Er selbst weiß, dass er der "deutsche Vorzeige-Asoziale" ist. Er wird gemieden, von manchen sogar verachtet. Dennoch hat Promoter Ahmet Öner mit Arena einen erfolgreichen Boxstall aufgebaut. Universum hat der 39-Jährige den Rang abgelaufen.
In der Nacht von Freitag auf Samstag kämpft nun sein Aushängeschild Odlanier Solis in Miami gegen Ray Austin (So., 10 Uhr relive auf ran.de).
Wenn Solis gewinnt, wird er zum Pflichtherausforderer von Schwergewichts-Weltmeister Witali Klitschko. Für Öner wäre ein Sieg gegegen Klitschko ein Meilenstein - aber wer ist dieser Mann überhaupt?
SPOX: Odlanier Solis genießt einen vorzüglichen Ruf und gilt als echte Gefahr für Witali Klitschko, sollte Ihr Schützling gegen Ray Austin gewinnen und so zum Pflichtherausforderer des Ukrainers werden. Doch in Deutschland ist Solis weitgehend unbekannt. Was kann er?
Ahmet Öner: Er ist die moderne Version von Mike Tyson. 1,87 Meter groß, harter Punch, intelligenter Boxstil, schnelle Fußarbeit, sehr gute Deckung und großartige Nehmerqualitäten. Wer wissen will, wie tough Odlanier tatsächlich ist, muss nur im Internet das Video vom Amateur-WM-Finale 2001 in Dublin gegen David Haye suchen. Er wird von Haye mit einem fiesen Aufwärtshaken erwischt, aber Odlanier bleibt unglaublicherweise auf den Beinen und gewinnt wenig später Gold.
Hier geht's zum Video: Odlanier Solis vs. David Haye!
SPOX: Und wenn man Sie weniger als Promoter denn als neutralen Box-Experten fragt: Welchen Schwachpunkt hat Solis?
GettyÖner: Sein Körper imponiert, aber manchmal sieht er zu dick aus. Er hat ein wahnsinnig breites Kreuz und eine beeindruckende Muskulatur vor allem im Nacken- und Schulterbereich. Aber auch das eine oder andere Röllchen am Bauch. Er muss mehr auf seine Ernährung achten. Deswegen habe ich eigens einen Ernährungsberater nach Florida geschickt, damit er im Trainingslager ein Auge auf Odlanier hat.
SPOX: Sie wollen Solis zu einem Superstar formen. Mit Juan Carlos Gomez, einem ebenfalls talentierten Schwergewichtler aus Kuba, hatten Sie ähnliches vor, doch der Plan hat sich zerschlagen, nachdem Gomez deutlich gegen Witali Klitschko verlor und sie sich von ihrem früheren Aushängeschild getrennt haben. Verstehen Sie dementsprechend die Skepsis gegenüber Solis?
Öner: Die Zweifel verstehe ich, aber sie entbehren jeder Grundlage. Odlanier tickt komplett anders. Er hat sich das klare Ziel gesetzt, richtig viel Geld zu verdienen, und er weiß, dass er besonders hart trainieren muss, um das zu schaffen. Außerdem hat er anders als Juan Carlos Ehrgefühl und Stolz. Und: Er hört auf mich. Juan Carlos wäre niemals so abgestürzt, wenn er meinen Rat angenommen und nach dem Klitschko-Kampf geduldig auf seine nächste Chance gewartet hätte. Jetzt ist das Thema durch.
SPOX: Was macht Sie dennoch sicher, dass Solis zunächst Austin besiegt und gegen Klitschko nicht derart untergeht wie Gomez?
Öner: Austin boxt nicht schlecht, aber gegen Odlanier wird er chancenlos sein. Und Klitschko? Ich habe vor einem Jahr gesagt, dass er der beste Schwergewichtler der Welt ist. Das hatte weniger mit seiner Klasse zu tun, vielmehr fehlte in der Weltspitze einfach die Konkurrenz. Sein Bruder Wladimir verfügt über eine bessere Technik, aber bei ihm vermisse ich das komplette Paket. David Haye und Tomasz Adamek haben wohl nicht die Masse, auch Alexander Powetkin ist keine Gefahr. Bleibt Odlanier, der in den letzten Monaten einen großen Sprung gemacht hat. Eine Verletzung oder ein Lucky Punch kann immer passieren, wenn jedoch alles normal läuft, müsste Odlanier gewinnen.
Alle anstehenden Box-Termine im Überblick
SPOX: Es gibt Kritik, dass Solis in seiner Profikarriere nur namenlose Boxer als Gegner hatte und daher die makellose Bilanz mit 16 unbesiegten Kämpfen nichts aussagen würde.
Öner: Die großen Namen fehlen, das stimmt. Aber es ist nicht so, dass wir uns verstecken würden wie ein gewisser Witali Klitschko. Wir wollen, dass Odlanier gegen Haye, Powetkin und die Klitschkos in den Ring steigt. Solche Kämpfe machen erst das Boxen aus. Jetzt ist es jedoch endlich soweit, Witali Klitschko wird nicht mehr kneifen können.
SPOX: Vor einem Monat kam es beim WBC-Kongress im mexikanischen Cancun zum Eklat zwischen Ihnen und Klitschkos Management, weil es einen Antrag auf eine weitere freiwillige Titelverteidigung eingereicht hat. Wäre dieser gestattet worden, hätte Solis noch länger auf einen WM-Fight warten müssen, weswegen Sie bei den Verhandlungen vor Wut Ihr Hemd zerrissen haben sollen. Stimmt das?
Öner: Ja, die Geschichte ist so passiert. Ich habe mich so hilflos und ungerecht behandelt gefühlt, weil plötzlich WBC-Präsident Jose Sulaiman Partei für Klitschko ergriffen hat und bestehende Regelungen außer Kraft setzen wollte. Das ist das typische Miteinander des Establishments, und da konnte ich nichts anderes machen als mich aufzuregen. Immerhin hat es ja etwas gebracht, und der Antrag wurde abgelehnt.
SPOX: Andererseits haben Sie Ihren Ruf als Rüpel eindrucksvoll bestätigt.
Öner: Ich habe jedoch keinen angegriffen oder verletzt. Mittlerweile weiß ich dank meines Anti-Aggressionstrainings die Wut besser zu kanalisieren und schade mir im Notfall selbst und nicht anderen.
SPOX: Klitschkos Promoter Bernd Bönte wie auch Kalle Sauerland sind die Prototypen des smarten Sportmanagers, Sie hingegen müssen mit dem Urteil leben, die Schattenseiten des Boxens zu verkörpern: verrucht, gewalttätig, unanständig. Sind Sie tatsächlich so anders?
Öner: Man muss differenzieren. Kalle Sauerland ist eine tolle Persönlichkeit, mit ihm komme ich wunderbar klar. Er macht dem Namen Sauerland alle Ehre und er ist ein würdiger Nachfolger seines Vaters Wilfried. Mit dem Sauerland-Boxstall bin ich häufig genug angeeckt, aber das Verhältnis war immer professionell und daran wird sich wohl nichts ändern. Was mir an Kalle gefällt: Er hat bereits ein eigenes Profil entwickelt. Kalle ist cool, er steht für die New Generation im Boxen.
SPOX: Und Bönte?
Öner: Er ist aalglatt und hat keine Persönlichkeit. Für mich ist Bönte auch kein echter Promoter, im Grunde arbeitet er ja nur als Unterhändler der Klitschkos. Bönte hat ein komplett anderes Verständnis von Boxen und ist nur auf den eigenen Vorteil aus. Umgekehrt bin ich ehrlich genug zu sagen, dass dieser Mann erfolgreich arbeitet. Am Ende sind seine Events sauber, und er hat es geschafft, die Klitschkos so zu vermarkten, dass am Ring all die Promi-Fans sitzen und glücklich in jede Kamera winken. Diese Schauspieler, Fußball-Trainer, Politiker: Sie pilgern zu jedem Klitschko-Kampf. Böntes System funktioniert. Vielleicht muss man heutzutage auch so sein wie er. Vielleicht gehöre ich als Mann mit Ecken und Kanten zu einer aussterbenden Spezies, die nicht mit der Zeit Schritt halten kann. Vielleicht gehöre ich einfach gar nicht in diese Ära und hätte eher vor 70 Jahren als Promoter arbeiten müssen.
Teil II: Öner über Selbstzweifel, Don King und das Kretschmann-Debakel
SPOX: Ungewohnte Zweifel beim sonst so selbstbewussten Ahmet Öner?
Öner: Ich bin es einfach leid, dass in Deutschland schlecht über einen geredet wird und keiner mit mir gesehen werden will, hinter verschlossenen Türen aber dann doch jeder ankommt und Geschäfte machen möchte. Darf ich Ihnen eine Frage stellen?
SPOX: Natürlich.
Öner: Ich weiß, dass ich in Deutschland einen miesen Ruf habe, obwohl mich nur wenige persönlich kennen. Wir haben vor dem Interview noch nie miteinander gesprochen, was halten Sie denn von mir?
SPOX: Genau diese Frage soll das Interview zumindest ansatzweise beantworten: Was für ein Mensch ist Ahmet Öner? Auf der einen Seite sind Sie verurteilt worden und gelten als jähzornig und unberechenbar. Auf der anderen Seite sagt es viel über Ihren Leumund aus, dass Sie mit "Sat.1" und "SKY" zusammenarbeiten, die sonst nur Premium-Sportprodukte wie die Champions League übertragen. Oder dass Fatih Akin, Deutschlands bester Regisseur, einen Film über Sie drehen möchte, weil er von Ihrem Werdegang fasziniert ist.
Öner: In Deutschland gibt es eben nur das Schubladendenken. Der Öner ist scheiße, Punkt. Dabei beruhen die Vorurteile nur auf Artikeln von Journalisten, die wiederum ihre Informationen von anderen Artikeln abgeschrieben haben und dies mit Übertreibungen kaschieren wollen. Nur ganz, ganz wenige Menschen wissen etwa, warum ich mich 2004 mit Klaus-Peter Kohl gestritten habe.
SPOX: Sie haben Kohl körperlich angegriffen.
Öner: Da fragt aber keiner nach, ob der Kohl mich provoziert und mir ins Gesicht gesagt hat, dass er mich mit allen Mitteln fertig machen will, bevor ich die Beherrschung verloren habe. Ich bin eben der Vorzeige-Asoziale Deutschlands. Ein zweites Beispiel: Als ich letztes Jahr angeschossen wurde, dachten die meisten, ich sei der Täter, obwohl ich eindeutig das Opfer eines Hinterhalts war. So etwas nervt kolossal. Bevor ich mir so etwas anhören muss, will ich lieber anonym sein und nirgendwo auffallen. Es ist eine schöne Vorstellung, wenn sich nach einem Boxabend von mir die Zuschauer auf dem Nachhauseweg fragen: "Ach, war der Öner eigentlich da oder nicht?" Ich sehne mich nach Normalität.
SPOX: Bei den Verhandlungen am Hamburger Amtsgericht vor einem Jahr, als Sie wegen 16 Straftaten angeklagt waren und am Ende zu einer Bewährungs- und Geldstrafe verurteilt wurden, gaben Sie in den offiziellen Akten als Wohnort "Hotel Kempinski in Istanbul" an. Fühlen Sie sich heimatlos?
Öner: So könnte man es ausdrücken. Zu Deutschland habe ich nach den Erlebnissen keinen emotionalen Bezug mehr. Wenn überhaupt bin ich in Hamburg, weil hier mein Sohn und ein paar Freunde wohnen. Aber sonst? Ich habe mittlerweile aus praktischen Gründen eine Wohnung in Miami bezogen, aber einen tieferen Sinn hat es nicht. Im Grunde habe ich keinen Ort, den ich als mein Zuhause bezeichnen würde.
SPOX: Sind Sie verbittert, wenn Sie sehen, wie sehr jemand wie Don King in Deutschland bejubelt wird und Sie nicht?
Öner: Don King hat zwei Leute umgebracht, das ist Fakt. Dennoch wird er überall angehimmelt, weil er einen langen Atem hatte und wusste, dass sich die Fans irgendwann nur noch für seine Kampfabende und vielleicht seine schrägen Outfits interessieren. Womöglich beginnt in zehn Jahren auch ein ähnlicher Prozess bei mir und die Öffentlichkeit achtet mehr auf meine Boxer als darauf, was der Öner schon wieder treibt. Mir ist bewusst, dass ich der Szene Zeit geben muss, um alles zu verdauen.
SPOX: Immerhin sind Ihre Erfolge als Promoter unbestritten. Während Kohl mit Universum in einer schweren Krise steckt, hat sich Arena etabliert. Fühlen Sie Genugtuung?
Öner: Als ich Arena gegründet hatte, kam der hochnäsige Kohl zu mir an und sagte, dass ich ohnehin keine Chance hätte und Universum uns platt machen würde. Jetzt bekommen sie die Strafe für ihre Überheblichkeit. Ich beschere "Sat.1" Millionen-Quoten, Universum findet hingegen keinen TV-Sender und ist froh, wenn "Sport1" irgendwelche Vorkämpfe zeigt. Jetzt versuchen sie verzweifelt, den Leuten Jack Culcay als zukünftigen Superstar zu verkaufen, lassen ihn deswegen gegen ausgelutschte Gegner boxen und verramschen das an "Bild.de". Aber Culcay wird kein Großer, das sehe ich jetzt schon.
SPOX: Was sagen Sie zum generellen Zustand des Boxens in Deutschland?
Öner: Die Qualität hat insgesamt nachgelassen. Es gibt nur vier Boxer, die als Hauptkämpfer einen großen Kampfabend tragen können: Die beiden Klitschkos, Felix Sturm und vor seinen Niederlagen Arthur Abraham. Dahinter kommen Marco Huck und mit einem weiteren Abstand Sebastian Sylvester sowie Robert Stieglitz. Danach klafft ein großes Loch.
SPOX: Sie bemängeln die fehlende Klasse vieler Boxer in Deutschland. Aber sind Sie es nicht gewesen, der den drittklassigen Steffen Kretschmann als neue Schwergewichtshoffnung angepriesen hat, bevor dieser hoffnungslos überfordert den Kampf gegen Denis Bachtow aufgab und damit für einen peinlichen TV-Moment sorgte?
Öner: Ich sag es ganz ehrlich: Kretschmann war für mich ein trojanisches Pferd - und es hat sich ausgezahlt. Er hat mir dabei geholfen, dass Arena mit "Sat.1" erstmals bei einem großen Free-TV-Sender eine Boxnacht alleine veranstalten konnte. So konnten wir "Sat.1" beweisen, dass selbst mit einem unbekannten Boxer wie Kretschmann eine richtig gute Quote mit 20 Prozent Marktanteil machbar ist. Sonst produziert "Sat.1" ja irgendwelche Event-Filme wie "Die Grenze" für mehrere Millionen Euro selbst, wir hingegen lagen mit dem Budget weit unter einer halben Million und haben dennoch etwas Vernünftiges abgeliefert, auch wenn das Ende nicht wie gewünscht verlaufen ist. Ohne Kretschmann hätte ich "Sat.1" nie dazu bewegen können, das Experiment Boxen zu wagen.
SPOX: Haben Sie keinerlei Mitleid mit Kretschmann?
Öner: Warum sollte ich? Er hatte doch alles selbst in der Hand. Wir haben ihm auf dem Silbertablett eine Chance serviert, für die sich tausende andere Boxer ein Bein ausgerissen hätten. Statt diese Möglichkeit zu nutzen und alles für den Event und den Sieg zu geben, hat er sich vor dem Kampf als nicht kooperativ erwiesen, die Medienarbeit vernachlässigt und dann noch die vielen Termine fürs Fernsehen als Ausrede für seinen schwachen Auftritt genutzt. Vor dem Kampf fragte er allen Ernstes, ob wir die ganzen Promotion-Drehs nicht nach dem Kampf machen könnten. Er hat einfach zu keinem Zeitpunkt verstanden, was wir für ihn geleistet und wie wir uns für ihn den Arsch aufgerissen haben. Wenn er im Ring dieselbe Leistung gezeigt hätte wie das gesamte Team um ihn herum, würden wir jetzt vielleicht nicht über Solis als nächsten Klitschko-Gegner sprechen sondern weiter über Steffen Kretschmann. Anders formuliert: So jemand verdient keine Milde von mir.