Er gilt als eines der größten Talente im deutschen Basketball - und musste sich dennoch in Geduld üben. Verletzungen warfen Paul Zipser zurück, am Potential änderten sie jedoch nichts. Seine Voraussetzungen allein machen den Flügel zu etwas Besonderem. Das wissen auch die Bayern. SPOX traf Zipser zum Gespräch.
Vasilije Micic spielt den einfachen Pass nach links an die Dreierlinie. Ein Headfake. Ein schneller erster Schritt. Ein Baselinedrive - und schon hebt der Empfänger ab, drückt den Ball am Ende kraftvoll durch den Ring. An dieser Stelle stellt sich Paul Zipser am besten selbst vor. Seine Vielseitigkeit beschreibt Bayerns Toptalent im Gespräch mit SPOX selbst als größte Stärke. "Ich bin für meine Position relativ groß, gleichzeitig aber immer noch schnell. Dazu habe ich eine gute Übersicht und kann hin und wieder auch den Pass spielen."
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Gut, den Pass zu spielen, war an dieser Stelle mangels Gegenwehr schlicht sinnlos. Ansonsten steht diese eine Szene, dieser Dunk aus der Partie gegen Trier aber durchaus sinnbildlich für das Spiel des Paul Zipser. Größe. Athletik. Übersicht. Geht es um den Flügel, ist immer wieder die Rede von seinen drei vielleicht markantesten Attributen. Von seinen herausragenden Anlagen. Anlagen, die so deutlich erkennbar sind, dass Zipser als eines der größten Talente im deutschen Basketball gilt
Entsprechend groß war der Andrang, als sich abzeichnete, dass seine Heimat, das beschauliche Heidelberg, am Ende doch zu beschaulich für Zipsers Ambitionen war. Der FC Bayern, Bamberg, Oldenburg, im Grunde die gesamte Basketballelite der Republik meldete Interesse am Talent an. Man hatte einen ersten Eindruck bekommen - und Gefallen gefunden.
Profidebüt mit 16
Immerhin feierte der Flügel in der Saison 2010/11 bereits mit 16 sein Profidebüt in der ProA - ausgerechnet gegen den späteren Aufsteiger aus München. In der darauffolgenden Saison erhielt er beim USC Heidelberg, den Vater Dieter Mitte der 90er Jahre übrigens zurück in die zweite Liga geführt hatte, durchschnittlich 20 Minuten Einsatzzeit. Mit 17!
ProA hin oder her, es spricht für sich. Noch mehr für Zipser sprachen allerdings seine Leistungen beim Nachwuchs - sprich: unter Altersgenossen. Dort ragte er meist heraus, zählte stets zu den Besten. So auch beim hoch angesehenen Albert-Schweitzer-Turnier, bei dem Zipser 2012 ins All-Tournament Team gewählt wurde.
Spätestens jetzt war das Interesse der Großen endgültig geweckt. Doch Zipser entschied sich für ein weiteres Jahr in Heidelberg - und spielte kaum. Nur zwei Partien absolvierte er in der Saison 2012/13. Der Grund: Zipser hatte sich am Sprunggelenk verletzt. Von einem zusätzlichen Knochen im Fuß, der das Gelenk beeinträchtigt, war die Rede.
Verletzt nach München
Vielleicht nahm Zipsers Wert ein wenig schaden, vielleicht auch nicht. Sicher ist jedoch, dass die Bayern im Januar 2013 verlauten ließen, dass Paul Zipser ab sofort in München spielen werde und der Neuzugang selbst wenig später ein klassisches "Mia san Mia" auf seine Facebook-Seite postete.
Der FCB hatte also zugeschlagen - und gleichzeitig den Ärger der Konkurrenz auf sich gezogen. Aus Oldenburg wurden Vorwürfe laut, die Bayern hätten den Zuschlag lediglich aufgrund ihrer finanziellen Möglichkeiten erhalten und würden das Talent nun auf der Bank versauern lassen. Der Konter aus München folgte umgehend. Der alleinige Grund sei, "dass Paul unter dem Trainer Svetislav Pesic arbeiten wollte", entgegnete - richtig - Svetislav Pesic.
Damit wäre Zipser sicher nicht der erste, gilt Pesic doch als einer der besten Coaches des Kontinents. Umgekehrt ist es schwer, den Bayern einen Vorwurf zu machen, weil sie eines der vielversprechendsten deutschen Talente frühzeitig verpflichteten, um es langsam an die erste Mannschaft heranzuführen.
Denn genau das taten die Münchner. Das mussten sie tun. Denn Zipser war verletzt nach München gewechselt und musste erst einmal fit werden. Als es schließlich so weit war, spielte er zunächst immer wieder für die zweite Mannschaft. Ganz einfach war die erste Zeit in München also sicher nicht.
"Habe mindestens das halbe Team genervt"
"Anfangs wollte ich mich im Training immer einwechseln", blickt Zipser gegenüber SPOX zurück. "Ältere und erfahrene Spieler lassen sich im Training allerdings nicht einfach so auswechseln. Das war schon schwer. Am Anfang habe ich deshalb wohl auch mindestens die Hälfte des Teams genervt. Das muss man ein Stück weit auch. Als die Jungs gesehen haben, dass ich etwas drauf habe, habe ich Tipps bekommen. Man muss eben erst beweisen, dass man etwas kann."
Sich beweisen. Durchbeißen. Und das mit gerade einmal 19 Jahren. Noch mal: Es gibt sicherlich einfachere Situationen. Andererseits läuft weder im Leben noch im Sport stets alles im Stile eines klassisch, schnulzigen Märchens. Hindernisse tauchen auf. Sie müssen nur überwunden werden. Zumal aus schweren Situationen häufiger Produktives zu lernen ist als in Zeiten vollkommener Zufriedenheit.
Von der Reha profitiert
"Einiges", entgegnet Zipser deshalb auch umgehend auf die Frage, was er aus der Reha-Zeit mitgenommen habe. "Klar bekommt man alle Hilfe, die man sich vorstellen kann. Am Ende ist man aber dennoch ein Stück weit auf sich allein gestellt. Da muss man selbst durch. Harte Arbeit im Training allein reicht nicht. Du musst härter arbeiten, mit den Schmerzen klarkommen. So habe ich nicht nur für den Basketball etwas gelernt, sondern auch persönlich einiges mitgenommen."
Und tatsächlich sieht man mittlerweile einen wesentlich selbstsichereren Paul Zipser. Einen, der um seine Stärken, um seinen Platz, um seinen Wert weiß. Und das mit Recht. Immerhin spielte sich Zipser im Laufe der vergangenen Saison in die Rotation der Münchner, erhielt von Coach Pesic immer mehr Spielzeit. Mitunter ließ der Serbe sogar vermehrt Spielzüge für seinen Flügel laufen - um ihn "ins kalte Wasser zu werfen", wie Zipser selbst mutmaßt.
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Glanzpunkte in der Euroleague
Es war sicherlich nicht Pesic' schlechteste Idee. Denn Zipser demonstrierte, dass er dazugehört. Sogar in der Euroleague, wo er vergangene Saison gegen Kuban Krasnodar starke 14 Punkte auflegte und auch gegen den späteren Champion Maccabi Tel Aviv mehr als überzeugte. Der nächste wichtige Schritt.
"Im Spiel zu zeigen, was man kann, ist als junger Spieler immens wichtig", sagt er. "Ist man jung, hat man immer das Problem, dass man erstmal ein paar Chancen benötigt. Nutzt man die dann nicht, kann es schnell passieren, dass du in der Rotation wieder nach hinten rutschst. Ich habe meine Chance glücklicherweise genutzt."
...und wieder von vorn
Zipser war angekommen - und musste wenig später doch wieder nahezu von vorn beginnen. Während der ersten Playoff-Runde 2014 gegen Ludwigsburg landete er unglücklich, riss sich das Innenband im Knie. "Das war das Schlimmste, das hätte passieren können", blickt er heute zurück. "Am Anfang wollte ich es überhaupt nicht wahrhaben. Natürlich kann das vielen passieren, wenn du dich aber gerade erst zurückgekämpft hast, ist das schon sehr bitter. In ein, zwei Jahren weiß ich vielleicht, wozu es gut war. Jetzt ist es ohnehin durchgestanden und der Blick geht nur nach vorn."
Nach vorn. Das hieß zu Saisonbeginn erst einmal zurück kämpfen. In die Rotation. In ein neu zusammengestelltes Team. Es gelang. Gut 13 Minuten steht Zipser in dieser Saison durchschnittlich auf dem Court, legt dabei 4,9 Punkte auf. Ausbaufähige Zahlen, sicher, doch der Flügel stellt immer wieder sein Potential unter Beweis.
In Spielen wie gegen Tübingen, als er 20 Zähler auflegte. In solchen Spielen kommt alles zusammen. Athletik. Wurfgefühl. Übersicht. Dann ist Zipser selbst mit 21 nur schwer zu stoppen. Dass er früher auf der Eins spielte, den Aufbau übernahm, hilft zudem ungemein. Zipser besitzt ein Gefühl für das Spiel.
Mentor Pesic
Mittlerweile ist er angesichts von in Europa stolzen 201 Zentimetern Körpergröße jedoch auf der Drei angekommen. Svetislav Pesic sieht seinen Schützling auf dem Flügel und unterstützt ihn nach Kräften - wenn auch mit seiner ihm eigenen Art.
"Ich habe mein Spiel nach seinen Wünschen verändert", beschreibt Zipser im Gespräch mit SPOX sein Verhältnis zum Coach. "Er hat mir gezeigt, wie ich effektiv sein kann, ohne den Ball zu haben. Gleichzeitig zeigt mir der Coach aber auch, was ich anders machen kann, wenn ich den Ball dann habe. Während des Trainings nimmt er mich immer wieder zur Seite und sagt mir, was ich verbessern soll. Auch mal etwas lauter. Und das brauche ich auch. Coach Pesic spielt sicher die wichtigste Rolle in meiner Entwicklung."
Dabei ist das Spiel in dieser Saison wesentlich weniger auf Zipser zugeschnitten als noch in Phasen der vergangenen Spielzeit. Ins kalte Wasser geschmissen wird er nicht mehr. "Wir spielen viel Pick-and-Roll, lassen die Offense über die großen Jungs laufen", sagt Zipser. Deshalb habe er sein Spiel ein wenig umstellen müssen. Verärgert klingt Zipser dabei nicht. Vielmehr sachlich. So stellt sich die Situation nun mal dar. Am Ende müsse man sich einfach beweisen, "um sich mehr Selbstbewusstsein und das Vertrauen des Trainers zu erarbeiten."
Zwischen NBA-Traum und BBL-Playoffs
Selbstvertrauen. Wann immer man Zipser auf seine Schwächen anspricht, erwähnt er das Vertrauen in die eigene Stärke. Offensiv müsse er da noch zulegen, sagt er. Und tatsächlich wirkt er manchmal ein wenig zögerlich, nicht endgültig entschlossen. Dabei gibt er abseits des Courts mittlerweile ein ganz anderes Bild ab. Zipser wirkt aufgeräumt. Geradeheraus, aber nicht arrogant. Bestimmt, aber nicht plump. Zielstrebig, aber nicht verbissen. "Ich bin mittlerweile viel selbstbewusster", sagt er selbst.
Dazu gehört auch, seine Schwächen einzuräumen. An seiner Defense müsse er noch arbeiten, gibt Zipser unumwunden zu, fügt jedoch an, "dass ich viele Gegenspieler vor mir halten kann - was mir andere vielleicht nicht unbedingt zutrauen."
Und es gehört ebenfalls dazu, sich große Ziele zu setzen. Denn Paul Zipser möchte in die NBA. Irgendwann. "Das ist eines meiner Ziele", sagt er. Deshalb hat er sich in diesem Jahr für den Draft angemeldet. Ob er noch zurückzieht, weiß er derzeit nicht. Doch er möchte seinen Wert testen. Endgültig bereit für den großen Schritt sieht er sich zwar nicht, hat dafür aber einen nicht unwesentlichen Vorteil erkannt.
Zipser meldet sich zum Draft an: "NBA eines meiner Ziele"
Immerhin sei er "etwas anders als der klassische europäische Spieler, da ich relativ viel Athletik, Sprungkraft und Schnelligkeit mitbringe." In der NBA kämen derlei Qualitäten sicherlich gut an, wenngleich die Referenz in Sachen Athletik eine völlig andere ist. Zeit für Gedanken über ein mögliches Engagement in der Association, hat Zipser derzeit ohnehin nicht. Die Playoffs stehen an. In Runde 1 treffen die Bayern auf Frankfurt und wollen Titel selbstverständlich verteidigen. Diesmal mit einem fitten Paul Zipser.
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