres-Halbfinalisten aus, nachdem die Viertelfinale-Serie gegen Berlin nach hartem Kampf mit 1-3 verloren ging?
Theis: Auf jeden Fall verlief die Saison besser, als es von außen teilweise bewertet wurde. Man darf nicht vergessen, dass wir im Sommer den zweimaligen MVP John Bryant oder Allan Ray abgaben und wir zudem mit vielen Verletzungen zu kämpfen hatten. Daher die schwankenden Leistungen in der Bundesliga, die wir dennoch immerhin als Sechster abschlossen. Dazu erreichten wir im Eurocup das Achtelfinale und besiegten unter anderem den späteren Sieger Valencia und standen im deutschen Pokalfinale. Wir können damit sehr zufrieden sein. Mit unserem Budget ist es nicht möglich, jedes Jahr unter den besten vier deutschen Klubs zu sein. Letzte Saison lagen wir in der Hauptrunde noch vor den Bayern und Alba, die damals nicht annährend so stark waren wie dieses Jahr.
SPOX: Stimmt es, dass Sie mit Ex-NBA-Profi Ray, der nun in Zagreb spielt, weiterhin befreundet sind? Rät er Ihnen eher, die Chance zu ergreifen und in die NBA oder zu einem europäischen Topklub zu wechseln? Oder in Ulm zu bleiben?
Theis: Sowohl als auch. Ohne zu schleimen: Ulm besitzt die besten Fans überhaupt in Deutschland und das darf man nicht einfach so aufgeben. Darin bekräftigt mich Allen, mit dem ich weiterhin regelmäßig in Kontakt bin. Wir sind immer ausverkauft und die Fans stehen komplett hinter uns. Gleichzeitig erzählt mir Allen natürlich von seiner Zeit in der NBA und in Italien und es ist faszinierend, wie viele Facetten das Leben eines Basketball-Profis haben kann. Noch extremer ist unser Center Trent Plaisted, der schon überall war, wo man nur sein kann. Er macht es dabei richtig und zieht sich aus jedem Ort, wo er unter Vertrag stand, etwas für sich heraus. Wobei es für mich zu krass wäre, sich jedes Jahr auf eine neue Umgebung einzustellen. Ich will lieber Wurzeln schlagen und mich entwickeln.
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